Die Luft verpesten

von Haaretz-Redaktion

Unmittelbar nach dem Treffen zwischen Benjamin Netanjahu und dem amerikanischen Präsidenten beeilte sich der Sprecher des Weißen Hauses, eine scharfe Verurteilung gegen Israels Absicht zu veröffentlichen, weiter in Ostjerusalem zu bauen. „Der Plan Israels in Ostjerusalem mit dem Bau neuer Wohnungen fortzufahren, vergiftet die Beziehungen und verursacht Zweifel an Israels Bereitschaft zum Frieden.“ So hieß es in der Mitteilung, die sich auf die Genehmigung zum Bau von 2610 Wohnungen jenseits der Grünen Linie bezog.

So wurde zufällig die Verlogenheit des „Guten Treffens“ zwischen Obama und Netanjahu offenbart. Es halfen auch nicht die Worte Netanjahus, die er zu Beginn des Treffens gesagt hat, als ob er sich weiter für eine Zwei-Staaten-Lösung verpflichtet fühlt. Angesichts der Politik seiner Regierung, die durch eine solche Genehmigung zum Ausdruck kommt, deren Ziel es ist, die Teilung Jerusalems zu verhindern, kann keiner mehr glauben, dass Netanjahu wirklich an Frieden interessiert ist.

Die Reise von Netanjahu in die USA offenbarte den wahren internationalen Status Israels und die Schäden, die Netanjahu immer wieder verursacht. Am Vorabend des Treffens mit Obama war Netanjahu mit dem Generalsekretär der UN verabredet. Während des Treffens kam es zu einer Auseinandersetzung über die Zerstörungen durch der israelische Armee an UN-Einrichtungen im Gazastreifen und die Tötung von Einwohnern, die dort Zuflucht gefunden haben. „Man kann nicht alle paar Jahre Aktionen wiederholen, die so viel Zerstörung verursachen“, sagte Ban zu Netanjahu.

Nacheinander wurden die Masken von Netanjahus Gesicht heruntergezogen. Netanjahu will, und wollte offenbar nie, eine Zwei-Staaten-Lösung. Seine Taten beweisen es, und die Welt, einschließlich die Vereinigten Staaten, verliert ihre Geduld mit dieser Politik der Irreführung seitens Israel, die auch keine Alternative aufzeigt. Die USA fährt zwar fort, automatisch Israel zu unterstützen, politisch und militärisch, aber die Schäden der Politik Netanjahus werden immer größer und am Ende werden sie auch die Beziehungen mit Washington belasten.

Eine Regierung, die vom UN-Generalsekretär beschuldigt wird, Kriegsverbrechen begangen zu haben und über deren Politik die amerikanische Regierung sagt, dass sie vergiftet ist – ist eine Regierung, die Israel große Schäden zufügt.

Übersetzung aus dem Hebräischen: Abraham Melzer.

Der Propagandist und die Propaganda

von Gideon Spiro

Die Rede von Israels Ministerpräsidenten vor der UN-Vollversammlung am 29. September 2014 war eine gewöhnliche Propagandarede. Eine Propagandarede, die als solche genannt werden kann, enthält eine gehörige Portion Lügen, Täuschungen und Irreführungen, die vermischt sind mit echten Tatsachen, und die Mischung ist dazu vorgesehen, die Herzen der Bevölkerung zu erobern. Alle Fernsehkanäle und die meisten Radiosender haben die Rede live übertragen.

Es gab keine Überraschungen. Alle Klischees, die Netanjahu immer wieder gebraucht, waren in dieser Rede enthalten. Er hat, Gott behüte, auch nicht vergessen, das Mantra vorzutragen, dass die IDF „die moralischste Armee der Welt“ sei. In der Strafaktion „Gegossenes Blei“ (2008/2009) wurden 121 Kinder getötet, und die IDF war die moralischste Armee der Welt. Im jüngsten Gaza Krieg (Sommer 2014) wurden mehr als 400 Kinder getötet, und es ist immer noch die moralischste Armee der Welt. Sogar noch moralischer. Mit einer solchen israelischen Logik kann man eine mathematische Formel erfinden, wonach je mehr palästinensische Kinder man tötet, die Moral der Armee stärker ist. Früher waren wir die Moralischsten der Welt und jetzt sind wir es erst recht.

Ein anderes Mantra, das eine Art Pflicht ist in jeder Propagandarede, trägt den Namen „Israel – die einzige Demokratie im Nahen Osten“. Sie fehlte nicht in der Rede. Wie lange noch wird Netanjahu diese Lüge wiederholen? Die ganze Welt weiß doch, dass in dem Gebiet, das unter israelischer Besatzung ist, seit 47 Jahren ein Apartheid Regime herrscht, das heißt, Menschenrechte für Juden und Gesetzlosigkeit für Palästinenser. Das ist ein abgenutztes Mantra, das seine Kraft und Macht verloren hat, und man kann es in die Schublade der Mantras ablegen, die nicht mehr wirken.  Weiterlesen

Gutes neues Jahr – Shana Tova

von Haaretz-Redaktion

Die Neujahrsausgabe von Markerweek, ein Online-Ableger der Tageszeitung „Haaretz“, widmete sich den Konflikten vieler junger Israelis, ob sie ihr Leben in Israel aufbauen, oder ob sie auswandern sollen, in die USA oder nach Europa; ob sie sich von der Familie und der lokalen Kultur entfernen sollen, zugunsten einer westlichen Lebensqualität. Die Rede von Benjamin Netanjahu vor der UN-Vollversammlung lieferte ihnen wenige Gründe zu bleiben. Netanjahu schilderte Israel als die Speerspitze der westlichen Kultur, die sich gegen den radikalen islamischen Einfluss wehrt, als einen Staat, der auf ewig verurteilt ist, Krieg zu führen.

Netanjahu blickt um sich und sieht die neuen Nazis, bei der Hamas, im Iran, die sich für das jüdische Volk einen neuen Holocaust ausdenken. Sogar der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas ist in seinen  Augen ein Nazi, der Israel „Judenrein“ sehen will, und der Westen ist von Antisemitismus und Heuchelei befallen und würde Israel lieben heute als morgen dem Iran überlassen.

Netanjahu hat kein Interesse, zu einer Vereinbarung mit den Palästinensern zu kommen, er leugnet die Existenz einer Besatzung und ist sowieso nicht bereit, sich aus der Westbank zurückzuziehen. Wer Frieden haben will, soll  ihn in Abu Dhabi oder Kairo suchen, nicht in Jerusalem oder Ramallah. Sogar Abbas,  der mit seiner Rede die nationalen Traumata erweckte und sie Übertreibungen verpackte, machte einen gangbaren Vorschlag, der nicht nur aus Verzweiflung und Ohnmacht bestand.

Es scheint so, als ob Netanjahu sich immer noch als UN-Botschafter sieht und nicht als Staatsmann und Führer. Er konzentriert sich so sehr auf „Hasbara“, dass er gar nicht darauf achtet, wie seine Worte zuhause ankommen. Was würde eine junge Frau sagen, die sich damit auseinandersetzt, ob sie den Pass ihrer Großmutter benutzen soll, um nach Berlin auszuwandern, und ein Student, der sein Studium in Boston beendet hat und überlegt, ob er nach Israel zurückkehren oder seine Karriere in den USA beginnen soll? Ob sie sich auf Netanjahu verlassen können, dass er sie vor der nächsten Katastrophe schützen wird, oder ob sie ihr Zuhause in einem sichereren Ort aufbauen sollen?

Netanjahu hat keine andere Vision, als die Fortsetzung der Besatzung, Errichtung neuer Siedlungen und Kampf gegen den radikalen Islam. Er läuft nicht nur vor der Lösung des Palästina-Konflikts weg, sondern auch vor der Wohnungsnot in Israel, der Integration der Minderheiten und des Zusammenbruchs des Erziehungssystems. Der Etat, den seine Regierung zur Lösung dieser Probleme aufgestellt hat, zeigt, dass sie nicht daran interessiert ist, diese Probleme, die Israels Zukunft gefährden, zu lösen. Hauptsache der Verteidigung noch mehr Geld geben, seine politischen Gegner noch mehr schwächen und den verstopften Ohren der internationalen Gemeinschaft noch mehr Moral predigen, in einem halbleeren Saal in der UN.

Redaktion von Haaretz zum jüdischen Neujahr, 1.10.2014.

Übersetzung aus dem Hebräischen: Abraham Melzer

Netanyahu at the United Nations: Political Distortedness and Hypocrisy at its Best

by Ludwig Watzal

On behalf of the people of Israel, Prime Minister Binyamin Netanyahu delivered one his usual political distorted sermons to the UN General Assembly. „The people of Israel pray for peace“, said Netanyahu to an almost empty auditorium. Just after the „most moral army in the world“ (Ehud Barak) slaughtered 2140 Palestinians, 80 per cent civilians, ravaged the infrastructure of the Gaza Strip, made several hundred of thousands people homeless, and on top of it, the Israeli government wants to investigate its own war crimes! This is Chutzpah Israeli style.

The Islamists wants to dominate the world. This cancer have to be removed, said the Prime Minister. „ISIS and Hamas are branches of the same poisonous creed.“ Hamas shares its global ambitions of his fellow Islamists. When it comes to their ultimate goals „Hamas is ISIS and ISIS is Hamas.“ All the different Islamists groups share the same fanatical ideology, so Netanyahu.

Why has Netanyahu lost no word on the creation of ISIS by the CIA, the Pentagon, Saudi Arabia, Qatar and Turkey? Why didn’t he mention Israel’s role in the creation of Hamas as a counterpart to the PLO? To eradicate ISIS, al-Nusra Front and their ilk the US and its client state in the Middle East must first topple the radical Islamist regimes in Saudi Arabia, Qatar, Bahrain, and the Arab Emirates. Netanyahu should have spoken about the real threat to the West, which these regimes pose. All around the world, the Saudis and Qataris finance all fundamentalist groups. The Saudis adhere to the same ideology like ISIS, al-Nusra Front and Al-Qaida.

The identification of Hamas with ISIS was only the prelude to the final political crescendo of Netanyahu’s speech: the demonization of Iran. The mullahs in Iran and their virtual nuclear arsenal have been his political fad for over 20 year. They do not represent a threat to world peace, in contrast to Israel that is equipped up to its ears with nuclear and biological weapons. Iran has none.

The US wants to clear things up with Iran, which Netanyahu and the fundamentalist regime in Saudi Arabia try to discourage. In the long run, the geopolitical role of Iran is a thousand times more valuable than Israel and Saudi Arabia taken together. The US can no longer afford to be always identified with Islamic fundamentalist regimes and Zionist colonizers. None of them shares the values the US adheres to. Both states are a large liability for the geopolitical interests of the United States in the region and towards the Islamic world as a whole. Why not let these radical regimes go down the drain?

In contrast to Netanyahu, Palestinian President Mahmoud Abbas deliver a very courageous speech at the UN General Assembly that „offended“ not only the Israeli government but also its protector, the US. Abbas made it clear that further negotiations are meaningless and that he will apply for membership in other UN organizations like the International Criminal Court. This is overdue in order to charge Israeli politicians of committing war crimes during the two last attacks on the Gaza Strip.

The world will watch whether Abbas has the courage to turn rhetoric into action.

First published herehere and here.

Heimatrecht als Menschenrecht?

von Ludwig Watzal

Vor kurzem nahm ich als Teilnehmer einer Reisegruppe an einer Fahrt nach Südmähren teil, das ein Teil des Sudetenlandes bildete und direkt an Niederösterreich grenzt. Die Mehrzahl der Teilnehmer/innen wurden als Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewaltsam aus ihrer Heimat, dem Dorf Tasswitz (Tasovice), vertrieben. So auch meine Mutter samt meinen vier Geschwistern.

Keiner der Teilnehmer/innen äußerte auch nur ein Wort der „Rache“, „Vergeltung“ oder gar „Rückkehrwünsche“ weder innerhalb der Gruppe, geschweige denn gegenüber den tschechischen Bewohnern. Die Sudetendeutschen haben bereits in ihrer „Charta“ vom 5. August 1950 allen revanchistischen Forderungen abgeschworen. Was sie jedoch fordern, ist die Anerkennung eines „Rechtes auf Heimat“, das sie als ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“ begreifen. Dass ein solches „Heimatrecht“ jemals völkerrechtlich kodifiziert werden könnte, erscheint mehr als fraglich.

Die Reisegruppe wurde auch vom Bürgermeister des Dorfes Tasovice empfangen und zu einem kleinen Imbiss in ein gerade neueröffnetes Restaurant eingeladen. Der deutsche Reiseleiter überreicht Gastgeschenke an den Bürgermeister und wies auch auf die Vertreibung der deutschen Bewohner aus Tasswitz hin. Besonders beeindruckend waren die beiden Eucharistiefeiern in der Clemens-Maria-Hofbauer-Wallfahrtskirche sowie in der Pfarrkirche des Ortes. Beide Messen wurden sowohl in deutscher als auch tschechischer Sprache abgehalten. Der heilige Clemens-Maria Hofbauer stammt aus Tasswitz und genießt nicht nur unter ehemaligen Südmährern hohe Verehrung.

Während dieser Reise spukte mir immer wieder das Schicksal der vertriebenen Palästinenser durch den Kopf. Sie verlangen ein Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, das von den Vereinten Nationen in der Resolution 194 der UN-Generalversammlung anerkannt worden ist, wohingegen ein „Heimatrecht“, das heißt, ein Recht in seiner Heimat zu leben, im Völkerrecht noch keine Berücksichtigung gefunden hat. Da das Völkerrecht volatil ist, hängt es stark von den internationalen Machtverhältnissen und dem Konsens der UN-Mitgliedstaaten ab, was als verbindliche Norm im Völkerrecht anerkannt wird.  Weiterlesen

Wie können wir die Auswanderer zurückholen – und wie können wir sie überzeugen zu bleiben?

von Gai Rolnik

Es ist unmöglich, eine ausgewogene, ernste, professionelle und pragmatische Debatte über diese Frage zu führen. Sehr schnell wird der Redner oder Schreiber feststellen, dass Ärger und Frust die Feder führen: Wer braucht sie hier? Sie sollen gehen, oder die Drohung: Sie werden auf allen Vieren zurückkommen, oder die Feststellung: Wer überhaupt Israel verlassen möchte, ist es nicht wert, dass man um ihn kämpft.

Es reicht. Israel ist fast schon ein normaler Staat in jeder wirtschaftlichen Hinsicht. Das Bruttosozialprodukt per Einwohner gleicht in seiner Höhe dem der entwickelten Länder. Wir haben große Reserven an Devisen, natürliche Gasvorkommen, einen Überschuss an Vermögen in Devisen, eine gute Handelsbilanz und keine Inflation, wie im Westen üblich. Wir sind ein ziemlich durchschnittlicher Staat. Deshalb ist es auch höchste Zeit, dass wir unseren Diskurs über Auswanderung normalisieren. Nicht mehr „Abstieg aus dem Land“, nicht mehr „Zurückgebliebene Schwächlinge“. Auswanderung soll als eine legitime Diskussion kultiviert werden, wie sie in jedem anderen Staat geführt wird.

Vor einem Monat traf ich bei einem Kongress an der Westküste einen bekannten Professor, der Israel vor 30 Jahren verlassen hat. Er hatte Erfolg an der Stanford Universität, gründete eine High-Tech-Firma, verkaufte sie für einige hundert Millionen Dollar und kehrte zuletzt nach Israel zurück. „Israel“, sagte er zu mir, „ist ein Paradies. Meine Kinder genießen es jeden Augenblick. Es gibt wirklich keinen besseren Ort als Israel.“

Ein Start-Up-Typ, der Israel vor sieben Jahren verlassen hat, hörte unser Gespräch, mischte sich ein und sagte zynisch: „Natürlich, es ist klar, dass Israel ein Paradies ist. In dem Ghetto, das du dir in zehn Straßen in Tel Aviv gebaut hast, und in der ausgezeichneten Schule, eine der wenigen im Land, in die du deine Kinder schickst – sieht alles wunderbar aus.“ Der Professor lächelte verständnisvoll.  Weiterlesen

Zionismus und Rassismus

Vorabdruck. Geschichtliche Verfolgungsneurose, Expansionspolitik, religiöser Wahn und der Nahostkonflikt haben die ursprüngliche Idee einer jüdischen nationalen Souveränität in eine regressiv-repressive »Rückbesinnung auf sich selbst« verwandelt

von Moshe Zuckermann


Seine politischen Führer und Ideologen haben den Staat Israel vor eine Wahl gestellt, die nur zwei Möglichkeiten offen hält: Das Land kann sich zur Lösung des Konflikts mit den Palästinensern für die Zwei-Staaten-Variante entscheiden, d.h. eine Friedenslösung zwischen zwei souveränen Staaten Israel und Palästina akzeptieren. Es kann aber auch eine territoriale Teilung zwischen Israel und Palästina torpedieren. In diesem Fall entsteht innerstaatlich eine Struktur, die tendenziell zu jenem demographischen Zustand führt, bei dem die Juden zur Minderheit im eigenen Land werden.

Beide Möglichkeiten werden von vielen Israelis als unannehmbar betrachtet. Unser Autor leuchtet sie aus. Ein Aspekt bei diesem Vorhaben ist das Verhältnis von »Zionismus und Rassismus«. jW veröffentlicht das gleichnamige Kapitel aus Zuckermanns bald erscheinendem Buch »Israels Schicksal« ungekürzt und um Zwischenüberschriften ergänzt. (jW)

Am 10. November 1975 geschah etwas, das man für entweder gravierend oder – gemessen daran, dass dies Gravierende späterhin annulliert wurde – für nichtig erachten kann. Die UN-Vollversammlung entschied: »[…] der Zionismus ist eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung«. Die Stimmverteilung für und wider das Verdikt darf sowohl beim Beschluss als auch bei dessen nachmaliger Annullierung außer Acht gelassen werden; sie verdankte sich der jeweiligen, deutlich zeitgeistgeschwängerten politischen Konstellation der UN-Vollversammlung. Da aber der an den Zionismus ergehende Vorwurf des Rassismus durch die Aufhebung der institutionellen Entscheidung mitnichten aus der Welt geräumt ist, lohnt es sich, das Problem besagter Zuschreibung grundsätzlich zu reflektieren.

Man kann es sich dabei leichtmachen, indem man den Begriff des Rassismus auf seine ursprüngliche, namentlich biologistische Grundbedeutung zurückführt und nachweist, dass sich der historische Zionismus nicht durch ein ideologisches Postulat der Rassenreinheit auszeichnete. Zwar weist die jüdische Halacha1 in ihrer Definition des Juden eine biologische Komponente auf – Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde –, aber zum einen gründet diese Doktrin nicht im Zionismus, sondern im religiösen Judentum; zum anderen ist selbst sie prinzipiell »überwindbar«: Denn Jude ist auch der, der eine orthodox anerkannte Konversion zum Judentum begangen hat.

Es stimmt zwar, dass das religiöse Judentum (in striktem Gegensatz zum Christentum und zum Islam) nicht missionarisch ausgerichtet ist, traditionell mithin einer Abgrenzung gegenüber Nichtjuden das Wort redet, aber dies hat nichts mit der Ideologie einer modernen Rassenbiologie zu tun, sondern, wenn überhaupt, mit dem religiös-archaischen Gedanken, auserwählt zu sein, sowie mit der historisch begründeten Ambition, als Religionsgemeinschaft im Diasporischen und im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte zu überdauern. Ein Blick auf Israels Straßen genügt zudem, um sich davon zu überzeugen, wie »rassisch« und ethnisch durchmischt das aus aller Herren Länder im Einwanderungsland Israel zusammengekommene jüdische Kollektiv selbst ist. Selbst wenn man in Anschlag bringt, dass ein Theodor Herzl2 seinerzeit sich nur schwerlich hätte vorstellen können, der von ihm antizipierte Judenstaat würde dereinst auch dunkelhäutige äthiopische und »nichtweiße« orientalische Juden zu seinen Bürgern zählen – und in der Tat verstand sich das zionistische Projekt ursprünglich primär als ein europäisches, mithin aschkenasisches Unterfangen –, so kann ihm nicht im Nachhinein unterstellt werden, rassistischem Gedankengut aufgesessen zu sein.  Weiterlesen

Benefizveranstaltung in Wuppertal – Offener Brief

von Erhard Arendt

Lieber Palästinensische Gemeinde zu Dortmund,

vielen Dank für die Einladung zur  Benefizveranstaltung in Wuppertal am 27. September 2014.

Leider kann ich aus zwei Gründen nicht teilnehmen: Mein Gesundheitszustand ist zur Zeit nicht so stabil, und Reisen ist für mich eine Qual. Ich wünsche der Veranstaltung viel Erfolg.

Folgende Tatsache hält mich aber auch von einer Teilnahme ab: Ich lese im Flyer, dass Frau Evelyn Hecht-Galinski, als  Ehrengast eingeladen wurde. Um eine offene Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es deswegen für alle Beteiligten besser, wenn ich nicht an der Veranstaltung teilnehme.

Ich bin mit meinem Palästina-Portal offen für die unterschiedlichsten Stimmen, Positionen, Parteien und Gruppierungen, für alle, die sich ehrlich zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekennen und dafür eintreten. Eine meiner Aufgaben sehe ich im Zusammenführen unterschiedlichster Standpunkte.

Frau Hecht-Galinski hat sich in den letzten Jahren mehr als einmal unsolidarisch, verleumderisch und schädlich anderen Aktivisten gegenüber verhalten. Dazu gehören verdiente Persönlichkeiten wie Felicia Langer und Abraham Melzer, generell alle Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung. Nachdem ich  diese Persönlichkeiten verteidigt und deutlich gemacht habe, dass ich nicht für eine „Sekte“, die ausschließlich die Ein-Staaten-Lösung vertritt und andere diffamiert, Werbung betreiben wollte, bin ich auch von ihrem Bannstrahl getroffen worden, und sie fing an, auch mich zu diffamieren.

Ich bin offen für alle Lösungen, Maße mir aber nicht an, den Palästinensern eine Lösung des Konfliktes „vorzuschreiben“.  Ich erwarte auch ein solidarisches Miteinander, Nebeneinander derer, die sich für einen gerechten Frieden in Palästina engagieren. Hier war die Grenze unserer vorherigen Zusammenarbeit erreicht.

Erst kürzlich versuchte sie, Abraham Melzer zu blamieren. Er hat die Zeitschrift: „Der Semit“ Online wieder ins Leben gerufen und kündigte das in einem kleinen Email-Verteiler an. Eben an diesen Verteiler (unter anderem Journalisten, Medien, Persönlichkeiten), der damit gar nichts zu tun hatte, schickte Hecht-Galinski eine persönliche Abraham Melzer diffamierende Mail.

Wer so unsolidarisch wie sie mit seinen „Mitstreitern“ umgeht, kann für mich kein Partner sein.

Ebenso unsolidarisch geht sie mit der palästinensischen Regierung, der Fatah und besonders mit dem früheren Generaldelegierten Palästinas, Herrn Abdallah Frangi, um.

Man kann jeden kritisieren. Eine palästinensische Regierung in dieser verallgemeinernden Form zu diffamieren und sie dadurch zu delegitimieren, ist für mich völlig inakzeptabel, weil damit die eh nicht leichte Position Palästinas weiter geschwächt wird. So handelt kein Freund Palästinas.

Ich habe ihre Aussagen nicht umfassend gesammelt. Als exemplarische Beispiele für ihr öffentliches Auftreten füge ich nachfolgend einige Zitate aus ihren Artikeln an.  Weiterlesen

Der 4D-Effekt

Deligitimiert, dämonisiert, doppelter Standard: Was anderen als Antisemitsmus vorgeworfen wird, macht Israel mit den Palästinensern schon lange. Noch schlimmer wird das Ganze, wenn noch ein viertes „d“ hinzu kommt: Deutschland.

von Rolf Verleger

Ist Kritik an Israels Politik antisemitisch? Die Frage ist seltsam. Ab wann ist kritisches Denken antisemitisch, mithin nicht mehr statthaft? Kritisches Denken ist immer statthaft!

Israel ist eine ethnisch abgestufte Demokratie. Die meisten Rechte haben jüdische Bürger, dann kommen nichtjüdische Bürger und dann nichtjüdische Jerusalemer. Danach kommen die Rechtlosen: Über die vielen nichtjüdischen Bewohner des besetzten Westjordanlands herrscht Israels Militärdiktatur. Die Bewohner Gasas hat Israel seit 2006 eingekerkert und bringt sie alle paar Jahre wieder zu Hunderten um.

Die wesentliche Frage ist allein, ob diese Beschreibung den Tatsachen entspricht. Was zählt, sind Fakten. Die Person, die diese Fakten nennt, einen „Antisemiten“ zu nennen, wäre ein reines „ad hominem“-Argument, also Herabsetzen der Person, um nicht sachlich argumentieren zu müssen.

Die „drei Ds“

Es wird manchmal behauptet, man könne antisemitische Kritik daran erkennen, dass Israel „d“eligitimiert und „d“ämonisiert und mit „d“oppeltem Standard (= zweierlei Maß) gemessen werde. Fällt denjenigen, die das behaupten, nicht auf, dass Israels Politik seit eh und je diese „drei Ds“ auf die Palästinenser anwendet?

  1. Delegitimierung: „Es gibt kein palästinensisches Volk“; „*Wir* brachten die Wüste zum Blühen“; „sie wurden nicht vertrieben; ihre Muftis haben ihnen befohlen zu gehen.“ „Gott hat uns dieses Land gegeben.“
  2. Dämonisierung: Die gewählte Hamas-Regierung (wie früher die PLO) wird grundsätzlich mit herabsetzenden Beinamen versehen wie „radikalislamistisch“, „terroristisch“, „fundamentalistisch“. „Sie heiligen den Tod, wir heiligen das Leben“ (Netanjahu). „Die Araber zwingen uns, ihre Kinder zu töten“ (Golda Meir). Nicht wenige nationalreligiöse Juden sehen in den Arabern „Amalek“ (das mythische Bibelvolk, das Israel vernichten wollte).
  3. Doppelter Standard: Wie oben im ersten Absatz eingeführt, misst Israel seine jüdischen und nichtjüdischen Bewohner mit zweierlei Maß in ihren materiellen Rechten (Aufenthaltsrechte, Immobilienbesitz, staatlich Zuschüsse u.a.).

Fazit: Wenn die „3Ds“ ein Merkmal von Antisemiten sind, dann ist Israels Politik schon lange antisemitisch – aber nicht gegen Juden, sondern gegen Palästinenser.  Weiterlesen