von Martin Breidert
Der Kommentar „Israel – Sinnloser Boykott“ von Lea Hampel (SZ 11.1. 2015) ist voller Widersprüche. Einerseits heißt es, dass 170 Palästinenserorganisationen im Jahr 2005 den Aufruf zum Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen (BDS) unterzeichnet haben. Andererseits beklagt der Artikel, dass palästinensische Arbeiter davon betroffen seien, wenn keine Produkte mehr aus israelischen Siedlungen exportiert werden können. Der palästinensische BDS-Aufruf, der frühere Appelle israelischer Friedensorganisationen aufgreift, ist die Antwort auf den Mauerbau, den der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten vom 9.7.2004 als völkerrechtswidrig verurteilt hat. Durch den Mauerbau verloren bereits tausende Palästinenser ihre Arbeit.
Der Beschluss der EU, Produkte aus israelischen Siedlungen zu kennzeichnen, ist kein Boykott, sondern ergibt sich aus dem EU-Assoziierungsabkommen, das der Staat Israel unterzeichnet hat und das sich nur auf Produkte innerhalb der Grenzen von 1967 bezieht. Sowohl der Europäische Gerichtshof (Az: C-386/08) als auch der Bundesfinanzhof (Az.: VII R 6/12) haben diese Rechtsauffassung bestätigt. Der Boykottaufruf der Nazis wollte den Juden die ökonomische Existenz rauben, um sie später auch physisch zu vernichten. Dagegen hat die BDS-Bewegung das Ziel, dass Israel endlich die Menschenrechte der Palästinenser und das Völkerrecht achtet. Israelische Menschenrechtsorganisationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, der UN-Menschenrechtsrat, UNICEF und Amnesty International haben immer wieder auf die massiven Menschenrechtsverletzungen hingewiesen. Es ist der Staat Israel, der palästinensisches Land entschädigungslos enteignet, der die völkerrechtswidrigen Siedlungen plant, der für die Infrastruktur sorgt, der sie ökonomisch subventioniert und militärisch absichert.
Wenn die ökonomischen Auswirkungen der BDS-Bewegung minimal seien, wie der Kommentar behauptet, warum betrachtet die israelische Regierung sie als Bedrohung? Um sein Image ist Israel wohl kaum besorgt, sonst hätte es nicht Dutzende UN-Resolutionen missachtet. Inzwischen haben skandinavische Banken, dänische und niederländische Pensionsfonds, US-amerikanische Kirchen ihre Investments abgezogen, weitere werden folgen. Große Firmen wie Veolia ziehen sich zurück, die britische Regierung hat davor gewarnt, in den besetzten Gebieten zu investieren. Lea Hampel meint, ein Ende der Besatzung sei am ehesten durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erreichen.
Ist es ihr entgangen, dass Israel 20 Jahre Friedensverhandlungen missbraucht hat, den illegalen Siedlungsbau immer weiter voranzutreiben, um durch facts on the ground schleichend das Land zu annektieren und die Palästinenser in Enklaven einzusperren, während der Westen schweigend zusieht? Wie soll eine wirtschaftliche Zusammenarbeit möglich sein, wenn der Staat Israel durch Checkpoints, Razzien und andere Schikanen versucht, den Palästinensern das Leben so schwer zu machen, dass sie das Land verlassen? Die UN-Organisation-OCHA OPT berichtet regelmäßig von gewaltsamen und oftmals tödlichen Übergriffen der Siedler und des Militärs. Solange Israel vier Millionen Palästinenser rechtlos lässt, kann es keine friedensfördernde wirtschaftliche Zusammenarbeit geben. Es geht nicht um Freund und Feind, sondern um Menschenrechte und Völkerrecht.
Leserbrief zum Leitartikel von Lea Hampel: „Israel – Sinnloser Boykott“, in: Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 11. Januar 2016, S. 4.
Mal wieder einsehr guter, realistischer Artikel. Weiter so.