von Joachim Zinsen
Der Komiker Dieter Hallervorden, der Schriftsteller Günter Grass, der Journalist Jakob Augstein, der Menschenrechtler Rupert Neudeck, die Politiker Norbert Blüm und Bodo Ramelow: Sie alle (und viele andere) hat Henryk M. Broder bereits als Antisemiten diffamiert. Selbsteinige Deutsche jüdischer Abstammung sind ins Visier des publizistischen Großinquisitors geraten. Stets geschieht das nach dem gleichen Muster: Wer Israels Politik gegenüber den Palästinensern kritisiert, wird an den Pranger gestellt. Abraham Melzer ist Verleger aus Frankfurt, Kind von Holocaust Überlebenden, hat einen großen Teil seiner Kindheit in Israel verbracht und war eine Zeitlang mit Broder eng befreundet. Heute sind sich beide spinnefeind. Denn Melzer verurteilt nicht nur die Politik Israels. Er macht auch deren deutschen Verteidigern schwere Vorwürfe. Melzer hat nun ein Buch vorgelegt, das für heftige Debatten sorgt. „Die Antisemitenmacher–Wie die neue Rechte Kritik an der Politik Israels verhindert“ ist zum einen eine Autobiografie. Zum anderen ist es eine Abrechnung mit Broder. Im Zentrum des Buchs aber steht Melzers These,
in Deutschland würden heute Antisemitismus-Vorwürfe inflationär erhoben und dienten nur dem Ziel, die israelische Regierung gegen jede Art von Kritik zu immunisieren. Laut Melzer steckt dahinter ein Netzwerk von pro-israelischen Lobbygruppen in Parteien und Medien. Es reiche von antideutschen Linken über den Zentralrat der Juden bis hin zu muslimfeindlichen Gruppen der Rechten. Broder sei nur deren schrillster und lautstärkster Vertreter. Sie alle hätten es geschafft, dass inzwischen jeder als Antisemit gelte, der an die ethnischen Säuberungen während der israelischen Staatsgründung erinnere, der „von Kriegsverbrechen der israelischen Armee spricht, die israelischen Massaker in Gaza kritisiert oder gar gegen sie protestiert“. Melzer sieht darin einen „übertriebenen Philosemitismus“. Der verdränge jedoch, dass die Israelis sich selbst in eine Sackgasse manövriert hätten. „Israel ist das geworden, was eine Nation wird, wenn ihre Armee fast 50 Jahre ein anderes Volks unterdrückt oder wenn sie bald 70 Jahre auf Land und Boden lebt, das sie einem anderen Volk geraubt hat“, sagt Melzer. „Es ist selbstgerecht, blind und taub dem eigenen Unrecht gegenüber, von Hass erfüllt und unfrei. Von den Gründungsgedanken liberaler Juden habe sich die völkisch-nationalistische Politik Israels weit entfernt.
Nein, deshalb stelle er nicht das Existenzrecht des Staates in Frage. „Israel existiert und soll weiter existieren“, betont Melzer, fügt jedoch hinzu: „Aber bitte in rechtlich vereinbarten Grenzen und mit voller Gleichberechtigung für seine nicht jüdischen Bewohner.“ Melzer leugnet nicht, dass es nach wie vor in Deutschland Antisemiten gibt, die „Judenhassen, weil sie Juden sind“.
Doch er widerspricht der Behauptung, dabei handele es sich vor allem um muslimische Zuwanderer, deren Hass auf Israel quasi in ihrer religiösen DNA liege. Melzer verweist darauf, dass Juden und Muslime lang friedlich miteinander gelebt hätten. Er erinnert daran, dass islamisch geprägte Staaten wie die Türkei tausende Juden vor der Shoah gerettet hätten. Wenn viele Muslime heute die Israelis als Feinde sähen, liege dies allein an deren Politik gegenüber den Palästinensern.
Melzer schreibt pointiert und provokant. Und natürlich polarisierter. Das zeigen die ersten Reaktionen auf das Buch. Sie reichen von Lobeshymnen über den Vorwurf, Melzer behandelt das wichtige Thema zu undifferenziert, bis hin zum Versuch, Lesungen aus dem Buch zu verhindern. Letztlich wird damit nur deutlich, wie heftig umstritten die Politik Israels auch innerhalb der jüdischen Community ist.(jozi)
Sachbuch „Die Antisemitenmacher“ von Abraham Melzer 288Seiten,18Euro. Westend.
Erschienen in: Aachener Nachrichten.
Salam und Schalom, wie wäre es, wenn Melzer mit den Jugendverbänden der großen muslimischen Dachverbände eine Zusammenarbeit anstreben würde. Muslime sind keine Judenfeinde, aber ein Teil der muslimischen Jugend ist – wie Melzer schreibt – unreflektiert zu einer negativen Einstellung und Ablehnung von Juden übergegangen, wegen des Palästinakonfliktes einerseits und weil zu viele der Jugendlichen keine tieferen Kenntnisse über das Verhältnis von Juden und Muslimen haben, wie der Koran sie beschreibt. In Co-Referaten ( Jude/Muslim) könnten diese aufgearbeitet werden, damit es nicht zu Radikalisierungsprozessen kommt und zwischen Juden und israelischer Politik unterschieden werden kann.
Eine gute Idee 🙂