Ein paar Worte zur so genannten „Einzigen Demokratie in Nahost“

Israel und Demokratie? Es kommt immer darauf an, welche Maßstäbe man einem Untersuchungsobjekt anlegt. Die Tora weiß nichts von Demokratie, die biblischen Juden hatten immer irgendwelche „Führer“. Im Talmud sucht man vergeblich nach Hinweisen auf demokratische Tugenden. „Der Jude“ ist individualistisch im Gehorsam gegen Gott und sein Gesetz. Mit „Heiden“ macht er zwar Geschäfte, aber sondert sich durch Ghettomauern ab. In Israel baut er diesd Mauern wieder. Auch innerjüdisch hat er Probleme mit der Demokratie. Vorstellungen über einen großen Sanhedrin liefen sich schell tot. Peter Beer beschrieb um 1820 schon die verschiedenen Denkrichtungen und Sekten unter den Juden, die sich allesamt spinnefeind waren. Martin Luther sagte, es gibt kaum ein hassgeprägteres Volk unter Gottes Sonne wie als Juden.
Wesentliches Element einer Demokratie wäre aber die Toleranz. Man muss 4 Jahre als Wig aushalten, dass die Tories regieren. So scheint den Juden Demokratie nicht im Blut zu liegen. Sie sind ja in ihrer Geschichte immer nur eine extreme Minderheit unter den Bölkern oder ein besiegtes Volk gewesen. Esra stellte die Juden vor eine unglaubliche Alternative: entweder Frau und Kinder zu verstoßen oder die Heimat zu verlassen. Viele gingen mit Frau, Kind und Kegel zur gleichen Zeit, als in Athen die Tyrannis beendet wurde. Nicht Demokratie, sondern Tyrannis ist der Pate des staatlichen Judentums.
Das klassische Athen von Perikles ist das Ur-Modell der westlichen Demokratie. Aber der Staat der Athener unterschied zwischen den „Demen“ und Dritten. Viele Bewohner Athens waren überhaupt rechtlos oder nur minderberechtigte Metöken. Wieviel Prozent rechtlose oder minderberechtigte Mitmenschen verträgt eine Demokratie? Könnte Israel seine Orthodoxen zu Vollbürgern erklären und eine antike Klassendemokratie errichten? Dazu sind heute die sozialen Klassen zu durchlässig. Schon Else Croner beschreibt, wie leicht diese Schranken durchbrochen werden. Töchter armer Trödeljuden heirateten hochstehende Adlige. Das ginge in Israel überhaupt nicht.
Anderer Ansatz. Taugt vielleicht die Römische Republik, die unser Rechtssystem geschaffen hatte, zum Modell einer Demokratie für Israel? Eigentlich ja, denn sie basierte auf Mehrheitsbeschlüssen. Es kam nicht auf Abstammung, sondern auf Vermögen an. Nein sagen andere, denn die Patrizier im Senat hatten das Sagen und das Volk war auf tribunische Vetorechte beschränkt. Ein großer Teil der Bevölkerung war sogar versklavt. Im ersten Jahrhundert „vor“ führten die Lateiner den Bundesgenossenkrieg, um die Anerkennung als Bürger zu erhalten. Eine Generation später begann schon das Kaiserreich, das Modell für die westlichen Monarchien. Aber England ist Monarchie und Demokratie zugleich. Auch das Deutsche Kaiserreich von 1871 kannte einen gewählten Reichstag, der z. B. die Rentenversicherung einführte. Es gibt also etwas, was es bei schwangeren Frauen nicht gibt: ein bischen Demokratie ist auch möglich. Es gibt also Demokratie nach Graden und Prozentsätzen.
Ist die Schweiz eine hundertprozentige Demokratie? Die Schweizer verweisen auf die vielen Volksentscheide, die zu Gesetzen werden. Aber sind diese nicht auch Hinweise dafür, dass die Repräsentanzinstitutionen nicht mehr so richtig greifen? Ja und nein. Die Schweizer Demokratie ist gegen große Veränderungen verfasst, was in Zeiten großer Umbrüche eine Belastung darstellt. Die Schweizer wählen zwar nach Verhältniswahlrecht den Nationalrat, dem aber eine Kammer der Kantone (Ständerat) opponiert. Die Gebirgskantone bilden die stärkste Fraktion im Ständerat, mit Randkantonen wie Neuenburg, Tessin, Zug, Schaffhausen und Freiburg sogar die Mehrheit. Der Kanton Jura hat z. B. mit 70.000 Einwohnern 2 Stimmen im Ständerat, während der Kanton Basel-Stadt mit 200.000 Einwohnern nur eine Stimme hat. Der Kanton Zürich, der 36 Abgeordnete in den Nationalrat schickt, hat 2 im Ständerat, wie Uri. Zur Situation in Basel kam es, weil die Basler nach der Niederlage Napoleons ihre alte patrizische Verfassung wieder durchsetzten, gegen die sich die landschaftlichen Untertanen erhoben und 1830 militärisch an der Binz siegten. Der Kanton wurde geteilt.
In diesem Sinn kann man alle Verfassungen durchgehen. Frankreich lässt in fixen Wahlkreisen in 2 Wahlgängen die Abgeordneten der Nationalversammlung wählen, die aber im Schatten des inzwischen parallelverlaufenden Plebiszits um das Präsidentenamt stattfindet. Man ist dort wieder bei Napoleon III zurück. In Deutschland hat 1990 durch eine Art Staatsstreich des Bundestags sein Exekutivausschuss (Bundesregierung) die Direktion über die kleineren Länder mit 40% der Deutschen ursupiert, die die Mehrheif im Bundesrat stellen. Das blöde Bayern lässt sich gegen alle demokratischen Prinzipien gängeln.

Diese Manipulationen führen überall zu Frust, Wahlunlust und Demokratieverdrossenheit.

Die WELT vom 28.3 23 setzt sich mit der konkreten Situation in Israel auseinander. Lesenswert. Beachtliche Massen demonstrieren gegen eine Justizreform, obwohl die Justiz absolut nichts Demokratisches in sich hat. Die Justiz ist ein autonomer Körper wie das Rabbinat und ordiniert ihre Richter nach ähnlichen Grundprinzipien. Dieser Körper kann in die Regierungsgeschäfte eingreifen und „einfach“ einzelne Minister (wie Arje Deri) absetzen und Gesetze der Knesset anullieren. Und ganz offensichtlich demonstrien ganz normale Menschen für die Bewahrung dieser nahezu biblischen Justizmacht. Man vermisst die klassischen Orthodoxen unter den Rebellen, von denen man solche reaktionären Proteste eher erwarten würde. Die israelische Justiz ist nämlich der einzige Gegenpol zu einer ähnlich allmächtigen Administration, deren Spitze von den Knessetfraktionen ausgeschachert wird, möchte man sagen. Deswegen behaupten die Anhänger der anachronistischen Justizmacht, Netanjahu strebe nach der Diktatur, weil er die Administration von Eingriffsrechten der Justiz befreien will. Dann würde niemand mehr der Regierung in die Parade fahren können. Man kann es aber auch so sehen, dass die unter den Parteien aufgeteilte Macht so wenig Kohärenz aufweist, dass nur Armee und überkompetente Justiz ein Administrationchaos der Gewalt unterbinden können. Das konkrete Problem kannte schon die Republik Venedig. Um dem Postenschacher die Grundlage zu entziehen, wurden in einem ersten Wahlgang ein Vielfaches der benötigten Kandidaten gewählt. Wer dann in einem weiteren Wahlgang zur Wahl stand, entschied das Los. So machten demagogische Wahlversprechen wenig Sinn und Bestechungen waren nutzlos.

Israel hat keine geschriebene Verfassungsurkunde, die die Rechte der montesquieu‘ schen 3 Pflichtstaatsgewalten und ihr Zusammenspiel regelt. Damit mag Israel eine nahöstliche Demokratie sein, aber zu einer westlichen reicht es nicht. Es definiert sich auch noch als „jüdischer Staat“, verlangt also die Konversion zum religiösen Judentum. Halachische Juden aus der Diaspora dürfen dorthin „zurückkehren“, auch jüdische Mischlinge, die nicht anderen Konfessionen angehören. Aber viele Juden aus Osteuropa werden vor Ort als „Vaterjuden“ (Josef Schuster) religös und rechtlich diskriminiert. Die arabische Bevölkerung in Nordisrael darf zwar wählen, aber die Araber in den besetzten Gebieten dürfen das nicht, die dort lebenden Juden schon. Der Staatszweck ist der Erhalt einer anachronistischen Heimstatt für die Juden der Welt (Balfour) mit „jüdischen Polizisten und Verbrechern“ (Theodor Herzl).

Das wird durch die aktuellen Proteste nun offenkundig. Israel, ein Apartheitsstaat wie die Römische Republik vor 2000 Jahren, ohne Verfassung wie Preußen vor 1848, mit Neonaziministern (Ayelet Shani) und einer Art Generalgouvernement auf der Westbank wie Deutschland 1940 im besetzten Polen, mit religösen Zwängen wie der Mormonenstaat Utah vor 1895, ist ein multipler politischer Anachronismus. Es erwartet die ewige Unterstützung des Westens und eine besondere Finanzierung durch Deutschland. Es soll sie haben. Denn Israel ist unser Kreuzfahrerstaat von 1099, als „wir“ den Arabern zeigten, dass es auch anders geht. Zur gleichen Zeit hatten die Moslems das Königreich Valencia von Rodrigo Diaz (El Cid) zerstört und standen wieder am Ebro. Die Israelis, die die Macht haben, sind „unsere“ Juden, ohne die in Europa vieles nicht gegangen wäre. Und deshalb müssen wir sie unterstützen wie wir den Ukrainern helfen müssen, die russisch-asiatischen Grausamkeiten von unseren Grenzen fernzuhalten. Juden und Ukrainer sind die Vorposten unserer Zivilisation in Asien, wozu auch Arabien mit all seinen mittelalterlichen Gewohnheiten gegenüber z. B. pakistanischen Gastarbeitern gehört.

Es wäre an der Zeit, über eine Verfassung für Israel nachzudenken. „Die Juden“ in Israel allein und ohne unser Interesse kommen nicht auf einen grünen Zweig. Sie leben in den Vergangenheiten von Bibel und Holocaust; einrr ihrer Präsidenten hielt vor dem deutschen Bundestag ein so esoterische Rede, dass es allen peinlich wurde. Die Juden sollten eine verfassungsgebende Nationalversammlung wählen, und vielleicht mit den üblichen 120 Abgeordneten beginnen. Warum sollten sie als Post-Tannaiten dies nicht fertigbringen? Nach zwei Jahren – wenn sie die Verfassung doch nicht zustandegebracht haben – könnten weitere 120 Post-Tannaiten, Post-Talmudisten und Neo-Politiker dazu gewählt werden, aber nach weiteren 2 Jahren müssten 50% der Abgeordneten ausscheiden und deren Plätze neu vergeben werden. Das ginge solange, bis eine Verfassung zustandekommt, selbst wenn es 20 Jahre dauert. Das wäre der Weg für den Staat Israel in eine westliche Demokratie.

28.03.2023 von Lobenstein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert