Es ist an der Zeit, über Israels „Demokratie“ zu reden

Es ist an der Zeit mit einer Propagandalüge Schluss zu machen, damit sie nicht noch ein Mythos wird. Israel glänzt für die generellen Verhältnisse im Nahen Osten wie eine einzige Demokratie in der Region, aber absolut darf man den Satz nicht nehmen. Es ist schon zu klären, ob Israel überhaupt eine Demokratie im Sinne von EU oder den USA ist. Schon vor Jahren konnte man in der israelischen Presse den Begriff „Demoktatur“ lesen. So bezeichneten kritische Israelis das politische System in ihrem Land.

In der Diaspora erwartet die jüdische Minderheit von der gesellschaftlichen Mehrheit, was die jüdische Mehrheit ihren Arabern nicht gewährt. So fragt man sich in der Tat, wie demokratisch ein Land ist, das fremdes Land besetzt hält und dessen Bewohner unterdrückt. Das muss überlegt werden, aber gleichzeitig darf man keine Fakten unterschlagen und ignorieren, dass es in Israels Nachbarschaft eine weitere, sogar ältere Demokratie gibt, nämlich den Libanon. 

Der Libanon ist seit 1941 ein demokratisch verfasster Staat, in dem neben einer moslemischen Mehrheit auch Christen, Drusen und andere Minderheiten leben, sogar Juden. Sie leben alle miteinander, nebeneinander und opponieren auch gegeneinander. Der Libanon ist keine Diktatur wie Syrien oder Ägypten, und er hat auch keinen absoluten Monarchen wie Jordanien. Seine Regierung wird in freien Wahlen gewählt und ist nicht weniger vom Volk legitimiert als die Regierung in Israel. Die Macht im Lande wird proportional zwischen Moslems, Drusen und Christen verteilt und es hat viele Jahre hindurch funktioniert. Und wenn es in den letzten 20 Jahren Unruhen und Bürgerkrieg gab, dann, weil korrupte und skrupellose Politiker eine Diktatur etablieren wollten.

Es ist eine ignorierende Verachtung, die die Diskriminierung des Libanon und die der Araber bzw. Moslems einschließt, wenn man immer wiederholt, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen-Osten und damit den Libanon als politische Einheit ausgrenzt.

Man sollte sich mehr die israelische Demokratie ansehen. Überlegt einmal, ob ein Apartheid-Regime eine Demokratie sein kann. Die weißen Südafrikaner unter sich haben „demokratisch“ abgestimmt, aber wurde damit der gesamte Staat mit der farbigen Mehrheit zur Demokratie? Fast ein Viertel der israelischen Bevölkerung ist nicht jüdisch und besitzt daher nur limitierte Bürgerrechte. Und wenn man die palästinensischen (besetzten) Gebiete mitberücksichtigt, weil sie seit 1967 unter israelischer Militärverwaltung stehen, dann sind insgesamt mehr als die Hälfte der Bevölkerung zwischen Mittelmeer und Jordan nicht jüdisch und folglich nicht im Besitz der vollen Bürgerrechte. Kann man das noch Demokratie nennen? Wo liegt die Grenze zwischen Diktatur und einer gerade-noch-Demokratie? Inzwischen wird es längst von vielen Kritikern als Apartheid-Staat bezeichnet. Eine Hälfte der Bevölkerung herrscht über die andere Hälfte, unterdrückt sie, beutet ihr Land aus, und ignoriert Recht, Gesetz und Moral.

In einer amerikanischen oder europäischen Demokratie haben alle Bürger, alle Menschen, die gleichen Rechte und Pflichten. Davon kann in Israel keine Rede sein. Selbst die im israelischen Kernland lebenden Palästinenser haben nicht die gleichen Rechte wie die jüdischen Mitbürger. Sie haben auch nicht die gleichen Pflichten, sie unterliegen zB nicht der Wehrpflicht. Obwohl sie auch in „Alt-Israel“ als zwanzig Prozent der Bevölkerung stellen, und israelische Staatsbürger sind, findet man selten einen palästinensischen Israelis bei der Polizei. Im Justizdienst und in der Regierung sind sie unerwünscht. Palästinensische Dörfer und Städte in „Alt-Israel“ werden bei der Verteilung von öffentlichen Mitteln benachteiligt. Palästinensische Schulen sind verpflichtet, dem zionistischen Lehrplan zu folgen. Eigene Gedenktage, etwa der ihrer Nakba, sind ihnen untersagt.

Nun wird es sicher törichte und fanatisierte Israelis geben, die den Libanon wegen sich wiederholender bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen als undemokratisch bezeichnen. Sie würden diesen Stab nicht über die USA brechen wollen, wo ein schrecklicher Bürgerkrieg das Land zerriss und zwei Millionen Tote forderte. Bürgerkriege gab es in Griechenland, in Deutschland und Spanien, ohne dass man diesen Ländern ihr demokratisches Wesen abstritte.  In jeder Gesellschaft können sich Konflikt militärisch zuspitzen Irgendwo steht auch Israel seit Jahrzehnten am Rande eines solchen Konflikts. Der Kitt, der den Ausbruch der Gewalt unter Juden verhindert, ist einzig und allein der ungelöste Konflikt mit den Palästinensern. Ohne diesen Konflikt hätten sich orthodoxe und Säkulare Juden schon längst bekriegt; liberale Juden hätten schon längst die Siedler vertrieben. Aschkenasische Juden hätten auch gerne die sephardischen Juden vertrieben, oder umgekehrt. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen profilierten Gruppen hat es in Israel schon immer gegeben (Ermordung von Jakob Israel de Haan oder Itzchak Rabin). Wenn es nicht zu einem allgemeinen Bürger- oder Bruderkrieg ausartet, dann dank des Drucks des latenten Nahost-Konflikts.

Seit einigen Jahren ist Israel auch amtlich ein „jüdischer Staat“, was einen Widerspruch zur Demokratie darstellt. Israel kann nicht jüdisch und generell demokratisch sein. Ist der Vatikan demokratisch, weil die Kardinäle den Papst wählen? In Israel haben Juden mehr Rechte als Nichtjuden. Aber sogar den Juden werden Rechte vorenthalten, die eine moderne Demokratie ihren Bürgern gewährt. Ein Jude kann in Israel nur religiös, also bei einem Rabbiner heiraten. Seine Wahl darf nicht auf eine Nichtjüdin fallen. Manche Juden dürfen geschiedene Frauen nicht heiraten und müssen zur Eheschließung nach Zypern fliegen. Eine zivile Ehe existiert im jüdischen Staat nicht. Die jüdischen Israelis sind laut Personalausweis nicht einfach Israelis, sondern expressis verbis Juden. Da kann sich Israel an den Libanon ein Beispiel nehmen, wo die Staatsbürgerschaft gleiche staatsbürgerliche Rechte für alle bedeutet.

Dennoch ist es der israelischen Propaganda gelungen der ganzen Welt einzureden, dass Israel nicht nur eine „koschere“ Demokratie, sondern auch noch die einzige im Nahen Osten sei. Der Slogan „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist fast schon zu einem geflügelten Wort geworden. Er wird in allen Medien tagaus, tagein wie mit einer Gebetsmühle wiederholt. Keiner macht sich Gedanken, ob diese Behauptung richtig sein kann. Man geht überall davon aus, dass Araber grundsätzlich keine Demokraten sein können, so wie man gedankenlos immer den Slogan wiederholt: Die radikal terroristische Hamas. Die Hamas führt aber Krieg gegen Israel und Israel führt Krieg gegen die Hamas. Beide Seiten sind sich an Brutalität, Kriegsverbrechen und Unnachgiebigkeit nichts schuldig. Ist denn der Abwurf einer Ein- Tonnen- Bombe über einem Wohngebiet keine terroristische Tat?

Und im Übrigen sollte man nicht vergessen, dass Demokratie nicht alles ist. Zur Demokratie gehören Rechtstaatlichkeit, Moral und ein Grundgesetz der alle Menschen schütz. Ein solches Grundgesetz hat aber Israel nicht. Nichtjuden sind dort benachteiligt, allein schon dadurch, dass Israel sich als „Staat der Juden“ bezeichnet. Es proklamiert expressis verbis, dass es nicht der Staat der Nichtjuden ist. Wer möchte da Araber in Israel sein?

Es ist an der Zeit die Verhältnisse so zu sehen, wie sie sind und nicht durch die Sonnenbrille des Holocaust. Ja, Deutsche sind nicht unschuldig an der Lage im Nahen-Osten. Deshalb wäre es nicht falsch sich für Israel verantwortlich zu fühlen, aber nicht nur für die Juden, sondern auch für deren Zukunft mit den Palästinensern. Eine deutsche Regierung, die eine Zwei-Staaten-Lösung für richtig hält, sollte konsequenterweise auch zwei Staaten anerkennen und nicht nur Israel.

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