Gehirnwäsche à la Edelstein

Nicht diejenigen machen mir Sorgen, die eine „Obergrenze“ fordern. Dafür habe ich Verständnis, denn es gibt tatsächlich eine Obergrenze, nur dass diese nicht eine bestimmte Zahl ist, sondern ein Zustand. Wenn das Glas voll ist, dann ist es eben voll und selbst ein Tropfen mehr bringt es zum Überlaufen. Diese physikalische Regel müsste die Politik und erst Recht die Physikerin Angela Merkel kennen.

Sorgen macht mir das, was Prof. Norbert Lammert, der Präsident des Deutschen Bundestages, von sich gegeben hat: Er meinte die Entscheidung der EU, Produkte aus den von Israel besetzten Gebiete zu kennzeichnen, sei „nicht weise“ gewesen. Nicht weise war seine Einmischung und Kritik an einer Entscheidung der EU, die richtig und notwendig war. Hätte er lieber geschwiegen. 

Nicht weise war aber auch seine Entscheidung zu schweigen, als der Sprecher der israelischen Knesset, Yuli Edelstein, Heinrich Heine vergewaltigt hat, indem er seinen berühmten Satz „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“ missbraucht und verfälscht hat. Da hätte Lammert aufschreien müssen. Edelstein sagte: „Dort, wo man Produkte kennzeichnet mit dem Ort, wo sie produziert wurden, wird man eines Tages Menschen kennzeichnen, woher sie kommen.“

Abgesehen davon, dass Deutschland schon seit mehr als 100 Jahre seine Produkte mit „Made in Germany“ kennzeichnet und Israel eben auch darauf besteht, die Produkte aus den besetzten Gebieten ebenfalls zu kennzeichnen, aber falsch und irreführend mit „Made in Israel“, wollte der Jude Edelstein uns allen Moral predigen, indem er daran erinnerte, dass die dunkle Geschichte (Deutschlands) uns die Bedeutung von diskriminierender Kennzeichnung lehrt und wohin sie führen kann.“

Da muss Edelstein aber nicht so weit schauen. Es reicht, wenn er vor seiner eigenen Tür kehrt. Israel diskriminiert ununterbrochen seit seiner Entstehung solche Israelis, die nicht Juden sind und neuerdings auch solche Israelis, selbst wenn sie Juden sind, die mit der Politik von Benjamin Netanjahu nicht einverstanden sind.

Wenn jemand bis heute nicht wusste was „jiddische Chuzpeh“ ist, dann hat er hier ein Beispiel dafür. Edelstein schämt sich nicht, Heine mit sich selbst zu vergleichen. Heine meinte zu Recht, dass das Verbrennen von Geist und Kultur so viel ist, wie das Verbrennen von Menschen. Das Kennzeichnen von Produkten gehört aber heute zum Selbstverständlichsten, was wir als Menschen tagtäglich begegnen. Alles was wir Menschen produzieren, wird gekennzeichnet und die Kennzeichnung gibt selbstverständlich auch Auskunft über das Herkunftsland. Das ist keine Diskriminierung. Und auch wenn diese Kennzeichnung dazu führt, dass bestimmte Produkte aus den Regalen der Supermärkte und Kaufhäuser entfernt werden, weil die Produkte gegen geltendes EU-Recht verstoßen, dann ist es immer noch keine Diskriminierung. Es bleibt Israel überlassen, die Produkte richtig zu kennzeichnen.

Der Versuch, Deutschland wieder mit seiner „dunklen“ Vergangenheit zu erpressen, ist und bleibt eine Erpressung, und ein Bundestagspräsident sollte keinen Kotau vor einem Sprecher der Knesset machen. Lammert hat sich nicht schuldig gemacht am Massenmord an den Juden. Trotzdem schämt er sich deswegen. Edelmann hat sich schuldig gemacht an der Vertreibung und Entrechtung von Palästinensern und an dem Raub ihrer Grundstücke und Häuser, von allem anderen will ich gar nicht reden, und er schämt sich nicht. Da steht für mich Lammert moralisch weit höher als Edelstein und hat es nicht nötig, sich von diesem Moral predigen zu lassen.

Schämen muss sich Edelstein, der die Chuzpeh hatte, diese Entscheidung der EU, auch wenn sie falsch sein sollte, in die Nähe von Antisemitismus zu rücken. Nicht jeder, der Israels Politik zu Recht kritisiert, ist ein Antisemit und auch wer Israel zu Unrecht kritisiert, darf das tun, weil unsere Demokratie das erlaubt.

Lammert hat aber gesagt, dass diese Entscheidung „Unnötig und nicht weise“ war. Unnötig war diese Kritik von Lammert und weise war sie auch nicht. Und das wundert mich bei Lammert, den man bisher so nicht gekannt hat. Und da reicht zur Entschuldigung nicht die Tatsache, dass er versucht hat zu beschwichtigen, indem er hinzufügte: „Es hat mit Antisemitismus nichts zu tun.“ Auch das war überflüssig, genauso wie die Bemerkung: „Ich kann Israels Ärger verstehen.“

Ich kann Israels Ärger nicht verstehen, zumal er heuchlerisch und zynisch ist. Die Zahlen und Fakten sprechen eine andere Sprache. Allein im letzten Jahr haben die Europäer Israel mit mehr als einer halben Milliarde Euro unterstützt. Immerhin wird der EU-Handel mit Israel dank des Freihandelsabkommens 200 Milliarden Shekel per Jahr erreichen. Immerhin geht ein Drittel des gesamten israelischen Außenhandels in die EU. Und nicht zu vergessen: Es gibt nicht weniger als 36 Staaten (darunter China, Iran, Ägypten, Libanon und Russland), gegen die die EU verschiedene Arten von Wirtschaftssanktionen verhängt hat. Und man darf auch nicht vergessen, dass es gegen Israel keine Sanktionen gibt, nicht einmal gegen Siedlungen. Deren striktere Behandlung durch die EU bedeute nur, dass sie nicht mehr in den Genuss der Vorteile komme, die Israel dank des Freihandelsabkommens mit der EU genieße.

Was der Sprecher der israelischen Knesset macht, ist reine und pure Gehirnwäsche, und unsere Politiker von Lammert bis Volker Beck fallen darauf rein.

Ein Gedanke zu „Gehirnwäsche à la Edelstein

  1. Ich denke nicht, dass „unsere Politiker von Lammert bis Volker Beck darauf reinfallen.“ Für ganz so dumm und korrumpierbar halte ich sie nicht, wenigstens nicht den Bundestagspräsidenten Lammert.

    Jeder, der es schafft, einen politischen Gedanken in die Nähe Hitlers zu bringen, wird Verständnis bei all jenen deutschen Politikern finden, die sich als „Gegenentwurf zum Nationalsozialismus“ sehen, wie das Bundesverfassungsgericht 2009 erneut bestätigt hat. Da sich wenigstens die Koalitionsparteien als solche sehen, den gleichen seltsamen moralischen Kompass haben – sich also nicht der Aufklärung im Sinne Kants mit dessen „kategorischem Imperativ“ und dem „sapere aude“ verpflichtet fühlen – fällt die Einsicht in Kritik durch „israelische Patrioten“ im Sinne Avnerys leichter.

    Für die Grundwerte der „westlichen Wertegemeinschaft“ treten unsere Eliten in Politik und Redaktionsräumen zusammen mit ihren westlichen Verbündeten gern dort ein, wo die wirtschaftlichen Nachteile für eine solche politische Haltung weniger schwerwiegend oder „belastet“ sind

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