von Ludwig Watzal
Die Online-Zeitung „Neue Rheinische Zeitung“ (NRhZ) vergibt alle zwei Jahre den Kölner Karlspreis für engagierte Literatur und Publizistik. In diesem Jahr fiel die Wahl auf den Journalist Ken Jebsen. Die Veranstaltung fand im Berliner Filmpalast „Babylon“ statt. Das Ganze hatte nur einen Schönheitsfehler: Der Preisträger sagte kurz vorher ab, ebenso sein Laudator Mathias Bröckers.
Kurz vor Toresschluss zog Jebsen scheinbar die Reißleine. Auch seine wortreiche, nachgeschobene Erklärung vernebelt mehr als sie aufklärt. Dabei sind die Dinge doch viel einfacher. Auf Neudeutsch sagt man, he avoided the elephant in the room, sprich er leugnete das Offensichtliche. Wie es scheint, wollte er nicht auf einer Veranstaltung zusammen mit Gilad Atzmon gesehen werden, die auch noch zu seinen Ehren gerichtlich durchgesetzt worden ist.
Da ich die wortreichen, aber nicht eindeutigen Erklärungen Jebsens für vorgeschoben halte, habe ich ihm am 19. Dezember 2017 um 13.08 Uhr folgende Fragen per Mail zukommen lassen:
„Sehr geehrter Herr Jebsen,
ich schätzte Ihre professionelle und überaus kompetente Art des Journalismus. Sie behandeln Themen und stellen Fragen, die sich die andere Medien scheuen, zu thematisieren. Zu Ihrer Absage in letzter Minute meinen Respekt.
Könnten Sie mir folgende Fragen beantworten?
Ihr Statement auf „Russia Today“ (RT) klang nicht sehr überzeugend und hat viele ratlos zurückgelassen. Ihr persönliches Statement ist eigentlich noch unglaubwürdiger, das Sie über Ihre Website verbreitet haben. Warum haben Sie die Organisatoren der Arbeiterfotografie in letzter Minute so desavouiert? Was genau waren die Hintergründe ihrer Entscheidung?
Wann haben sie den Entschluss gefasst, dort nicht zu erscheinen, um sich von der Veranstaltung zur Auszeichnung Ihrer journalistischen Leistung zu distanzieren?
War die Einladung von Gilad Atzmon ausschlaggebend für Ihre Absage und wer war dafür verantwortlich?
Wird es Ihre künftige Zusammenarbeit mit den Beteiligten bestärken, beeinflussen oder werden sie diese vielleicht sogar beenden?
Kennen Sie das Schrifttum Atzmons (Der Wandernde Wer?) aus erster Hand?
Kennen Sie Atzmons Aussage: „Es ist der Holocaust, der mich schließlich zu einem treuen Unterstützer palästinensischen Widerstands…machte.“
Teilen Sie ebenfalls die Meinung Atzmons, dass das Schicksal der ermordeten Juden in Auschwitz „nicht so verschieden war von demjenigen hunderttausender deutscher Zivilisten…“
Wie beurteilen Sie folgende Aussage Atzmons, die sich nicht wesentlich von den Aussagen berüchtigter Holocaust-Leugner unterscheidet? „Ich denke, dass wir 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz das Recht haben müssen, anzufangen, Fragen zu stellen. Wir sollten historische Beweise und Argumente verlangen, anstatt einem religiösen Narrativ zu folgen, das durch politischen Druck und Gesetze aufrechterhalten wird. Wir sollten den Holocaust seines judeozentrischen Ausnahmestatus entkleiden und ihn als historisches Kapitel behandeln, das in eine bestimmte Zeit und an einen bestimmten Ort gehört. Der Holocaust muss wie jedes andere historische Narrativ auch korrekt analysiert werden. 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sollten wir die Frage stellen können: warum? Warum wurden die Juden gehasst?“ (Der Wandernde Wer?, S. 210; The Wandering Who?, S. 175).
Wie es scheint, sind die Nazi-Gräueltaten für Atzmon noch nicht komplett erforscht!
Haben Sie eine Idee, welcher Beweise im Sinne Atzmons es noch bedarf?
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.“ Grußformel.
Wie zu erwarten war, erhielt ich natürlich keine Antwort.
Die Absage Jebsens war jedenfalls eine schallende Ohrfeige für die verantwortlichen Redakteure der „Neue Rheinische Zeitung“. die über Wochen einige Eulogen auf Jebsen, aber überwiegend kritische Artikel gegen die Zensurmaßnahme des Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) veröffentlicht haben. Sie sollten die Frage beantworten, wer für diese Einladung verantwortlich ist und mögliche Konsequenzen ziehen.
Bereits vor Erscheinen seines unterirdischen Buches „The Wandering Who?“ im Jahre 2011 wurde Atzmon ein Auftritt auf der „Palästina-Solidaritätskonferenz“ in Stuttgart 2010 verschafft. Was Atzmon dort zum Besten gab, war schockierend für die Teilnehmer. Folglich distanzierte sich die Solidaritätsbewegung von ihm. Auch palästinensische Aktivisten und Intellektuelle nahmen am 13. März 2013 Abstand von Atzmons kruden Thesen. Erst jüngst hat „Prinz Charlos II“ auf Facebook abschließendes zu Atzmon und seiner treuesten Anbeterin, Evelyn Hecht-Galinski, gesagt. Oder wie zuletzt Elias Davidsson in einer Analyse eines Interviews von Atzmon.
Es lohnt sich absolut nicht, sich mit den unterirdischen Thesen Atzmons weiter auseinanderzusetzen. Ich habe in den letzten Tagen sein Buch zum zweiten Mal gelesen und bin noch angewiderter als beim ersten Mal. Warum schreibe ich diesen Artikel trotzdem? In meinem Beitrag habe ich einige Zitate aus Atzmons Buch zitiert, ohne eine Quelle dafür anzugeben. Diese Zitate stammen aus Alan Dershowitz‘ Totalverriss seines Machwerkes, was mir aber nicht bekannt war, als ich den Artikel schrieb. Während ich damit beschäftigt war, erhielt ich zufällig eine Email, die eine exzellente Rezension über „The Wandering Who?“ enthielt. Direkt darunter standen die von mir übernommen Zitate. Ich ging davon aus, dass diese nur noch als eine weitere Illustration seines Textes angefügt waren. Sie waren nicht als Zitate aus dem Verriss von Dershowitz zu erkennen. Gleichwohl sind sie korrekt und ich identifiziere mich mit ihnen. Wenn Atzmon und seine Fans meinen, ich hätte Dershowitz plagiiert“, so sei es drum. Dies tut der Wahrheit über ihn jedoch keinen Abbruch.
Ich bin alles andere als ein „Bewunderer“ von Dershowitz. Bisher habe ich kein positives Wort über den glühenden Zionisten geschrieben. Auch andere US-amerikanische Stimmen sind sich in der Bewertung des Buches von Atzmon einig. Wie Richard Falk und John Mearsheimer das Buch gut finden konnten, bestätigt nur den Ausspruch: „Irren ist menschlich!“
Aber wer von Atzmon und seiner Bewunderin immer noch nicht genug hat, findet auf dem Palästina-Portal einschlägige Zitate in Hülle und Fülle. Für die Palästina-Solidarität stellen beide jedoch eine schwere Bürde dar. Letztendlich ging es nur darum, die Wahrheit zu sagen, oder um „telling the truth„, wie es Atzmon am Ende dieses Videos ausgedrückt hat!
Werter Herr Watzal,
ich hoffe, dass Ken Jebsen Ihnen auch weiterhin ob Ihrer inquisitorischen Grundhaltung nicht antwortet.
Teil seines redaktionellen Selbstverständnisses, das ihm jene Freiheit beschert, mit allen Menschen reden zu können, die er für Wert hält, ein solches Gespräch zu führen ist der Verzicht auf „Distanzierungen“ wie auch die Ablehnung jener „Kontaktschuld“ die da meint behaupten zu können, dass man sich laut und deutlich distanzieren muss, andernfalls der Verdacht besteht, die gleiche Meinung wie der Gesprächspartner zu haben.
Dass es mittlerweile sehr unterschiedliche Auffassungen zur These der „Singularität“ im Sinne einer Unvergleichlichkeit des Holocaust gibt, sollten Sie wissen. Ich darf sowohl auf den Appell von Blois aus dem Jahr 2008 verweisen wie u.a. auf einen Beitrag von Sven Kellerhoff in der Welt v. 1.4.2014, der die Verbrechen Stalins ausdrücklich mit denen Hitlers verglich.
Ob Alan Dershowitz, der in der Finkelstein-Debatte eine hervorragende Stellung einnahm, tatsächlich ein guter Anwalt für eine wirklichkeitsgetreuere Darstellung von Geschichte ist, bezweifele ich doch sehr stark. Bedeutsamer ist mir die Einschätzung von Richard Falk und John Mearsheimer.
Im Übrigen hat die Debatte der Deutschen bezüglich der Darstellung des Holocaust jenen Status den einst Paul III. auf dem Konzil in Trient formulierte: „Auf dem Konzil ist jeder frei, seine Meinung in Sachen des Glaubens und der Sitte auszusprechen, selbst, wenn er eine Häresie verträte, nur muss er sich dem Urteil des Konzils unterwerfen.“ Das war Kirchentradition seit dem Konzil von Nicäa und wirkt noch immer fort.
Das Urteil über die Darstellung des Holocaust wurde bekanntlich in Deutschland in den 1980er Jahren und folgende in Anlehnung an die Forderungen Eli Wiesels gesprochen – und Zuwiderhandler werden als „Apologeten Hitlers“, als „Antisemiten“, „Volksverhetzer“ „Holocaustleugner“ usw. dargestellt – was fehlt sind die Scheiterhaufen für diese Häretiker.
Welche Haltung die „Palästina-Solidarität“ dazu hat, ist nur von bedingter Bedeutung. Wichtiger ist, dass es in Deutschland nicht nur eine Kritik an der Darstellung religiöser sondern auch weltanschaulicher Bekenntnisse gibt. Und wenn denn das Strafrecht zu Hilfe genommen wird, dann eben für beides.
„Die Duldung von Religionsdiffamierung erweist sich … als ein Integrationshindernis ersten Rangs. Weil er die unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches wenn nicht Mit-, dann doch wenigstens Nebeneinander verschiedener religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse in der staatlichen verfassten Gemeinschaft bildet, ist der wechselseitige Verzicht auf Beschimpfungen dieser Bekenntnisse mehr als nur ein Anstandsgebot; er darf und sollte rechtsverbindlich eingefordert werden.“ (Christian Hillgruber, FAZ, 28.01.2015)
Es gibt nicht nur eine Palästinafrage sondern auch eine Integrationsfrage in Deutschland, die nicht von Kampfbegriffen überlagert werden sollte. Die beiden Grundsätze der Aufklärung, das Anstandsgebot und die Informations- und Meinungsfreiheit sollten auch hierzulande wieder den Stellenwert haben, wie diese in angelsächsischen Ländern dem Grunde nach üblich sind.
Auch wenn ein Fragezeichen ob einer Anschuldigung gesetzt wird so hat diese doch die gleiche Bedeutung wie ohne ein solches.
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