Ich schäme mich

Eine verzweifelte Tat in einer verzweifelten Situation ist eine normale Reaktion. Das kann man über die Welle der Gewalt sagen, die seit Tagen Israel verunsichert und für Chaos sorgt. Die Palästinenser reagieren so, wie sie reagieren mussten angesichts der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage und der herzlosen und dummen Reaktion Israels. Palästinenser auf der ganzen Welt wollen und werden protestieren und der Zentralrats Präsident, diese Stimme ihres israelischen Herren, fordert, Verbot der geplanten palästinensischen Demonstrationen. Da kann man nur staunen und sich wundern und als Jude sich für eine solche Vertretung schämen, und wünschen die Erde möge sich spalten und uns schlucken, besser allerdings wäre es, die Erde würde Dr. Josef Schuster und seine ganze Bagage verschlucken. 

Leute wie Ilan Pappe, Amira Hass und ich haben schon vor zwanzig und sogar dreißig Jahren gewarnt, dass es so kommen würde. Das man ein Volk nicht ewig unterdrücken kann. Wir haben vor Jahren und Jahrzehnten schon geschrieben, dass die einzige Sicherheit für Israel eine echter Frieden sei, eine Anerkennung der Palästinenser und Ihrer Rechte. Israel wollte es nicht hören. Man hat uns ausgelacht und Ilan Pappe aus dem Land rausgeekelt. Und nun ist es so gekommen, wie wir es vorausgesagt haben. Die Bevölkerung revoltiert, die jungen Menschen haben die Besatzung satt und wollen nicht mehr. Und sie haben jedes Recht dazu. Wenn ich Palästinenser wäre, oder auch nur Mensch und so leben müsste, wie die Israelis die Palästinenser zu leben zwingen, nämlich nicht leben und nicht sterben, wie Tiere vegetieren, ohne Würde, ohne Rechte, ohne Frieden, ohne Sicherheit, ohne minimalen Wohlstand und ohne Hoffnung auf Änderung in einem großen Freiluftgefängnis, ich würde mit Sicherheit auch zu einem Messer greifen und den erst besten Israeli niederstechen, der mir begegnet.

„Selbst Gandhi würde die palästinensische Gewalt verstehen und billigen“, schreibt Gideon Levy in der israelischen Zeitung Haaretz. Aber Dr. Schuster ist nicht Gandhi. Er klagt die täglichen Angriffe in Israel, bei denen schon „zahlreiche jüdische Passanten“ verletzt und getötet wurden. Kein Wort von der vielfach höheren Zahl der Palästinenser, die getötet und gelyncht wurden. Es geht immer nur darum, jüdische Opfer zu bedauern. Tote Palästinenser sind keine Opfer, und vor dem tobenden israelisch-jüdischen Mob verschließt Schuster die Augen, verstopft die Ohren und sagt kein Wort. Und wenn Palästinenser in Berlin dagegen protestieren wollen, unterstützt auch von vielen Juden und Israelis, dann schreibt Schuster: Man wolle die „Verherrlichung der Anschläge auf Juden“ verniedlichen. Er schreibt: „Das ist abstoßend und erschüttert uns“. Mich und andere Juden und Israelis erschüttert, was dieser Schuster schreibt. Es ist eine Schande für uns Juden und das Judentum.

Gideon Levy schreibt: „Die Ungerechtigkeit kann so weiter viele Jahre gehen. Warum? Weil Israel stärker ist als je zuvor und die Welt lässt es wie einen tollwütigen Hund gewähren.“ Und ich füge hinzu, weil Heuchler und Antisemiten wie Josef Schuster schweigen.

Natürlich hat sich auch die israelische Botschaft zu Wort gemeldet und den Protest der Opfer verschmäht und diffamiert, als ob es uns Protestierer darum ginge „Gewalt und Terror zu unterstützen“.

Dabei wollen wir die Welt daran erinnern, dass sie auf dem Kopf steht und zusieht, wie Opfer zu Täter gemacht werden und Täter sich als Opfer gerieren. Ich habe es schon vor mehr als zwanzig Jahren gesagt und geschrieben: Allein die Palästinenser sind in der Lage, den Israelis Schutz und Sicherheit zu bieten. Die Israelis wissen das, und sie fordern die Palästinenser auf, sie zu schützen; der Täter fordert Schutz von seinem Opfer. Die Opfer können aber die Täter nicht schützen, weil die Täter sie daran hindern.

Schuster meint, dass der Aufruf zur Solidarität mit der palästinensischen Gemeinde bedeute, die Mordanschläge auf israelische Zivilisten zu unterstützen. Das ist seine zionistisch-jüdische Logik, die zynisch, falsch und widerlich ist. Wenn man nicht schon Antizionist wäre, wie ich, so müsste man es spätestens jetzt werden. Er ruft dazu auf, solche Veranstaltungen zu verbieten. Ich hoffe aber, dass ihm das nicht gelingen wird. Nicht ihm, nicht der Botschaft und auch nicht diesem widerlichen Sayanim Volker Beck, der immer zur Stelle ist, seinem Herrn und Meister die Stiefel zu lecken.

Was denken sich solche Zyniker und Heuchler? Denken Sie etwa, dass die Palästinenser still sitzen und warten werden, bis die Israelis sie wie Schafe zur Schlachtbank führen. Das haben doch die Israelis den europäischen Juden vorgeworfen. Nein, die Palästinenser haben nicht vor, geschlachtet zu werden. Wenn sie schon keine Hoffnung auf ein freies und unabhängiges Leben haben, dann wollen sie mit erhobenem Haupt sterben. Davor müssen wir Achtung haben.

Die jüdische Welt schweigt und meint, dass eine „Kehrtwende nötig ist“, wie die jüdische Zeitung „Tachles“ schreibt, die in der Schweiz erscheint. Allerdings eine Kehrtwende der palästinensischen Gewalt, die „die Grenzen der Altstadt von Jerusalem längst durchbrochen“ hat. Dabei ist eine Kehrtwende der israelischen Politik viel dringender und notwendiger, denn diese ist es doch, die zu dieser fast aussichtslosen Lage geführt hat.

US-Außenminister John Kerry hat nach längerer Pause wieder einmal seinen baldigen Besuch in der Region angekündigt, im Bestreben, die Lage zu beruhigen, dabei hat er noch mehr Öl ins Feuer gegossen, als er bei seiner Ankündigung „harte Worte für die Terrorwelle der letzten Tage“ fand. Kerry kann sich seinen Besuch sparen, denn mit diesen Worten hat er wieder einmal gezeigt, dass er überhaupt nicht versteht, worum es in Palästina geht, und natürlich hat wieder einmal gezeigt, wie einseitig, einfältig und dumm die amerikanische Politik ist.

Es ist keine „Terrorwelle“, sondern ein Volksaufstand. Ein Aufstand der Opfer gegen die Unterdrücker. Erst wenn Kerry, Schuster, Merkel und wie sie alle noch heißen, das kapieren würden, erst dann könnte man Hoffnung haben, dass sich etwas ändern wird. Die Kehrtwende muss in Washington, Berlin und nicht zuletzt bei den Israelis stattfinden. Dazu besteht aber immer noch keine Hoffnung. Man sieht nur Business as usual, dieselben Sprüche, dieselben leeren Worte, die die Palästinenser nicht mehr hören wollen. Zurecht.

„Wie lässt sich dieser schreckliche Kinder-Terrorismus erklären?“, fragt die jüdische Zeitung Tachles. Ganz einfach: Schaut euch den schrecklichen Regierungs-Terrorismus der Israelis an und dann habt ihr die Antwort. Sie liegt heute auf der Straße. Man muss nur hinschauen. Aber es sieht jeder nur das, was er sehen will und die jüdische Presse, jüdische Politiker und Zentralratsvorsitzende, jüdische Bundeswehrprofessoren und jüdische, zionistische Polemiker sehen immer noch nur das, was sie sehen wollen, bzw. was ihnen die israelische Hasbara (Propaganda) zeigt. Holocaust, Auschwitz und Antisemitismus, Antisemitismus, Antisemitismus. Da kann man auch als Jude fast schon ein Antisemit werden, zumal man jüdische Kritiker der israelischen Politik sowieso als „koshere Antisemiten“ schon lange diffamiert.

Wer nicht hören will muss fühlen. Ein altes, einfaches Sprichwort, dass es in allen Kulturen der Welt gibt. Israelis werden jetzt fühlen müssen, wie es ist, in Angst zu leben. Israel, ein Land mit einem der höchsten Lebensstandards der Welt, lebt mit der niedrigsten Lebensqualität. Angst ist viel schlimmer als Armut. Angst macht die Seele krank.

3 Gedanken zu „Ich schäme mich

  1. Ja, alles sehr richtig und verständlich – und doch sind diese Anrgiffe der falsche Weg. Der individuelle Terror führt nie zum Ziel, sagt Lenin irgendwo. Der einzige Weg der Arbeiterklasse zur Macht ist die Organisation. Das würde für die Palästinenser bedeuten, das sie nicht mehr den Koran auswendig lernen, sondern Mathematik und Englisch pauken, insbesondere in den Lagern außerhalb von Palästina, und im übrigen „derr Stadt Bestes suchen“, wie es ein jüdischer Prophet empfiehlt. Das wwürde dazu führen, dass die Araber mit den Juden, nicht mit den Zionisten, ins Gespräch kämen, und damit wäre der entscheidende Schritt nach Vorne getan, wie Barenboim am Beispiel der Musik gezeigt hat. Ist das richtig? http://www.klausdede.de

  2. Lieber Herr Melzer!

    Müssen Sie sich schämen, für einen Zentralratspräsidenten, den Sie nicht gewählt haben, dem Sie nicht ihr Mandat gegeben haben, für Sie zu sprechen? Ich schäme mich nicht für die Politik deutscher Präsidenten oder Kanzler (m/w), die ich nie gewählt habe – ob in Gegenwart oder Vergangenheit.

    Es sind wenige „israelische Patrioten“ in den USA, die die Macht hätten, der expansionistischen, ethnozentrierten (oder sollte man „rassistisch“ sagen?) Politik jüdisch- israelischer Eliten auf Kosten der Eingeborenen Einhalt zu gebieten.

    Eine glaubwürdige Doppelzüngigkeit ist vermutlich das sine qua non, dass ein Mensch „Präsident“ werden kann. Falls Herr Schuster Präsident aller Juden in Deutschland sein wollte wäre dies die gleiche Anmaßung wie die eines Herrn Joachim Gauck, der Präsident aller Deutschen sein zu wollen.

    Es ist Ihre uneingetrübte Kritik, wie die von Uri Avnery usw., die der Menschheit vermittelt, dass der Geist des Universalen, das einst das Diaspora-Judentum auszeichnete, nicht gänzlich untergegangen ist. Die Israel-Claqueure, wie Wolffsohn, Brumlik, Broder usw. sind Teil eines anderen Judentums, das eben auch zum Judentum gehört so wie es eben immer auch zwei „Rassen“ von Deutschen gab, den „anständigen“ und den „unanständigen“, wie Viktor E. Frankl in seiner Wiener Rede 1988 sagte.

  3. „Eine verzweifelte Tat in einer verzweifelten Situation ist eine normale Reaktion.“
    Diesen Satz kann ich nicht gelten lassen!
    Eine solche Reaktion kann zwar menschlich verständlich, aber darf nicht als
    „normale Reaktion“ gültig sein.
    Ich kann zwar die Reaktionen der Palästinenser in ihrer Motivation verstehen und begreifen, sehe aber nicht ein, dass sie so „reagieren mussten“.
    Ich begreife – als Besucher der Westbank vor Ort – diese Einstellung: Man kann alles riskieren, wenn nichts mehr zu verlieren ist. Aber da wird das gegenwärtige und zukünftige Umfeld vergessen. Auch wenn Israel vermutlich erst nach Generationen oder vielleicht nie den Gottesstaat in eine echte Demokratie verwandeln wird.
    Ich glaube auch nicht, dass „Gandhi die palästinensische Gewalt verstehen und billigen“ würde, wie Gideon Levy in „Haaretz“ meinte.
    Auch ich habe Angst, die auch meine Seele krank macht.

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