Josef Schuster – spring über Deinen Schatten

Ist es wirklich so, dass man, um Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ) zu werden, seinen Verstand an der Garderobe abgeben muss? Und wenn schon den Verstand, warum auch noch den Anstand, die Vernunft und die Moral? Kann denn zum Präsidenten nur jemand gewählt werden, der vorher seinen Treueeid auf den Zionismus und gegenüber dem Staat Israel heimlich abgegeben hat? Es scheint so zu sein, denn der neue Präsident des ZdJ, Josef Schuster, hat, kaum im Amt, seine Pflicht schon erfüllt und Treue und Pflichterfüllung gegenüber Jerusalem gezeigt. Dabei galt sein Hauptaugenmerk den Gründungsvätern und -müttern des Zentralrats der Juden in Deutschland der Förderung und Pflege religiöser und kultureller Aufgaben der jüdischen Gemeinden wie auch der Vertretung der gemeinsamen politischen Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. So kann man es auf der Webseite des Zentralrats nachlesen.

Sein Pamphlet gegen die Richter des Europäischen Gerichtshofes erinnert mich an einem seiner Vorgänger, den seligen Heinz Galinski, der, als er in seiner Klage gegen mich wegen Beleidigung unterlegen war, auf einer sofort nach dem Urteil einberufenen Pressekonferenz, laut verkündete: „Das sei ein Skandal. Der Richter hat sich geirrt.“ Er legte Einspruch ein und wollte in die zweite Instanz gehen. Erst mit diesem absurden und lächerlichen Protest hat Galinski die Presse auf seine unbedeutende Klage aufmerksam gemacht. Leider kam es nicht zum Duell, da er wenige Tage vor unserem High-Noon verstarb.  

Josef Schuster scheint ähnlich zu ticken. Auch er kritisiert die Richter, wobei es diesmal Richter eines Europäischen  Gerichtshofes sind. Ähnlich wie Galinski meint auch er, dass das Urteil der Luxemburger Richter, die Hamas von der EU-Terrorliste zu streichen, „ein Skandal“ sei. Kein  Ministerpräsident, Kanzler oder einfacher Minister irgendeines europäischen Staates würde es wagen, das Urteil eines unabhängigen Richters ein „Skandal“ zu nennen, außer dem korrupten und mafiösen Silvio Berlusconi, der in zwanzig Jahren Herrschaft die Justiz in Italien komplett ruiniert hat. Der Präsident des ZdJ tut es auch, weil er in Deutschland von heute die Freiheit eines Hofnarren genießt, aber eines, über dessen Witze man nicht lacht, den man aber auch nicht ernstnehmen sollte, was leider noch zu viele deutsche Politiker und Journalisten tun.  Es versteht sich fast von selbst, dass auch die Führung in Jerusalem das Urteil von Luxemburg verurteilt hat.

Josef Schuster ist Präsident des ZdJ in Deutschland. Meiner zwar nicht, aber all derer, die Mitglieder in den 108 jüdischen Gemeinden sind, die es in Deutschland gibt. Ich bin mir aber sicher, dass er, auch wenn man seine Macht auf diese Gruppe beschränkt, nicht allen Juden in Deutschland mit seiner unqualifizierten und beschämenden Kritik aus dem Herzen spricht. Es gibt inzwischen viele, und es werden immer mehr, die sich mit der fürchterlichen Politik Israels nicht identifizieren können, und noch weniger damit, dass der Zentralrat diese Politik immer gut findet und zum völkerrechtswidrigen Verhalten der Regierung in Jerusalem permanent schweigt. Schuster ist aber deren Präsident und man erwartet von ihm, dass er sich zu Fragen äußert, die sein Amt betreffen und nicht zu Problemen der Außenpolitik Deutschlands oder zum Nahost-Konflikt und schon gar nicht zu Rechtsfragen, für die eben die Richter in Luxemburg zuständig sind. Wenn überhaupt, sollte sich das Oberrabinat in Jerusalem zu Rechtsfragen äußern!

Er behauptet, dass die Hamas eine „antisemitische und menschenverachtende Terrororganisation“ sei, die nicht nur gegen Israel kämpft, sondern „zur Ermordung aller Juden weltweit“ aufruft. Das ist doch mindestens genauso absurd, wie seinerzeit die Behauptung der Nazis, die Juden hätten Deutschland den Krieg erklärt, weil im englischen Jewish Chronicle ein Artikel veröffentlicht wurde, indem die jüdische Zeitung schrieb, dass die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte in Nazideutschland eigentlich eine „Kriegserklärung“ gegen die Juden sei. Deutschland hatte damals genauso wenig Grund Angst vor einem Angriff der Juden zu haben, wie die „Juden weltweit“ heute vor einem Angriff der Hamas. Die Hamas hat ausdrücklich betont, dass sie gegen Israel und sein brutales Besatzungsregime kämpft und nicht gegen Juden. Warum sollte sie auch gegen Juden in Manhattan, London oder Berlin kämpfen? Ihr Feind ist schließlich Israel. Warum wollen oder können zionistische Funktionäre das nicht akzeptieren? Was weiß Schuster schon über die Hamas, außer dem, was die israelische Propaganda verbreitet, oder was in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung steht?

Alle Welt aber  wurde Zeuge, als Israel die Hamas im Sommer 2014 (Und auch schon im Winter 2008/2009) vernichten wollte, und dabei mehr als 1400 Palästinenser ermordet hat, im Verhältnis zu 14 israelischen Soldaten, die gefallen sind. Bei den Palästinensern handelte es sich hauptsächlich um Zivilpersonen, darunter hunderte Kinder. Deshalb wird weltweit die Ächtung und Sanktionierung Israels zu Recht betrieben. Die Hamas tut das, was ihr vom Völkerrecht zugestanden wird, nämlich: sich verteidigen. Zwar beteuert Israel auch immer wieder, dass es sich verteidigt, aber es ist eben die israelische Art der Verteidigung und die heißt: Vergeltung.

Es hilft Josef Schuster nicht, wenn er die absurde und lächerliche Propaganda der Israelis wiederholt, das Geschwätz von der Charta, vom Dschihad und von der persönlichen Pflicht jedes Muslims, Friedeninitiativen abzulehnen, sowenig wie es der Hamas hilft, von den Protokollen der Weisen von Zion zu sprechen.

Das hören wir täglich aus Jerusalem von Lieberman, Bennett und Netanjahu. Oder hat auch nur ein einziger bei uns Zweifel daran, dass Israel keinen Frieden haben will? Lieberman sagt es offen, Netanjahu heuchelt und Bennett ist ein geborener Opportunist. Und als Israels Truppen in Gaza eindrangen, kannten sie nur einen Befehl: So viel Palästinenser wie möglich zu töten. Unterschrieben vom Ober-Rabbiner der israelischen Armee.

Josef Schuster will die Sanktionen gegen die Hamas nach wie vor aufrechterhalten. Er will keinen Frieden, er will den Krieg als Mittel der Fortführung der israelischen Politik. Deshalb richtet sich die Wut deutscher und palästinensischer Demonstranten auch gegen Juden, weil sie wütend und verärgert über solche Hetzer sind. Besser wäre es, er würde sich um die Bevölkerung in Israel kümmern, die vor der schwierigsten und schicksalhaftesten Wahl ihrer Geschichte steht. Uri Avnery, der ewige Mahner, schrieb dieser Tage: „Ich sehe vor mir einen Staat im Ausnahmezustand – einen Staat, in dem die Demokratie im Sterben liegt, in dem die Menschenrechte mit Füssen getreten werden, in dem das Recht und die Gerechtigkeit verschwinden, in dem Rassismus Feste feiert und die Siedler und ihre Unterstützer alles verderben. Ich sehe einen Staat, der in den Abgrund schreitet, einen Abgrund aus dem es kein Zurück mehr gibt.“

Wenn Josef Schuster Israel helfen will, dann soll er helfen, Israel zu stoppen und zur Umkehr zwingen, und er soll sich nicht um die Hamas kümmern, von der er nichts versteht. Das ist wirklich nicht seine Sache. Stattdessen ruft er auch noch die europäischen Staaten auf, jeden „einseitigen“ Vorstoß zur Anerkennung eines palästinensischen Staates als „kontraproduktiv“ abzulehnen. Warum eigentlich? Was ist daran kontraproduktiv? Wurde Israel seinerzeit nicht auch einseitig ausgerufen? Woher diese autistische Einstellung, nicht sehen zu wollen, nicht hören zu wollen und nichts sagen zu wollen? Wenn man, wie Angela Merkel, für eine Zwei-Staaten-Lösung steht, dann sollte man zumindest den zweiten Staat auch anerkennen. Man kann doch nicht von Israel erwarten und verlangen, dass es mit Terroristen verhandelt. Und man kann von Abbas nicht erwarten und verlangen, dass er als Bittsteller in die Verhandlungen geht. Nur Verhandlungen auf Augenhöhe ergeben einen Sinn.

Die meisten europäischen Staaten kümmern sich gottseidank nicht um diesen Möchtegern Präsidenten. Er wäre vielleicht lieber der Präsident eines mächtigen Staates, aber er ist nur der Präsident von ängstlichen 101 300 Juden, die sich kaum um Israel und noch weniger um die Hamas Gedanken machen. Die Juden in Deutschland haben offensichtlich eine Führung, die nur die Juden in Israel vertritt, nicht aber sie. Der Zentralrat benimmt sich wie eine Vertretung Israels und dessen Präsident, bisher war es Dr. Dieter Graumann, spielt die Rolle des „zweiten“ israelischen Botschafters. Er würde zum Beispiel nicht die Augen verschließen vor der rechtswidrigen Tatsache, dass deutsch-jüdische Jugendliche in Israel Militärdienst leisten, mit Wissen und Zustimmung des Zentralrats und der deutschen Behörden. Das Widerliche daran ist, dass beide Seiten darüber schweigen und diejenigen, die dagegen protestieren als Antisemiten diffamieren.

Eine treue Anhängerin hat er in Angela Merkel, die immer noch fest an ihrer Doktrin festhält, Israel einseitig, blind und politisch unverantwortlich zu unterstützen, indem sie immer noch leere und peinliche Worte in die Welt hinausposaunt, dass eine Anerkennung Palästinas nur „durch einen ernsthaften Friedensprozess zwischen den beteiligten Seiten erfolgen kann“. Das bedeutet, dass die Anerkennung Palästinas von den Israelis abhängt. Wer glaubt aber noch an das Märchen, dass die Israelis „ernsthaft“ an Frieden interessiert sind? Das Meer ist dasselbe Meer geblieben und Israels Politik ist ebenfalls das geblieben, was sie schon immer war: Lieber Scharm al Scheich ohne Frieden, als Frieden ohne Scharm al Scheich, sagte Moshe Dayan vor bald 40 Jahren, und Israel hat sich bis heute auch an diese Doktrin gehalten. Scharm al Scheich ist längst zurückgegeben, aber die verderbliche Politik ist immer noch die Doktrin Israels geblieben.

Warum schließt sich Schuster nicht der Initiative von 800 mutigen Israelis, darunter Nobelpreisträger, Israelpreisträger, Generäle, Professoren, Schriftsteller, Schauspieler und viele andere Prominente an, die die europäischen Regierungen per offenen Brief auffordern, Palästina anzuerkennen? Warum glaubt Josef Schuster, dass er es besser weiß, als die Betroffenen selbst, was gut sei für Israel? Zwar ist er mit dieser Haltung auf der Linie seiner Vorgänger, aber hatten wir alle nicht gehofft, er würde diese Spur endlich verlassen und dem gesunden Menschenverstand folgen? Aber den hat er leider auch an der Garderobe abgeben müssen, sonst wäre er nicht Präsident des Zentralrats geworden.

Auf der Webseite des ZdJ in Deutschland schreibt Schuster seine Worte zum Chanukafest: „Die Legende enthält für mich eine entscheidende Botschaft: Die Makkabäer setzten sich nicht einfach hin und warteten auf ein Wunder, das schon irgendwie alles richten würde. Nein, sie handelten.“ Die Makkabäer waren aber durch und durch Fundamentalisten und religiöse Fanatiker, und in den politischen Begriffen von heute waren sie der „IS – Islamische Staat“ ihrer Zeit. Auch die Palästinenser wollen nicht mehr auf ein Wunder warten. Die Makkabäer waren in den Augen der Griechen auch nur Terroristen, genauso wie die Palästinenser in den Augen der Israelis und wohl auch Josef Schusters. Sie kämpfen auch nur um ihre Freiheit und Unabhängigkeit wie damals die Makkabäer. Ist denn der Kampf der Palästinenser weniger wert als der Kampf der Juden, die 1948 um ihre Unabhängigkeit gekämpft und auf Kosten der Palästinenser gesiegt haben? Sind denn die Palästinenser deshalb Terroristen, weil sie das haben wollen, was die Israelis schon längst haben: Ihr Land zurück, Freiheit und Unabhängigkeit? Dabei haben sie den Staat Israel längst anerkannt und sich mit den 22 Prozent des ehemaligen Palästina abgefunden.

Schuster schreibt: „Wir waren im Sommer schockiert von den Protestmärschen durch die deutschen Innenstädte und von den judenfeindlichen Parolen, die dort – ungestraft – gerufen wurden. Nie hätten wir gedacht, dass wir uns so etwas noch einmal anhören müssten. Noch nie mussten wir beobachten, dass Israel in so großen Teilen der Bevölkerung Deutschlands in Frage gestellt wurde.“ Hat er sich schon einmal gefragt, warum Israel in so großen Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt wird? Und wird er es nicht Leid beim Schreiben von den Protestmärchen im Sommer, immer wieder so zu übertreiben? Im Großen und Ganzen waren die Forderungen der Marschierer gerecht und berechtigt, nämlich: das israelische Massaker in Gaza zu beenden. Wenn aber einige dort übertrieben haben, dann könnte auchSchuster  sich endlich fragen warum.

Josef Schuster vergibt eine große Chance, die dem deutschen Judentum gut zu Gesicht stehen würde. Statt immer wieder die Deutschen des Antisemitismus zu verdächtigen, wie es seine Vorgänger Knobloch und Graumann oft getan haben, sollte er sich und die Juden in Deutschland von dieser Paranoia endlich befreien und mutig in die Zukunft blicken. Statt immer einseitig zu jammern, dass alle Welt die Juden hasst und die Palästinenser die Israelis und alle Juden vernichten wollen, sollte er seinen Rest an gesunden Menschenverstand anstrengen und überlegen, ob die Palästinenser dazu überhaupt in der Lage sind und ob die freie, liberale und demokratische Welt das zulassen würde. Wenn er tatsächlich der Meinung ist, dass die Deutschen und alle Welt gegen „uns“ ist, dann sollte er seine Koffer packen und nach Israel auswandern, wo die Juden angeblich in Sicherheit leben. Wie schafft er es in einem Land zu leben, zu dessen Bevölkerung und Politiker er kein Vertrauen hat? Oder will er den Rat seiner Vorgänger beherzigen und, wie die Maranen in Spanien, sich sein Leben lang vor einer vermeintlichen Inquisition verstecken?

Leider hat Israel keine Angst vor Kriegen, seine Führung mit der viertstärksten Armee der Welt hat nur Angst vor dem Frieden. Nachdem Israel fast siebzig Jahren in permanenten Kriegszustand lebt, und sich offensichtlich gut dabei fühlt, nachdem Israels Vergeltungsschläge immer fast schneller sind als die angeblichen Terroranschläge, ist es doch an der Zeit, darüber nachzudenken, wie lange man noch so weiter machen will. Wäre es nicht eine wunderbare Aufgabe für das deutsche Judentum zwischen Israel und der Welt, besonders der arabischen Welt, zu vermitteln?

Der israelische Psychoanalytiker Ofer Grosbard hat vor Jahren ein leider zu Unrecht unbeachtetes Buch geschrieben, Israel auf der Couch, in dem er nachgewiesen hat, dass der Konflikt eine rein psychologische Ursache hat. Er kann nicht politisch und schon gar nicht mit Waffen gelöst werden. Es wäre die Aufgabe von Psychologen und Mediatoren die Kontrahenten zueinander zu führen und die paranoide Angst der Israelis vor einer feindlichen Welt zu kurieren.  Ofer Grosbard schreibt über die psychologischen Dimensionen des Nahost-Konflikts und bietet neue, ungewöhnliche Erklärungen. Durch die Darstellung der unterschiedlichen Gefühlswelten der Ashkenasim, der Sephardim, der Juden aus den arabischen Ländern, der Araber und Palästinenser und ihre Verbindung zu bestimmten Parteien und politischen Standpunkten werden die Schwierigkeiten und Konflikte überhaupt erst verstehbar. „Narzissmus“, „Paranoia“, „Depression“, „Trauma“, „Omnipotenz“ – in dieser psychologischen Begrifflichkeit bewegt sich sein Buch.

Der schwierige Prozess der Annäherung und möglichen Normalisierung mit den Palästinensern erscheint als langwieriger, kollektiver Weg aus einer kollektiven Amnesie, die vor allem die eigene Unreife und Ichbezogenheit überwindet. Dies zu erkennen bedeutet nicht, den palästinensischen Widerstand nicht zur Kenntnis zu nehmen oder die von Israel verübte Gewalt zu rechtfertigen. Es bedeutet, wie jedes Erkennen, eine tiefere Einsichtnahme in scheinbar Unverständliches. Die emotionalen Prozesse zwischen beiden Konfliktparteien ähneln denen zwischen rivalisierenden Jungen, die sich jeweils als bösartig empfinden, aber allmählich erwachsen werden müssen. Noch gilt die eigene Gewalt als heroisch, die des/der anderen hingegen als teuflisch. Erst wenn man „den Mörder in sich und den Helden im anderen“ erkennen könne, sei man der Situation wirklich gewachsen. Niemand sei nur gut oder nur böse. Und vor allem muss Israel aufhören das Böse zu manipulieren und im Dienste eines kolonialistischen Zionismus einzusetzen. Es muss aufhören ganz Israel im Schatten des Holocaust zu stellen und aus Auschwitz eine Religion und einen Pilgerort zu machen, zu dem jährlich tausende israelischer Schüler auf Staatskosten hin pilgern, um den Geruch des Todes zu spüren und „nie wieder“ zu schwören. Auschwitz, wo Millionen Juden (aber auch Nichtjuden) ermordet wurden, hat mit jüdischer Identität nichts zu tun, und erst Recht nicht mit jüdischer Moral und Kultur.

Das Chanuka-Fest ist vielleicht auch der richtige Zeitpunkt, darauf aufmerksam zu machen, dass Chanuka eigentlich die fundamentale wenn nicht fundamentalistische Erneuerung symbolisiert, die das Judentum nach dem sinnlosen Aufstand der Makkabäer und der Zerstörung des Tempels erfahren hat. Die Rückführung und Eliminierung dieser Erneuerung ist die Ursünde des Zionismus.

Das Judentum als Religion wurde eigentlich in der babylonischen Diaspora geboren, um ca. 500 vor der Zeitrechnung. Schon damals lebten die Mehrheit der Juden außerhalb Eretz-Israel – in Babel, in Alexandrien und entlang der afrikanischen Küste des Mittelmeeres, auf Cypren, Rhodos und in Rom. Nach der Katastrophe des Jahres 70 und der noch größeren Katastrophe durch den 70 Jahre später ausgebrochenen Aufstand des Abenteurers und schwachsinnigen Fanatikers Bar-Kochba, stellten sich die Rabbiner gegen den Kult des Heroismus. Sie ignorierten die Kriege und Siege der Makkabäer und machten aus Chanuka ein religiöses Fest, in dem nicht der Heroismus, sondern das Wunder durch Gott im Mittelpunkt stand. Das Wunder war wichtiger als der militärische Erfolg. Das Buch der Makkabäer, der die Kriege und den Sieg beschreibt, wurde nicht in  die hebräische Bibel aufgenommen.

Es hat 1800 Jahre gebraucht bis der Zionismus das geändert hat und die alten Helden und Recken wurden wieder in den Mittelpunkt gestellt. Jehuda, der Makkabäer und Bar Kochba wurden zum festen Bestand der jüdischen Mythologie, und der Massenselbstmord der fanatischen Zeloten und Verteidiger von Massada wird heute in Israel gefeiert. Generationen von jungen israelischen Soldaten werden auf diesem Felsen auf ihre Treue zu Israel und zum Judentum eingeschworen.

Der Zionismus war die größte Revolution in der neuesten Geschichte. Er machte aus einer religiös ethnischen Gemeinschaft eine neue, moderne Nation nach europäischer Art. Um das zu erreichen, musste der Zionismus zuerst die jüdische Geschichte neu schreiben. Seither  werden die Helden der Aufstände gegen Griechenland und Rom verherrlicht, und es werden  die Katastrophen ignoriert und verschwiegen, die diese Helden über die Juden gebracht haben. Viele europäische Nationen haben es genauso getan. Die Deutschen haben es mit ihrem Hermann dem Etrusker, der die Römer im Teutoburger Wald besiegte, ähnlich gemacht.

Hier könnte Josef Schuster an die liberale und humanistische Tradition des deutschen Judentums und an Persönlichkeiten wie Moses Mendelssohn oder, um nicht so weit zurückgehen zu müssen, wie Leo Baeck, dem letzten Rabbiner der deutschen Judenheit, wie Albert Einstein, Martin Buber, Hanna Arendt und Uri Avnery anknüpfen, die diese Tradition repräsentiert haben und immer noch repräsentieren. Statt sinnlose und peinliche Kundgebungen gegen Antisemitismus zu veranstalten, die einzig und allein die Ohnmacht des ZdJ und mit ihm der politischen Klasse in Deutschland  offenbart haben, sollte er nach vorn schauen und nicht gegen etwas protestieren, sondern für etwas einstehen: für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenwürde aller Beteiligten, für eine neue jüdische Identität, eine anderen als der, die der Zionismus den Juden aufgezwungen hat. Das Judentum, das aus 613 Geboten und Verboten besteht, kann in einem Satz, den des Rabbi Hillel, erklärt werden: Tue deinem Nächsten nicht das an, was du nicht willst, dass man es dir antut. Das deutsche Judentum hat nach dieser Devise gelebt, und Immanuel Kants berühmter kategorischer Imperativ ist daraus entstanden. Wir haben als deutsche Juden, und wir sollten uns endlich dazu bekennen und nicht noch weitere siebzig Jahre als Juden in Deutschland leben, eine ruhmreiche Tradition, auf die wir stolz sein können. Wir brauchen nicht den Zionismus als Ersatzreligion. Wir müssen nicht mehr das Jahrhunderte alte Gebet nachplappern: Nächstes Jahr in Jerusalem. Wer nach Jerusalem will, kann schon dieses Jahr dorthin fahren. Wer aber in Deutschland bleiben will, sollte sich nicht als Fremder im eigenen Land fühlen und benehmen. Wir sind hier keine Fremden, auch wenn der eine oder andere unter uns es so sieht. Deutschland ist heute Heimat für viele Menschen aus anderen Kulturen und Gegenden. Wir sollten uns deshalb mit den Menschen hier identifizieren und nicht immer wieder die Interessen zionistischer und chauvinistischer Israelis vertreten. Solidarität mit Israel ist durchaus verständlich, aber nicht Treue bis in den Tod, den eigenen Tod und der Aufgabe der eigenen Identität.

Der Zentralrat könnte seine Macht und seine Bedeutung für eine Annäherung der Konfliktparteien einsetzen und nicht einseitig Partei ergreifen. Ich glaube nicht an blinde Treue, womöglich noch bis in den Tod. Blinde Treue, auch zu seinem Volk, ist eine böse Krankheit, die zu Totalitarismus führt, die den Nazismus, totalitären Kommunismus und Faschismus ermöglicht hat. Ich glaube an die Pflicht des Einzelnen, für seine Überzeugung zu kämpfen, wenn es sein muss, gegen eine ganze Herde von verblendeten Zionisten und deren philosemitische Lautsprecher. Ich bewundere Menschen, die das getan haben, ob Juden wie Jeshajahu Leibowitz oder Nichtjuden wie Carl von Ossietzky.

Josef Schuster ist Jude und glaubt, dass er sich deshalb mit allen Juden und besonders mit den Juden in Israel solidarisieren muss, koste es, was es wolle. Hanna Arendt hat uns aber schon erklärt, dass Identität nicht alles ist, es gibt auch die individuelle Schuld und Verantwortung und in dem Maße, wie wir dem jüdischen Kollektiv angehören, so befreit uns das nicht vor einer moralischen Verantwortung gegenüber denjenigen, die nicht zu diesem Kollektiv gehören. Ronald S. Lauder, der Präsident des jüdischen Weltkongress, der Präsident der Präsidenten, also auch der Präsident von Josef Schuster, schrieb unlängst im Spiegel: „Nicht nur als jüdischer Funktionär, sondern auch als Bürger dieser Welt kann ich nicht schweigen.“ Zum Nahost-Konflikt hat er freilich nichts gesagt. Da schweigt er immer noch. Josef Schuster sollte aber nicht schweigen und die Bundesregierung zwingen, Israelis und Palästinenser nach Deutschland einzuladen und hier gemeinsam über Krieg und Frieden nachzudenken. Hier können sie studieren, was der Krieg aus Deutschland und Europa gemacht hat und was der Frieden Deutschland und Europa gebracht hat.

Es reicht für Josef Schuster, wenn er als Bürger Deutschlands in Würde und Stolz Israel ermahnt und ermutigt, den Weg des Friedens zu gehen. Was soll sonst aus einem Konflikt werden, bei dem die Verantwortlichen schweigen und das Reden glühenden Zionisten überlassen. Josef Schuster hat die Chance als Vermittler aufzutreten. Er kann aber auch schweigen. Dann wird man sagen: Der Schuster blieb bei seinem  Leisten.

Ein Gedanke zu „Josef Schuster – spring über Deinen Schatten

  1. Danke für den Beitrag.
    Als relativer Neueinsteiger dieser online-Zeitung würde ich mir mal eine Übersicht/Liste wünschen über die von Ihnen erwähnten Völkerrechtsverletzungen, seid der Gründung; ebeso die Beschlüsse die Israel nicht umsetzt.
    Man steht staunend vor der Tatsache, dass dies alles möglich ist, ohne von der Welt umfassender gerügt zu werden. Außer Ihrer Initiative und ein paar weitere Einzelnamen ist mir nichts bekannt.
    Was ist das? Was, Was? Welches psychologische Fehlleistung steckt dahinter. O.k. wenn wir Deutschland wegen seiner Vergangenheit einen gewissen Bonus an Distanz einräumen – wäre auch nicht wirklich richtig – aber wo ist die ünrige Welt? Kann man wirklich erlittenes Leid nur damit kompensieren, in dem man ein anderews Volk runiniert? Wie soll man das seinen Schülern vermitteln.

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