Lächerliche Debatte in der UNO

Immer wieder hört man von israelischen Politiker und israelischen Diplomaten, aber auch von Vertretern der jüdischen Gemeinden, dass die Kritik an Israel und Demonstrationen gegen Israel dann zunehmen, wenn Israel massiv und ungerecht gegen Palästinenser in den besetzten Gebieten und in Gaza vorgeht. So war es im Winter 2008/2009 und so war es auch im Sommer 2014. Dennoch wagt es der Leiter der Abteilung im israelischen Außenministerium, die für die Bekämpfung des Antisemitismus zuständig ist, Gideon Bachar, zu behaupten, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Politik Israels und dem Anwachsen des Antisemitismus gibt. Er behauptet, dass die OSZE schon vor zehn Jahren „eindeutig“ festgestellt hat, dass es einen solchen Zusammenhang nicht gibt. Dabei zeigen alle Studien, die in jüngster Zeit erschienen sind, dass das Anwachsen des Antisemitismus nur eine Fiktion ist und in Wahrheit die Zahl sinkt und nicht steigt. Natürlich bringt er Ungarn als Beispiel. Aber Ungarn ist eine Ausnahme im OSZE Verbund. In Ungarn wächst nicht nur der Antisemitismus, sondern die antidemokratische Gesellschaft, und es leiden darunter nicht nur Juden, sondern alle Demokraten und liberalen Bürger. 

Bachar behauptet, dass „Hass auf Juden wie Ebola ist“. Die Ebola-Epidemie hat sich zwar schnell verbreitet, aber sie wird auch schnell verdrängt. Der Judenhass hat sich nicht so schnell verbreitet, er hat hunderte von Jahre gebraucht bis er seinen Höhenpunkt erreicht und überschritten hat. Es steht außer Zweifel, dass der Zweite Weltkrieg eine Zäsur darstellt, und es ist in den Jahren nach dem Krieg immer schwieriger geworden, Antisemit zu sein und es offen zu bekennen. Der französisch-jüdische Philosoph Bernard-Henri Lévy sagte in seiner Ansprache vor der UNO Ende Januar 2015, dass man nach 1945 die alten antisemitischen Beschuldigungen nicht mehr sagen konnte und sich der Antisemitismus deshalb andere Rechtfertigungen gesucht habe.

Mir scheint es, dass der Antisemitismus ein Teil von der größeren Epidemie ist, die man Rassismus und Nationalismus nennt. Antisemitismus wächst nur dort, wo auch der Nationalismus wächst, und es ist nur eine Manifestation von vielen Gesichtern dieser Allerweltskrankheit, die auch Juden befallen kann in Form von Zionismus. Der oben erwähnte Lévy behaupte in seiner Rede auch, dass Antisemitismus nichts zu tun hätte mit Rassismus, was meiner Meinung nach eine törichte, falsche Behauptung ist. Er meint, dass Antisemitismus sich gegen das „Unsichtbare“  wendet, während man Rassismus mit eigenen Augen sieht, weil der Rassist die Hautfarbe des von ihm verachteten und gehassten Schwarzen sieht. Das ist aber genauso falsch wie absurd. Dem Schwarzen sind die Gründe des Rassisten genauso egal wie dem Juden die Gründe des Antisemiten. Auf die Wirkung kommt es an und die ist für Schwarze und Juden, Homosexuelle und Muslime gleich. Die Judenfeindlichkeit, so Lévy, ruhe auf drei Pfeilern: dem Antisemitismus (!), der Leugnung des Holocaust sowie dem dummen Spiel des vergleichenden Leidens, das Juden vorwirft, das historische Unrecht, das ihnen geschehen ist, und das Andenken an ihre Toten skrupellos für Machtinteressen auszunutzen.

„Der Antisemitismus“, sagte Lévy, „ist so etwas wie die vorderste Frontlinie im Kampf um die Menschlichkeit“. Mit vorderster Frontlinie hat der Zionismus so seine Erfahrung. Auch Theodor Herzl, der Gründer des politischen Zionismus, meinte: „Für Europa werden wir dort ein Stück des Walls gegen Asien bilden, wie den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“

Wenn aber Antisemitismus pure Judenfeindlichkeit ist, dann kann doch der Antisemitismus nicht auf den Antisemitismus beziehungsweise die Judenfeindlichkeit auf Judenfeindlichkeit ruhen. Und fast ausnahmslos alle, die man als Antisemiten bloßgestellt hat, Jakob Augstein, Günter Grass, Rupert Neudeck und alle anderen, sind weit davon entfernt, den Holocaust zu leugnen. Bleibt also die dritte Säule, dass die Juden skrupellos ihre Toten für Machtinteressen ausnutzen. Da hat Bernard-Henry Lévy freilich Recht, aber es sind nicht „die Juden“, sondern die Zionisten in Israel, die das tun. Der Holocaust ist ein Machtinstrument geworden und es wird von Leuten wie Benjamin Netanjahu, Shimon Peres und andere schamlos benutzt.

Die fast unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefundene Debatte in der UNO hat aber ihr Gutes. Sie hat  zwei Sachen eindrucksvoll bewiesen: erstens, dass die Mächtigen der Welt sich für diese Thematik zurecht nicht besonders interessieren, denn, wie die Jüdische-Allgemeine-Zeitung richtig festgestellt hat, „keine Staatsoberhäupter anwesend waren und zweitens, dass es gar nicht um Antisemitismus ging, zumindest bei der Rede des Hauptredners Bernard-Henry Lévy, sondern einzig und allein wie immer, um Israel. Die Bekämpfung des Antisemitismus sieht Lévy „nur in einer kompromisslosen Anerkennung der Grenzen Israels von 1948“. 1948? Will Lévy die totale „Endlösung“ des Palästinakonflikts durch eine totale Vertreibung aller Palästinenser aus ihrem ehemaligen Land Palästina? Die Palästinenser hat Lévy übrigens in seiner halbstündigen Rede mit keinem Wort erwähnt, es sei denn in dem Satz: „Nur wer die Erinnerung an den Holocaust lebendig halte, habe auch das nötige Mitgefühl für das Leiden in Burundi, Ruanda, im Kongo oder auch in…Palästina“. Zynischer hätte er es nicht sagen können.

2 Gedanken zu „Lächerliche Debatte in der UNO

  1. „In Ungarn wächst nicht nur der Antisemitismus, sondern die antidemokratische Gesellschaft, und es leiden darunter nicht nur Juden, sondern alle Demokraten und liberalen Bürger. “
    Ich habe teilweise ungarische Vorfahren. Und, ganz ehrlich: Irgendwie schäme ich mich dafür heute. Wie die Roma und Sinti in Ungarn (und in Rumänien) leben müssen ist unter aller Sau. Mir tut es ohnehin bitter leid, wie die in ganz Europa heute noch verachtet werden und auch hier in Deutschland ihre Identität verstecken müssen um einen Job zu bekommen.

    „Auch Theodor Herzl, der Gründer des politischen Zionismus, meinte: „Für Europa werden wir dort ein Stück des Walls gegen Asien bilden, wie den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.““
    *Ironie on* Nein, das ist nicht rassistisch! Nein, überhaupt nicht!

  2. Sehr geehrter Herr Melzer,

    die Grenze von 1948 ist doch die sog. „Grüne Linie“ des Waffenstillstands, also ohne die seitherigen Besetzungen und Annexionen? Impliziert Ihre Äußerung, dass Israel sich mit dem ursprünglich von der UNO vorgelegten Teilungsplan begnügen sollte?
    Für eine Klarstellung wäre ich dankbar.
    Mit freundlichen Grüßen
    Rolf Eckart, München

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