Merkel erwache! Israel vor Gericht. Essays eines antizionistischen Juden

von Ludwig Watzal

Melzer_MerkelDie Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse war Israel Gastland. Bei dem ganzen Tamtam gerät leicht in Vergessenheit, dass hier ein Besatzerstaat bejubelt wird, der seit 48 Jahren einem anderen Volk die Freiheit und die Existenzgrundlage entzieht und es einem rassistischen Besatzungsregime unterworfen hat.

Organisiert wurde dieser Event von der israelischen Botschaft und Bertelsmann! In zwei Jahren wird des 50. Jahrestages der israelischen Besatzung Palästinas gedacht. Wird es dann auch ein so gut organisiertes und orchestriertes Tamtam à la Leipziger Buchmesse geben? Vielleicht dann anlässlich der Frankfurter Buchmesse?

In den Staatsmedien wurden auf der Buchmesse die üblichen Autoren und Schriftsteller bejubelt, die die grausame Besatzung feuilletonistisch relativieren und das bilaterale Verhältnis traktieren. Von Büchern, die tatsächlich relevant sind und sich mit der brutalen Realität vor Ort, der zionistischen rassistischen Ideologie und den israelischen Besatzungsverbrechen auseinandersetzen, hört man in den Verlautbarungen jedoch nichts. Dazu gehören u. a. „Die Hölle von Gaza“ (Leika Verlag), „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung (ProMedia Verlag) und „Merkel erwache! Israel vor Gericht“ (Zambon Verlag).

Abraham Melzer, Chefredakteur der Online-Zeitschrift „Der Semit“, hat einen besonders provokanten Buchtitel mit „Merkel erwache!“ gewählt, der zwangsläufig Assoziationen zu „Deutschland erwache“ weckt; auch der Untertitel „Essays eines antizionisitischen Juden“ lässt Unkonventionelles über Israel erwarten. In seinem Vorwort hat der israelische Historiker Moshe Zuckermann diese Assoziation ins rechte Licht gerückt.

„Wenn die Beziehung Deutschlands zu Israel (und Israels zu Deutschland) letztlich durch die nazistische Vergangenheit Deutschlands kodiert ist, diese Vergangenheit aber mittlerweile zur schändlichst fetischisierten Ideologie geronnen ist, so kann man sich dieser verfestigten Kodierung einzig durch Umwendung des Kodierten aus sich heraus entwinden. Nur so lässt sich die Aufhebung dessen, was sich ideologisch zur falschen Handlungsgrundlage verhärtet hat, bewerkstelligen. Die Ironie des Titels mag dies leisten.“

Ob die zionistische Lobby sich über Melzer hermachen wird, ist nicht zu erwarten. Viel eher ist zu erwarten, dass ihr perfider und polemischer Mienenhund und dessen antideutschen Wasserträger und Wadenbeißer ihm „jüdischen Antisemitismus“ oder „jüdischen Selbsthass“ vorwerfen werden. Aber solchen Blödsinn dürfte den Autor ebenso wenig beeindrucken, wie es den Mond kalt lässt, wenn ihn eine Hund anbellt. Dass sich aber immer mehr Deutsche von den Drohgebärden der zionistischen Lobby einschüchtern lassen, lässt für die Meinungsfreiheit in Deutschland nicht Gutes erwarten.

Der Autor geht mit der Haltung der Bundeskanzlerin und deren Aussage, dass die Sicherheit Israel zur deutschen Staatsräson gehöre, hart ins Gericht. So behaupte sie, dass „einseitige Schritte dem Friedensprozess“ schadeten. Wer dies behaupte, so Melzer, handel nach derselben Logik, die behauptet, „dass Arbeit frei mache“.“Der Zynismus und die Häme mit denen die Israelis und die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bestrebungen der Palästinenser nach Anerkennung und Beachtung beantworten, sind mindestens genauso widerlich und unmoralisch wie der Zynismus der Nazis.“

In Bezug auf die Haltung der Kanzlerin redet Melzer Tacheles und weist auf die doppelten Standards hin, die Grundlage ihrer Politik sind. „Wie lange sollen wir noch diese Heuchelei ertragen“, fragt der Autor. „Russlands Vorgehen auf der Krim ist nicht akzeptabel, sagt Merkel und fügt hinzu, dass territoriale Integrität ein unverzichtbarer Teil der europäischen Nachkriegsordnung sei. Was ist aber mit der territorialen Integrität Palästinas? Warum schweigt sie zum israelischen Landraub, während sie die Russen kritisiert?“ Gehört die Freiheit und die Würde der Palästinenser nicht zur „deutschen Staatsräson“, sondern nur die der israelischen Besatzer?

Das Buch enthält eine große Anzahl von Essays, die der Autor zwischen 2010 und 2014 verfasst und teilweise in der Zeitschrift „Der Semit“ veröffentlicht hat. Sie zeugen alle von großem Mut und sind von einer Gradlinigkeit geprägt, die man in Deutschland in Bezug auf Israelkritik selten antrifft. Angst, politisches Duckmäusertum und mangelnde Zivilcourage in Bezug auf das völkerrechtswidrige Verhalten der israelischen Regierungspolitik sind allerorten anzutreffen. Selbst die Repräsentanten, die sich anmaßen, im Sinne der Palästinenser zu sprechen, erscheinen oft wie weichgespülte Zionisten, die der palästinensischen Sache mehr schaden als nützen.

Melzer weist den Vorwurf des „Antisemitismus“ in Bezug auf die Kritik der israelischen Regierungspolitik zurück. „Früher war ein Antisemit derjenige, der Juden hasste. Heute ist ein Antisemit eher derjenige, den die Juden nicht mögen.“ Antisemitismus habe heutzutage nicht mehr viel mit dem wirklichen Antisemitismus zu tun. „Man muss kein Antisemit sein, um als solcher von Berufszionisten und Berufsjuden in die Pfanne gehauen zu werden.“

Für den Autor ist Antisemitismus eine Form des Rassismus. „Antisemitismus bedeutet, Juden zu hassen und töten zu wollen, nur weil sie Juden sind.“ Folglich stelle Kritik an der Besatzungspolitik Israels keinen Antisemitismus dar. Ein Kampf für Gerechtigkeit und das Anprangern von Ungerechtigkeit könne nicht antisemitisch sein. Gleichwohl werden diese Kritiker von Zionisten, den so genannten Freunden Israels oder den unzähligen „Philosemiten“, die selbst von Berufszionisten als „verkappte Antisemiten“ eingestuft werden, als „Feinde des jüdischen Volkes“ dargestellt.

„Jedoch ist nicht die Kritik an Israel antisemitisch, sondern die Politik Israels selbst ist es. Sie hat den Ruf des Judentums als einer Religion der Vernunft und der Gerechtigkeit weltweit beschädigt. Es sind Israels Politiker, die nicht nachlassen, im Namen der Juden und im Namen des Judentums zu sprechen und dann all diejenigen Juden, die das ablehnen und laut rufen: Nicht in unserem Namen, als ‚Antisemiten‘ oder als ‚jüdische Selbsthasser‘ zu diffamieren.“

In dem Buch wird auch deutlich, wie absurd die „Argumente“ der Verteidiger israelischer Politik sind. Man bedient sich des Mittels der Diffamierung Andersdenkender, weil die Unterdrückungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern jeder Ethik und Moral widerspricht, und deshalb müssen die Kritiker mundtot gemacht oder existentiell vernichtet oder marginalisiert werden. In diesen Fällen leistet die israelische Hasbara (Propaganda) ganze Arbeit. Der Autor entlarvt diese Doppelmoral und nennt die Dinge beim Namen. In einer klaren Sprache nimmt er die „Argumente“ der zionistischen Lobbyisten auseinander und zeigt, wie absurd sie sind.

Dieses Buch wirkt erfrischend, weil es den Mief, der die deutsche Nahostdebatte umgibt, lüftet und für geistige Freiheit sorgt. Die Lektüre könnte die Zivilcourage in Sachen Israelkritik stärken und die verquaste deutsche Debatte auf die Höhe der Zeit bringen. Allen an Israel und Palästina Interessierten, aber insbesondere der politischen Klasse sei das Buch empfohlen, damit auch dort wieder Mut und Zivilcourage Einzug halten und Israels Kolonialpolitik die Kritik erfährt, die ihr gebührt. Chapeau, Abi Melzer!

Merkel erwache! Israel vor Gericht. Essays eines antizionistischen Juden. Mit einem Vorwort von Moshe Zuckermann, Zambon, Frankfurt/M. 2015, 308 Seiten, € 15.

Erschienen auch hier.

3 Gedanken zu „Merkel erwache! Israel vor Gericht. Essays eines antizionistischen Juden

  1. „Dieses Buch wirkt erfrischend, weil es den Mief, der die deutsche Nahostdebatte umgibt, lüftet und für geistige Freiheit sorgt.“

    Das tut es eben nicht; es liefert, genauso wie Moshe Zuckermann oder Baruch Kimmerling, dem deutschen Michel Argumente um sein antisemitisches Weltbild weiter als Israelkritik ausgeben zu können. Und um als Antisemit erkannt und als solcher benannt zu werden, muss er sich auch nur geringe Sorgen machen, denn nun kann er auf jüdische Menschen verweisen, die seine Meinung legitimieren. Es ist dasselbe Vorgehen, wie in Argumenten a la: „Ich habe nichts gegen Auslaender, aber….“ oder „Ich habe auch Neger in der Familie und zu denen sage ich auch Neger“. Muss ich diese widerliche, weisse Deutschtuemmelei noch weiter hier ausführen? Ich glaube nicht.

    “Antisemitismus bedeutet, Juden zu hassen und töten zu wollen, nur weil sie Juden sind.”

    Richtig. Und das ist das Hauptziel der Hamas. Sicher kann man über israelische Politik streiten, aber Zugeständnisse an Terroristen machen? So tief sollte kein Israeli sinken. Ich persoenlich bin ein Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung und die israelische Siedlungspolitik, egal ob man nun Palaestinensern, die aus einer Notlage heraus, die von Israel mitverschuldet sein mag, ihr Land an Israelis verkaufen – und, nur so nebenbei bemerkt, sich der Gefahr aussetzen von einem palästinensischen Gericht zum Tode verurteilt zu werden, weil sie mit Juden Handel getrieben haben – oder ob radikale Zionisten einfach irgendwo etwas hinbauen, muss vom israelischen Staat unterbunden oder zumindest nicht unterstützt werden; darauf können wir uns einigen, aber von einer Integrität Palästinas zu sprechen, ist eben nicht korrekt, da es sich dabei um ein Zugeständnis des israelischen Staates handelt, dass Palästinenser diese Gebiete nunmal autonom verwalten dürfen. Wir haben als kein Palästina, das gleichsam der Ukraine, ein eigenständiger souveräner Staat wäre, weshalb Frau Merkels Äusserung nicht falsch ist und nichts verschweigt. Man sollte auch bei aller Israelkritik wohl nicht vergessen, dass israel der wichtigste finanzielle und materielle Unterstützer der Autonomiegebiete ist. Und während ich die Unterstellung des Selbsthasses oder Antisemitismus gegenüber einem juedischen Israeli, nur weil er eine Meinung vertritt, die ich persönlich nicht teile, für übertrieben halte, ohne diesen Menschen persönlich zu kennen, finde ich diese dennoch fragwürdig; fragwürdig, weil sie lediglich die Fehler Israels betont (jedenfalls suggeriert es der Artikel), während man muslimischen Antisemitismus, den es nunmal gibt, sowie die islamistische Politik der Hamas, für die eben dieser Antisemitismus eine zentrale Rolle spielt, völlig ausklammert.

    Diese Ansätze sind n der Tat weder neu noch innovativ, sondern das, was wir bereits von Judith Buttler, Noam Chomsky und jedem bauchlinken Antiimperialisten kennen. Ich sehe jedenfalls schwarz für eine Zwei-Staaten-Loesung, solange Gaza von der Hamas regiert wird. Und wenn Israel hier und jetzt nachgeben würde, würden wir wieder in den Zustand des unberechnbaren Terrors in Israel zurückkehren. Wollen wir das wirklich?

    • „Antisemitismus bedeutet, Juden zu hassen und töten zu wollen, nur weil sie Juden sind.”
      Richtig. Und das ist das Hauptziel der Hamas. Sicher kann man über israelische Politik streiten, aber Zugeständnisse an Terroristen machen? So tief sollte kein Israeli sinken.

      So einen Unsinn, abgesehen von dem, was noch folgt, kann nur ein blinder Stummer schreiben, der dazu noch taub ist. Die Hamas hat alle rechtlichen und moralischen Gründe der Welt gegen Israel zu sein. Sie muss gar nicht antisemitisch sein und ist es auch nicht. Sie ist nationalistisch, was ihr gutes Recht ist, zumal die Israelis noch vielfach nationalistischer sind.

      Auch die Israelis waren einst Terroristen. Begin wurde per Steckbrief als Top-Terrorist gesucht und Shamir ebenso. In dem Augenblick wo die Palästinenser ihren Staat bekommen werden, und eines Tages, früher oder später, werden sie ihn bekommen, wird auch die Hamas keine terroristische Partei mehr sein, zumal sie für die EU durch ein Urteil des EGH schon seit geraumer Zeit keine terroristische Organisation mehr ist.

      Dieser Unsinn spuckt nur noch in den Köpfen von Ewiggestrigen wie dieser Simon.

      Gottseidank denken nicht alle Israelis so (wobei ich sicher bin, dass Simon kein Israeli ist) und es gibt viele, die durchaus bereit sind so tief zu sinken.

      Abraham Melzer

  2. Als „deutscher Michel“ danke ich ihnen sehr für ihr radikales Engagement im Sinne der Aufklärung.
    Gewiss wird ihr von B & B u.a. untrüglich diagnostiziert werdender „jüdischer Selbsthass“ meiner „weißen Deutschtümelei“ legitimierender „Balsam“ sein, so dass mein „latenter Antisemitismus“ sich um so freier gegen Israel wenden kann!
    Tertium non datur.
    Axel

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