Der Zionismus ist das Problem

ProMosaik-Interview mit Abraham Melzer

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie erklärt man den Deutschen am besten den Unterschied zwischen Israelkritik, Antisemitismus und Antizionismus?

Herr Abraham Melzer:

Nun, zunächst einmal möchte ich den Begriff „Israelkritik“ aus dieser Frage herausnehmen. Kritik ist immer erlaubt, ob an Israel oder an Deutschland. Sie sollte sachlich sein und nicht übertreiben. Falsche Kritik gibt es nicht. Jeder kritisiert von seinem Standpunkt aus.

Bleibt also Antisemitismus und Antizionismus: Der Unterschied ist leicht zu erklären. Antisemitismus bedeutet Hass gegen Menschen nur weil sie Juden sind. Natürlich müssen wir das ablehnen. Das ist purer Rassismus, wie gegen Schwarze, nur weil sie schwarz sind oder Schwule, nur weil sie schwul sind und die Liste könnte man endlos fortführen. Dagegen bin ich und dagegen sollte jeder Mensch sein.

Antizionismus ist aber etwas ganz anderes. Es ist eine Kritik an einer Ideologie, die kolonialistisch, nationalistisch ist und gegen die man durchaus sein kann. Man sie mögen aber man kann sie auch verachten. Wie jede andere Ideologie, Kommunismus, Faschismus, Imperialismus, Kapitalismus und viele andere Ismen, kann man dafür sein und man kann dagegen sein und jeder Seite hat ihre Argumente, die die andere Seite nicht mag. Es ist aber perfide den Antizionismus als Antisemitismus zu bezeichnen, um so einer Diskussion über den Zionismus zu vermeiden. 

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie kann man die Manipulierung des Holocausts bekämpfen, um unbelastet an der friedlichen Lösung der Palästinafrage zu arbeiten?

Herr Abraham Melzer:

Man kann die Manipulierung durch den Holocaust bekämpfen nur dadurch, dass man sie ignoriert und nicht zur Kenntnis nimmt und als Manipulierung erkennt. Zwar ist der Holocaust entscheidend an der Misere schuldig, denn ohne Holocaust hätte es den Staat Israel kaum gegeben. Aber die Israelis bringen den Holocaust immer wieder in die Debatte als Begründung dafür, dass nur Israel sie vor einem neuen Holocaust retten kann, was meiner Meinung nach absolut absurd ist.

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie wichtig sind für Sie die antizionistischen Juden in und außerhalb Israels zwecks Lösung der Palästinafrage und warum?

Herr Abraham Melzer:

Eine schwierige Frage. Die Palästinafrage wird nicht durch antizionistischen Juden gelöst werden, sondern durch eine andere Politik des Staates Israel und dazu muss nicht Anti Zionist sein, sondern nur einen gesunden Menschenverstand haben, einen Sinn für Gerechtigkeit, ein wenig klug sein und die wichtigste Lehre des Judentums akzeptieren: Tue deinen Nächsten nicht das an, was du nicht willst, dass man es dir antut. Wir, antizionistischen Juden in Israel und außerhalb wollen die Israelis nur immer wieder daran erinnern, dass zur Politik auch Moral und Ethik gehören.

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Wie würden Sie die Zielsetzung von „Der Semit“ und seine historische Kontinuität unseren Leserinnen und Lesern am besten erklären?

Herr Abraham Melzer:

Unsere Zielsetzung war immer über die Ungerechtigkeiten in der israelischen Politik informieren, um dadurch zu helfen, dass auch hier bei uns Druck auf Israel entsteht, seine Politik zu ändern. Wir haben auch unsere Politik, besonders die Kanzlerin, immer wieder wegen ihrer pro israelischen Politik kritisiert. Wir haben aber auch innerjüdische Fragen aufgegriffen und diskutiert, den Zentralrat der Juden wegen seiner verlogenen Politik angegriffen und gefordert, dass er endlich der Zentralrat der deutschen Juden wird und nicht der Juden in Deutschland. Denn solange wir „Juden in Deutschland“ sind, sind wir hier Fremde und als solcher fühle ich mich nicht.

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Was muss sich in Israel heute dringend ändern und warum?

Herr Abraham Melzer:

Heute, nach den Wahlen, könnte man mit den Worten des bekannten israelischen Journalisten Gideon Levy antworten: Israel braucht ein neues Volk und keine neue Regierung. Es blieb aber bei der alten Regierung bzw. Regierungspräsidenten und es bleibt auch beim alten Volk. In Israel muss sich dringend alles ändern, weil wenn sich nichts ändert, Israel früher oder später untergehen wird.  Die Debatte um einen Staat oder zwei Staaten ist ja schon längst entschieden und sie wird nur proforma geführt. Längst hat Israel allein entschieden und zwar für einen Staat. Und dieser Staat existiert schon etliche Jahre, denn die palästinensische Autonomiebehörde ist nur eine Illusion, die gebraucht wird als Feigenblatt für die gewaltsame Politik Israels. Netanjahu hat am Tag der Wahlen klar und deutlich gesagt, dass es mit ihm keinen palästinensischen Staat geben wird, und er meint es genauso wie er es gesagt hat. Er hat es schon immer so gemeint, nur aus diplomatischen Gründen nicht gesagt. Ändern wird sich nur dann etwas, wenn die Palästinenser sich erheben und sich die Unterdrückung durch die Israelis nicht mehr gefallen lassen werden.

Die Israelis müssen einsehen, dass sie den Palästinensern Unrecht getan haben, sie müssen sie um Vergebung bitten und mit ihnen endlich ehrlich, fair und korrekt verhandeln. Aber davon sind sie leider noch weit entfernt. Erst wenn auch sie anfangen werden zu leiden, werden sie sich vielleicht ändern. Vielleicht.

Dr. phil. Milena Rampoldi:

Welche Grundlage sehen Sie für einen gesunden interreligiösen und interkulturellen Dialog zwischen Muslime und Juden jenseits des Zionismus?

Herr Abraham Melzer:

Jenseits des Zionismus gab und gibt es jede Menge an Beziehungen zwischen Judentum und Islam. Der Zionismus hat alle Brücken zerstört. Der sogenannte Judenhass in der arabischen Welt ist eine Lüge, die der Zionismus erfunden hat, um erstens die Juden aus den arabischen Ländern, wo sie relativ gut gelebt haben, auf jeden Fall besser und friedlicher als in der christlichen Welt, nach Israel zu treiben und zweitens, um den Anspruch Israels auf Palästina zu rechtfertigen.

Zwischen Juden und Muslime hat es Jahrhundertelang gute und fruchtbare Beziehungen gegeben. Mehr als fünfhundert Jahre lebten sie friedlich miteinander in Andalusien, wo sie unter den herrschenden Mauern, Arabern, Minister und sogar Feldherren waren. Sie lebten Jahrhundertelang friedlich im Osmanischen Reich, wohin sie geflohen sind, als sie aus Spanien vertrieben wurden. Sie lebten Jahrhundertelang friedlich, erfolgreich und vollkommen integriert im Irak, wo es eine ähnliche Symbiose gab wie in Spanien und in Deutschland. Dass sie vertrieben wurden ist kein Resultat von Antisemitismus, sondern Folge des israelisch-arabischen Konflikts. Ich weiß, dass viel gegen diese Wahrheit gehetzt und gelogen wird. Aber es ist die Wahrheit und sie lässt sich nicht verleugnen.

Das Interview wurde von Frau Dr. Milena Rampoldi für ProMosaik e. V., – einem interkulturellen und interreligiösen Portal – geführt. Erstveröffentlichung hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert