Mieciu Langer – ein Nachruf

von Fanny-Michaela Reisin

Unser Ehrenmitglied Miecieu Langer ist in den Morgenstunden des 27. März 2015 im Beisein seiner Familie friedlich für immer eingeschlafen. Unsere Gedanken sind in dieser Stunde bei Felicia und Micha sowie der gesamten Familie Langer. Ein Grand Seigneur ist von uns gegangen. Der geliebte Lebensgefährte von Felicia Langer, ihr standhafter Mitstreiter in allen politischen Kämpfen für eine gerechte Welt, ohne Krieg und Unterdrückung, war uns allen so vertraut. Mieciu zu begegnen bedeutete immer Ermutigung, immer Optimismus und stets gemeinsames Lachen. Esprit, Zuversicht und Humor waren seine Devise. – Trotz alledem …

Geboren 1927 war Mieciu gerade 12 Jahre alt, als die deutsche Armee in seine Geburts- und Heimatstadt Krakau einmarschierte. Die Jagd auf Juden begann. Nach mehrmaligem Umzug wurde die gesamte Familie deportiert. Mieciu sollte – als einziger – fünf Konzentrationslager und grauenvolle Todesmärsche überleben. In den späteren Jahren seines Lebens wird er immer wieder sagen, wie dankbar er seinen Eltern für die „starken Genen“ sei, mit denen sie ihn ausgestatteten, damit sein Lebenswille, trotz aller Schrecken während der kostbarsten Jugendzeit zwischen 12 und 18 erhalten bleibe. 

Befreit durch die Rote Armee in Theresienstadt, wurde er in ein Waisenhaus verbracht, wo er der 17-jährigen Felicia begegnete und sich sofort „für sein Leben“ – wie er sagte – in sie verliebte. Im Jahre 1949 heirateten sie und wanderten 1950 nach Israel aus, um dort im soeben verkündeten Jüdischen Staat ein neues Leben, ohne Antisemitismus, Ausgrenzung und Unrecht zu beginnen. In Israel wurde 1953 ihr gemeinsamer Sohn Micha geboren. Mieciu wurde Unternehmer, Felicia nahm 1959 das Studium der Rechtswissenschaft auf und eröffnete ihre Anwaltskanzlei kurz vor dem Luftangriff Israels auf Ägypten am 5. Juni 1967. Das Leben der Familie, vorgeblich ohne Ausgrenzung und Unrecht, fand rasch ein Ende. Israel wurde zur Besatzungsmacht über das Westjordanland einschließlich Ostjerusalem, über die Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen und die Golanhöhen. Felicia wurde Menschenrechtsanwältin, die – moralisch unterstützt von ihrem Mitstreiter Mieciu und ihrem kleinen Sohn Micha – israelische Kriegsdienstverweigerer und vor allem Tausende israelische Palästinenser vor Gerichten des Landes vertrat sowie als erste und lange Zeit einzige israelische Anwältin insbesondere Palästinenser aus den besetzten Gebieten vor israelischen Militärgerichten zu verteidigen suchte.

Nach 23 zermürbenden Jahren und unablässiger Ausgrenzung der gesamten Familie schloss sie ihre Kanzlei verdrossen und verzweifelt unter Protest gegen die Rechtlosigkeit der Palästinenser. Mieciu und Felicia beschlossen 1990 Israel zu verlassen und in die deutsche Universitätsstadt Tübingen zu ziehen, wo sich ihr Sohn Micha mit seiner Familie niedergelassen hatte. Für ihre anwaltliche Tätigkeit in Israel erhielt Felicia im selben Jahr den Right Livelihood Award (Alternativer Friedensnobelpreis) sowie die Ehrenbürgerschaft der palästinensischen Stadt Nazareth im Norden Israels, um schließlich 2012 vom palästinensischen Ministerpräsident Mahmoud Abbas den höchsten „Palästenensischen Orden für besondere Verdienste“ in Berlin überreicht zu bekommen.

Mieciu war stets dabei, sichtlich stolz über die Anerkennung ihrer beider Unbeirrbarkeit im Einsatz für Recht und Gerechtigkeit. Felicia betonte stets, dass alle Anerkennung, ihr gemeinsamer Verdienst und ohne Mieciu nicht denkbar sei.

In Tübingen setzten die Langers bald nach ihrer Ankunft ihre Palästinasolidarität aktiv fort. Vorträge, Veranstaltungen und Publikationen halfen auch hierzulande, das Bild vom so genannten Israel-Palästina-Konflikt zu korrigieren.

Es gereicht Tübingen zu Ehren, dass die Stadt, kaum war ihr zur Kenntnis gekommen, dass mit Mieciu Langer einer der letzten Holocaust-Überlebenden in ihrer Mitte lebte, immer wieder ihr Interesse an der Mitteilung seiner Erlebnisse so überzeugend vorzubringen verstand, dass dieser sich schließlich bereitfand, seine bis dahin eisern verteidigte Verdrängung aller Erinnerung an die schlimme Zeit der seelischen Demütigungen und Bedrängnis aufzugeben. Maßgeblich nunmehr von seiner Mitstreiterin Felicia unterstützt, begann er von seinem Leben zu berichten.

„Miecius später Bericht: eine Jugend zwischen Getto und Theresienstadt.“ wurde von Felicia Langer 1999 im Lamuv-Verlag publiziert. Seitdem folgte Mieciu unzähligen Einladungen zu Radio- und TV-Interviews, zu Porträtsendungen und Zeitungsartikeln. Vor allem aber wurde ihm die möglich gewordene Arbeit mit Schülern und Schülerinnen zur regelrecht wichtigsten politischen Aufgabe.

Längst gezeichnet von schwerer Krankheit – buchstäblich bis zu den letzten Lebenswochen – ließ sich Mieciu Langer nicht davon abhalten, den – nach wie vor vielen – Einladungen von Schulen zu folgen und der jungen Generationen anhand der eigenen Lebenserfahrungen das „Nie wieder Faschismus und Krieg“ nahe zu bringen. Diese Aufklärungsarbeit gerade an Schulen war dem inzwischen 87-Jährigen in Deutschland zum Herzensanliegen geworden. Fast hat es den Anschein als hätten ihm die Jungen und Mädchen der Gegenwart ein Stück seiner verlorenen Kindheit und Jugend zurückzugeben vermocht. Bewegt berichtete er mir immer wieder, wie konzentriert und leidenschaftlich die Klassen Anteil nahmen.

Für dieses Engagement wurde Mieciu Langer vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf dem Neujahrsempfang 2014 feierlich mit der „Bürgermedaille der Universitätsstadt Tübingen“ geehrt.

Mieciu hatte – daran ließ er nie einen Zweifel aufkommen – gemeinsam mit Felicia und ihrer hingebungsvollen, inzwischen mit Enkeln und Urenkeln groß gewordenen Familie, ein erfülltes Leben.

Wir werden Mieciu schmerzlich vermissen. Wir werden seiner menschlichen Größe immer in Ehren gedenken.

Berlin, 29. März 2015

Fanny-Michaela Reisin, Mitglied des Vorstands „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert