Antisemitismus ist schlimm, abzulehnen und zu verurteilen. Aber wir Juden haben gelernt, uns damit auseinanderzusetzen und uns zu verteidigen. Viel schlimmer, perfider und widerlicher ist die Antisemitismus-Hysterie, wenn jeder, der es auch nur wagt, Israels Politik zu kritisieren, gleich als ein Antisemit diffamiert und verleumdet wird. Kein wirklicher Antisemitismus könnte nachhaltigeren Schaden anrichten wie ein hysterischer Verdächtigungseifer, der hinter jedem israelkritischen Wort einen verkappten Antisemiten wittert.
Seit Monaten sind die Zeitungen, von der BILD bis zur ZEIT, voll mit obskuren und lächerlichen Berichten, in denen Blinde uns Bilder von Chagall oder Picasso erklären wollen oder wenn Menschen, die an Anosmie oder Hyposmie, an kompletten oder teilweisen Geschmackverlust, leiden, uns beschreiben wollen, wie ein köstliches Mahl geschmeckt hat. So ungefähr wirken die naiven und absurden Berichte, wie neulich in der Süddeutschen Zeitung. Notruf nannten die Autoren Verena Mayer und Thorsten Schmitz ihren Beitrag und damit hatten sie vollkommen recht. Es war ein Notruf für alldiejenigen, die noch bei Verstand sind und sich von dieser üblen und perfiden Propaganda nicht verführen lassen.
Beide Autoren kommen zu einem deprimierenden Fazit: Viele Juden fühlen sich in Deutschland nicht sicher. Viele Juden? Wie viele denn? Es leben in Deutschland nach diversen Schätzungen ca. 200 000 Juden, von denen etwas mehr als 100 000 auch Mitglieder einer jüdischen Gemeinde sind. Die Mehrheit sind Kontingentflüchtlinge aus der Sowjetunion, die zum Teil über Israel, wo sie nicht bleiben wollten, nach Deutschland gekommen sind. Wie viele von den 200 000 Juden haben die Autoren der SZ befragt?
Ich und all meine jüdischen Freunde fühlen uns in Deutschland ganz und gar nicht unsicher. Jedenfalls sicherer als in Israel. Das unsägliche und gefährliche Gerede von „Unsicherheit“ stammt vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der besser Internist geblieben wäre, als ein solch wichtiges Amt zu übernehmen. Da kann man wirklich sagen: Schuster bleib bei deinem Leisten. Mit solchen Aussagen, die, wie offensichtlich bewiesen, in die Presse gelangen und verbreitet werden, verunsichert Schuster in erster Linie seine sogenannten „Schutzbefohlenen“, die russischen Juden. Ich kenne keine Juden, die immer noch oder schon wieder auf „gepackten Koffern“ sitzen und auch keine, die nach den Koffern suchen.
Schusters Amtszeit läuft im November aus, aber, oh Schreck, man hört, dass er nichts dagegen hätte, wiedergewählt zu werden, also weitermachen mit der Hetze gegen Deutschland, der Verunsicherung seiner Gemeinde und vor allem, dem blinden Gehorsam gegenüber der israelischen Politik.
Josef Schuster redet präzise und klar wie ein Internist: „Dass der Antisemitismus in dieser Form zunimmt, hätte ich mir nicht träumen lassen.“ Man kann da nur hoffen, dass er seine Operationen nicht mit einer solchen Unklarheit und Lüge durchführt. Dabei beruft er sich auf den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, der aber zu einer ganz anderen Erkenntnis gekommen ist.
1453 antisemitische Delikte, darunter 32 Gewalttaten, hat die Polizei 2017 registriert. Was für Delikte und um welche Gewalttaten es sich handelt, wird nicht erläutert. Es können aber keine Tötungsdelikte sein, denn davon ist mir nichts bekannt. 15 Jahre zuvor waren es noch 1700 Straftaten. Dennoch kommen Schuster und die im Rechnen schwachen Journalisten der SZ zum Fazit, dass es keinen Rückgang gibt. „Ganz und gar nicht“ heißt es bei ihnen. 247 Delikte weniger, ist für sie „ganz und gar nicht“, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Zeitung mit den vier Buchstaben, die BILD, hat die SZ noch übertroffen, indem sie auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 9. September 2017 in fetten Buchstaben schrieb: „Immer mehr antisemitische Delikte.“ Allerdings hat die BILD noch hinzugefügt, dass es sich hauptsächlich um „antiisraelische“ Delikte handelt, was immer das auch sein mag. Offensichtlich fällt eine Demonstration gegen einen israelischen Angriff auf Gaza schon in die Kategorie „antisemitische Delikte“. Und wenn irgendjemand den Namen Netanjahu falsch schreibt, dann ist er schon ein Antisemit und landet in der ominösen Statistik.
Zur Hetze von Josef Schuster gegen Migranten, die den Antisemitismus angeblich nach Deutschland bringen, schreibt die BILD: „Zu den Taten konnten insgesamt 339 Tatverdächtigte ermittelt werden, davon waren 312 Deutsche.“ Es waren also 27 „Nichtdeutsche“ unter den Tatverdächtigten. Wäre nicht jetzt spätestens der Zeitpunkt gekommen, an dem sich Josef Schuster bei der moslemischen Gemeinde in Deutschland entschuldigen müsste?
Die philosemitischen Autoren behaupten, dass „Antisemitismus jetzt in Deutschland Alltag ist“. Ich lebe als Jude in Deutschland und konnte bisher nicht feststellen, dass Antisemitismus Alltag ist. Und auch andere Juden bestätigen mir, dass sie keinen Antisemitismus im Alltag begegnen, eher einen Antisemitismus-Vorwurf, weil sie sich von dieser ganzen Antisemitismus-Hysterie distanzieren.
Ich halte solche Aussagen, zumal sie die statistischen Zahlen widersprechen, als unnötige Hetze und unverantwortlich gegenüber der Bevölkerung. Und wenn ich bisher keine Angst hatte, als Jude in Deutschland zu leben, so merke ich, wie sich die Angst langsam und leise einschleicht, wenn ich lese, dass Josef Schuster einen Rassisten wie Volker Beck als Antisemitismusbeauftragten vorschlägt, denn seit Jahren setzt sich dieser Philosemit für die Belange von Juden in Deutschland ein. Da fällt mir nur noch ein, dass Philosemiten eigentlich auch Antisemiten sind, wie im altchinesischen Zeichen Yin und Yang zu sehen ist. Yin und Yang sind sich absolut ähnlich und sogar gleich. Und als Jude denke ich auch an den klugen jüdischen Spruch: „Gott schütze mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden kann ich mich selbst schützen.“ Ein Antisemitismusbeauftragter Volker Beck wäre der Bock, den man zum Gärtner macht. Volker Beck wird von den Autoren viel Aufmerksamkeit geschenkt. „Allzu oft würden Polizei und Justiz eine antisemitische Straftat eben nicht einmal erkennen“, wird er zitiert. Mit Hilfe von Drogen sieht man da sicherlich viel besser.“
Ich kann mir schon vorstellen, wie es werden wird, wenn dieser „Antisemitenmacher“ zum Jäger wird und das „Judenreferat“ leitet. Leute wie Rolf Verleger, Judith Bernstein und ich werden noch weniger Möglichkeiten haben aufzutreten und unsere Kritik am real existierenden Zionismus vorzubringen. Raumverbote für Kritiker der israelischen Politik werden nicht nur in München und Frankfurt vom jeweiligen Magistrat beschlossen, sondern vom Bundestag verhängt, unter Änderung oder Umgehung des Grundgesetzes. Ich möchte da noch Charlotte Knobloch als seine Stellvertreterin vorschlagen. Mit Raumverboten und Unterdrückung von kritischen Meinungen hat sie schon reichlich Erfahrung.
Ja, dann werde auch ich meinen Koffer packen und auswandern, wenn es die Berufszionisten schon nicht machen. Aber wohin?
Der „Antisemitismus“ nährte und nährt noch immer den „Zionismus“. Das Spiel mit der besonderen Angst im Judentum seit der Erfindung Amaleks ist perfide.
Kein Wunder, dass der Zentralrat der Juden darauf besteht, zum Begriff „Rassismus“ den Begriff „Antisemitismus“ beizubehalten. Würden Straftaten gegen Juden ebenso eingestuft werden wie gegenüber Angehörigen anderer Minderheiten, würde dem Zionismus nicht nur eine Hauptwurzel seines intellektuellen Daseins abgeschnitten, seine Politik in Israel käme selbst in Verdacht „rassistisch“ zu sein.
Solange die beiden Wörter, „Rassismus“ und „Antisemitismus“ nebeneinander bestehen, der „Antisemitismus“ in der Rangfolge des Abzulehnenden noch vor dem „Rassismus“ steht, bleiben Redeverbote in öffentlichen Räumen über Zionismus-Kritik Standard.
Waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Juden die größten Gegner der Zionisten, weil sie Juden zu Fremden im eigenen Land machten (Sir Edwin Samuel Montagu), so sind im 21. Jahrhundert nun Zionisten die größten Gegner jener Juden, die den Geist Sir Montagus verkörpern.
Nicht „Rassismus und Antisemitismus“ sind zu ächten, sondern allein der „Rassismus“. Eine Kategorisierung von Straftaten gegen Juden oder jüdischen Einrichtungen ist selbst rassistisch, solange nicht alle Straftaten gegenüber Minderheiten in der gleichen Weise aufgeschlüsselt und kategorisiert werden.
Ich habe den Eindruck, dass die Antisemitismus-Hysterie in Deutschland immer schlimmer wird, je völker- und menschenrechtsverachtender sich die israelische Regierungspolitik gebärdet. Woher kommt das – in einem Land, dass sich andererseits mit der Aburteilung der deutschen Täter des Holocaust noch bis ins jetzige Jahrhundert hinein immer sehr schwer getan hat? Ein Grund dafür liegt bestimmt in der deutschen Familienkultur nach dem Holocaust: wie mit den Verbrechen in der eigenen Familie umgegangen wurde. Hierzu gab es in der gestrigen Haaretz einen erhellenden Artikel, unter der Überschrift: „My Grandfather Was Executed as a WWII War Criminal. I Know Why Germany Still Has a Nazi Problem“ (https://www.haaretz.com/opinion/keep-it-in-the-family-why-germany-still-has-a-nazi-problem-1.5885989) Kerninhalt: Es waren immer die „anderen“ Deutschen, nicht unsere eigenen Familien, die die Verbrechen begangen haben. Ich sehe in der gegenwärtigen Antisemitismus-Hysterie wesentlich auch eine Fortsetzung dieses mit dem Finger auf andere zeigen, statt sich offen mit dem Anteil der eigenen Eltern / Großeltern an den Kriegsverbrechen auseinanderzusetzen. Damit die Verleugnung aufrechterhalten werden kann, muss so folgerichtig wie absurd mit dem zunehmenden Mass, in dem sich die israelische Regierung ins Unrecht setzt, auch die Antisemitismus-Hysterie wachsen.
Worin unterscheidet sich denn eine „deutsche Familienkultur“ von einer französischen, englischen, italienischen …?
Ist ein problematischer Begriff, sehe ich ein, und auf keinen Fall essentiell gemeint. Gemeint habe ich den speziellen Umgang mit der Vergangenheit in vielen Familien der deutschen Täter.
und was machen viele Familien, in denen es französische, polnische usw. Täter gab?
Sollten wir nicht besser auf nationale oder religiöse Zuschreibungen verzichten?
…haben Sie einen Vorschlag, wie ich mich anders ausdrücken kann, wenn es mir um den Umgang mit Tätern und Täterinnen in deutschen Familien geht?
Warum wollen Sie die „Täterschaft“ auf eine Nationalität begrenzen. Die politische Verantwortung lag beim deutschen Reichskanzler und -präsidenten die „Täter“ kamen aus vielen Nationen, also nicht nur aus „deutschen“ Familien.
Woraus entnehmen Sie, dass ich die Täterschaft auf eine Nationalität begrenzen wollte – da muss ich mich aber sehr mißverständlich ausgedrückt haben. Ich habe mich in meinem Beitrag auf den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in deutschen Familien begrenzt – Stichwort: „Immer waren die anderen schuld“ – damit sage ich doch nicht, dass aus anderen Nationen keine Täter kamen. Aber wo Sie gerade den Reichspräsidenten erwähnen, da habe ich ein gutes Beispiel für diesen Umgang. Als die neue Mainzer Synagoge eingeweiht wurde, wurde den Mainzer Stadtoberen der Name der Straße, an der diese liegt, peinlich, die heißt nämlich Hindenburgstraße. Und was hat man getan: Man hat das kleine Stückchen, an der die neue Synagoge liegt, in Synagogenplatz benannt. Und es beim Rest der Straße beim alten Zustand belassen – der heißt weiter nach dem Reichspräsidenten, der ein führender Wegbereiter der Herrschaft der Nationalsozialisten war.
Danke für diesen Artikel. Ich als Deutsche hätte mich nicht getraut, das zu schreiben. Und das, obwohl aller Wahrscheinlichkeit nach Teile meiner Vorfahren Juden waren …
Wir leben in verrückten Zeiten.