von Gideon Levy
Stellt Euch vor, Ihr seid die Palästinenser. Vielleicht Einwohner von Ost-Jerusalem. Siebenundvierzig schwierige Jahre liegen hinter Euch; vor Euch liegt eine große, bedrückende Dunkelheit. Die israelische Tyrannei, die Euch ein böses Schicksal bereitet, erklärt arrogant, dass alles immer so bleiben wird. Eure Stadt werde „für immer und ewig“ unter Besatzung bleiben. Der Verteidigungsminister, der zweitwichtigste Mann in der Regierung, die Euch unterdrückt, sagt, ein palästinensischer Staat werde niemals errichtet werden.
Stell Dir vor, Du bist Palästinenser und Deine Kinder sind in Gefahr. Vor zwei Tagen haben Besatzungskräfte ein anderes Kind getötet, weil es „eine Brandbombe gezündet“ hätte. Die Worte „Tod den Arabern“ sind in der Nähe Deines Hauses gesprayt. Wo Du auch hingehst, darf ein Grenzpolizist auf Dich schießen. Jede Nacht können sie in Dein Heim brutal einfallen. Du wirst niemals als menschliches Wesen behandelt. Sie werden Dich fertig machen, demütigen, einschüchtern, vielleicht sogar Dich inhaftieren, möglicherweise ohne Gerichtsverfahren.
Es gibt nahezu 500 Gefangene in Administrativhaft, eine Rekordzahl in den letzten Jahren. Wenn einer Deiner Lieben inhaftiert ist, wirst Du immer Schwierigkeiten haben, wenn Du ihn besuchen willst. Wenn Dir das gelingt, wirst Du eine halbe Stunde für ein Gespräch hinter einem Glasfenster bekommen. Wenn Dein Angehöriger in Administrativhaft ist, wirst Du nie wissen, wann er freigelassen wird. Aber das sind Kleinigkeiten, an die Du Dich bereits allzu lange gewöhnt hast.
Vielleicht hast Du Dich auch schon an den Landraub gewöhnt. Jederzeit kann ein Siedler auf Deinen Grund und Boden kommen, Deine Plantage niederbrennen oder Deine Felder in Brand setzen. Dafür wird er nicht vor Gericht kommen; die Soldaten, die Dich angeblich schützen sollen, werden tatenlos zusehen. Jeden Moment kann ein Befehl für den Abriss (Deines Hauses, Ü.) oder für eine willkürliche Zwangsräumung auftauchen. Und es gibt nichts, was Du machen kannst.
Stellt Euch vor, Ihr seid Palästinenser. Ihr könnt Gaza nicht verlassen, und es ist auch nicht leicht die Westbank zu verlassen. Der Strand, weniger als eine Autostunde von Deinem Haus in der Westbank entfernt, liegt hinter dunklen Bergen. Ein Israeli kann viel leichter nach Feuerland zwischen Argentinien und Chile reisen als Du an den Strand von Ajami.
Es gibt keine Träume, keine Wünsche. Deine Kinder haben nur eine geringe Chance im Leben etwas zu erreichen, selbst wenn sie auf die Universität gehen. Alles, was sie erwarten können, ist ein Leben in Demütigung und Arbeitslosigkeit.
Es besteht keine Chance, dass sich diese Situation jemals rasch ändern wird. Israel ist stark, es hat die USA in die Tasche gesteckt, Eure Führung ist schwach (die Palästinensische Autonomiebehörde) und isoliert (Hamas), und die Welt verliert das Interesse an Eurem Schicksal. Und was macht Ihr?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist zu akzeptieren, Ihr könnt Eingaben machen, aufgeben. Die zweite ist Widerstand zu leisten. Wer wurde mehr respektiert in der Geschichte? Jene, die ihre Tage in der Besatzung verbrachten, und mit ihr kollaborierten, oder jene, die für ihre Freiheit kämpften?
Stell Dir vor, Du bist Palästinenser. Du hast jedes Recht Widerstand zu leisten. Das ist in der Tat Eure zivile Pflicht. Da gibt es keine Diskussion. Das Recht eines besetzten Volkes gegen die Besatzung Widerstand zu leisten, ist im Naturrecht sicher gestellt, in den Moralvorstellungen der Geschichte, und im Völkerrecht.
Die einzige Einschränkung besteht für die Mittel zum Widerstand. Die Palästinenser haben fast alles davon versucht, zum Besseren oder zum Schlechteren – Verhandlungen und Terror; mit Karotte und Stock; mit Steinen und mit Bomben; mit Demonstrationen und Selbstmord. Alles vergeblich. Sollen sie verzweifeln und aufgeben? Das ist in der Geschichte nie geschehen, also werden sie weitermachen. Manchmal werden sie legitime Mittel einsetzten, manchmal schlechte. Es ist ihr Recht auf Widerstand.
Jetzt leisten sie Widerstand in Jerusalem. Sie mögen die israelische Herrschaft nicht, oder Menschen, die ihre Kinder lebendig verbrennen. Sie mögen keine bewaffneten Siedler, die mitten in der Nacht unter dem Schutz des israelischen Rechts in ihre Wohnungen eindringen und sie aus der Wohnung werfen. Sie mögen keine Stadtverwaltung, die Dienstleistungen nach nationaler Zugehörigkeit gewährt, oder Richter, die über ihre Kinder entsprechend ihrer Herkunft Urteile fällen. Sie werden verrückt, wenn das Haus eines jüdischen Terroristen nicht zerstört wird, während das Haus eines Palästinensers niedergerissen wird.
Sie möchten nicht, dass Israel sie immer weiter tyrannisiert, also leisten sie Widerstand. Sie schleudern Steine und Brandbomben. So sieht Widerstand eben aus. Manchmal handeln sie mörderisch, aber sogar das ist nicht so schlimm wie die zur Gewohnheit gewordene Gewalt ihrer Besatzer.
Es ist ihr Recht, es ist ihre Pflicht.
Übersetzung in Deutsche: K. Nebauer.
Gideon Levy hat in den 35 Jahren als Haaretz-Korrespondent alle Facetten und Untiefen erlebt die mit der israelischen Besatzung einhergehen. Nichts hält ihn ab beharrlich darüber zu berichten. Er spricht auch von der Verengung, Verhärtung und vom Unwissen der grossen Mehrheit seines eigenen Volkes. Aber EINES ist und wird nicht geschehen: Der Autor Simon A.Waldmann, in Haaretz 1.November 2017 hat Unrecht in dem was er am Ende dieses Abschnitts schreibt:
„The Balfour Declaration paved the way for the British Mandate over Palestine, which London maintained until the Jewish state of Israel was declared in May 1948, six months after the United Nations resolution in favor of partition. The Arab-Israeli war that followed claimed the lives of 1 per cent of the nascent Jewish state’s population and led to the dispersal of the Palestinian people“.
NEIN – Das palästinensische Volk ist nicht verschwunden !!! Auch wir verteidigen das Recht aller Palästinenser auf Widerstand – für ein Leben in Freiheit und Würde und unterstützen dieses Recht mit allen intelligenten Mitteln, bis eine „kritische Mehrheit“ merkt, dass das auch zu ihrem eigenen Nutzen ist.