Spekulation oder Hoffnung

Jahrelang haben wir uns gegen die israelische Propaganda gewehrt, jahrelang bekämpfen wir Benjamin Netanjahu und seine Politik und haben offensichtlich dabei übersehen, dass die israelische Propaganda (Hasbara) und Netanjahu selbst, unsere besten Partner und Unterstützer sind.

Jedes Mal wenn Netanjahu eine flammende Rede hält und weitere Sanktionen gegen die Palästinenser fordert oder gar verkündet, jedes Mal wenn die widerliche israelische Hasbara neue Lügen, Hass und chauvinistischen Rassismus verbreitet, steigt die Zahl derer, die uns verstehen und uns unterstützen. 

Wir haben jahrelang geglaubt, dass wir gegen Windmühlen kämpfen, dass wir uns im Kreise drehen, dass wir nicht von der Stelle kommen, auf der wir schon seit Jahren stehen. Wir haben uns offensichtlich geirrt. Stilles Wasser höhlt am Ende doch den Stein und unsere Positionen verbreiten sich doch weiter, tiefer und nachhaltiger als gedacht. Selbst die Regierung der Bundesrepublik, die die größte Schuld gegenüber Israel auf ihre Schultern trägt, fängt langsam an umzudenken. „Es setzt sich in der Bundesregierung die Erkenntnis durch, dass Netanjahu unsere Freundschaft instrumentalisiert“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich.

Es rumort in allen Parteien und nicht nur in Deutschland. Selbst die USA, Israels treuester Verbündeter, gehen auf Distanz zu Netanjahu und seiner Politik. England, Frankreich und Schweden haben es schon längst getan. Und nun endlich auch Deutschland, wo es sichtbare Anzeichen dafür gibt, dass die Haltung der Bundesregierung sich langsam (sehr langsam) ändert. Wichtig ist hier allein die Richtung, die Geschwindigkeit kann mit der Zeit zunehmen, wenn Netanjahu und seine gesamte Regierung so weiter machen.

Es hat sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt, die wir schon seit Jahren propagieren, dass Siedlungen ein Friedenshindernis darstellen und eine Zweistaatenlösung unmöglich machen.

Merkel stellte sich beim Berlinbesuch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas demonstrativ an seine Seite, was sie bisher immer wieder vermieden hatte, und sagte: „Ich verstehe Präsident Abbas, dass er immer wieder den Weg in den Sicherheitsrat sucht.“ Das ist immerhin der erste Schritt einen solchen auch zu billigen.

Alles, was Netanjahu und seine ultrarechte Regierung machen, nützt uns. Und wenn sie gebetmühlenartig wiederholen, alle Kritiker seien Antisemiten, weil sie keine andere Antwort auf die sachliche Kritik haben, dann brauchen wir nichts mehr zu tun, als darauf aufmerksam zu machen. Diskussionen und Debatten sind dadurch überflüssig geworden. Halten wir fest an unserem BDS-Kurs und überlassen wir alles andere den Israelis und den Sayanim à la Broder, Weinthal und den diversen Antideutschen, mit denen man nicht einmal mehr Mitleid haben sollte.

Wer, wie ich, am letzten Wochenende auf dem Kongress des Palästinensischen Frauenverbandes in Berlin gewesen ist und die Bildershow von hunderten von Bildern gesehen hat, wie israelische Soldaten, Polizisten und bewaffnete Siedler Kinder schlagen, treten, würgen, verhaften und in Handschellen abführen, der muss sich, wie ich, geschworen haben: Diese Verbrechen dürfen nicht unbestraft bleiben.

Neben unserem Einsatz für BDS sollten wir einen weiteren Fokus bilden: Wir sollten alles tun, damit endlich ein israelischer Soldat, möglichst Offizier, in Den Haag vor Gericht kommt. Das wird Israel mitten ins Herz treffen, es wird die „moralischste Armee der Welt“ (und damit auch die moralischste Gesellschaft) ad absurdum führen, demaskieren, ihre Pseudo-Moral als Lüge entlarven und sie nackt dastehen lassen, wie in Andersons  Märchen. Wenn uns das gelingt, wird sich (vielleicht) etwas ändern. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass die Israelis Amok laufen.

Ein Gedanke zu „Spekulation oder Hoffnung

  1. Überschätzen Sie bitte nicht, sehr geehrter Herr Melzer, die opportunistische Haltung unserer Eliten in Politik und Medien. Eine gelegentlich geäußerte Kritik dient lediglich der Abwehr von Kritik, man dürfe hierzulande nichts gegen die Politik der israelischen Eliten sagen. Die Einheitsfront mit den USA bei UN-Abstimmungen steht, egal, wer die Regierung anführt.

    Die „moralischste Armee“, die „einzige Demokratie“ ist wie die sauber Luft, die aus Diesel-Motoren kommt: Daran glauben nur die, die so ziemlich jeden Unfug glauben, wenn man den nur oft genug wiederholt oder von korrupten Fachleuten bestätigen lässt.

    Einen israelischen Soldaten vor ein Kriegsgericht zu stellen wäre doch nur ein Bauernopfer, aus dem die Propaganda wieder etwas machen würde: Seht her, wir dulden keine Gräuel oder Kriegsverbrecher in unseren Reihen. Kriegsverbrecher, das lehrt die Geschichte übrigens, kommen immer nur aus den Reihen der Verlierer.

    Der einzige Weg der beschritten werden müsste, um eine tatsächliche Gleichberechtigung in dem Staat Israel und seinen besetzte Gebieten zu erreichen, wäre jene fundamentalen Narrative zu überprüfen, die die beiden Völker voneinander trennt. Da diese Narrative aber identitätsstiftend sind, ist ein solches Unterfangen aussichtslos.

    In einem Staat als Araber zu leben, in dem Juden die Mehrheit haben, scheint auch kein leichtes Schicksal zu sein.

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