von Helmut Suttor
Betreff: Position der EKD zum Antisemitismusvorwurf bezogen auf die BDS-Kampagne?
Sehr geehrter Herr Dr. Staffa,
nach meinem Eindruck gibt es zu der im Betreff aufgeworfenen Frage keine eigenständige Position der EKD.
Selbst höhere Repräsentanten der Kirche sind nicht in der Lage, den gegen BDS gerichteten Antisemitismusvorwurf inhaltlich auf eigenständiger Grundlage zu begründen.
Dafür zwei Beispiele:
Die Münchner Regionalbischöfin Breit-Keßler, in deren Verantwortungsbereich es zur Verhinderung verschiedener Veranstaltungen kam, schrieb mir:
Die BDS-Bewegung wird mittlerweile von zahlreichen Institutionen, unter anderem dem Deutschen Bundestag, als antisemitisch eingestuft. Wenn so viele Einrichtungen unabhängig voneinander zu einem ähnlichen Schluss kommen, dann sollte dies der BDS-Bewegung zu denken geben.
Mal abgesehen davon, dass diese Mitteilung davon zeugt, dass die Frau Bischöfin offensichtlich schlecht informiert ist (es gibt viele Fachleute, darunter den Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, die einen antisemitischen Charakter von BDS bestreiten) kommt in ihren Ausführungen zum Ausdruck, dass sie offensichtlich nicht einmal den Anspruch hat, hier etwas auf eigenständiger kirchlich-theologischer Grundlage zu begründen. Es scheint ihr zu genügen, sich an den staatlichen Vorgaben und damit an der Mehrheitsmeinung anzuhängen.
Der zweite Fall bezieht sich auf die Absage einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem letzten Kirchentag mit Ulrich Duchrow und Farid Esack. Eine ziemlich windige Denunziation[1] in den sozialen Medien reichte aus, um die Kirchentagsleitung zur Absage der Veranstaltung zu veranlassen.
Begründung durch Frau Helmke: „Wir haben hier eine klare Haltung als Kirchentag und haben die Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgefordert, die Referenten auszuladen oder die Veranstaltung abzusagen.“
Wenn man bei der Kirchentagsleitung Begründungen für die „klare Haltung“ erfahren möchte, bekommt man keine Antworten. Von einer klaren Haltung kann also nicht die Rede sein!
Analoge Beispiele auf Gemeindeebene, die es zahlreich gibt, möchte ich hier gar nicht erst aufführen.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck von Orientierungslosigkeit in Verbindung mit einem Mangel an Zivilcourage in der evangelischen Kirche in dieser Frage. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen überall Beschlüsse gegen die BDS-Bewegung gefasst werden und damit eine scheinlegale Legitimationsbasis für die Einschränkung der Meinungsfreiheit geschaffen wurde, stellt sich die Frage nach der Haltung der Kirche.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf verweisen, dass die Kirche nicht nur dem jüdisch-christlichen Dialog verpflichtet ist, sondern mit der Demokratiedenkschrift von 1985 ein theologisches Bekenntnis zum Staat des Grundgesetzes abgelegt hat. Dieses beinhaltet ein Bekenntnis zum Grundrechtskatalog mit Art. 1 GG als Kern-Norm. Es wird doch darum gehen müssen, beides in ein vernünftiges (Spannungs)Verhältnis zu bringen.
Der jüdisch-christliche Dialog funktioniert nach meiner Wahrnehmung nur, weil die Evangelische Kirche bisher bereit war die Verpflichtung auf den „Staat des Grundgesetzes“ mit seinen menschenrechtlichen Implikationen sowohl hierzulande wie auch im Hinblick auf die Menschenrechte der Palästinenser auszublenden.
Aber das nur nebenbei.
In der Hauptsache geht es mir um eine Antwort auf die Frage, wie sich die EKD auf die im Betreff formulierte Frage zu positionieren gedenkt. Der aktuelle Zustand scheint mir untragbar zu sein. Es wird in der näheren Zukunft überall die Frage auftauchen, wie sich kirchliche Gemeinden verhalten im Hinblick auf Veranstaltungen mit mehr oder weniger direktem Bezug zu BDS-Thematiken. Wenn die EKD das Thema nicht aufgreift, dürfte es wahrscheinlich sein, dass sich praktisch die Breit-Keßler Linie durchsetzt, d.h. Erkenntnisgewinnung nach dem Herdenverhalten von Lemmingen.
Das Mindeste, was die Kirche sagen könnte, bis sie sich selbst Klarheit verschafft hat, wäre zu sagen was die Bundesregierung auch sagt: Sie überlässt es den Gerichten zu entscheiden, ob BDS antisemitisch ist. Solange keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt, ergeht die Empfehlung an die Gemeinden, sich an Veranstaltungsverboten nicht zu beteiligen, die sich auf Beschlüsse von Kommunalparlamenten mit zweifelhafter Legitimation stützen.
Das wäre aus meiner Sicht auch eine Konsequenz aus der Demokratiedenkschrift der EKD, die schon in der Überschrift ein Bekenntnis zum Staat des Grundgesetzes beinhaltet.
Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.
MfG
Helmut Suttor
[1] Zitat: Auf dem evangelischen Kirchentag, der ab morgen in Dortmund stattfindet, werden gleich zwei prominente Aktivisten der antisemitischen BDS-Kampagne auftreten, deren Ziel die Vernichtung Israels ist https://www.ruhrbarone.de/evangelischer-kirchentag-buehne-frei-fuer-zwei-bds-anhaenger/169823