Was ist los mit Israel? Zur Mythologie des Zionismus

von Ludwig Watzal

pappe_israel1In Deutschland wird die israelische und zionistische Version der Geschichte weitestgehend akzeptiert. Sie basiert jedoch auf einer Ansammlung von Mythen, die das Ziel verfolgen, das moralische Recht und das ethische Verhalten der Palästinenser ins Zwielicht zu rücken und ihren Anspruch auf ihr Land als illegitim erscheinen zu lassen. Dass diese Geschichtsklitterung funktioniert, liegt daran, dass diese Mythen von den Mainstream-Medien und großen Teilen der politischen Klassen in Europa akzeptiert werden.

Der im britischen Exil lebende israelische Historiker Ilan Pappe hat in seinem jüngsten Buch „Was ist los mit Israel?“ sich mit den zehn Hauptmythen des Zionismus auseinandergesetzt und sie als das entlarvt, was sie sind, nämlich Legenden, bestehend aus Halbwahrheiten und Fabrikationen von Geschichte. Der Autor konfrontiert die zionistischen Mythen mit der Realität vor Ort und klopft erstere daraufhin ab, ob sie der Wahrheit standhalten. Ohne eine solche unvoreingenommene Betrachtung der Geschichte könne es keinen dauerhaften Frieden in der Region geben, so Ilan Pappe. 

Den historischen Running Gag der zionistischen Geschichtsklitterung bildet die Erzählung vom „leeren Land“ Palästina, in das ein Volk ohne Land nach 2000jährigem Exil endlich „nach Zion“ zurückgekehrt sei. Dieser Mythos fand in dem Slogan vom Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land seinen prägendsten Ausdruck. Dass es sich dabei um eine Legende  handelt, haben Historiker zur Genüge aufgezeigt und nachgewiesen. Palästina war über Jahrhunderte hinweg eine entwickelte und blühende arabische Gesellschaft und hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar eine Zeitung namens „Filastin“.

Pappe hält es für weniger wichtig, ob die Juden als ein Volk existiert haben als vielmehr, dass die Zionisten die Existenz eines palästinensischen Volkes bestreiten und mit dem Anspruch auftreten, dass der Staat Israel sämtliche Juden der Welt repräsentiere und alles nur um ihretwillen tue und für sie handle. Dies ist ein ebenso verwegener Anspruch wie die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum. „Der Zionismus war nur eine von vielen Arten der Praktizierung des Judentums seit dessen Entstehung, und als er entstand, war er, selbst nach dem Holocaust, nur eine der möglichen Antworten auf den Antisemitismus.“ Ein nicht unerheblicher Teil der Judenheit lehrt nicht nur den Zionismus als eine Häresie ab, sondern auch den Staat Israel, den sie für einen „Frevel gegen Gott“ halten.

Die Zionisten beriefen sich ebenfalls auf die Bibel, aber sie diente ihnen nur als Mittel zum Zweck. Der höchste Prophet des Zionismus, Theodor Herzl, zog sogar Uganda anstelle des Gelobten Landes Zion in Erwägung. Auch andere Länder standen zur Auswahl, letztendlich fiel die Wahl auf Palästina. „Von da an wurde die Bibel sowohl zur Rechtfertigung als auch zur Richtschnur der zionistischen Kolonisierung Palästinas“, schreibt Pappe. Für ihn ist der Zionismus eine „koloniale Siedlerbewegung“. Das Elend, die Leidensgeschichte und die Tragödie der einheimischen Bevölkerung begann mit der Ankunft der Zionisten in Palästina. Die rassistische zionistische Ideologie ist die Ursache allen Übels in der Region.

Der Autor rückt weitere israelische Geschichtslegenden ins rechte Licht wie zum Beispiel, dass die Palästinenser 1948 das Land freiwillig verlassen hätten oder dass Israel im Juni 1967 keine Wahl hatte, als die umliegenden arabischen Länder anzugreifen, da eine tödliche Gefahr für das Land bestanden habe. Pappe legt überzeugend dar, dass die Palästinenser weder freiwillig gingen noch von ihren Politikern aufgefordert worden sind, zu gehen, sondern sie wurden von den verschiedenen zionistischen Milizen durch Anwendung von Terror zur Flucht gezwungen und vertrieben. Wie formulierte es doch einer der führenden Terroristen der damaligen Zeit, der spätere Ministerpräsident Menachem Begin in seiner Autobiographie: „Ohne Deir Yassin hätte es kein Israel gegeben.“ In dem palästinensischen Dorf verübten die zionistischen Terrorbanden ein Massaker an der Zivilbevölkerung.

Auch die zionistische Darstellung der Umstände des Sechstagkrieges halten einer historischen Überprüfung nicht stand. Es bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Angriffs arabischer Armeen auf Israel, sondern Israel führte einen präventiven Angriffskrieg, auf den es sich jahrelang präzise vorbereitet hatte. Die Aussagen der führenden Militärs und Politiker der damaligen Zeit lassen daran keinen Zweifel, gleichwohl hält sich die Legende vom kleinen David gegen den übermächtigen Goliath hartnäckig.

Neben dem Mythos von der „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ bestimmt der Mythos vom „Friedensprozess“ den zionistischen Narrative im Westen. Israel sei weder eine Demokratie im klassischen westlichen Verständnis, sondern eher eine Demokratie eigenen Rechts, sprich sui generis, oder noch präziser: eine Ethnokratie. Und der „Friedensprozess“ von Oslo habe keinen Frieden, sondern noch mehr Kolonisierung palästinensischen Landes gebracht. Ob der Westen an seinen Wunschtraum von der Zwei-Staaten-Lösung glaubt, darf eher bezweifelt werden, da die israelische Politik darauf abzielt, gerade diese zu verhindern. Tatsächlich existiert bereits jetzt die „Ein-Staaten-Lösung“, nämlich Israel herrscht über ganz Palästina.

Ilan Pappe schlägt in diesem Buch ein Bresche für die historische Wahrheit, der sich das israelische politische Establishment stellen muss, wenn es an Frieden interessiert ist. Israels Sicherheitsestablishment missbraucht das Judentum, weil es seine expansionistische Kolonial- und Unterdrückungspolitik mit Judentum gleichsetzt und damit alle Juden in Geiselhaft nimmt.. Aufklärung tut deshalb mehr als Not, die das Buch in hervorragender Weise leistet. Dem Verleger Abraham Melzer gebührt deshalb ein besonderer Dank, dass er dieses Buch auf den Markt gebracht hat, wohlwissend, dass ihn die zionistische Israellobby dafür noch mehr hassen und verfolgen wird, um ihn mundtot zu machen Den zionistischen Ideologen und dem politischen Establishment sei Pappes Buch als Nachtlektüre besonders ans Herz gelegt, da die Entzauberung der zionistischen Geschichtsmythologie ihnen bestimmt schlaflose Nächte bereiten wird. Auch für die interessierte Öffentlichkeit ist dieses Buch ein absolutes Muss sein. 

Ilan Pappe, Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus. Aus dem Englischen von Michael M. Schiffmann, Cosmics Verlag, Neu-Isenburg 2016, 262 Seiten, Euro 15. ISBN: 978-3-9817922-6-3

3 Gedanken zu „Was ist los mit Israel? Zur Mythologie des Zionismus

  1. Guten Tag Herr Melzer,
    ich versuchte über meinen Buchladen das oben besprochene Buch zu erhalten. Mir wurde mitgeteilt es würde nicht erscheinen. Stimmt das oder kann ich es direkt bei ihnen bestellen?.
    Herzliche Grüße
    Sabine Rothhaupt

  2. Eigentlich ist es äußerst freundlich, den Begriff „Mythos“ für zionistische Legenden und Desinformation zu verwenden; äußerst freundlich.

    An sich ging es und geht es immer noch um mieses „Tarnen und Täuschen“ durch Anhänger einer aggressiven, brutalen, skrupellosen und rassistischen Ideologie, die Nichzionisten und Nichtjuden diskriminiert.

    Deswegen bin ich dafür, den Begriff „Mythos“ fallen zu lassen und diesen mit zionistischer Desinformation zu ersetzen.

  3. Pingback: Ilan Pappe, Ten Myths about Israel | Der Semit

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