Charlotte Knobloch hat in ihrer Rede zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz den Deutschen wieder einmal bescheinigt, dass sie von Natur aus Antisemiten seien. Sie erinnerte sie daran, dass ihre Großmutter in Auschwitz ermordet wurde. Ihre Großmutter väterlicherseits. Ihre Großmutter mütterlicherseits war eine deutsche Katholikin. Sollte Charlotte Knobloch etwa von Natur aus zur Hälfte antisemitisch sein?
Mich nannte Frau Knobloch einst einen „berüchtigten Antisemiten“, obwohl auch meine Großmutter in Auschwitz ermordet wurde, aber nicht nur sie, sondern auch mein Großvater, meine sechs Tanten und mein Onkel. Fast die ganze Familie meiner Mutter und die halbe Familie meines Vaters sind in Auschwitz vergast und verbrannt worden. Es versteht sich leider von selbst, dass Frau Knobloch sich für diese ungeheuerlich-schamlose Beleidigung niemals entschuldigt hat. Ich nehme sogar an, dass sie es gar nicht so gemeint hat. Sie benutzte den diffamierenden Begriff „Antisemit“ nur als Waffe, um mich zum Schweigen zu bringen. Dabei ist ihr – wie es scheint – jedes Mittel recht, auch die Beleidigung eines jüdischen Publizisten als Antisemit, nur weil er in Bezug auf die Politik des Staates Israel anderer Meinung ist als sie. In meinem Fall spielte die Tatsache, dass auch meine Familie von den Nazis ermordet wurde, weil sie Juden waren, für Knobloch keine Rolle. Sie dachte nicht daran, darauf Rücksicht zu nehmen. Die Hälfte der Familie von Charlotte Knobloch hat überlebt, weil sie katholisch und deutsch war. Nur die Familie des jüdischen Vaters, ist vernichtet worden. Daher nimmt sie sich auch das vermeintliche Recht, im Namen aller sechs Millionen ermordeten Juden zu sprechen, als ob alle Zionisten gewesen wären und die gegenwärtige Politik des Zionismus unterstützt hätten. Die Deutschen sind mitnichten von Natur aus Antisemiten, wie auch die jüdischen Israelis nicht von Natur aus Palästinenser hassen. Sie sind dazu durch zionistische Demagogen verführt worden, und wie leicht man Menschen in die Irre führen kann, erleben wir heute in den USA, in Großbritannien, Ungarn, Polen und nicht zuletzt in Israel.
„Der Antisemitismus in Deutschland und Europa hat in den letzten Jahren nicht zugenommen“, sagt dagegen gerade erst Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, am 25. 01. 2020 dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. Es gebe aber einen konstanten Bodensatz von Antisemiten: „Diese Menschen, die früher geschwiegen haben, trauen sich jetzt wieder, ihre Ansichten zu verbreiten, weil Israel wegen der Besetzung der palästinensischen Gebiete an Ansehen eingebüßt hat“. Er sieht also einen Zusammenhang zwischen dem angeblich wachsenden Antisemitismus, und den Ereignissen im Nahost-Konflikt.
Dennoch hören wir immer wieder – bei Festreden, im Parlament und an Stammtischen –, dass es einen „ansteigenden Antisemitismus“ gibt. Unlängst erst wieder bei der Rede des Bundespräsidenten in Yad Vahem anlässlich der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Der „ansteigende Antisemitismus“ ist fast schon zu einem geflügelten Wort geworden. Politiker, Bürgermeister, Kirchenräte, Gewerkschaftler und allen voran die Vertreter der Juden in Deutschland, Josef Schuster und Charlotte Knobloch, missbrauchen es bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Es wird geradezu hysterisiert, indem in jedem kritischen Wort gegen die nun wirklich kritikwürdige israelische Politik gleich Antisemitismus gewittert wird.
Dabei ist der Antisemitismus in Deutschland und wahrscheinlich auch in Europa in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht keineswegs gewachsen. Er stagniert seit vielen Jahren auf einem annähernd gleichbleibenden Niveau. Ich möchte daher gern wissen, woher Schuster und Knobloch ihre Zahlen haben, und es wundert mich auch, dass der Bundespräsident sich nicht an die Zahlen der Bundesregierung hält, die von einer unabhängigen Expertenkommission erstellt werden. Stattdessen werden Zahlen benutzt, die vom israelischen Propagandaministerium („Ministry of Strategic Affairs“) zu stammen scheinen, das daran interessiert ist, den Antisemitismus als große Gefahr darzustellen, „damit viele Juden nach Israel gespült werden“.
Die offiziellen Zahlen, die die Bundesregierung jährlich veröffentlicht, sind vielleicht nicht hundertprozentig verlässlich, aber andere liegen uns nicht vor, es sei denn man will den Zahlen des Hasbara-Ministeriums vertrauen.
Wenn man also nicht den Zahlen des Hasbara-Ministeriums folgen möchte, sollte man sich doch eher auf die alljährlich veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung verlassen.
Hier Im Folgenden die Zahlen des Bundesministeriums des Inneren für antisemitische Straftaten:
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
1691 1771 1344 1449 1748 1809 1657 1559 1690 1268 1239 1375
2013 2014 2015 2016 2017 2018
1275 1596 1366 1381 1504 1646
Und die Zahlen der sogenannten antisemitischen Gewalttaten:
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
28 39 46 45 56 51 64 47 41 37 29 41
2013 2014 2015 2016 2017 2018
50 44 36 32 37 62
Die Fallzahlen werden von den Polizeibehörden der Länder erhoben und über die Landeskriminalämter dem Bundeskriminalamt zur bundesweiten Erfassung und Auswertung übermittelt. Allerdings hat die Statistik einige Tücken. Zum einen handelt es sich nicht bei allen Straf-Taten um körperliche Angriffe wie etwa in Bayern, wo ein Mann einer Frau einen Stein an den Kopf warf, weil er sie hatte Hebräisch sprechen hören, oder wie in Berlin, wo ein junger Mann von einem Unbekannten mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde, weil er sich mit Freunden vor einer Disco auf Hebräisch unterhielt. Beides zeigt, dass es sich wohl eher um Hass auf Israel bzw. die israelische Politik handelte als um Hass auf Juden, weil sie Juden sind. Und stehen wir wieder gar vor einem neuen Holocaust, wie es Henryk Broder einmal schrieb, wenn ein Mann einen Rabbiner bespuckt?
Was bedeuten diese Zahlen nun bei einem Volk von 80 Millionen Menschen? Selbst wenn 2019 antisemitische Straftaten auf 2000 angestiegen sein sollten (die Zahlen liegen noch nicht vor), wurden diese von gerade einmal 0,0025 Prozent der Bevölkerung begangen. Die Zahl war im Jahr 2010 mit 1268 am niedrigsten und vier Jahre zuvor, im Jahre 2006, mit 1809 am höchsten. Und ähnlich ist es mit der Zahl der Gewalttaten.
DIE ZEIT schrieb seltsamerweise am 10.10.2019 beim Vergleich der Zahlen von 2001 und 2018: „Demnach stiegen die antisemitischen Angriffe, die einen politischen Hintergrund hatten, von 1691 Fällen im Jahre 2001 auf 1799 im Jahre 2018.“ Tatsächlich steht aber im Bericht der Expertenkommission, dass es 2018 „nur“ 1646 Fälle gab, also weniger als 2001. Warum manipuliert die „angesehene“ Wochenzeitung hier? Vielleicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Wir stellen also fest, dass die offizielle Statistik der Bundesregierung weder einen ansteigenden noch einen abnehmenden Antisemitismus aufweist, zumal die Zahlen seit Jahren auf niedrigem Niveau sind. Wenn es in einem Jahr eine Straftat gibt und im Jahr darauf 2 Straftaten, dann ist das in der Tat ein Anstieg um 100 Prozent. Aber selbst 2 Straftaten sind noch kein Grund, in Panik zu geraten, und bei einem Volk von 80 Millionen sind 2000 Straftaten im Jahr (!) auch kein Grund, in Paranoia zu verfallen.
Und noch etwas zeigt uns diese Statistik ganz klar, nämlich dass Avi Primor Recht hat mit seiner Vermutung, dass der Nahost-Konflikt – und ganz besonders Israels aggressives Verhalten gegenüber den Palästinensern –die Entwicklung der sogenannten antisemitischen Vorfälle direkt und indirekt beeinflusst.
Das Problem liegt darin, dass wir nicht genau wissen, was der Staat unter „antisemitischen Vorfällen“ versteht. Manchmal werden nach Angaben der Polizei antisemitische Taten erfasst, aber nicht als solche eingestuft. Andererseits aber werden Taten als antisemitisch erfasst, die dies ganz und gar nicht sind, sondern allenfalls als Kritik an Israels Politik zu verstehen sind. „Es hängt letztlich von den Erfahrungen, der Sensibilität und dem thematischen Kenntnisstand der ermittelnden Beamten ab, ob eine antisemitische Tat als solche erkannt und korrekt klassifiziert wird“, heißt es hierzu im Bericht der Expertenkommission. Es sind also zumeist subjektive Wahrnehmungen, und insofern gibt es keine objektive Statistik, selbst im Fall des Anschlags auf die Synagoge in Halle nicht. Es kann eine solche objektive Statistik auch schwerlich geben, denn selbst wenn der Jüdische Weltkongress behauptet, dass jeder vierte Deutsche zu antisemitischen Denkmustern neigt, folgt daraus keineswegs zwangsläufig, dass ein Viertel der Deutschen Antisemiten sind.
Klarer ist die Sachlage bei den Zahlen antisemitischer Gewalttaten, da man bei Gewalttaten weniger Spielraum für Interpretationen hat. Obwohl die Zahl der Straftaten 2018 niedriger war als in vielen Jahren zuvor und die Schwankungen kaum der Rede wert sind, jammert der Antisemitismusbeauftragte des Bundes unentwegt über einen angeblichen Anstieg des Antisemitismus. Ich verstehe, dass er das behauptet und vielleicht auch wünscht, weil er damit sein Amt rechtfertigen kann, aber was mich mehr stört ist die Tatsache, dass unsere freie und unabhängige Presse das bis zum Erbrechen wiederholt. Kaum schmiert ein Jugendlicher auf einer Klotür ein Hakenkreuz oder auf einem Schulhof pöbelt ein Schüler seinen Mitschüler an – „Du Jude!“ –, schon veröffentlicht Herr Klein eine Presseerklärung, die vor einem neuen Holocaust warnt und fordert als Abwehr des „ansteigenden Antisemitismus“ alle deutschen Schüler nach Auschwitz zu schicken, damit sie dort die Schuhberge der ermordeten Juden abstauben. Möge, wie in biblischer Zeit, die Erde sich auftun und den Beauftragten samt seiner ganzen Belegschaft verschlingen.
Rechtzeitig zum Auschwitz-Gedenktag forderte Monika Grütters, Ministerin für Kultur und Medien, dass jede Deutsche und jeder Deutscher sich mit den Juden solidarisieren und einen Davidstern, im Volksmund Judenstern, tragen sollte. Erst vor einem Jahr hatte der Antisemitismusbeauftragte, im Volksmund Judenreferent, bereits gefordert, dass aus Solidarität mit den Juden jeder Deutsche eine Kippa tragen sollte. Dass sich damit der Antisemitismus schwerlich überwinden lässt, wie Felix Klein uns glauben machen möchte, liegt auf der Hand. Kippa-Verkäufer und Davidstern-Händler dürften allerdings viel Geld machen.
Welche Maßnahmen müssen also ergriffen werden, um ein weiteres Erstarken des Antisemitismus realiter zu verhindern? Wer eine Lösung hat, möge sie bitte dem Antisemitismusbeauftragten Felix Klein verraten. Ein Vorschlag: vielleicht könnte er Israel dazu bewegen, das Völkerrecht zu achten und die nach dem Krieg von 1967 besetzten Gebiete zu räumen. Die Spatzen pfeifen es inzwischen von allen Dächern, dass das, was die Israel-Lobby und der Antisemitismusbeauftragte Antisemitismus nennen, zumeist nichts anderes als die Forderung nach Gerechtigkeit für die Palästinenser ist. Die Lösung des Nahost-Konflikts würde auch schlagartig das Gerede von Antisemitismus und besonders von israelbezogenem Antisemitismus als solches entlarven.
Schuld an der ganzen Hysterie ist die israelische Propaganda, die mit einem Riesenaufwand den Antisemitismus geradezu heraufbeschwört, mit der Absicht, einerseits die Juden zu verunsichern, damit sie nach Israel auswandern, und andererseits die Nichtjuden einzuschüchtern, damit eine pro-israelische Politik gewährleistet ist. Ich habe es schon in meinem Buch DIE ANTISEMITENMACHER dargelegt und Ross und Reiter genannt. Wenn zionistische Agitatoren wie Henryk M. Broder so tun, als ob wir vor einem neuen Holocaust stünden und der Antisemitismus in den Genen der Deutschen verankert sei, wenn Bürgermeister wie Uwe Becker in Frankfurt behaupten, dass jüdische Intellektuelle, wie etwa Prof. Moshe Zuckermann, Judith Bernstein und meine Wenigkeit in Frankfurt nicht willkommen sind, nur weil sie die Politik Israels, ihres eigenen Landes, kritisieren, dann ist etwas faul im Staate D.
Wenn deutsche Politiker Israel besuchen, allen voran die Bundeskanzlerin Angela Merkel, und die Tatsache vollkommen ignorieren, dass Israel ein anderes Land besetzt hält und seine Bewohner unterdrückt, vertreibt, beraubt und in Gefängnisse steckt, dann stimmt etwas nicht mit deren Wahrnehmung. Was soll man von einer Kanzlerin halten, die behauptet, sie sei für eine Zwei-Staaten-Lösung, und gleichzeitig nicht bereit ist, Palästina, den zweiten Staat, anzuerkennen? Und warum tut sie das nicht? Weil Netanjahu es nicht erlaubt. Das ist ein Kniefall vor einem Mann, den sie nicht mag und der sie auch nicht mag, und gleichzeitig eine Verhöhnung der Palästinenser. Und was soll das absurde Gerede, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei? Als „töricht“ hat dies der verstorbene Bundeskanzler Helmut Schmid trocken kommentiert. Die Sicherheit der ganzen Region sollte deutsche Staatsräson sein, denn Deutschland ist den Palästinensern, den „Opfern der Opfer“, nicht weniger schuldig als den Juden.
Und Merkel sollte niemals sagen, sie hätte es nicht gewusst. Keiner wird es ihr abnehmen. Sie sollte vor allem dafür sorgen, dass nicht jeder, der Israels Politik kritisiert, im Kontext eines „neuen McCarthyismus“, so der treffliche Ausdruck des emeritierten Professors und Publizisten Micha Brumlik, als Antisemit verunglimpft wird. Notwendige und legitime Kritik am völkisch orientierten israelischen Nationalstaatsgesetz vom Juli 2018 kann nicht einfach als israelbezogener Antisemitismus abgetan werden, und zu behaupten, dass der Apartheid-Vorwurf gegen Israel per se ein Indiz für Antisemitismus sei, dient nur dazu, die absolut notwendige Kritik an der Besatzung zu delegitimieren.
Wenn man die Definition für Antisemitismus so erweitert wie es heutzutage geschieht (z.B. auch durch die IHRA Definition und deren übertriebener Auslegung) müssen die Fälle von Antisemitismus ja in der Statistik steigen. Wenn in den Medien schon Fälle genannt werden wie „wenn meine Mitschüler sehen dass ich Kippa trage bekomme ich so Sachen zu hören wie ‚free Palestine'“- und das wird dann als Antisemitismus bezeichnet. In einer Radiosendung wurde eine in Israel lebende Zionistin als Beispiel genannt welche sich bei einem Besuch in Deutschland allen Ernstes einen Davidstern ins Gesicht gemalt hatte und dann mit diesem UBahn fuhr. Sie wurde persönlich interviewt und regte sich darüber auf wie extrem antisemitisch es sei dass die Leute sie angestarrt haben. Laut ihr ein Beweis für den ausgeprägten Antisemitismus hierzulande obwohl laut ihrer eigenen Aussage sonst nichts weiter passiert ist. Also wenn man sich ausserhalb der Karnevalzeit egal was auch immer ins Gesicht malt und so in die Öffentlichkeit geht wird man in fast allen Ländern auf der Welt angestarrt. Wenn man solche „Vorfälle“ nun immer mehr als Antisemitismus wertet muss man ja „ansteigenden Antisemitismus“ feststellen. Alles nur eine Frage der stetig erweiterten Definition.