Zensur der Kritik an Israel

von Georg Auernheimer

Die Belastung durch die ungeheuren Verbrechen, an denen die Mehrheit der Deutschen direkt oder indirekt beteiligt war, begründet eine schwierige Position Deutschlands und der Deutschen gegenüber Israel und macht eine Scheu verständlich, Israel wegen Verletzung der Menschenrechte anzuprangern, macht selbst Unbehagen verständlich, wenn Israel von anderer Seite kritisiert wird. Und derartiger Kritik Raum zu geben, wird von einigen als fragwürdig angesehen. Wie können wir, die Nachkommen der Massenmörder, die Chuzpe haben, Israel wegen des Umgangs mit den Palästinensern zu kritisieren? 

Aber Menschenrechte sind unteilbar. Und wir Deutschen würden unserer historischen Verantwortung gerade nicht gerecht, wenn wir Verstöße gegen die Menschenrechte dann nicht anprangern würden, wenn sie von Institutionen in Israel begangen werden. So könnte sich die Verletzung der Menschenrechte endlos fortsetzen, wenn sie nicht geächtet würde. Im Übrigen hat Deutschland auch eine besondere Verantwortung gegenüber der Palästinensern, die indirekt die Folgen des Holocaust zu tragen haben. Daher möchte ich das Hausverbot für Israelkritiker durch kommunale Instanzen, wie in München mehrfach geschehen, verurteilen.

Eine wohlwollende, teilweise durch Schuldbewusstsein bedingte Haltung gegenüber Israel lässt manche zweifeln, ob dort überhaupt Menschenrechte verletzt werden. Daher möchte ich im Folgenden drei Beispiele aus einer Unzahl von Fällen herausgreifen. Ich lasse ausdrücklich beiseite, was zu sehr umstritten ist, nämlich die Legitimation des militanten Widerstands der ursprünglich dort beheimateten Palästinenser gegen die expansive Landnahme seit der Gründung des Staates Israel, eines Staates, der bis heute die Grenzen seines Territoriums nicht bestimmen will.

Fall 1: Hasan Safadi, Journalist und Medienkoordinator der Menschenrechtsorganisation Addameer, wurde am 1. Mail 2016 ohne konkrete Beweise des Kontakts mit einer illegalen Organisation beschuldigt und inhaftiert. Auf internationalen Protest hin wurde er von einem Gericht aufgrund des mangelnden Beweismaterials nach einem Monat zunächst gegen Kaution freigelassen, aber dann sogleich in sog. Administrativhaft genommen, die keine konkreten Schuldvorwürfe voraussetzt (Pressemitteilung der ILMR v. 25.07.16).

Fall 2: Abdallah Abu Rahmah, Koordinator des gewaltfreien Widerstands gegen die Besatzung und Besiedlung des Westjordanlands durch Israel, 2008 von der Internationalen Liga für Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet, ist in der Vergangenheit schon mehrfach inhaftiert worden. Jüngst wurde vom Militär während seiner Abwesenheit auf einer Vortragsreise in Europa nachts überfallartig eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Frau und Kinder wurden aus dem Schlaf gerissen, sämtliche Speicher- und Telekommunikationsmedien beschlagnahmt (Presseerklärung der ILMR v. 23.09.16).

Fall 3: Die Bewohner des arabischen Dorfes Ramiya werden massiv unter Druck gesetzt, ihre Häuser und Felder endlich aufzugeben zugunsten der Erweiterung der Stadt Karmiel. Schon 1976 hat die israelische Regierung den Großteil des Grundbesitzes beschlagnahmt. Der damalige Protest wurde blutig niedergeschlagen (6 tote Palästinenser). Ein Bewohner: „Ich schere mich nicht um Politik. Ich will nur auf meinem Land bleiben und in meinem Haus sterben“ (Le Monde diplomatique 9/16, S.5). Auch das alte Dorf Dahmash bei Tel Aviv ist vom Abriss bedroht, von der Landkarte schon seit längerem gelöscht. Die Bewohner einiger Beduinengemeinden, die bereits das Ergebnis früherer israelischer Umsiedlungsaktionen sind, sollen von neuem ihre Dörfer verlassen, weil sie neuen amtlichen Plänen im Wege stehen (Le Monde diplomatique, ebd.).

Man sieht: weder in den besetzten Gebieten noch in Israel selbst gelten rechtsstaatliche Prinzipien im Umgang mit Palästinensern. Sie sind staatlicher Willkür ausgeliefert. Soll Kritik daran in Deutschland verboten, zensiert oder behindert werden? Wie dann mit Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern umgehen? Mit dem Gebot der Meinungsfreiheit ist Zensur nur vereinbar, wenn Hass gesät wird. Aber Hass ist von Zorn zu unterscheiden und Antisemitismus vom Zorn über staatliche Rechtsbrüche.

Der Autor ist Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaft i. R.

Ein Gedanke zu „Zensur der Kritik an Israel

  1. Zitat:
    „Wie können wir, die Nachkommen der Massenmörder, die Chuzpe haben, Israel wegen des Umgangs mit den Palästinensern zu kritisieren?“

    Werter Herr Professor Dr. Auernheimer, wir sollten die Welt darauf hinweisen, dass Deutsche – bis auf wenige Ausnahmen – keine Nachkommen von Massenmördern sind. Die Erbschuld ist bekanntlich ein Muster, um Menschen ihre Freiheit zu nehmen, besonders die Freiheit, sich ihres eigenen Verstandes zu bemühen und Kritik zu üben.

    Verstöße gegen Menschenrechte werden in Israel übrigens nicht von Institutionen begangen sondern von Menschen, die von Menschen dazu angehalten werden und gehorsam den Aufforderungen nachkommen.

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