von Moshe Zuckermann
Autoren wie Abi Melzer mögen sich sehr leicht wie Rufer in der Wüste vorkommen. So überwältigend wird das, was er anmahnt und anklagt, von der Wirkmächtigkeit der von ihm anvisierten Realität konterkariert; so erbarmungslos sieht er sich dabei dem Ressentiment die ideologisch entgegengesetzten Diskurse über diese Realität ausgesetzt, dass er (und einige wenige Weggefährten seinesgleichen) sich randständig, ja oft genug einsam vorkommen muss.
Diese Einsamkeit hat zwei Seiten. Zum einen ist sie unangenehm, zuweilen höchst frustrierend und mag ernste Zweifel darüber aufkommen lassen, ob sich das gesamte Schreibunterfangen überhaupt lohnt. Nicht immer lassen sich derlei Zweifel leicht beiseiteschieben, wenn man den Zweck des Schreibens an seiner Auswirkung, mithin seinem Einfluss auf eine große anonyme Leserschaft bemisst. Zum anderen wohnt dieser Einsamkeit das Pathos des Gerechten inne. Nicht wahrgenommen, geschweige denn akzeptiert zu werden, wird da zum Kriterium der eigenen Wahrhaftigkeit.
In einer vom ideologisch generierten falschen Bewusstsein weitgehend kontaminierten Realität kann Wahrheit nur einsam daherkommen. Sie veräußert sich nicht, kapituliert nicht. Darauf darf der Autor, der ihr Artikulation verschafft, stolz sein.
Worum geht es Abi Melzer in seinen Texten? Um zweierlei. Zum einen um Kritik und Anklage der israelischen (Außen)Politik, die seit bald 50 Jahren auf der Barbarei der Okkupation und der Unterdrückung des palästinensischen Volkes materiell wie ideologisch basiert und diese letztlich auch bewusst und zweckgerichtet zum Inhalt hat. Zum anderen aber auch um die Wahrnehmung dieses Grundumstandes im deutschen Diskurs, und zwar sowohl von Nichtjuden als auch von Juden.
Während Melzer mit Bezug auf Israels Wirklichkeit die reale Repression und ihre ideologische Verbrämung anprangert, sieht er sich im deutschen Kontext mit dem Problem konfrontiert, dass die Protagonisten der politischen Klasse sich (aus „historischen“ Gründen) scheuen, eine realitätsadäquate Politik Israel gegenüber zu verfolgen, was die institutionellen wie publizistischen Sachwalter des Jüdischen in Deutschland interessengeleitet weidlich auszukosten verstehen. Gemeinsam ist ihnen allen, Juden wie Nichtjuden im diesbezüglichen deutschen Diskurs, dass sie Judentum,
Zionismus und Israel, mithin (davon abgeleitet) Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik schlechterdings nicht auseinanderzuhalten vermögen. Was dabei herauskommt, ist eine Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens zu fremdbestimmten Zwecken, die entsprechend in eine Politik mündet, die sich israelsolidarisch wähnt, im Grunde aber genau das leistet, was Israels objektivem Interesse zuwiderläuft. Das verwundert auch nicht: Wenn man „Solidarität“ aus dem Ressentiment schöpft, ist sie verlogen. Das Ressentiment beherrscht aber den deutschen Diskurs: „Auschwitz“ als Argument und perfider Antisemitismus-Vorwurf sind das Gift, mit dem die Wahrheit immer wieder vergewaltigt wird, bis sie zur leeren Worthülse verkommt, die die deutsche Kanzlerin dazu verleiten konnte, Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson zu erklären.
Denkbar freilich, dass genau dies Abi Melzer im gegenwärtigen deutsch-jüdischen Diskurs die Auszeichnung des „jüdischen Antisemiten“ oder des „sich selbsthassenden Juden“ eintragen wird. Das Schändliche daran muss wohl kaum erörtert werden. Bedenklich ist dennoch, dass mittlerweile nicht nur perfide-polemische Manipulatoren, sondern auch nichtjüdische Deutsche sich einer solch absurden Nomenklatur Juden gegenüber befleißigen.
Abi Melzer sollte dies allerdings kaum tangieren. Er ist Kämpfer, vor allem aber weiß er zu gut, wie es zu solch polemischen Perversitäten im heutigen Deutschland kommen kann. Er ist kein Antisemit, weshalb eine solche Schmähung an ihm wirkungslos abprallen muss. Nicht nur der deutschen Kanzlerin täte seine ernsthafte Lektüre gut, sondern allen, die um Israels Zukunft ernsthaft besorgt sind, den Umgang der Israelis mit den Palästinensern nicht ertragen können, vor allem aber der Meinung sind, dass es höchste Zeit ist für einen radikalen Umschwung der deutschen Israel-Politik.
Sehr geehrter Herr Professor Zuckermann: ihre Wüdigung des Scriftstellers und Verlegers ist hoch verdient und wird von mir geteilt, was ich mehrfach geschrieben habe, aber Herr Melzer ist keineswegs isoliert, indes hat er sicherlich nichht genug Mitstreiter – darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber es ist noch schlimmer: Obwohl es Zeitgenossen gibt, die Herr Melzer auch öffentlich zustimmen, ist es offenbar nicht möglich, diese in ausreichendem Maße zu organisieren, so dass die
„Rassenschranke“, wenn ich das so sagen darf, nicht übersprungen werden kann. Ich versuche das, indem ich zwei Thesen in den Vordergrund meine argumentation stelle. 1. Das Judentum ist eine Religion, die ich, im Gegensatz zum Christentum und zum Islam, auch als bekennender atheistischer humanist respektieren kann. 2. Das Juden hat als Thema die Realisierung des sozialverantwortlichen mündigen Menschen, woraus folgt, dass der Jude, wie ich auch, nur da sicher ist, wo die Menschenrechte gelten, was in dieser Republik, ebenso wie in den USA, der Fall ist, in Israel doch nicht. Daraus folgt, dass jeder Angriff auf Juden ein Angriff auf meine Existenz ist und umgekehrt. Meine Solidarität gilt also den Juden, egal wo sie sich befinden, nicht den Zionisten und allen anderen Faschisten, welcher Nationalität auch immer. Sie sind meine Feinde. Mit freundlichen Grüßen! Klaus Dede
Der politische „Zionismus“ sieht das Judentum nicht nur als eine Religionsgemeinschaft sondern auch als eine Nation, die zweimal aus Palästina vertrieben wurde und nun sein Recht auf Heimkehr ausübt, sich wehrt, weil die Palästinenser ihnen das Rückkehrrecht verweigern.
Der Zionismus – die heute mächtigste Strömung im Judentum – gründet also auf einem religiösen und einem weltanschaulichen Bekenntnis. Seine Nahrung sind jene Menschen, die Zionisten als „Antisemiten“ bezeichnen. Insofern besteht mitunter ein Paradoxon: je mehr der Zionismus von Dritten kritisiert wird, desto stärker wird er durch den Verteidigungsreflex, der innerhalb von Minderheiten, besonders jenen, in denen sich eine Opferkultur entwickelt hat, in besonderer Weise ausgeprägt ist.
Der Zionismus wird sein Gesicht verwandeln, wenn die akademische jüdische Jugend in aller Welt nicht automatisch Israel verteidigt, wenn Israel ob seiner Politik kritisiert wird, sondern sich diese jungen jüdischen Intellektuellen etwas genauer die Geschichte des Judentums anschauen.
Die Schriften von Abi Melzer wie von Uri Avnery, Moshe Zuckermann und vielen anderen sind m. E. sehr viel bedeutsamer für eine Zivilisierung des Zionismus als Kritik von Frau Merkel, der man sicher rasch nachweisen wird, dass sie auch nur eine Antisemitin sei, da sie ja nicht in gleicher Weise die Regierung von Timbuktu kritisiere.
„Nicht nur der deutschen Kanzlerin täte seine ernsthafte Lektüre gut, sondern allen, die um Israels Zukunft ernsthaft besorgt sind, den Umgang der Israelis mit den Palästinensern nicht ertragen können, vor allem aber der Meinung sind, dass es höchste Zeit ist für einen radikalen Umschwung der deutschen Israel-Politik.“
Dem ist unbedingt zuzustimmen !
Lieber Herr Zuckermann,
Sie haben einen schönen und einfühlsamen Artikel über Abi Melzer geschrieben. Danke.
Ich denke jedoch auch wie der erste Kommentator, dass Abi Melzer nicht isoliert ist. Ich denke, dass die Zahl der Mitstreiter zwar noch nicht groß genug ist; aber sie wächst. Und darauf kommt es an! Weiter kommt es darauf an, beim nicht-jüdischen Teil der Deutschen Gehör zu finden. Und das ist in Deutschland wirklich ein „hartes Brot“, weil der christliche Deutsche aus Angst vor der Nazi- oder Antisemitismus-Keule nicht wirklich Lust hat, sich mit dem Thema Israel zu beschäftigen. Aber dieses „harte Brot“ zu kauen, das gelingt Abi Melzer. Es ist halt so: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen… und es wird auch noch eine Zeit lang mühsam bleiben, weil durch 9/11 und die sog. Flüchtlingskrise (Deutschland 2015) die durch den medialen Mainstream beeinflussten Christen in Deutschland eine zunehmende Abneigung gegen den Islam haben und somit bei vielen Christen in Deutschland die Palästinenser im gedanklichen Kurzschluss schnell zu Tätern denn zu Opfern werden…
Hier hilft nur eines: beharrliche Aufklärung!!!
Und diese leistet Abi Melzer. Auch ihm ein Danke dafür.