von Allan Zink
Das Buch von Jeffrey Herf weist zu Recht auf einige besonders unrühmliche Beispiele von Antisemitismus in der jüngeren deutschen Geschichte hin. Die Art und Weise jedoch, wie er den Einsatz für die Rechte der Palästinenser grundsätzlich als antisemitisch brandmarkt und in die Nähe der RAF und des SED-Regimes rückt, ist bestenfalls intellektuell unredlich und schlimmstenfalls eine boshafte Verleumdung. Nicht weniger bedenklich ist Ludger Heids gänzlich unkritische Wiedergabe von Herfs Argumentation, die bereits im Untertitel – wohl mit Blick auf heute – den Antizionismus mit dem Antisemitismus implizit gleichsetzt. Damit spielt er all denjenigen in die Hände, die in jüngster Zeit eine McCarthy-ähnliche Verleumdungs- und Ausgrenzungskampagne gegen Kritiker der israelischen Politik im Allgemeinen und Unterstützer der BDS-Bewegung („Boycott, Divestment, Sanctions“) insbesondere führen.
Es wird viel Böses über den Antizionismus und die BDS-Bewegung verbreitet, aber die Betroffenen haben es zunehmend schwer, sich selbst in der Öffentlichkeit darzustellen. Besonders unerträglich ist es, wenn deutschen Juden, die sich zionismuskritisch äußern und sich zum Teil mit der BDS-Bewegung solidarisieren, von nichtjüdischen deutschen Politikern Antisemitismus vorgeworfen wird und ihnen jegliche Möglichkeit vorenthalten wird, ihre Argumente einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, etwa durch das Verweigern von öffentlichen Räumen oder die Absage von bereits vereinbarten Vorträgen.
In diesem Zusammenhang möchte ich folgendes zu bedenken geben:
- Der Zionismus ist eine politische Ideologie und als solche in einer freien Gesellschaft grundsätzlich kritisierbar. Er ist keinesfalls mit „den Juden“ oder „dem Judentum“ gleichzusetzen.
- Es gibt viele Juden, die sich weder durch Israel noch durch die großen, zionistisch geprägten jüdischen Organisationen außerhalb Israels vertreten fühlen. Das ist ihr gutes Recht, unterstreicht aber auch die Tatsache, dass das Judentum eine große soziale und kulturelle Vielfalt aufweist und nicht auf eine bestimmte politische oder philosophische Ausrichtung reduziert werden kann.
- Insofern hat das Eintreten für die Rechte der Palästinenser – und das impliziert zwangsläufig Zionismuskritik – nicht das Geringste mit „Hass auf Juden“ zu tun. Sie gründet sich vielmehr in der Überzeugung, dass die Menschenrechte für Menschen aller Ethnien und Religionen gelten, und das heißt: für Israelis gleichermaßen wie für Palästinenser.
- Die Nationalsozialisten haben die Juden verfolgt, weil sie Juden waren. Diejenigen Deutschen aber, die im Dritten Reich Juden vor der Verfolgung gerettet haben, taten dies nicht, weil es sich dabei um Juden, sondern weil es sich um Menschen handelte. In diesem Sinne darf man nicht über die Verbrechen Israels an den Palästinensern hinwegsehen, weil Israel sich als jüdischer Staat versteht. Dies würde wieder einmal die ethnische Zugehörigkeit auf eine höhere Stufe stellen als die allgemeinen Menschenrechte, was aber bereits ein Wesensmerkmal von Rassismus ist.
- Wenn „die Deutschen“ während des Dritten Reichs sich irgendetwas haben zuschulden kommen lassen, dann nicht, dass sie selbst mehrheitlich an der Ermordung von Juden beteiligt waren, sondern dass sie nichts unternommen haben gegen das ungeheuerliche Unrecht, das sich vor ihren Augen abspielte. Wenn also irgendeine Lehre aus Deutschlands Nazivergangenheit zu ziehen ist, dann dies: Man darf als Deutscher nicht wieder einmal wegschauen, wenn Unrecht an Menschen verübt wird, ganz gleich, welche ethnische oder religiöse Zugehörigkeit die jeweils Betroffenen besitzen.
Es ist unbestreitbar, dass der Antisemitismus im heutigen Europa weitestgehend von rechtsaußen kommt und weder mit dem Islam noch mit der palästinensischen Solidaritätsbewegung noch mit irgendwelchen linken Splittergruppen zu tun hat. Auf jeden Fall wird man den Antisemitismus in Europa nicht dadurch bekämpfen können, indem man zur Unterdrückung der Palästinenser schweigt. Vielmehr wäre es geboten, auf ein breites Bündnis all derjenigen hinzuarbeiten, die bereit sind, sich gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung zu engagieren, den Antisemitismus mit eingeschlossen.
Ich würde mir wünschen, dass auch die deutschen Medien sich aktiv am Zustandekommen eines solchen Bündnisses beteiligen würden statt denjenigen nach dem Mund zu reden, die im Interesse der israelischen Staatsräson einem wichtigen Teil dieses potentiellen Bündnisses die moralische Legitimität absprechen. Die unkritische Weiterverbreitung von Losungen wie „Antizionismus gleich Antisemitismus“ ist jedenfalls nicht dazu geeignet, ein breites, solidarisches Vorgehen von Juden und Nichtjuden gegen den Antisemitismus in Europa zu fördern.
Leserbrief von Dr. Allan Zink, Molsheim (Frankreich), an Süddeutsche Zeitung vom 1. Dezember 2019.
Es wird zu viel vereinfacht und verkürzt. Das Eintreten für die Rechte der Palästinenser impliziert nicht automatisch eine Zionismuskritik, sondern eine Kritik an denen, die sie verletzen. Das können Zionisten sein, aber nicht alle Zionisten verletzen die Rechte der Palästinenser.
Eine „breite Öffentlichkeit“ interessiert das alles gar nicht, wozu sich die Leute die Finger wund schreiben. Genauso ist mit „den Nationalsozialisten“ gewesen. Noch während des Krieges beklagten ältere Parteigenossen, daß sich jüngere nicht einmal am Rande für das so genannte Judenproblem interessieren würden. Auch die BDS bemüht sich, die breite Öffentlichkeit überhaupt zu erreichen und für ihre Belange zu interessieren. Was das Judentum in seiner eigenen Breite ausmacht, kann man bei Jacques Attali (dicionnaire amoureux du Judaisme) nachlesen. Nicht jeder Leser ist in Bezug auf das Judentum „amoureux“. Dort bemerkt man, daß, wenn man die Bücher der Psychologin Nicole Berry kennt (und nicht nur Talmud und Apologien), „die Juden“ nicht nur einer kollektiven Neurose verfallen wären (Sigmund Freud), sondern auch an einem gewissen Narzißmus leiden dürften. Deswegen stellen sie sich wohl laufend einer „breiten Öffentlichkeit“ vor, treten „paritätisch“ auf und ignorieren, daß sie in ihrer fortgesetzten Opferrolle schon Martin Luther (1543) auf den Geist gegangen waren, was dann zu wirklich judenkritischen Äußerungen von Heinrich v. Treitschke, Theodor Mommsen (wohlwollend) und Walter Rathenau zusammen mit Maximilian Harden geführt hat; was wohl auch Friedrich Holländer zu seiner Textung zur Habanera „an allem sind die Juden schuld“ veranlaßt haben dürfte. Daß alles nicht mehr im Lot ist und daß die Strippenzieher ihre Seile längst verwurstelt haben, werden auch andere als ich fühlen. Man sollte versuchen, quasi zum geistigen Umweltschutz, das Wort „Jude“ 6 Monate lang nicht mehr auszusprechen, damit über Gräbern, Brandstellen und Raubrodungen Gras wachsen kann.