Antisemitismus – ein Perpetuum Mobile

Das Glück der späten Geburt. Ein solches Glück hat Uwe Becker, Frankfurts Bürgermeister und Stadtkämmerer und zusätzlich Hessens Antisemitismusbeauftragter und Vorsitzender der DIG, der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft? Ist es nicht merkwürdig, dass ein Antisemitismusbeauftragter Präsident der DIG geworden ist? Es ist aber typisch und konsequent für die israelische Propaganda, die Israel immer im Schatten des Antisemitismus sieht. Die ganze Welt hasst Israel ja angeblich, und Antisemitismus ist so zum Perpetuum Mobile der deutsch-israelischen Beziehungen mutiert. Insofern scheint auch niemandem aufzufallen, wie unpassend es ist, wenn ein Präsident der DIG anlässlich des 9. Novembers in Berlin eine Rede hält. Die DIG sollte sich um die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland kümmern und dazu gehört dieser Gedenktag wohl kaum. Es würde diesen Beziehungen auch nicht schaden, wenn die DIG Israels Politik mitunter auch einmal kritisch  kommentieren würde, und Israels permanenten Bruch des Völkerrechts, seine Diskriminierung der Palästinenser und seine terroristische Unterdrückung ihres zivilen Widerstands und –  last not least –  Israels Vorreiterrolle für rechtsnationalistische Politiker auf der ganzen Welt thematisieren würde. Und wenn Becker wirklich etwas Sinnvolles machen möchte, dann sollte er klären, warum eine einzige Kerze brennt, wo bis 1938 die Synagoge in Randegg stand, einem sogenannten „Judenort“, wo 30% der Einwohner Juden waren. Das wäre reales Gedenken jenseits von Berlin.

Oder ist es vielleicht unser aller Glück, dass Becker nicht vor 100 Jahren geboren wurde, denn da hätte er Karriere im tausendjährigen Reich gemacht. Er wäre dann zwar nicht Antisemitismusbeauftragter geworden, aber möglicherweise ein ganz gewöhnlicher Judenreferent. Als solcher hätte er sich auch um Juden kümmern dürfen. Er hätte sie wohl nicht beschützen, aber in Schutzhaft nehmen können. Sein Vorgesetzter wäre dann der berühmt-berüchtigte Adolf Eichmann gewesen. 

Oder ist es ein Glück für Frankfurt und die Frankfurter, dass er nicht vor 200 Jahren zur Welt kam? Damals wäre er ein Untertan  Friedrich Wilhelms IV. und später Metternichs geworden. Und er hätte als ihr Knecht dafür sorgen können, dass die Versammlung der Demokraten in der Paulskirche nicht stattfindet. Er hätte Ernst Moritz Arndt, Ludwig Uhland, Jacob Grimm und vielen anderen Redeverbot erteilt und den Versammelten keinen Raum überlassen. Meinungsfreiheit ist ihm ohnehin kein besonderes Anliegen, und liberale, demokratische Verfassungen nimmt er auch nicht sonderlich ernst, er missachtet sie geradezu.

Am 7. November ließ sich Bürgermeister Becker im Stadtparlament von Frankfurt über die Titania-Veranstaltung aus. Er meinte, dass die Diskussionsteilnehmer,  insbesondere die in Israel geborene Jüdin Judith Bernstein, Antisemiten seien und die ganze Veranstaltung ohnehin antisemitisch sei. Tatsächlich fand im Titania-Theater, wo vor hundert Jahren schon Rosa Luxemburg aufgetreten ist, eine Offene Diskussion zu Raumverweigerungen und Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac, unter dem Titel: „Meinungsfreiheit statt Zensur“ statt.

Attac war die Gemeinnützigkeit vom Bundesfinanzministerium aberkannt worden.  Die Organisation hatte sich kritisch mit der Finanzpolitik der Regierung befasst.

Ein weiterer Angriff auf die Meinungsfreiheit: Stadtparlamente in Frankfurt, München und in mehreren anderen Städten haben Beschlüsse gefasst, Veranstaltungen, die sich mit BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen die israelische Besatzung) befassen, in städtischen oder von der Stadt subventionierten Räumlichkeiten, nicht mehr zuzulassen. Selbst die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ wird in diesem Zusammenhang als „antisemitisch“ sanktioniert. Sie wird nämlich, in übler Stasi-Manier, der „Kontaktschuld“ zu einer Menschenrechtsbewegung bezichtigt! Das wird „neuer Antisemitismus“ genannt!

Uwe Becker hat versucht, diese Veranstaltung zu verhindern und forderte Titania auf, die Raumvermietung zu kündigen. Erst durch die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung in letzter Minute, nachdem die Presse schon berichtet hatte, dass die Veranstaltung nicht stattfinden wird, hat die Leitung des Theaters die Kündigung aufgehoben. Es kamen aber dennoch immerhin mehr als hundert Interessierte.

Es gab eine Podiumsdiskussion mit Hartmut Bäumer von Transparency Deutschland, Judith Bernstein, Jüdisch-palästinensische Dialoggruppe München und Dr. Khaled Hamad (Palästinensische Gemeinde Deutschland). Veranstalter waren der Verein IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Regionalgruppe Ffm), Palästina-Forum Nahost Frankfurt, ATTAC Frankfurt und Club Voltaire Frankfurt.

Es war eine Debatte über Meinungsfreiheit. Uwe Becker aber, der nicht einmal anwesend war, verleumdete sie als „antisemitische Veranstaltung“. Ich war dabei und habe nicht ein einziges antisemitisches Wort vernommen. Dabei bin ich von Haus aus sehr allergisch gegenüber Antisemitismus.

Judith Bernstein berichtete von den Schwierigkeiten, in München einen Raum zu mieten und wie sie verleumdet und diskreditiert wird mit der immer wiederkehrenden Behauptung, sie würde BDS unterstützen. Als ob BDS die Inkarnation des Leibhaftigen wäre und man BDS meiden müsse, wie eben der Teufel das Weihwasser. Auch Dr. Khaled Hamad, der zahlreiche Palästinenser in Deutschland vertritt, sprach über die Schwierigkeiten, die sein Verein hat bei der Inanspruchnahme unseres Grundgesetzes, das immerhin in Artikel 5.1 die Meinungsfreiheit für jedermann garantiert. Hartmut Bäumer von Transparency International sprach allgemein über Meinungsfreiheit und über die Schwierigkeiten, sie in unserem Land durchzusetzen.

Für den Antisemitismus-Witterer Uwe Becker war das alles antisemitisch. Wenn ich bisher dachte, dass dieser Politiker nur gehirngewaschen ist, so bin ich inzwischen überzeugt, dass Becker hochgradig paranoid ist. Oder vielleicht tut er nur so?

Seit Jahr und Tag versucht Uwe Becker, die Meinungsfreiheit in Frankfurt zu unterdrücken, und friedliche Versammlungen zu verbieten, wenn auch nur die geringste Gefahr besteht, dass Israels Politik kritisiert werden könnte. Wie perfide er dabei vorgeht, macht sein Vorwurf mir gegenüber nur allzu deutlich: „…. natürlich kann und darf in unserem Land kritisch über jedes Handeln welcher Regierung auch immer offen und frei diskutiert werden, und gerade Frankfurt besitzt eine starke Tradition des gesellschaftlichen Diskurses. Interessant ist allerdings schon die Frage, weshalb bestimmte Gruppen immer wieder über die Politik Israels diskutieren wollen, und nicht etwa über das Regierungshandeln in Venezuela, dem Iran, Russland, China, dem Libanon etc.“

Es mögen diejenigen, die sich dazu berufen fühlen, das Unrecht und die Menschenrechtsverletzungen in Venezuela, dem Iran, Russland, China, dem Libanon und noch viele andere Länder anprangern – was viele ja auch tun. Meine Freunde und ich kehren lieber vor unserer eigenen Tür. Israel und Palästina sind mir – pardon! – näher als Venezuela.

Becker scheint Artikel 5.1 unseres Grundgesetzes nicht verstanden zu haben: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Das Grundgesetz stellt schlicht und einfach fest, dass Zensur nicht stattfindet. Becker aber versucht seit Jahren, Veranstaltungen und einzelne Referenten zu zensieren, zu delegitimieren und zu verhindern. Wie ist es möglich, dass Politiker wie Becker, die fortwährend das Grundgesetz verletzen, immer noch in Amt und Würden sind?

In den letzten zwei bis drei Jahren hat er ein halbes Dutzend einstweilige Verfügungen hinnehmen müssen und immer noch nicht aufgegeben. Die Kosten hat natürlich immer die Stadt tragen müssen, also wir Bürger! Wer einmal einen Fehler macht und daraus lernt, ist klug. Wer aber immer wieder denselben Fehler macht in der Hoffnung, beim nächsten Mal ein anderes Urteil zu bekommen, obwohl immer noch die gleichen Gesetze gelten, ist entweder dumm oder krank. Wollen wir, dass ein Psychopath eine derart wichtige Funktion in unserer Stadt ausübt?

Becker schreibt mir: „Auch hier liegt schon eine zumindest latent schwierige Haltung gegenüber dem einzigen Jüdischen Staat auf der Welt und gegenüber dem einzig demokratischen Rechtsstaat im Nahen Osten zu Grunde, aber dennoch darf über die dortige Regierungspolitik natürlich auch bei uns offen diskutiert werden.“ Auch das ist, wie alles bei Ihm, verlogen und einigermaßen dreist, denn wenn ich und meine Freunde offen über Israel diskutieren wollen, dann kommt Becker daher und erwartet, dass wir über Venezuela oder China schreiben.

Seit Jahren will uns die „Israel-Lobby“ weismachen, dass man bei uns offen über die Regierungspolitik Israels diskutieren kann und darf. Gemeint ist freilich nur wenn man Israels Politik lobt oder zumindest nicht verurteilt.

Becker schreibt: „Leider wird die antisemitische BDS-Bewegung von zu vielen noch immer in ihren eigentlichen Absichten verkannt.“ Eigentlich müsste man ihn wegen übler Nachrede, Hetze und Diskriminierung verklagen. Ohne Rücksicht auf die Folgen seines dummen Geschwätzes, behauptet er, BDS sei antisemitisch, obwohl vor und nach dem unsäglichen Beschluss des deutschen Parlaments hunderte von jüdischen und israelischen Intellektuellen und Akademikern einen  Aufruf an das deutsche Parlament unterschrieben, dass BDS eben nicht antisemitisch sei. Und obwohl Federica Mogherini, die außenpolitische Beauftragte der Europäischen Union, ausdrücklich festgestellt hat, dass BDS nicht antisemitisch sei, und obwohl inzwischen auch fünf Sonderbeauftragte der UNO an unseren Außenminister Heiko Maas geschrieben und um Aufklärung über den Beschluss gebeten haben.

Und schließlich schämt sich Uwe Becker nicht einmal, aus sich und seinen Glaubensgenossen, Opfer zu machen. Er schreibt: „Es ist schon sehr bezeichnend, dass gerade jene, die so laut von Meinungsfreiheit sprechen wie Sie“, und er meint mich, „so rasch beleidigend und herabsetzend argumentieren, wenn andere eben auch andere Meinungen vortragen als die Ihre.“ Beleidigt bin ich nicht, denn Uwe Becker kann mich nicht beleidigen. Ich bin aber in der Tat empört.

Da weiß man wirklich nicht mehr, was man diesem selbstgerechten Unterdrücker von Meinungs- und Redefreiheit antworten soll. Als ob irgendwann auch nur ein einziger der Kritiker der israelischen Politik verlangt hätte, dass Becker und seine Israel-Lobby ihre Meinung nicht vortragen dürfen, als ob wir überhaupt die Macht hätten, ihnen Räume zu verweigern. Dabei unterstützt doch Becker Israels Politik nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten und öffentlichem Geld. Der berühmt-berüchtigte „Israel-Tag“, der jährlich in Frankfurt stattfindet, wird immerhin von der Stadtkasse mit erheblichen Mitteln unterstützt. „Der Verlust von Scham ist“– so Sigmund Freud – „das erste Zeichen von Schwachsinn.“

Uwe Becker sollte schleunigst von seinen Ämtern entbunden werden, denen er sich zeitlich ohnehin kaum widmen kann, da er inzwischen von früh bis spät die Botschaften seines Vordenkers, des rechtsradikalen israelischen Ministers für strategische Angelegenheiten, Gilad Erdan, in deutschen Medien zu verbreiten sich bemüht.

5 Gedanken zu „Antisemitismus – ein Perpetuum Mobile

  1. Dieser wichtige und den Nagel auf den Kopf treffende Artikel Abi Melzers sollte man jedem Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zusenden mit der dringenden Aufforderung, diesen unsäglichen CDU-Politiker, der seit Jahren offen gegen die Regierungspolitik seiner CDU-Kanzlerin in Sachen Israel/Palästina agitiert und sich als Interessensvertreter eines fremden Staates (Israel) geriert, schnellstmöglich seines Amtes als Bürgermeister und Stadtkämmerer zu entheben. Uwe Becker ist eine Schande für unsere Stadt Frankfurt!

  2. Traurige Zustände, was die Meinungsfreiheit in der BRD angeht! Der einzige Einwand, den ich habe: Auf die Worte „in übler Stasi-Manier“ hätte im Beitrag verzichtet werden können, gerade wenn man um die Solidarität der DDR mit der PLO und den Palästinensern weiß.

  3. Marc Twain soll gesagt haben, „die Deutschen trieben jede Sache ao weit, bis daraus eine böse geworden sei“. Weniger humorvoll schreibt dies Jean Lopez in seinem neuen Buch „Barbarossa 1941 – der absolute Krieg (S.266): „Es gehört zur deutschen Kultur, die spezifischen Ziele gnadenlos zu verfolgen, quasi als seien die handelnden Institutionen von einem Autismus geschlagen.“ Er zeigt diesen Autismus zwar am Beispiel des Russlandfeldzuges, aber die deutsche Justiz arbeitet nicht anders als autistisch und logischerweise wird das 1952 begründete Bündnis mit Israel mit autistischer Nibelungentreue geführt. Es ist also ganz im deutschen Wesen belegen, die letzten Reste der Meinungsäußerungsfreiheit als antisemitisch zu verteufeln und mit dem Verbot von BDS und anderen vergleichbaren Institutionen die Beziehungen zu Israel zu krönen.

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