Wacht endlich auf!

Golda Meir hat einmal gesagt, dass sie den Arabern nie verzeihen wird, dass sie „uns Israelis zwingen sie zu töten“. Das war der Höhepunkt an Heuchelei und Zynismus. Keiner wird oder ist gezwungen zu töten. Die Palästinenser wollen die Israelis lediglich zwingen sie in Würde und Freiheit leben zu lassen. Natürlich haben die Israelis, wie jedes andere Volk auf der Welt, das Recht sich zu verteidigen. Aber die Betonung liegt auf „jedes andere Volk“ und deshalb haben auch die Palästinenser das Recht sich zu verteidigen. Und wenn wir auf den Konflikt in Gaza schauen, dann haben doch die Menschen in Gaza das Recht so leben zu wollen, wie die Menschen 50 Kilometer nördlich, nämlich in Tel Aviv. Auch sie wollen frei sein, unabhängig sein und nicht von den Gnaden bzw. Launen der israelischen Besatzung abhängig sein. Seit nunmehr zwei Generationen leben dort die Menschen wie in einem Freiluftgefängnis. Sie dürfen nicht raus und keiner darf rein, natürlich bis auf seltene Ausnahmen. Journalisten dürfen rein, um über das Elend der dort lebenden bzw. vegetierenden Menschen zu berichten. Die Palästinenser in Gaza und in der Westbank wollen aber kein Mitleid. Sie wollen die Anerkennung ihrer Rechte, die Respektierung dieser Rechte: Als freie Menschen zu leben.

Jetzt werden die Palästinenser sagen, dass sie den Israelis nie verzeihen werden, dass sie die Hamas gezwungen hat ein solches Blutbad durchzuführen. Es kann für eine solche Tat keine Entschuldigung geben, aber man kann verstehen, warum und wieso es dazu gekommen ist, ohne es zu rechtfertigen und schon gar nicht es gut zu finden, zumal es jetzt am meisten den Menschen in Gaza schaden wird.

In Europa und besonders in Deutschland schauen wir auf den Konflikt mit europäischen Augen und christlicher Logik. Die Menschen im Orient, und Israel ist nun mal ein Teil des Orients, ticken aber anders. Dort gilt noch die biblische Formel: Auge um Auge, Zahn um Zahn, wobei die Israelis diese im Grunde humane Aufforderung pervertiert haben, indem sie in ihren Vergeltungsschlägen, die man als pure Rache auslegen darf, zehn Augen für ein Auge verlangten und zehn Zähne für ein Zahn.

Seit Jahren wird der Konflikt von israelischer Seite eingefroren und Netanjahu sagte immer wird, dass er nicht interessiert sei den Konflikt zu lösen. Es reichte ihm den Konflikt zu verwalten. Die Quittung für diese arrogante und leichtsinnige Politik hat er am 7. Oktober 2023 bekommen. Nur wenige Tage zuvor, im September, stand er vor der UN-Generalversammlung und zeigte den anwesenden Führern der Welt eine Karte der Region auf dem Palästina ausradiert war. Das war eine perfide und unnötige Provokation. Und wenn gleichzeitig geprahlt wird, dass man dabei sei mit Saudi-Arabien Frieden und militärische Kooperation zu vereinbaren, dann soll man sich nicht wundern, wenn auf arabischer und auch iranischer Seite das Blut kocht, der gesunde Menschenverstand unter Druck gerät und sie vor Angst, Hass und Enttäuschung explodieren. Aus demselben Grund kämpfen die Ukrainer gegen Russland, weil Putin ihnen ihr Existenzrecht verweigert und sie lieber heute als morgen vernichten und ausradieren möchte. Die Ukrainer werden von der westlichen Welt unterstützt. Gaza aber von niemanden. Die Menschen dort müssen zusehen und ertragen wie andere arabische Staaten, sozusagen ihre Brüder, mit Israel kooperieren. Und jetzt auch noch Saudi-Arabien, der bisher größte Unterstützer der palästinensischen Sache. Das brachte endgültig das Blut zum Überkochen und die Vernunft zum Schweigen.  Sie handelten aus blinder Wut und Verzweiflung und sie handelten falsch, aber was wäre richtig? Der Wille der Nationalisten siegt über das Recht der Vernunft. Statt Frieden mit ihren Nachbarn zu schließen, wählen die Palästinenser und die Israelis den Weg des Krieges und beschuldigen sich gegenseitig als Terroristen. So ist es schon seit Jahren und das Szenario wiederholt sich ständig. Die Palästinenser veranstalten einen Terrorakt und die Israelis antworten mit Gewalt. Und wenn die Gewalt nicht reicht, dann eben noch mehr Gewalt. Für Gespräche ist kein Platz. Israel behauptet, dass es sich verteidigt, aber dasselbe behaupten auch die Palästinenser.

Der Krieg der palästinensischen Hamas wird zum Krieg aller Palästinenser und der Krieg der rechten israelischen Nationalisten wird zum Krieg aller Israelis und macht sie alle radikaler. Die nicht sahen, was kommen wird nach der Wahl einer rechtsradikalen Regierung in Israel, wollten es nicht sehen. Und wer sich jetzt über die Tragödie der Israelis beschwert, verkennt die Ursachen. Natürlich sind wieder „Unschuldige“ ermordet worden. Aber auch auf palästinensischer Seite werden seit Jahren „Unschuldige“ ermordet und nicht wie es in israelischer Sprache heißt, getötet. Die Israelis haben Netanjahu geglaubt, dass man Millionen von Menschen in einem Freilustgefängnis „verwalten“ kann. Sie wie „menschliche Tiere“ behandeln, ohne vor Gericht gestellt zu werden, töten kann, weil, wie es ein israelischer Richter einmal gesagt hat: „Jüdisches Blut ist wertvoller als arabisches Blut“. Das ein durchgeknallter Richter sowas sagt ist schlimm genug. Viel schlimmer ist aber die Tatsache, dass er es sagen konnte ohne Konsequenzen zu fürchten. Das ist purer Rassismus und die israelische Gesellschaft ist leider durchdrungen von solcher Ideologie.

Schuldig sind alle, auch wir in Europa und Deutschland, die zugesehen haben wie das palästinensische Volk leidet und nichts getan haben. Schuldig sind deutsche Minister, die öffentlich sagen, dass sie über die humanitäre Unterstützung der Palästinenser mit ihren Kollegen in Israel sprechen müssen. Schuldig ist eine naive und unfähige Regierung in Berlin, die seit Jahren davon redet, dass sie eine Zweistaaten-Lösung befürwortet, aber nur einen Staat anerkennt und den anderen ignoriert. Schuldig ist eine Politik, die die Israelis als jüdische Opfer betrachtet und nicht als israelische Täter. Die Juden, zumindest in Frankreich, England und besonders in den USA fangen an sich von Israel wegen seiner faschistischen und völkerrechtswidrigen Politik zu distanzieren. Nur die Nicht-Juden sind noch nicht dazu bereit. Es sieht fast so aus, als ob die christliche Welt ihren jahrhundertelangen Antisemitismus jetzt auf die Palästinenser übertragen haben. Was nützen denn die Reden von Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit für alle Menschen, wenn die Palästinenser immer wieder ausgeklammert werden. Gehören sie nicht auch zu dem menschlichen Spezi? Natürlich gibt es bei den Palästinensern Kräfte, die nicht an Frieden interessiert sind. Aber solche Kräfte gibt es auch in Israel. Diese Kräfte müssen auf beiden Seiten eliminiert werden. Vielleicht sollte man es einmal mit anderen Mitteln gegen die Hamas versuchen? Wenn aber jahraus, jahrein immer nur von der „radikal islamistischen Hamas“ die Rede ist, dann bekommt die Hamas keine Chance ihre Politik zu ändern. Radikal ist auch die israelische Regierungspolitik, zumal mit der jetzigen rechten und rassistischen Regierung.

Man redet jetzt davon, dass man die Hamas bzw. den palästinensischen Terror ein für allemal beseitigen will und muss. Man will sich nicht daran erinnern, dass es nicht immer so war und die Beziehung zwischen Juden und Araber nicht immer von Hass erfüllt war. Es waren auch Araber in Ägypten und Palästina, die geflüchteten Juden, aus dem barbarisch-christlichen Spanien, aufgenommen haben. Es waren auch Palästinenser, die geflüchtete Juden aus dem zaristischen Russland und aus Polen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgenommen und friedlich behandelt haben. Und es lebten seit Jahrhunderten Juden in Palästina in guter Nachbarschaft mit ihren palästinensischen Nachbarn. Der Hass zwischen beiden Ethnien begann erst mit der Verbreitung des Zionismus, als die Palästinenser begannen zu verstehen, dass die Juden in ihrem Land und auf ihrem Grund und Boden einen eigenen, jüdischen Staat gründen wollen und dass die Konsequenz daraus ihre eigene Vertreibung sein wird. Und tatsächlich ist es so gekommen.

Der Widerstand der Palästinenser hat deshalb nichts mit Antisemitismus zu tun. Tatsache ist, dass Israel heute die Sprache der Nazis benutzt, wenn Israels Generalstabschef Yoav Galant verkündet, dass er Gaza kein Strom, kein Wasser und keine Lebensmittel liefern wird und die Menschen in Gaza als „menschliche Tiere“ bezeichnet. So begann auch die Judenverfolgung in Deutschland und so begann sie überall und immer: Bei der Verfolgung durch die Inquisition in Spanien oder bei den Pogromen in der Ukraine und Russland.

Israel will Rache, aber Rache ist das Gegenteil von Gerechtigkeit. Die Politik und die Medien in Europa haben Verständnis für Israel, weil sie auf den Konflikt ausschließlich aus der Perspektive der Israelis schauen. Und sie alle sind blind und taub, wenn sie solche Äußerungen über die Palästinenser vernehmen, die den Äußerungen der Nazis über die Juden gleichen. Es ist auch nicht zu verkennen, dass mit ihrer bedingungslosen Unterstützung Israels, die christliche Welt das „wiedergutmachen“ will, was sie mehr als tausend Jahre mit dem Antisemitismus falsch gemacht hat und natürlich mit dem grausamen deutschen Holocaust, der mehr als sechs Millionen Juden ermordete.

Wenn man die Hamas bzw. den sogenannten palästinensischen Terror, der in Wahrheit nicht Terror, sondern Widerstand ist, ein für allemal beseitigen will, dann nicht, wenn mit Gewalt geantwortet wird, denn Gewalt führt immer zu mehr Gewalt und mehr Gewalt führt zu noch mehr Gewalt und das Rad dreht sich ohne Ende. Nur ehrliche und faire Verhandlungen auf Augenhöhe werden zu einem nachhaltigen Frieden führen. Die Palästinenser wollen auch nur so frei leben wie wir. Und deshalb müssen wir Europäer nicht nur mit Israel solidarisch sein, sondern auch mit den Palästinensern, die heute die Juden der Juden sind. Wir müssen nicht nur Druck auf Palästina ausüben, wenn unsere Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit laut verkündet, dass sie mit Israel beraten will, wie die Unterstützung Israels aussehen darf. Es fragt auch niemand Putin wie man die Ukraine unterstützen soll. Wie lange will die Welt noch zuschauen? Sollen zwei Millionen Menschen in Gaza verhungern und verdursten, wie es Netanjahu plant? Wird die Welt das zulassen? Wird Deutschland dann immer noch hinter Israel stehen? Die Lippenbekenntnisse der Politiker sind unerträglich und zynisch. Wie heuchlerisch sind sie alle? Israel fordert die Menschen Gaza zu verlassen. Aber wohin? Hat denn niemand Mitleid mit den Kindern in Gaza? Zählen nur die israelischen, die jüdischen Kinder? Natürlich soll man Empathie und Mitleid mit Israel haben und ganz besonders mit den mehr als hundert Geiseln. Aber ist es nicht an vorderster Stelle die Aufgabe der israelischen Regierung sich, um ihre Bürger zu sorgen und zu kümmern? Wenn für die israelische Regierung Rache wichtiger ist als die Rettung seiner Bürger, dann ist es an die Bürger Israels darauf zu reagieren und sich an ihrer Regierung zu rächen und sie in die Wüste zu schicken, obwohl es keine Garantie gibt, dass eine neue Regierung realistischer sein wird. Mit dieser Regierung ist Israel jedenfalls auf dem Weg in eine Theokratie zu werden, wie der Iran. Theokratien sind auch nur Diktaturen. Im Vatikan hat der Papst das Sagen und im Iran sind es die Ayatolen. In Israel wären es dann die orthodoxen Rabbiner, die schon heute ihren Gläubigen sagen welche Partei sie wählen soll.

Israel ist keine Demokratie und schon gar nicht eine europäische Demokratie. Es ist absurd und Unsinn, wenn unsere Politiker sagen, dass uns mit Israel gleiche Werte verbinden. Schlimm wäre es, wenn unsere Werte von Demokratie und Menschenrechte, denen der Israelis gleichen würden. Dann würden alle Israelis, die in den letzten Jahren nach Deutschland geflohen sind als erste Deutschland wieder verlassen, denn sie kennen die israelische Demokratie, wo ein geschiedener Mann keine geschiedene Frau heiraten darf, weil er angeblich aus dem biblischen Stamm der Kohanim, der Priester stammt. Schon seit der Gründung des Staates Israel bestimmen die religiösen Parteien über Sein und Nichtsein des Staates. Ihre Gläubigen dienen nicht in der Armee und leben parasitär auf Kosten der säkularen Wähler. Und sie bestimmen inzwischen über das israelische Schulsystem. In ihren Schulen werden keine naturwissenschaftlichen Fächer gelehrt und auch keine Sprachen, Musik oder Sport. Israel ist dem Mullah Regime im Iran bald ähnlicher als den demokratischen Staaten in Europa. Und wenn bald der letzte säkulare Wähler Israel verlassen wird, wird man auch in Israel mit Rabbiner verhandeln müssen, die die Politik bestimmen.

Vielleicht ist der letzte Angriff der Hamas, so brutal und scheußlich er auch war, ein Weckruf für die liberale, säkulare Gesellschaft in Israel: Wacht endlich auf.

Abraham Melzer, 12.10.2023

Geschichte ereignet sich meist zweimal, einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.

Langsam fühle ich meinem Vater nach, wie er in den 30er Jahren in Berlin jeden Tag erleben musste, dass bisherige Freunde sich bis zur Unkenntlichkeit veränderten; oder zeigten sie vielmehr ihr wahres Gesicht als Nazis? Wer heutzutage immer noch Putin versteht, dürfte 1933 auch Hitler verstanden haben. Wer der Meinung ist, dass die Nato Russland bedroht habe, hätte auch 1939 geglaubt, dass Polen Deutschland angreifen werde. Wer heute dagegen ist, dass man der Ukraine Waffen liefert, hätte sich auch empört, dass während des ganzen Zweiten Weltkrieges die USA an die UdSSR Waffen lieferte. Wer heute blind angesichts der Kriegsverbrechen Russlands ist, der wäre auch blind gewesen gegenüber den Kriegsverbrechen der Nazis. Wer Putins Krieg als „Spezialoperation“ betrachtet, der hätte die Ermordung der Juden auch nur als „Endlösung“ bezeichnet. Wer jetzt immer noch nicht wahrhnehmen will, dass Putin in der Ukraine einen Genozid veranstaltet, der nimmt auch an, dass Selenskyj ein Nazi und die Ukrainer Mitglieder der Waffen-SS seien. Oskar Lafontaine und seine Frau Sahra Wagenknecht sind beide schlimme Komplizen von Putins Kriegsverbrechen. Sie „verstehen Putin“, und sie sprechen seine Sprache besser als mancher andere. Gregor Gysi zieht es vor, Ukrainer sterben zu lassen, als ihnen Waffen zu liefern, weil „überall Deutschland an Kriegen verdiene, was genau das sei, was ich, Gysi,  nicht möchte.“ In dieser Logik fordert Gysi in einer Rede vor dem Bundestag, dass die „Nato doch erklären sollte, dass sie jetzt keine einzige Waffe mehr an die Ukraine liefere, wenn die russische Führung einem Waffenstillstand zustimme.“ Zurecht macht da Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann einen Zwischenruf: „Wie naiv sind Sie eigentlich?“ Und Gysi bekommt Beifall von Abgeordneten der AfD.

Ich erlebe in diesen Tagen ähnliches wie mein Vater damals. Freunde und Bekannte, für die ich früher meine Hand ins Feuer gelegt hätte, dass sie liberal seien und auf der Seite der Menschenrechte stünden, erweisen sich plötzlich als „Putinversteher“. Sie veröffentlichen Aussagen wie diese: „Die ukrainische Seite hat keinerlei Hemmungen, Kriegsgefangene massiv zu foltern und auch zu töten. Etwa ein Drittel der russischen Kriegsgefangenen, die die unmittelbare Gefangennahme überlebten, werden in ukrainischen Gefängnissen von den Sadisten des ukrainischen Geheimdienstes SBU zu Tode gefoltert… Auch wird ihnen ausreichend Nahrung und Wasser verweigert…“

Ich weiß nicht, woher sie solche Tatsachen erfahren haben wollen. Sie können solche Behauptungen nur direkt vom russischen Propagandaministerium erhalten. Ich frage mich und staune, wie die vielen liberalen Linken mutiert sind, die plötzlich so viel Verständnis für einen brutalen und grausamen Krieg haben. Liegt es an der Person des Kriegsherrn, Putin , der in Wirklichkeit keinen Krieg führt, sondern zynischen und rücksichtslosen Terror gegen Zivilisten „spezialoperiert“. Der Terror gegen Kinder und alte Menschen, gegen Frauen und Mütter, Säuglinge und Kranke ist tatsächlich eine „Spezialoperation“ und kein klassischer Krieg. Ein klassischer Krieg ist für Putin längst verloren. Indem er im Stil der „Nazis“ die Ukraine als Staat vernichtet und die Ukraine als Gebiet vor einem Zugriff der „faschistischen Imperialisten aus dem Westen“ retten will, macht er „Lebensraumpolitik“ nach Art der Nazis. Wir leben in einem historischen Zeitabschnitt, in der keiner von uns abseitsstehen darf. Entweder stellen wir uns dem gegenwärtigen russischen Regime entgegen, oder wir werden zum Kollaborateur desselben. Wir dürfen nicht tolerieren, dass die Macht der Gewalt über das Recht regiert. Wir müssen die imperialistische Politik des Kremls thematisieren und bekämpfen, denn diese richtet sich letztlich auch gegen uns. Wir dürfen nicht mehr die russische Propaganda nachplappern und zu Putins Sprachrohren werden. Es gibt eine Vorgeschichte zu diesem Krieg – sicher. Aber der Westen trägt keine Mitverantwortung an diesem Krieg. Die Wahl „der Schritt zur Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz)  war allein Putins Entscheidung. Es handelt sich auch nicht um eine harmlose „Spezialoperation“ sondern um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Viele sehen das anders, aber der „Freitag“ (z.B.) hat für Beiträge von Autoren mit einer putinistischen Haltung keinen Platz mehr. Ulrich Heyden, dem diese Zeilen galten, der immer noch in Moskau sitzt und die Rolle von Putins Pudel spielt, antwortete darauf: „Nach meinem Eindruck lachen die Russen über diese Verurteilung von deutscher Seite.“ Inzwischen ist ihnen aber das Lachen vergangen. Ich habe nichts dagegen, wenn diese naiven und wohl von Russland gelenkten „Putin Versteher“ die USA kritisieren. Ich habe es selbst oft getan und tue es immer noch. Aber ich kritisiere die amerikanische Politik, z.B. ihre Nahost-Politik in Bezug auf Palästina und Israel, aber nicht die Amerikaner bzw. das amerikanische System schlechthin.

Eine Bilanz von Putins nunmehr zwanzigjähriger Herrschaft offenbart einige interessante Umstände. Das Bruttosozialprodukt der Weltmacht Russland liegt auf dem Niveau Spaniens. Die Einnahmen aus den riesigen Öl- und Gasressourcen des Landes sind vor allem in die Rüstung geflossen – davon ein Anteil, die gemeinsten Mafiabosse vor Neid erbleichen ließe –   ist in die Taschen der Oligarchen geflossen, die ihre Privilegien mit Kadavergehorsam gegenüber dem Mann im Kreml bezahlen. Wenn sie Putins Plänen, wie etwa im Fall der «Spezialoperation» in der Ukraine, im Wege stehen, passieren ihnen plötzlich unerklärliche Dinge: sie rutschen auf einer Treppe aus und brechen sich das Genick; sie verlieren beim Rauchen am Fenster das Gleichgewicht und fallen in die Tiefe; sie stürzen aus ihrer Jacht ins Meer, und können immer nur noch tot geborgen werden. Das ist schon seit Jahren die Art Putins, seine Gegner zu beseitigen. Trotzdem schreiben linke Verschwörungstheoretiker von einem „totalen Krieg gegen Moskau“, der von „ukrainischen Nazis“, geführt werde. Sie drücken es sogar poetisch aus: „Niemand kann den Fetisch des Untergangs eindrucksvoller zelebrieren als die politischen Nachkommen derer, die einst an der Seite von Himmlers ´Rassenkriegern` die Schwarze Sonne anbeteten.“ Die Ukrainer standen aber nicht „an der Seite Himmlers“. Sie kämpfen wie die Russen und starben auch wie sie.

Deutsche beschuldigen die Angegriffenen, die Angreifer zu sein. Deutsche, deren Eltern ihre Freiheit denjenigen verdankten, die für sie gestorben waren. Und jetzt beleidigen und diskreditieren sie diese Toten als „Rassekrieger an der Seite Himmlers“ gestanden zu haben. Die Kiewer Regierung, die heute ihr Land verteidigt, soll nach dieser Interpretation schuld sein an der Eskalation des Krieges. Demnach müsste auch Stalin daran schuld gewesen sein, dass Hitler Russland angegriffen hatte. Man kann nur noch staunen, dass es Menschen gibt, die solche Gedanken spinnen können, und solche, die an diesen Unsinn glauben. Ich kann verstehen warum Deutsche, deren Väter von amerikanischen Soldaten getötet wurden, die Amerikaner ablehnen. Ich kann aber nicht verstehen, wie Deutsche, deren Eltern von Russen unterdrückt und ausgebeutet wurden, für Russland mehr Empathie empfinden als für Amerika. Dabei geht es in diesem Konflikt nicht um Russland oder Amerika, und auch nicht um Russen oder Amerikaner, sondern im Grundsatz um einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen eine zivile Bevölkerung, der die komplette Infrastruktur ihres Landes zerstört wird. Damit wird nur die Bevölkerung sinnlos terrorisiert. Die Bevölkerung leidet und wird noch Jahrzehnte lang leiden müssen. Der Wiederaufbau der Ukraine wird Billionen Euro kosten, aber auch die Wiederherstellung Russland wird nicht billig sein und sich über Jahrzehnte hinziehen. Es tut weh zuzusehen, wie Ressourcen vernichtet werden, wo wir doch auf der Welt so viel andere Probleme haben, die dringend gelöst und in Angriff genommen werden müssen.

Ich wundere mich nur, warum so viele die Rolle Russlands bzw. Putins dabei nicht sehen wollen, und dass sie stattdessen immer auf die USA blicken und dort das Böse suchen. Natürlich ist der amerikanische Imperialismus widerlich und kritikwürdig. Aber haben wir denn nicht alle auch immer wieder amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam, Irak, Libyen und sonst wo kritisiert? Warum sehen diese naiven Linken neben den Anhängern der AfD nicht den russischen Imperialismus, der nicht weniger brutal und nicht minder gefährlich ist? Warum sehen sie nicht, dass man eine angeblich schlechte Demokratie nicht mit einem autokratischen Staat bekämpfen kann? Warum sehen sie nicht, dass Putin vielfach mörderischer und brutaler ist als der schlimmste amerikanische Präsident? In allen Schriften dieser „Putinversteher“ habe ich nicht ein einziges Mal von Butscha oder Mariupol gelesen. Nicht ein einziges Mal von zerstörten Theatern mit hunderten von zivilen Opfern, von bombardierten Supermärkten und zigtausender Privathäuser. Nicht von der kompletten Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur, davon, dass Menschen hungern, frieren und sinnlos sterben, und auch nichts von der Entführung tausender ukrainischer Kinder nach Russland, wo ihnen ihre Identität gestohlen wird. Stattdessen lese ich immer wieder von der Infamie der Nato, die angeblich Russland existenziell bedroht hat. Das war aber eine krankhafte Einbildung Putins und seiner Getreuen.

Worin besteht das Lebensmodell, das Putin der «Dekadenz» des Westens entgegenstellt? Welche neuen Vorteile, welche neuen Freiheiten, welche neuen Freuden können sich die in Propagandalügen gefangenen Russen von einem Sieg Putins in der Ukraine versprechen? Und welches Schicksal stünde den Georgiern, den Bürgern der Moldau und anderer «abtrünniger» Provinzen bevor, wenn Putin den sie umfassenden Traum vom «Großen Russland» realisieren könnte? Mit welchen Mitteln und mit welchen Arbeitskräften würde er die zertrümmerten Städte der Ukraine wieder aufbauen und einen Schaden gutmachen, der bis dato auf 500 Milliarden Dollar beziffert wird?

In den USA haben wir es mit einer Demokratie zu tun, die, wenn sie auch unvollkommen ist und Fehler macht, immer noch eine Demokratie bleibt, die sich alle vier Jahre erneuern und korrigieren kann. In Russland herrscht Putin schon zwanzig Jahre und wird bis an sein Lebensende herrschen, wenn er nicht gewaltsam beseitigt wird. Und Putin setzt auch eine Politik fort, die unzählige Vorgänger auch schon geführt haben. Er selbst beruft sich auf keinen geringeren als Peter dem Großen, Zar von Russland von Gottes Gnaden. Auch dieser regierte nicht aufgrund von Wahlen, sondern mit Gewalt. In den USA wird der Präsident durch den Kongress kontrolliert und vor nicht allzu langer Zeit musste Präsident Nixon gehen, weil der Kongress ihn gefeuert hatte. In Russland wird Putin von niemanden kontrolliert und er kann tun und lassen, was er will.

Bei uns im Westen, besonders in Deutschland, werden unzählige Petitionen veröffentlicht, die unsere Regierung auffordert Verhandlungen aufzunehmen. Abgesehen davon, dass unsere Regierung keine Verhandlungen aufnehmen kann, stellt sich die Frage mit wem. Wer will sich noch an Putins langen Tisch setzen und von Putin gedemütigt und lächerlich gemacht werden? Und wie naiv muss man denn sein, um auf die Straße zu gehen und „Frieden schaffen ohne Waffen“ zu skandieren. Frieden kann man nicht ohne Waffen schaffen. Für Frieden muss man kämpfen und wenn es sein muss und nicht anders geht auch mit Leopard 2 Panzern. Verhandeln kann man erst nach einem Krieg, wenn eine Partei gesiegt hat, oder beide Parteien vom Krieg erschöpft sind. So war es nach dem Ersten Weltkrieg und so war es nach dem 30jährigen Krieg.

Und bei alle dem, vergessen diese naiven Friedensstifter, dass die Ukraine den Krieg nicht begonnen hat, und dass sie auch kein russisches Territorium besetzt hält. Die Ukraine kämpft um nicht mehr und nicht weniger als um ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Vor allem unabhängig sein von Russland. Und das sollten wir, ja müssen wir unterstützen.

Natürlich muss man die USA kritisieren, wenn sie Kriegsverbrechen verübt, aber warum artet eine solche Kritik bei Leuten wie Oskar Lafontaine und bei anderen in abgrundtiefen Hass und böser Verleumdung aus? Hat denn die Generation von Lafontaine nicht ihre Freiheit und Unabhängigkeit den idealistischen US-Soldaten zu verdanken, die unsere Freiheit mit ihrem Leben bezahlten? Und nicht nur die Menschen in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa schulden diesen Dank. Die Menschen in Osteuropa hatten Pech. Sie wurden von Stalins Russland befreit, besetzt und regiert. Sie hatten kein russisches Äquivalent zum Marshallplan. Sie bekamen keine Carepakete aus den USA. Im Gegenteil, die Russen haben alles geraubt und nach Russland verfrachtet, was von Wert erschein. Über eine Million Amerikaner haben ihr Leben geopfert, um Europa vor dem Gift des Nazismus und vor dem italienischen Faschismus zu befreien. Diesen Toten verdanken wir und unsere Kinder und Kindeskinder die Tatsache, dass wir frei in einer liberalen Demokratie aufwachsen und uns entfalten konnten.

Woher kommt jetzt dieser unkontrollierte Hass auf die Amerikaner und die unverständliche Zuneigung und Empathie für Russland, wo doch Russland die Menschen in Ostdeutschland und in ganz Osteuropa nicht besonders zart und freundlich behandelt hatte. Für die Menschen in Ostdeutschland gab es kaum einen Unterschied zum nationalsozialistischen Regime. Die Russen haben die Menschen kaum anders behandelt, als die Nazis, außer, dass man in den russischen Gulags noch eine, wenn auch geringe Chance hatte, zu überleben. Die Russen haben ihre Häftlinge nicht vergast oder brutal ermordet, sondern eher durch Arbeit ausgebeutet. Stalin hatte keine Tötungsfabriken, keine Gaskammern und Verbrennungsöfen. Im Gulag starben die Menschen zwar auch wie die Eintagsfliegen, aber nicht durch Gas, sondern bei der Arbeit. Trotzdem war Russland nicht Nazideutschland. Bei den Nazis reichte, es Jude zu sein. Bei Stalin musste man schon einen Grund für Verhaftung und Deportation nach Sibirien bieten, auch wenn dieser noch so absurd war. Darin hat sich wohl in Russland unter Putin nicht viel geändert. Als mein Vater im Gulag einen Mithäftling fragte, warum er in den Gulag kam, erhielt er zur Antwort: „Weil ich zwei Hemden hatte.“ Das zeigt, wie absurd alles war. Die Verurteilung von Nawalny heute war nicht viel anders. Nawalny wurde verurteilt, weil er zwei Hosen hatte.

Russland und die USA sind zwei Supermächte, die zusammen mit China heute den Lauf der Welt bestimmen. In ihren imperialistischen Bestrebungen unterscheiden sie sich nicht voneinander. Sie folgen ihren eigenen Ambitionen, unterstützen brutale, autokratische   Regime je nach ihrem Interesse und haben keine Skrupel dabei. Sie reden von Freiheit und meinen immer nur ihren eigenen Vorteil. Die Freiheit der anderen interessiert sie wenig. Das goldene Kalb dieser Supermächte sind Kapital und Einkommen. Und wir können sehen, wie Geld die Welt regiert. Die Chinesen haben daraus eine Religion gemacht. Die Russen haben den Reichtum ihres Landes unter einer kleinen Clique von Oligarchen verteilt, die Putin beherrschte, und die ihn zum allerreichsten Mann der Welt machte, dafür, dass er sie das Land ausbeuten lässt. Und in den USA, wo der Kapitalismus zuhause ist, ist jeder Milliardär seines Glückes Schmied. Das Volk ist überall mehr oder weniger arm und lässt sich, wie wir jetzt in Russland sehen, von den Regierungen bzw. Diktatoren in den Krieg schicken, während die Milliardäre in den USA, die Milliardäre in China und die Oligarchen in Russland noch mehr Geld verdienen, wenn man überhaupt von „verdienen“ reden kann.

Bei den russischen Oligarchen kann man sicherlich nicht von „verdienen“ reden. Sie verdienen ihr Geld durch Ausbeutung von Bodenschätzen, die eigentlich dem Volk gehören und Putin verdient mit daran. Insofern ist Krieg nicht ein „endloser Kampf zwischen Gut und Böse“, wie Wolfgang Streeck schreibt, sondern eine endlose Ausbeutung der Erde durch skrupellose Schurken (oder bösartige Narzissten, wie es Otto Kernberg ausdrückt). Es zeigt die menschliche Schwäche, immer dann Stärke zu zeigen und andere Länder zu erobern, wenn man selbst schwach ist. So beginnt die Geschichte mit der Eroberung Kanaans durch die Israeliten und wird vielleicht enden mit dem Versuch der Eroberung der Ukraine durch Putin. Es ging bei allen Eroberern, Josua, Alexander, Cäsar, Karl der Große, Wallenstein, Friedrich der Große, Napoleon, Hitler und jetzt Putin, darum, mehr Land von anderen zu besitzen und mehr Bodenschätze anderer Leute auszubeuten. Um Gut oder Böse ging es nie. Gut war immer der Sieger. Der Besiegte war immer der Böse.

Die Zeitenwende, von der jetzt so viel die Rede ist, besteht darin, dass Putin, „der korrupte Führer eines korrupten Landes“, ein Völker mordender Wahnsinniger wurde. Und Streeck meint, dass er es ohne Anlass geworden ist, dass es eine „pathologische Wende“ war. Ich bin aber überzeugt, dass Streeck sich hier irrt. Putin hatte einen Grund, aber dass dieser mitnichten die Nato war. Es liegen uns keine Beweise vor, dass die Nato geplant hatte Russland anzugreifen. Putin hatte keine Angst vor der Nato, sondern vor der Ukraine. Er hat auch keine Angst davor, dass die Ukraine Russland militärisch angreift, sondern vielmehr davor, dass der Virus der Demokratie, der in der Ukraine zu einer Epidemie wurde, zu einer Pandemie wird, und dass Russland wie von einem Tsunami überschwemmt wird. Putin hatte Angst davor, dass die Demokratie seine eigene Bevölkerung anfällt und dass sie ihn überrollt. Das ist die einfache und überzeugende Wahrheit. Es mag dies glauben wer will und ablehnen wer will.

Putin hat dabei die Ukraine unterschätzt, und die Kampfkraft seiner korrupten Armee überschätzt. Er glaubte, die Ukraine in drei, vier Tagen überrennen, und seine Lakaien in Kiew einzusetzen zu können, bevor die übrige Welt kapiert, was da vor sich geht. Das hat aber nicht funktioniert. Danach hat er den zweiten Fehler gemacht, den Krieg, den er begonnen hat, nicht sofort zu beenden. Wenn er das getan hätte, dann hätte er noch sein Gesicht wahren können. Aber Putin ist nicht der Mann, der eine dumme und totgeborene Operation sieglos beendet. Er lässt weiter seine Soldaten in den Tod marschieren. Hunderttausende russische Soldaten sind gefallen oder verwundet worden. Wofür? Für Putins Ruhm? Am Ende wird es doch Putins Schande sein.

Viele unserer naiven Linken und inzwischen auch der Rechten glauben, dass es für die Ukraine ein Traum bleiben wird, Russland zu besiegen. Wolfgang Streeck geniert sich nicht einmal vom „Endsieg über Russland“ zu schreiben. An einem „Endsieg“ haben die Nazis wegen der vielen Niederlagen glauben müssen. Die Ukrainer träumen nicht von Endsieg, sondern nur von der Vertreibung der russischen Invasoren aus ihrem Land. Nicht mehr und nicht weniger. Und man sollte das auch den Ukrainern überlassen, freilich nicht ohne ihnen zu helfen mit Panzer und Munition. Die Debatte bei uns, besonders in Deutschland, über Kriegsziele und Konfliktlösung ist oft peinlich und überflüssig. Es gibt keine gerechten Kriege. Auch der Krieg der Ukrainer, so sehr er gerecht ist, ist ein notwendiges Übel, denn es geht um Freiheit und Unabhängigkeit, und insofern würden die Ukrainer auch kämpfen, wenn deutsche Linke und Rechte sagen würden, dass der Krieg der Ukrainer ungerecht sei. Die Ukrainer kämpfen nicht um Gerechtigkeit, sondern um ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit. Die Ukrainer müssen sich verteidigen und wir müssen sie unterstützen. Waffen sind dazu da andere zu überfallen aber auch Freiheit und Demokratie zu verteidigen.

Besonders in der Kritik linker Idioten stehen die Grünen, die speziell durch ihre Außenministerin Annalena Baerbock sich stark für die Ukraine einsetzen. Die Linke unterstützt Putin. Warum eigentlich? Sie werfen Baerbock vor, dass sie das von Trump aufgekündigte Atomwaffen-Abkommen zwischen dem Iran und dem Westen nicht erneuen will. Zurecht. Wie kann man nach den Erfahrungen mit Putin sehenden Auges zulassen, dass die reaktionären, mittelalterlichen Mullahs in Teheran Atombomben bauen? Diese greisen Führer, die die Frauen im Lande unterdrücken, sind alles andere als zuverlässig und vertrauenswürdig. Und deshalb ist es auch billig und dumm, den Grünen vorzuwerfen, dass nicht ihre Kinder auf den Schlachtfeldern getötet und verstümmelt werden. Gut, dass Streeck uns daran erinnert, dass die Ukrainer auf den Schlachtfeldern getötet und verstümmelt werden. Deshalb müssen wir noch mehr Panzer und noch mehr Munition liefern. Denn es ist billige russische Propaganda, zu behaupten, dass „die ukrainische Regierung und die USA gegen einen Waffenstillstand sind“. Natürlich sind die USA und besonders die Regierung in Kiew, auf die es letzten Endes ankommt, einverstanden, aber erst wenn Putin seine Armee aus dem souveränen Gebiet der Ukraine zurückgezogen hat. Vorher wäre ein Waffenstillstand ein strategischer und politischer Fehler. Streeck meint, dass der Krieg beendet werden sollte, bevor die Wünsche der ukrainischen Regierung in Erfüllung gegangen sind.

Es mag sein, dass manche Deutsche, wenn sie sich vor eine ähnliche Wahl wie die Ukrainer gestellt sähen, einen Unterwerfungsfrieden dem Andauern des Krieges vorzögen. In den fünfziger Jahren und während der Nachrüstungsdebatte wurde bei den Linken in Deutschland das Motto «Lieber rot als tot» populär. Aber unter dem Eindruck von Putins provoziertem Terrorkrieg hat die pauschale pazifistische Lehre von «Nie wieder Krieg» ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit eingebüßt. Inzwischen erkennt eine Mehrheit der Deutschen das Recht der Ukrainer an, Widerstand zu leisten und für die Freiheit zu kämpfen. Schließlich ist bei diesem Kampf auch unsere Freiheit mitgemeint.

Bei vielen der linken Verschwörungstheoretiker ist das Bild von der Welt und besonders vom Ukraine-Konflikt auf den Kopf gestellt. Für sie ist nicht der Mörder, sondern der Ermordete Schuld. Nicht der Faschist Putin ist der Aggressor, sondern der Jude Selenskyj. Das ist für alle anderen schwer zu begreifen, aber die vor Selbstgerechtigkeit und russischer Propaganda aufgeblasenen „Putinversteher“ nehmen darauf keine Rücksicht und erwarten, dass wir ihnen folgen. Linke deutsche Intellektuelle schwafeln über „Lehren aus deutscher Kriegserfahrung“. So heißt es sogar in der Jüdischen Allgemeinen. Die Talkshows in Deutschland berichten pausenlos darüber. Und die Jüdische Allgemeine sagt dazu: „Die Erfahrung aus der deutschen Geschichte heißt, dass der übermächtig scheinende Täter auch mithilfe derer, die scheinbar nur zum Sterben verdammt sind, besiegt werden kann.“ Sich als Opfer ermächtigen zu dürfen, dem Angriffskrieg entgegenzutreten, ist die Lehre aus der deutschen Geschichte. Die Ukrainer kämpfen um Menschenwürde und Freiheit, und es ist deshalb unsere Aufgabe sie darbei zu unterstützen.

Geschichte ereignet sich immer zweimal, konstatierte Karl Marx. Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Wir erleben heute das zweite Mal, die Wiederholung des deutschen Überfalls auf Russland, das „Unternehmen Barbarossa“ in entgegengesetzter Richtung. Nicht vom Westen nach Osten, sondern von Osten nach Westen. Und die Angreifer sind die ehemaligen Opfer, die jetzt zu Tätern geworden sind. Die Farce besteht darin, dass sie dieselben Fehler machen wie ehemals die Nazis. Sie haben ihre Gegner unterschätzt, und ihre eigene Stärke maßlos überschätzt. Aus einer „Spezialoperation“ ist ein regelrechter Krieg geworden, der bald zwei Jahre andauert und hunderttausende Tote forderte und die totale Zerstörung vieler Städte und Dörfer.

Nur für die Ukraine hat sich nichts geändert. So wie damals die Uklrainer die Freiheit der Sowjetunion gegen die Nazi-Aggression verteidigt haben, so verteidigen sie heute die Freiheit des Westens, zumindest der Westeuropäer, vor der russischen Aggression. Der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov hat seine westlichen Kollegen davor gewarnt, dass Verhandlungen mit Moskau keinen Frieden bringen werden. In einem Artikel für The Guardian erklärt er, dass Wladimir Putin entschlossen ist, die Ukraine vollständig zu zerstören und ihre Bürger in die Russische Föderation zu „assimilieren“. Russland fordert nämlich die Anerkennung der besetzten Gebiete der Ukraine als sein eigenes Territorium im Austausch für das Ende des Krieges.

Er zieht Parallelen zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs, und er vergleicht die Forderungen nach territorialen Zugeständnissen der Ukraine mit den Forderungen der Nazis von 1938, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das nationalsozialistische Deutschland abtreten sollte.

Moskau habe nie Interesse an einer friedlichen Kooperation mit dem Westen gehabt, solche auch nicht angedeutet, und hat alle Angebote der Zusammenarbeit zurückgewiesen. Dem Westen und besonders Deutschland kann man vorwerfen, dass sie viel zu spät das wahre Gesicht des Kremls erkannt haben. Spätestens nach der Annexion der Krim 2014 hätte man die Absichten Putins erkennen müssen. Bei Hitler war es auch zuerst der Anschluss seiner Heimat Österreich an das Reich, und später des Sudetenlandes. Spätestens dann konnte man die erschreckenden Parallelen der Politik Putins zu jener Hitlers feststellen.

In Deutschland wehrt sich aber eine einflussreiche Gruppe von linken Intellektuellen, Journalisten, prominente Autoren und sogenannte „Putinversteher“ gegen einen solchen Vergleich und überhaupt gegen den Vorwurf Putin hätte den Krieg gewollt und begonnen. Deren Argument ist, dass die USA und die Nato den Krieg provoziert hat und hauptsächlich daran schuld sei. Timothy Snyder, einer der einflussreichsten Russland-Kenner, fragte: „Warum fällt es Deutschland so schwer, von einem faschistischen Russland zu sprechen?“ Warum liest man in der deutschen Presse permanent, dass man Putin nicht reizen sollte und darf. Etwa weil er über Nuklearwaffen verfügt? Über diese Waffen hatte Russland auch verfügt, als es aus Afghanistan flüchten musste.

Bei vielen Linken ist es aber weniger die Sympathie für Russland als Erbe der Sowjetunion, als vielmehr die Antipathie, um nicht zu sagen der Hass gegenüber Amerika als den Staat, der am Vietnam-Krieg schuldig ist. Es ist wohl das Vietnam-Trauma, dass noch bei vielen linken Intellektuellen wie ein Virus steckt und das Denken und Fühlen vergiftet. Wir gingen damals alle auf die Straßen. Wir haben aber nicht gegen die USA oder die Amerikaner protestiert, sondern gegen den völkerrechtswidrigen Krieg, gegen das Abwerfen von Napalmbomben und die totale Zerstörung der Infrastruktur, so wie die Russen es heute in der Ukraine machen. Nur sehe ich leider keine linken Demonstranten, die dagegen protestieren. Ich sehe linke, naive und gehirngewaschene Demonstranten, die dumme und peinliche Parolen für Russland und gegen die Ukraine skandieren und Angst haben Putin zu reizen, weil er Nuklearwaffen hat. Und die berühmt-berüchtigte Publizistin Gabriele Krone-Schmalz lobt Russland, weil es dort im Gegensatz zu den USA keine Todesstrafe gäbe. Das ist wahrlich richtig, aber sie vergisst bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, dass Putin keine Todesstrafe benötigt, weil er seine Gegner auch ohne Todesstrafe tötet: Durch Vergiftung, Gasanschläge oder ganz einfache Ermordung (wie im Berliner Tiergarten).

Und Publizisten wie Michael Lüders beschäftigen sich mit der Frage, ob Moral über alles steht, und fragen ihre Leser, warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen. Er plädiert für den puren Machiavellismus und fordert unsere Regierung auf, Putin nachzugeben, ihn nicht unnötig zu reizen und Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. Er nennt die gegenwärtige Politik Heuchelei und lobt Orban, der nur die Interessen seines engen Landes im Auge hat. Ich frage mich freilich, wo wir alle heute stünden, und ob ein Michael Lüders seine gesellschaftskritischen Bücher schreiben könnte, wenn 1941 die Amerikaner beschlossen hätten: Amerika first. Wie sähe die Welt heute aus, wenn Roosevelt sich geweigert hätte, Europa zu helfen, wenn er die Briten und vor allem auch Russland nicht mit Waffen, Munition und Kleidung bis zu Nahrungsmittel unterstützt hätte. Und so wie man damals nicht zulassen konnte, dass Hitler den Krieg gewinnt, so dürfen wir heute nicht zulassen, dass Putin die Ukraine besiegt. Und es reicht nicht die russische Armee aus der Ukraine zu vertreiben. Die russische Armee muss bedingungslos kapitulieren, so wie seinerzeit die Wehrmacht. Putin muss vor einem Kriegsverbrecher-Tribunal gestellt werden und alle, die ihn unterstützt haben wie Lukaschenko ebenso.

Ich bin immer noch der Meinung, dass Moral über alles steht, auch über der Politik. Eine unmoralische Politik ist niemals nachhaltig und ist früher oder später zum Schweitern verurteilt. So erging es Hitler, Stalin, Ceausescu und anderen totalitären Regimen. Ich halte mich da an Winston Churchill, der gesagt hat: Demokratie ist schlecht, aber wir haben nichts Besseres. Es ist halt noch schlechter, wenn Imperien von Einzelpersonen regiert werden. Wir sehen es heute mehr als deutlich an Russland. Putin kann sich grämen und ärgern und er mag vor Wut schäumen, aber die amerikanische Demokratie, so viele Fehler sie auch hat, ist halt für die Menschen in Amerika besser. Sie leben freier, dürfen sagen, was sie wollen und lesen was sie begehren, und das ist schon die halbe Miete. Und es mögen manche Besserwisser das als „Arroganz des Westens“ bezeichnen, aber die Betrachtung Russland durch eine rosa-rote Brille, wie es zum Beispiel Gabriele Krone-Schmalz tut, ist naiv und dümmlich. „Wo bleibt die Dankbarkeit gegenüber Moskau für die deutsche Vereinigung?“, fragt sie. Es bedarf da keine Dankbarkeit. Die Beziehungen zwischen Staaten bestehen nicht aus Liebe und Freundschaft, sondern aus knallharten Interessen. Moskau hat uns damals keinen Gefallen getan, sondern im eigenen Interesse gehandelt. Es war 1989 nicht mehr in der Lage sein Imperium zu halten; deswegen entließ es Deutschland gegen viel Geld aus der gefährlichen Umarmung. Andere Staaten entließ es auch, allerdings für etwas weniger Geld.

Es ist gut und richtig, wenn sich Menschen an die amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam und anderswo erinnern, aber dann sollten sie sich auch der russischen Kriegsverbrechen erinnern, die andere nicht vergessen haben und nicht vergessen können.

Abraham Melzer, 23.09.2023

Geschichte ereignet sich meist zweimal, einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.

Abraham Melzer, 23.09.2023

Langsam fühle ich meinem Vater nach, wie er in den 30er Jahren in Berlin jeden Tag erleben musste, dass bisherige Freunde sich bis zur Unkenntlichkeit veränderten; oder zeigten sie vielmehr ihr wahres Gesicht als Nazis? Wer heutzutage immer noch Putin versteht, dürfte 1933 auch Hitler verstanden haben. Wer der Meinung ist, dass die Nato Russland bedroht habe, hätte auch 1939 geglaubt, dass Polen Deutschland angreifen werde. Wer heute dagegen ist, dass man der Ukraine Waffen liefert, hätte sich auch empört, dass während des ganzen Zweiten Weltkrieges die USA an die UdSSR Waffen lieferte. Wer heute blind angesichts der Kriegsverbrechen Russlands ist, der wäre auch blind gewesen gegenüber den Kriegsverbrechen der Nazis. Wer Putins Krieg als „Spezialoperation“ betrachtet, der hätte die Ermordung der Juden auch nur als „Endlösung“ bezeichnet. Wer jetzt immer noch nicht wahrhnehmen will, dass Putin in der Ukraine einen Genozid veranstaltet, der nimmt auch an, dass Selenskyj ein Nazi und die Ukrainer Mitglieder der Waffen-SS seien. Oskar Lafontaine und seine Frau Sahra Wagenknecht sind beide schlimme Komplizen von Putins Kriegsverbrechen. Sie „verstehen Putin“, und sie sprechen seine Sprache besser als mancher andere. Gregor Gysi zieht es vor, Ukrainer sterben zu lassen, als ihnen Waffen zu liefern, weil „überall Deutschland an Kriegen verdiene, was genau das sei, was ich, Gysi,  nicht möchte.“ In dieser Logik fordert Gysi in einer Rede vor dem Bundestag, dass die „Nato doch erklären sollte, dass sie jetzt keine einzige Waffe mehr an die Ukraine liefere, wenn die russische Führung einem Waffenstillstand zustimme.“ Zurecht macht da Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann einen Zwischenruf: „Wie naiv sind Sie eigentlich?“ Und Gysi bekommt Beifall von Abgeordneten der AfD.

Ich erlebe in diesen Tagen ähnliches wie mein Vater damals. Freunde und Bekannte, für die ich früher meine Hand ins Feuer gelegt hätte, dass sie liberal seien und auf der Seite der Menschenrechte stünden, erweisen sich plötzlich als „Putinversteher“. Sie veröffentlichen Aussagen wie diese: „Die ukrainische Seite hat keinerlei Hemmungen, Kriegsgefangene massiv zu foltern und auch zu töten. Etwa ein Drittel der russischen Kriegsgefangenen, die die unmittelbare Gefangennahme überlebten, werden in ukrainischen Gefängnissen von den Sadisten des ukrainischen Geheimdienstes SBU zu Tode gefoltert… Auch wird ihnen ausreichend Nahrung und Wasser verweigert…“

Ich weiß nicht, woher sie solche Tatsachen erfahren haben wollen. Sie können solche Behauptungen nur direkt vom russischen Propagandaministerium erhalten. Ich frage mich und staune, wie die vielen liberalen Linken mutiert sind, die plötzlich so viel Verständnis für einen brutalen und grausamen Krieg haben. Liegt es an der Person des Kriegsherrn, Putin , der in Wirklichkeit keinen Krieg führt, sondern zynischen und rücksichtslosen Terror gegen Zivilisten „spezialoperiert“. Der Terror gegen Kinder und alte Menschen, gegen Frauen und Mütter, Säuglinge und Kranke ist tatsächlich eine „Spezialoperation“ und kein klassischer Krieg. Ein klassischer Krieg ist für Putin längst verloren. Indem er im Stil der „Nazis“ die Ukraine als Staat vernichtet und die Ukraine als Gebiet vor einem Zugriff der „faschistischen Imperialisten aus dem Westen“ retten will, macht er „Lebensraumpolitik“ nach Art der Nazis. Wir leben in einem historischen Zeitabschnitt, in der keiner von uns abseitsstehen darf. Entweder stellen wir uns dem gegenwärtigen russischen Regime entgegen, oder wir werden zum Kollaborateur desselben. Wir dürfen nicht tolerieren, dass die Macht der Gewalt über das Recht regiert. Wir müssen die imperialistische Politik des Kremls thematisieren und bekämpfen, denn diese richtet sich letztlich auch gegen uns. Wir dürfen nicht mehr die russische Propaganda nachplappern und zu Putins Sprachrohren werden. Es gibt eine Vorgeschichte zu diesem Krieg – sicher. Aber der Westen trägt keine Mitverantwortung an diesem Krieg. Die Wahl „der Schritt zur Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz)  war allein Putins Entscheidung. Es handelt sich auch nicht um eine harmlose „Spezialoperation“ sondern um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Viele sehen das anders, aber der „Freitag“ (z.B.) hat für Beiträge von Autoren mit einer putinistischen Haltung keinen Platz mehr. Ulrich Heyden, dem diese Zeilen galten, der immer noch in Moskau sitzt und die Rolle von Putins Pudel spielt, antwortete darauf: „Nach meinem Eindruck lachen die Russen über diese Verurteilung von deutscher Seite.“ Inzwischen ist ihnen aber das Lachen vergangen. Ich habe nichts dagegen, wenn diese naiven und wohl von Russland gelenkten „Putin Versteher“ die USA kritisieren. Ich habe es selbst oft getan und tue es immer noch. Aber ich kritisiere die amerikanische Politik, z.B. ihre Nahost-Politik in Bezug auf Palästina und Israel, aber nicht die Amerikaner bzw. das amerikanische System schlechthin.

Eine Bilanz von Putins nunmehr zwanzigjähriger Herrschaft offenbart einige interessante Umstände. Das Bruttosozialprodukt der Weltmacht Russland liegt auf dem Niveau Spaniens. Die Einnahmen aus den riesigen Öl- und Gasressourcen des Landes sind vor allem in die Rüstung geflossen – davon ein Anteil, die gemeinsten Mafiabosse vor Neid erbleichen ließe –   ist in die Taschen der Oligarchen geflossen, die ihre Privilegien mit Kadavergehorsam gegenüber dem Mann im Kreml bezahlen. Wenn sie Putins Plänen, wie etwa im Fall der «Spezialoperation» in der Ukraine, im Wege stehen, passieren ihnen plötzlich unerklärliche Dinge: sie rutschen auf einer Treppe aus und brechen sich das Genick; sie verlieren beim Rauchen am Fenster das Gleichgewicht und fallen in die Tiefe; sie stürzen aus ihrer Jacht ins Meer, und können immer nur noch tot geborgen werden. Das ist schon seit Jahren die Art Putins, seine Gegner zu beseitigen. Trotzdem schreiben linke Verschwörungstheoretiker von einem „totalen Krieg gegen Moskau“, der von „ukrainischen Nazis“, geführt werde. Sie drücken es sogar poetisch aus: „Niemand kann den Fetisch des Untergangs eindrucksvoller zelebrieren als die politischen Nachkommen derer, die einst an der Seite von Himmlers ´Rassenkriegern` die Schwarze Sonne anbeteten.“ Die Ukrainer standen aber nicht „an der Seite Himmlers“. Sie kämpfen wie die Russen und starben auch wie sie.

Deutsche beschuldigen die Angegriffenen, die Angreifer zu sein. Deutsche, deren Eltern ihre Freiheit denjenigen verdankten, die für sie gestorben waren. Und jetzt beleidigen und diskreditieren sie diese Toten als „Rassekrieger an der Seite Himmlers“ gestanden zu haben. Die Kiewer Regierung, die heute ihr Land verteidigt, soll nach dieser Interpretation schuld sein an der Eskalation des Krieges. Demnach müsste auch Stalin daran schuld gewesen sein, dass Hitler Russland angegriffen hatte. Man kann nur noch staunen, dass es Menschen gibt, die solche Gedanken spinnen können, und solche, die an diesen Unsinn glauben. Ich kann verstehen warum Deutsche, deren Väter von amerikanischen Soldaten getötet wurden, die Amerikaner ablehnen. Ich kann aber nicht verstehen, wie Deutsche, deren Eltern von Russen unterdrückt und ausgebeutet wurden, für Russland mehr Empathie empfinden als für Amerika. Dabei geht es in diesem Konflikt nicht um Russland oder Amerika, und auch nicht um Russen oder Amerikaner, sondern im Grundsatz um einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen eine zivile Bevölkerung, der die komplette Infrastruktur ihres Landes zerstört wird. Damit wird nur die Bevölkerung sinnlos terrorisiert. Die Bevölkerung leidet und wird noch Jahrzehnte lang leiden müssen. Der Wiederaufbau der Ukraine wird Billionen Euro kosten, aber auch die Wiederherstellung Russland wird nicht billig sein und sich über Jahrzehnte hinziehen. Es tut weh zuzusehen, wie Ressourcen vernichtet werden, wo wir doch auf der Welt so viel andere Probleme haben, die dringend gelöst und in Angriff genommen werden müssen.

Ich wundere mich nur, warum so viele die Rolle Russlands bzw. Putins dabei nicht sehen wollen, und dass sie stattdessen immer auf die USA blicken und dort das Böse suchen. Natürlich ist der amerikanische Imperialismus widerlich und kritikwürdig. Aber haben wir denn nicht alle auch immer wieder amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam, Irak, Libyen und sonst wo kritisiert? Warum sehen diese naiven Linken neben den Anhängern der AfD nicht den russischen Imperialismus, der nicht weniger brutal und nicht minder gefährlich ist? Warum sehen sie nicht, dass man eine angeblich schlechte Demokratie nicht mit einem autokratischen Staat bekämpfen kann? Warum sehen sie nicht, dass Putin vielfach mörderischer und brutaler ist als der schlimmste amerikanische Präsident? In allen Schriften dieser „Putinversteher“ habe ich nicht ein einziges Mal von Butscha oder Mariupol gelesen. Nicht ein einziges Mal von zerstörten Theatern mit hunderten von zivilen Opfern, von bombardierten Supermärkten und zigtausender Privathäuser. Nicht von der kompletten Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur, davon, dass Menschen hungern, frieren und sinnlos sterben, und auch nichts von der Entführung tausender ukrainischer Kinder nach Russland, wo ihnen ihre Identität gestohlen wird. Stattdessen lese ich immer wieder von der Infamie der Nato, die angeblich Russland existenziell bedroht hat. Das war aber eine krankhafte Einbildung Putins und seiner Getreuen.

Worin besteht das Lebensmodell, das Putin der «Dekadenz» des Westens entgegenstellt? Welche neuen Vorteile, welche neuen Freiheiten, welche neuen Freuden können sich die in Propagandalügen gefangenen Russen von einem Sieg Putins in der Ukraine versprechen? Und welches Schicksal stünde den Georgiern, den Bürgern der Moldau und anderer «abtrünniger» Provinzen bevor, wenn Putin den sie umfassenden Traum vom «Großen Russland» realisieren könnte? Mit welchen Mitteln und mit welchen Arbeitskräften würde er die zertrümmerten Städte der Ukraine wieder aufbauen und einen Schaden gutmachen, der bis dato auf 500 Milliarden Dollar beziffert wird?

In den USA haben wir es mit einer Demokratie zu tun, die, wenn sie auch unvollkommen ist und Fehler macht, immer noch eine Demokratie bleibt, die sich alle vier Jahre erneuern und korrigieren kann. In Russland herrscht Putin schon zwanzig Jahre und wird bis an sein Lebensende herrschen, wenn er nicht gewaltsam beseitigt wird. Und Putin setzt auch eine Politik fort, die unzählige Vorgänger auch schon geführt haben. Er selbst beruft sich auf keinen geringeren als Peter dem Großen, Zar von Russland von Gottes Gnaden. Auch dieser regierte nicht aufgrund von Wahlen, sondern mit Gewalt. In den USA wird der Präsident durch den Kongress kontrolliert und vor nicht allzu langer Zeit musste Präsident Nixon gehen, weil der Kongress ihn gefeuert hatte. In Russland wird Putin von niemanden kontrolliert und er kann tun und lassen, was er will.

Bei uns im Westen, besonders in Deutschland, werden unzählige Petitionen veröffentlicht, die unsere Regierung auffordert Verhandlungen aufzunehmen. Abgesehen davon, dass unsere Regierung keine Verhandlungen aufnehmen kann, stellt sich die Frage mit wem. Wer will sich noch an Putins langen Tisch setzen und von Putin gedemütigt und lächerlich gemacht werden? Und wie naiv muss man denn sein, um auf die Straße zu gehen und „Frieden schaffen ohne Waffen“ zu skandieren. Frieden kann man nicht ohne Waffen schaffen. Für Frieden muss man kämpfen und wenn es sein muss und nicht anders geht auch mit Leopard 2 Panzern. Verhandeln kann man erst nach einem Krieg, wenn eine Partei gesiegt hat, oder beide Parteien vom Krieg erschöpft sind. So war es nach dem Ersten Weltkrieg und so war es nach dem 30jährigen Krieg.

Und bei alle dem, vergessen diese naiven Friedensstifter, dass die Ukraine den Krieg nicht begonnen hat, und dass sie auch kein russisches Territorium besetzt hält. Die Ukraine kämpft um nicht mehr und nicht weniger als um ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Vor allem unabhängig sein von Russland. Und das sollten wir, ja müssen wir unterstützen.

Natürlich muss man die USA kritisieren, wenn sie Kriegsverbrechen verübt, aber warum artet eine solche Kritik bei Leuten wie Oskar Lafontaine und bei anderen in abgrundtiefen Hass und böser Verleumdung aus? Hat denn die Generation von Lafontaine nicht ihre Freiheit und Unabhängigkeit den idealistischen US-Soldaten zu verdanken, die unsere Freiheit mit ihrem Leben bezahlten? Und nicht nur die Menschen in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa schulden diesen Dank. Die Menschen in Osteuropa hatten Pech. Sie wurden von Stalins Russland befreit, besetzt und regiert. Sie hatten kein russisches Äquivalent zum Marshallplan. Sie bekamen keine Carepakete aus den USA. Im Gegenteil, die Russen haben alles geraubt und nach Russland verfrachtet, was von Wert erschein. Über eine Million Amerikaner haben ihr Leben geopfert, um Europa vor dem Gift des Nazismus und vor dem italienischen Faschismus zu befreien. Diesen Toten verdanken wir und unsere Kinder und Kindeskinder die Tatsache, dass wir frei in einer liberalen Demokratie aufwachsen und uns entfalten konnten.

Woher kommt jetzt dieser unkontrollierte Hass auf die Amerikaner und die unverständliche Zuneigung und Empathie für Russland, wo doch Russland die Menschen in Ostdeutschland und in ganz Osteuropa nicht besonders zart und freundlich behandelt hatte. Für die Menschen in Ostdeutschland gab es kaum einen Unterschied zum nationalsozialistischen Regime. Die Russen haben die Menschen kaum anders behandelt, als die Nazis, außer, dass man in den russischen Gulags noch eine, wenn auch geringe Chance hatte, zu überleben. Die Russen haben ihre Häftlinge nicht vergast oder brutal ermordet, sondern eher durch Arbeit ausgebeutet. Stalin hatte keine Tötungsfabriken, keine Gaskammern und Verbrennungsöfen. Im Gulag starben die Menschen zwar auch wie die Eintagsfliegen, aber nicht durch Gas, sondern bei der Arbeit. Trotzdem war Russland nicht Nazideutschland. Bei den Nazis reichte, es Jude zu sein. Bei Stalin musste man schon einen Grund für Verhaftung und Deportation nach Sibirien bieten, auch wenn dieser noch so absurd war. Darin hat sich wohl in Russland unter Putin nicht viel geändert. Als mein Vater im Gulag einen Mithäftling fragte, warum er in den Gulag kam, erhielt er zur Antwort: „Weil ich zwei Hemden hatte.“ Das zeigt, wie absurd alles war. Die Verurteilung von Nawalny heute war nicht viel anders. Nawalny wurde verurteilt, weil er zwei Hosen hatte.

Russland und die USA sind zwei Supermächte, die zusammen mit China heute den Lauf der Welt bestimmen. In ihren imperialistischen Bestrebungen unterscheiden sie sich nicht voneinander. Sie folgen ihren eigenen Ambitionen, unterstützen brutale, autokratische   Regime je nach ihrem Interesse und haben keine Skrupel dabei. Sie reden von Freiheit und meinen immer nur ihren eigenen Vorteil. Die Freiheit der anderen interessiert sie wenig. Das goldene Kalb dieser Supermächte sind Kapital und Einkommen. Und wir können sehen, wie Geld die Welt regiert. Die Chinesen haben daraus eine Religion gemacht. Die Russen haben den Reichtum ihres Landes unter einer kleinen Clique von Oligarchen verteilt, die Putin beherrschte, und die ihn zum allerreichsten Mann der Welt machte, dafür, dass er sie das Land ausbeuten lässt. Und in den USA, wo der Kapitalismus zuhause ist, ist jeder Milliardär seines Glückes Schmied. Das Volk ist überall mehr oder weniger arm und lässt sich, wie wir jetzt in Russland sehen, von den Regierungen bzw. Diktatoren in den Krieg schicken, während die Milliardäre in den USA, die Milliardäre in China und die Oligarchen in Russland noch mehr Geld verdienen, wenn man überhaupt von „verdienen“ reden kann.

Bei den russischen Oligarchen kann man sicherlich nicht von „verdienen“ reden. Sie verdienen ihr Geld durch Ausbeutung von Bodenschätzen, die eigentlich dem Volk gehören und Putin verdient mit daran. Insofern ist Krieg nicht ein „endloser Kampf zwischen Gut und Böse“, wie Wolfgang Streeck schreibt, sondern eine endlose Ausbeutung der Erde durch skrupellose Schurken (oder bösartige Narzissten, wie es Otto Kernberg ausdrückt). Es zeigt die menschliche Schwäche, immer dann Stärke zu zeigen und andere Länder zu erobern, wenn man selbst schwach ist. So beginnt die Geschichte mit der Eroberung Kanaans durch die Israeliten und wird vielleicht enden mit dem Versuch der Eroberung der Ukraine durch Putin. Es ging bei allen Eroberern, Josua, Alexander, Cäsar, Karl der Große, Wallenstein, Friedrich der Große, Napoleon, Hitler und jetzt Putin, darum, mehr Land von anderen zu besitzen und mehr Bodenschätze anderer Leute auszubeuten. Um Gut oder Böse ging es nie. Gut war immer der Sieger. Der Besiegte war immer der Böse.

Die Zeitenwende, von der jetzt so viel die Rede ist, besteht darin, dass Putin, „der korrupte Führer eines korrupten Landes“, ein Völker mordender Wahnsinniger wurde. Und Streeck meint, dass er es ohne Anlass geworden ist, dass es eine „pathologische Wende“ war. Ich bin aber überzeugt, dass Streeck sich hier irrt. Putin hatte einen Grund, aber dass dieser mitnichten die Nato war. Es liegen uns keine Beweise vor, dass die Nato geplant hatte Russland anzugreifen. Putin hatte keine Angst vor der Nato, sondern vor der Ukraine. Er hat auch keine Angst davor, dass die Ukraine Russland militärisch angreift, sondern vielmehr davor, dass der Virus der Demokratie, der in der Ukraine zu einer Epidemie wurde, zu einer Pandemie wird, und dass Russland wie von einem Tsunami überschwemmt wird. Putin hatte Angst davor, dass die Demokratie seine eigene Bevölkerung anfällt und dass sie ihn überrollt. Das ist die einfache und überzeugende Wahrheit. Es mag dies glauben wer will und ablehnen wer will.

Putin hat dabei die Ukraine unterschätzt, und die Kampfkraft seiner korrupten Armee überschätzt. Er glaubte, die Ukraine in drei, vier Tagen überrennen, und seine Lakaien in Kiew einzusetzen zu können, bevor die übrige Welt kapiert, was da vor sich geht. Das hat aber nicht funktioniert. Danach hat er den zweiten Fehler gemacht, den Krieg, den er begonnen hat, nicht sofort zu beenden. Wenn er das getan hätte, dann hätte er noch sein Gesicht wahren können. Aber Putin ist nicht der Mann, der eine dumme und totgeborene Operation sieglos beendet. Er lässt weiter seine Soldaten in den Tod marschieren. Hunderttausende russische Soldaten sind gefallen oder verwundet worden. Wofür? Für Putins Ruhm? Am Ende wird es doch Putins Schande sein.

Viele unserer naiven Linken und inzwischen auch der Rechten glauben, dass es für die Ukraine ein Traum bleiben wird, Russland zu besiegen. Wolfgang Streeck geniert sich nicht einmal vom „Endsieg über Russland“ zu schreiben. An einem „Endsieg“ haben die Nazis wegen der vielen Niederlagen glauben müssen. Die Ukrainer träumen nicht von Endsieg, sondern nur von der Vertreibung der russischen Invasoren aus ihrem Land. Nicht mehr und nicht weniger. Und man sollte das auch den Ukrainern überlassen, freilich nicht ohne ihnen zu helfen mit Panzer und Munition. Die Debatte bei uns, besonders in Deutschland, über Kriegsziele und Konfliktlösung ist oft peinlich und überflüssig. Es gibt keine gerechten Kriege. Auch der Krieg der Ukrainer, so sehr er gerecht ist, ist ein notwendiges Übel, denn es geht um Freiheit und Unabhängigkeit, und insofern würden die Ukrainer auch kämpfen, wenn deutsche Linke und Rechte sagen würden, dass der Krieg der Ukrainer ungerecht sei. Die Ukrainer kämpfen nicht um Gerechtigkeit, sondern um ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit. Die Ukrainer müssen sich verteidigen und wir müssen sie unterstützen. Waffen sind dazu da andere zu überfallen aber auch Freiheit und Demokratie zu verteidigen.

Besonders in der Kritik linker Idioten stehen die Grünen, die speziell durch ihre Außenministerin Annalena Baerbock sich stark für die Ukraine einsetzen. Die Linke unterstützt Putin. Warum eigentlich? Sie werfen Baerbock vor, dass sie das von Trump aufgekündigte Atomwaffen-Abkommen zwischen dem Iran und dem Westen nicht erneuen will. Zurecht. Wie kann man nach den Erfahrungen mit Putin sehenden Auges zulassen, dass die reaktionären, mittelalterlichen Mullahs in Teheran Atombomben bauen? Diese greisen Führer, die die Frauen im Lande unterdrücken, sind alles andere als zuverlässig und vertrauenswürdig. Und deshalb ist es auch billig und dumm, den Grünen vorzuwerfen, dass nicht ihre Kinder auf den Schlachtfeldern getötet und verstümmelt werden. Gut, dass Streeck uns daran erinnert, dass die Ukrainer auf den Schlachtfeldern getötet und verstümmelt werden. Deshalb müssen wir noch mehr Panzer und noch mehr Munition liefern. Denn es ist billige russische Propaganda, zu behaupten, dass „die ukrainische Regierung und die USA gegen einen Waffenstillstand sind“. Natürlich sind die USA und besonders die Regierung in Kiew, auf die es letzten Endes ankommt, einverstanden, aber erst wenn Putin seine Armee aus dem souveränen Gebiet der Ukraine zurückgezogen hat. Vorher wäre ein Waffenstillstand ein strategischer und politischer Fehler. Streeck meint, dass der Krieg beendet werden sollte, bevor die Wünsche der ukrainischen Regierung in Erfüllung gegangen sind.

Es mag sein, dass manche Deutsche, wenn sie sich vor eine ähnliche Wahl wie die Ukrainer gestellt sähen, einen Unterwerfungsfrieden dem Andauern des Krieges vorzögen. In den fünfziger Jahren und während der Nachrüstungsdebatte wurde bei den Linken in Deutschland das Motto «Lieber rot als tot» populär. Aber unter dem Eindruck von Putins provoziertem Terrorkrieg hat die pauschale pazifistische Lehre von «Nie wieder Krieg» ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit eingebüßt. Inzwischen erkennt eine Mehrheit der Deutschen das Recht der Ukrainer an, Widerstand zu leisten und für die Freiheit zu kämpfen. Schließlich ist bei diesem Kampf auch unsere Freiheit mitgemeint.

Bei vielen der linken Verschwörungstheoretiker ist das Bild von der Welt und besonders vom Ukraine-Konflikt auf den Kopf gestellt. Für sie ist nicht der Mörder, sondern der Ermordete Schuld. Nicht der Faschist Putin ist der Aggressor, sondern der Jude Selenskyj. Das ist für alle anderen schwer zu begreifen, aber die vor Selbstgerechtigkeit und russischer Propaganda aufgeblasenen „Putinversteher“ nehmen darauf keine Rücksicht und erwarten, dass wir ihnen folgen. Linke deutsche Intellektuelle schwafeln über „Lehren aus deutscher Kriegserfahrung“. So heißt es sogar in der Jüdischen Allgemeinen. Die Talkshows in Deutschland berichten pausenlos darüber. Und die Jüdische Allgemeine sagt dazu: „Die Erfahrung aus der deutschen Geschichte heißt, dass der übermächtig scheinende Täter auch mithilfe derer, die scheinbar nur zum Sterben verdammt sind, besiegt werden kann.“ Sich als Opfer ermächtigen zu dürfen, dem Angriffskrieg entgegenzutreten, ist die Lehre aus der deutschen Geschichte. Die Ukrainer kämpfen um Menschenwürde und Freiheit, und es ist deshalb unsere Aufgabe sie darbei zu unterstützen.

Geschichte ereignet sich immer zweimal, konstatierte Karl Marx. Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Wir erleben heute das zweite Mal, die Wiederholung des deutschen Überfalls auf Russland, das „Unternehmen Barbarossa“ in entgegengesetzter Richtung. Nicht vom Westen nach Osten, sondern von Osten nach Westen. Und die Angreifer sind die ehemaligen Opfer, die jetzt zu Tätern geworden sind. Die Farce besteht darin, dass sie dieselben Fehler machen wie ehemals die Nazis. Sie haben ihre Gegner unterschätzt, und ihre eigene Stärke maßlos überschätzt. Aus einer „Spezialoperation“ ist ein regelrechter Krieg geworden, der bald zwei Jahre andauert und hunderttausende Tote forderte und die totale Zerstörung vieler Städte und Dörfer.

Nur für die Ukraine hat sich nichts geändert. So wie damals die Uklrainer die Freiheit der Sowjetunion gegen die Nazi-Aggression verteidigt haben, so verteidigen sie heute die Freiheit des Westens, zumindest der Westeuropäer, vor der russischen Aggression. Der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov hat seine westlichen Kollegen davor gewarnt, dass Verhandlungen mit Moskau keinen Frieden bringen werden. In einem Artikel für The Guardian erklärt er, dass Wladimir Putin entschlossen ist, die Ukraine vollständig zu zerstören und ihre Bürger in die Russische Föderation zu „assimilieren“. Russland fordert nämlich die Anerkennung der besetzten Gebiete der Ukraine als sein eigenes Territorium im Austausch für das Ende des Krieges.

Er zieht Parallelen zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs, und er vergleicht die Forderungen nach territorialen Zugeständnissen der Ukraine mit den Forderungen der Nazis von 1938, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das nationalsozialistische Deutschland abtreten sollte.

Moskau habe nie Interesse an einer friedlichen Kooperation mit dem Westen gehabt, solche auch nicht angedeutet, und hat alle Angebote der Zusammenarbeit zurückgewiesen. Dem Westen und besonders Deutschland kann man vorwerfen, dass sie viel zu spät das wahre Gesicht des Kremls erkannt haben. Spätestens nach der Annexion der Krim 2014 hätte man die Absichten Putins erkennen müssen. Bei Hitler war es auch zuerst der Anschluss seiner Heimat Österreich an das Reich, und später des Sudetenlandes. Spätestens dann konnte man die erschreckenden Parallelen der Politik Putins zu jener Hitlers feststellen.

In Deutschland wehrt sich aber eine einflussreiche Gruppe von linken Intellektuellen, Journalisten, prominente Autoren und sogenannte „Putinversteher“ gegen einen solchen Vergleich und überhaupt gegen den Vorwurf Putin hätte den Krieg gewollt und begonnen. Deren Argument ist, dass die USA und die Nato den Krieg provoziert hat und hauptsächlich daran schuld sei. Timothy Snyder, einer der einflussreichsten Russland-Kenner, fragte: „Warum fällt es Deutschland so schwer, von einem faschistischen Russland zu sprechen?“ Warum liest man in der deutschen Presse permanent, dass man Putin nicht reizen sollte und darf. Etwa weil er über Nuklearwaffen verfügt? Über diese Waffen hatte Russland auch verfügt, als es aus Afghanistan flüchten musste.

Bei vielen Linken ist es aber weniger die Sympathie für Russland als Erbe der Sowjetunion, als vielmehr die Antipathie, um nicht zu sagen der Hass gegenüber Amerika als den Staat, der am Vietnam-Krieg schuldig ist. Es ist wohl das Vietnam-Trauma, dass noch bei vielen linken Intellektuellen wie ein Virus steckt und das Denken und Fühlen vergiftet. Wir gingen damals alle auf die Straßen. Wir haben aber nicht gegen die USA oder die Amerikaner protestiert, sondern gegen den völkerrechtswidrigen Krieg, gegen das Abwerfen von Napalmbomben und die totale Zerstörung der Infrastruktur, so wie die Russen es heute in der Ukraine machen. Nur sehe ich leider keine linken Demonstranten, die dagegen protestieren. Ich sehe linke, naive und gehirngewaschene Demonstranten, die dumme und peinliche Parolen für Russland und gegen die Ukraine skandieren und Angst haben Putin zu reizen, weil er Nuklearwaffen hat. Und die berühmt-berüchtigte Publizistin Gabriele Krone-Schmalz lobt Russland, weil es dort im Gegensatz zu den USA keine Todesstrafe gäbe. Das ist wahrlich richtig, aber sie vergisst bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, dass Putin keine Todesstrafe benötigt, weil er seine Gegner auch ohne Todesstrafe tötet: Durch Vergiftung, Gasanschläge oder ganz einfache Ermordung (wie im Berliner Tiergarten).

Und Publizisten wie Michael Lüders beschäftigen sich mit der Frage, ob Moral über alles steht, und fragen ihre Leser, warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen. Er plädiert für den puren Machiavellismus und fordert unsere Regierung auf, Putin nachzugeben, ihn nicht unnötig zu reizen und Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. Er nennt die gegenwärtige Politik Heuchelei und lobt Orban, der nur die Interessen seines engen Landes im Auge hat. Ich frage mich freilich, wo wir alle heute stünden, und ob ein Michael Lüders seine gesellschaftskritischen Bücher schreiben könnte, wenn 1941 die Amerikaner beschlossen hätten: Amerika first. Wie sähe die Welt heute aus, wenn Roosevelt sich geweigert hätte, Europa zu helfen, wenn er die Briten und vor allem auch Russland nicht mit Waffen, Munition und Kleidung bis zu Nahrungsmittel unterstützt hätte. Und so wie man damals nicht zulassen konnte, dass Hitler den Krieg gewinnt, so dürfen wir heute nicht zulassen, dass Putin die Ukraine besiegt. Und es reicht nicht die russische Armee aus der Ukraine zu vertreiben. Die russische Armee muss bedingungslos kapitulieren, so wie seinerzeit die Wehrmacht. Putin muss vor einem Kriegsverbrecher-Tribunal gestellt werden und alle, die ihn unterstützt haben wie Lukaschenko ebenso.

Ich bin immer noch der Meinung, dass Moral über alles steht, auch über der Politik. Eine unmoralische Politik ist niemals nachhaltig und ist früher oder später zum Schweitern verurteilt. So erging es Hitler, Stalin, Ceausescu und anderen totalitären Regimen. Ich halte mich da an Winston Churchill, der gesagt hat: Demokratie ist schlecht, aber wir haben nichts Besseres. Es ist halt noch schlechter, wenn Imperien von Einzelpersonen regiert werden. Wir sehen es heute mehr als deutlich an Russland. Putin kann sich grämen und ärgern und er mag vor Wut schäumen, aber die amerikanische Demokratie, so viele Fehler sie auch hat, ist halt für die Menschen in Amerika besser. Sie leben freier, dürfen sagen, was sie wollen und lesen was sie begehren, und das ist schon die halbe Miete. Und es mögen manche Besserwisser das als „Arroganz des Westens“ bezeichnen, aber die Betrachtung Russland durch eine rosa-rote Brille, wie es zum Beispiel Gabriele Krone-Schmalz tut, ist naiv und dümmlich. „Wo bleibt die Dankbarkeit gegenüber Moskau für die deutsche Vereinigung?“, fragt sie. Es bedarf da keine Dankbarkeit. Die Beziehungen zwischen Staaten bestehen nicht aus Liebe und Freundschaft, sondern aus knallharten Interessen. Moskau hat uns damals keinen Gefallen getan, sondern im eigenen Interesse gehandelt. Es war 1989 nicht mehr in der Lage sein Imperium zu halten; deswegen entließ es Deutschland gegen viel Geld aus der gefährlichen Umarmung. Andere Staaten entließ es auch, allerdings für etwas weniger Geld.

Es ist gut und richtig, wenn sich Menschen an die amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam und anderswo erinnern, aber dann sollten sie sich auch der russischen Kriegsverbrechen erinnern, die andere nicht vergessen haben und nicht vergessen können.

Russland verstehen?

Gabriele Krone-Schmalz war einmal eine angesehene und sogar beliebte Journalistin, der man Wissen und Kompetenz nicht abgesprochen hat, wenn es um Russland ging. Diese Zeiten, in denen sie zum Beispiel Bücher wie „An Russland muss man glauben“ oder „Russland wird nicht untergehen“ veröffentlicht hat, sind aber vorbei. An Russland glauben heute nicht einmal alle Russen und wir sehen täglich, wie Russland untergeht. Moralisch ist Russland schon untergegangen, als Putin an die Macht kam. Damals freilich hat GKS es nicht gesehen oder vielleicht nur nicht wahrhaben wollen. Ihr Bestseller von 2015 – Russland verstehen? – in dem es aber mehr um die Ukraine geht als um Russland, erscheint jetzt neu, nachdem der Originalverlag C.H. Beck es nicht mehr haben wollte, im Westend Verlag, der wohl ein Sammelbecken aller Russland bzw. Putin treuen Autoren geworden ist. Das Buch ist stark tendenziös, enthält peinliche russische Narrative und passt sehr gut zum wenigen Wochen vorher erschienen Buch von Jacques Baud, der sein Buch ebenfalls mit der Voraussage beendet: „Am Ende heißt der große Sieger – Wladimir Putin.“ Beide sehen nicht, dass Putin schon verloren hat, noch bevor er angefangen hatte. Es ist eben nicht einfach gegen die ganze westliche Welt zu kämpfen. Denn am Ende entscheidet nicht die Armee, sondern die Stärke der Wirtschaft den Ausgang des Krieges. Und die Allianz, die hinter der Ukraine steht, insbesondere die USA, kann in einem Monat mehr Panzer produzieren als Russland in einem Jahr.

Kann man Russland verstehen? Nein! Ich bemühe mich schon seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine, Russland zu verstehen, aber ich versteh leider nichts.  In Ihrem Buch – Russland verstehen? – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens – schreibt Gabriele Krone-Schmalz von der vermeintlichen Arroganz des Westens, der USA und der NATO und offenbart mehr als deutlich ihre eigene Arroganz und Selbstgefälligkeit. Sie urteilt sehr einseitig und blickt immer vom Osten in den Westen, nie umgekehrt. Nun gut, sie liebt Russland. Aber auch ich hasse Russland nicht, zumal ich in Samarkand geboren wurde, als es noch russisch war. Der russische Diktator Stalin hat meine Eltern vor Hitler gerettet, obwohl er nicht viel besser war. Auch er war wie sein heutiger Nachfolger Wladimir Putin nur eine Inkarnation von Iwan dem Schrecklichen.

Ich könnte das Buch mit einem Satz rezensieren, mit der Überschrift von Franz Werfels Erzählung „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig.“ Nicht Putin, die Ukraine ist schuldig, und vor allem der Westen, die USA und die NATO. Und worin besteht die Schuld der Ukraine? Die Menschen dort wollten die westliche Demokratie haben und frei sein. Aber der „lupenreine Demokrat“ Putin sah darin eine Gefahr für sich und sein autokrates Regime. Er hatte und hat Angst vor einem Virus, der keine Grenzen kennt und der wie die Corona sich über Grenzen verbreitet. Dieser Virus heißt Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde. Zwar hat schon Winston Churchill gesagt, dass Demokratie „Shit“ sei, aber noch gibt es nichts Besseres. Und solange der Mensch nicht vom Brot allein lebt, braucht er auch die Freiheit zum Überleben. Natürlich ist das sehr einfach und manche werden sagen oberflächlich ausgedrückt. Aber muss denn die Welt kompliziert, verlogen und zynisch sein? Wäre es nicht besser man würde alle Religionen und Ideologien beiseiteschieben und sich nur nach dem Kant’schen Motto, das der zweitausendjährigen Lehre von Rabbi Hillel folgt: Tue Deinen Nächsten nicht das an, was Du nicht willst, dass man es dir antut. Wenn die Menschheit sich danach richten würde, dann hätten wir FRIEDEN.

GKS vergisst in ihrem Buch zu erwähnen, dass Putin seinen eigenen russischen Bürgern diese Freiheit und diesen Frieden nicht gewährt. Warum sollen also die Ukrainer Putin vorziehen. Ihre Republik war auch korrupt, aber es ist ihre Republik und sie geben sich Mühe.

GKS leidet aber an einer „selektiven Wahrnehmung“. Sie nimmt nur noch das wahr, was sie wahrnehmen möchte und was in ihrer Interpretation der Geschichte passt. Sie beschwört den Leser, dass „verstehen nicht identisch ist mit Verständnis haben. Wer so vehement uneingeschränktes Verständnis und ebenso Unterstützung für die Ukraine äußert, hat die Ukraine gar nicht verstanden.“

Es mag also sein, dass ich die Ukrainer nicht verstanden habe und nicht verstehe, aber dennoch habe ich mich entschieden die Ukraine zu unterstützen, denn die Arroganz dieser Russland Versteherin und Unterstützerin geht mir gegen meine Überzeugung. Sie fragt gleich im ersten Satz ihres neuen Vorwortes, „wie ist es um die politische Kultur eines Landes bestellt, in der ein Begriff wie „Russlandverstehen“ zur Stigmatisierung und Ausgrenzung taugt? Muss man nicht erst einmal etwas verstehen, bevor man es beurteilen kann?“

Natürlich muss man erst verstehen, wobei ich vor „verstehen“ das Wort „zuhören“ setzen würde. Es geht aber nicht um „Verstehen“, denn eine mutwillige brutale und barbarische Zerstörung eines ganzen Landes kann man nicht verstehen. Was gibt es da zu verstehen? Wir sehen die Bilder, sind erschrocken und entsetzt, weinen mit um die unschuldigen Opfer und sollen die Täter verstehen? Würde GKS auch fordern, dass wir Hitler oder Himmler verstehen sollten? Was gibt es an Auschwitz zu verstehen? Da kann man sich noch so anstrengen, man kann es nicht verstehen, außer feststellen, dass da ein Volk, die Deutschen, in eine Barbarei gerutscht ist, die man nicht erklären kann.

Über die Nazibarbarei sind schon tausende Bücher geschrieben und die abenteuerlichsten Erklärungen erdacht worden und trotzdem bleibt es ein Trauma. Und so ist es und wird es auch werden mit der gegenwärtigen russischen Barbarei und Verlust sämtlicher zivilisatorischer Normen, Gesetze und Grenzen.

Russland führt einen unnötigen, absurden und völkerrechtswidrigen Krieg gegen eine zivile Bevölkerung, gegen alte Menschen, Frauen und Kinder. Russland zerstört die Infrastruktur der ukrainischen Zivilbevölkerung, bombardiert Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Theater, Supermärkte und noch viel mehr. Selbst wenn alles stimmt, was GKS der NATO, der USA und nicht zuletzt auch Deutschland vorwirft, stellt sich mir die Frage, ob dieser brutale und barbarische Krieg gegen die Ukraine notwendig war. Es geht eben Russland nicht um eine stabile Sicherheitspolitik, wie die Autorin behauptet, sondern schlicht und einfach um imperiale Ambitionen. Und das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern das, was Putin seit Jahren schreibt und sagt. Er möchte Russland wieder groß, den verlorenen Einfluss auf seine Nachbarn wieder gewinnen, bis zur deutschen Grenze, bis zurück zur Macht über Ostdeutschland, Polen und den baltischen Staaten.

Und selbst die Tatsache, dass Russland am 24. Februar 2022 den Krieg begonnen hat, relativiert GKS, indem sie Klaus von Dohnanyi zitiert, der gesagt hat, dass Russland zwar den Krieg begonnen, aber dass der Westen die Voraussetzungen dafür geschaffen habe. Das ist es, was ich meine: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“ Und wieso ist er schuldig? Weil er lebt und frei leben will.

Und sie zitiert auch Egon Bahr, der gesagt hat: „Sicherheit ohne Russland wird es auf unserem Kontinent nicht geben und Sicherheit gegen Russland schon gar nicht.“ Aber Sicherheit mit einem nationalistischen und aggressiven Russland offenbar auch nicht. Und auch nicht mit einem Russland, dass ähnlich wie Israel, dauernd und grundsätzlich davon ausgeht, dass die ganze Welt Russland vernichten möchte.

Seit 2014 tobt ein Krieg im Osten der Ukraine mit all dem Elend, dass wir jetzt überall in der Ukraine sehen. Zerstörte Wohnblocks, kaputte Infrastruktur, kein Wasser, Keine Heizung, tote und schwerverletzte Menschen, weinende Kinder und streuende Hunde. Und um zu suggerieren, dass die Ukrainer, womöglich der Jude Selenskji, daran schuld sind, versäumt GKS es nicht von einem Denkmal für Kinder zu schreiben, dass seit 2017 in Donezk steht, „auf dem fast 200 Namen stehen.“, die Opfer von „ukrainischen“ Bombardierungen geworden sind. Haben denn die russischen Separatisten nicht getötet? Gab es nur russische Opfer? So wird aber Geschichte interpretiert, wenn man nur sieht, was man sehen will.

Von den zigtausenden Toten, die die russischen Bombardements bisher verursacht haben und von zigtausenden Kindern, die ihren Familien entrissen und nach Russland entführt wurden, kein Wort. „Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land“, zitiert sie Wladimir Putin und schreibt in ihrem neu verfassten Vorwort zur neuen Ausgabe von 2023, dass es in Russland keine Todesstrafe gibt: „In Russland gibt es im Gegensatz zu den USA, China und dem Iran zum Beispiel keine Todesurteile. Und zwar schon seit 1999.“ Dabei braucht Russland gar keine Todesstrafe. Die Regimegegner kommen auch so ums Leben. Dafür sorgt „Iwan der Schreckliche“ höchst persönlich. In Russland werden Regimegegner, Journalisten, unbequeme Oligarchen und zuletzt sogar ein Weltraumwissenschaftler, dessen Sonde am Mond zerschellt ist, nicht zu Tode verurteilt: sie werden vergiftet, erschossen oder landen im Auftrag von Putin lebenslänglich in Arbeitslager in Sibirien, wo sie wie Eintagsfliegen sterben. Und natürlich kein Wort von Navalny, den Putin vergiften wollte und der jetzt wohl so lange in einem Arbeitslager weilen wird, wie Putin noch lebt. Und natürlich kein Wort von Chodorowskji, den Putin jahrelang in einem Arbeitslager festhielt und ihn aus Russland verwies, nachdem er sein Vermögen gestohlen hat.

Und natürlich wiederholt sie die Kremllügen, dass es allein die Entscheidung Deutschlands gewesen ist auf russisches Gas zu verzichten. Sie schreibt: „Aus Solidarität mit der angegriffenen Ukraine und um – wie es hieß – nicht mit dazu beizutragen, die russische Kriegsmaschinerie zu finanzieren, hat Deutschland relativ frühzeitig angekündigt, auf russisches Gas und Öl verzichten zu wollen. Nichtdestotrotz hält sich in der Berichterstattung aber hartnäckig die Version, Russland habe Deutschland den Gashahn abgedreht.“ Ich kann mich aber erinnern, dass von „verzichten wollen“ damals keine Rede war. Eher von verzichten müssen, denn Putin hat schon begonnen die Gasmengen massiv zu reduzieren. Und GKS lässt nicht locker und schreibt als Antwort auf eine Börsensendung vom 3.7.2023, wonach der Krieg die Energiepreise verteuert hat: „Nein, unsere Entscheidung auf russisches Gas zu verzichten, hat die Energiepreise verteuert und nicht zuletzt auch die Sprengung von Nord Stream 1 und 2.“ So kann man auch Geschichte fälschen. Den Krieg ausblenden und dem Leser suggerieren, dass Nord Stream 1 und 2 noch Gas transportierten und weil sie gesprengt wurden, das Gas teurer wurde. In Wahrheit hat Russland schon lange kein Gas mehr geliefert als das geschah.

GKS kommt mir vor wie der vermeintliche russisch-schweizer Agent Jacques Baud, der in seinem ebenfalls im Westend Verlag erschienen Buch – PUTIN, Herr des Geschehens? – behauptet, dass Russland ein „wirtschaftsliberaler Staat“ sei. Dabei ist Russland so wirtschaftsliberal wie Nord-Korea und es mag sein und sieht sogar so aus, dass Putin in Russland Herr des Geschehens ist, nicht aber auf den Schlachtfeldern in der Ukraine. Er wollte Kiew in 4 Tagen erobern und die Ukraine von der Landkarte ausradieren. Das ist ihm nicht gelungen und wird Russland und Putin auch nicht mehr gelingen. Spätestens jetzt kommt mir der Verdacht, dass das neue Vorwort von Putins Experten geschrieben wurde. Ich würde mich auch nicht wundern, wenn Putins Propaganda solche Reinwaschungen fördert oder gar finanziert. Hauptsache Putin wird nicht nur sauber, sondern auch rein.

Bei GKS spürt man auch die anti-westliche, besonders anti-amerikanische Einstellung und ich frage mich warum. Natürlich muss man nicht mit der amerikanischen Politik einverstanden sein. Auch ich war auf unzähligen Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, gegen Präsident Nixon und seinen Außenminister Kissinger. Aber ich habe nicht gegen Amerika demonstriert, wie ich auch heute nicht gegen Israel demonstriere, sondern immer gegen eine Politik und ihre Wirkung. Ich muss gestehen, dass ich Demonstrationen gegen den russischen Überfall vermisse. Stattdessen demonstrieren naive und leider auch dämliche Deutsche gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich habe nie etwas davon gehört, dass in den USA 1941 irgendjemand gegen Waffenlieferungen an die UdSSR protestiert hat.

Sie verheimlicht auch nicht ihre Antipathie gegenüber den ukrainischen Präsidenten, der zufällig auch Jude ist, und schon wenige Tage nach dem Überfall öffentlich äußerte, man könne sich einen neutralen Status der Ukraine vorstellen. Putin traut aber dem „ethnischen Juden“ Selenskji. Er behauptet dieser sei von den Westmächten „installiert“ worden, um von den Nazis, die dort die Politik lenken, abzulenken.

GKS fragt warum Selenskji erst 4 Tage nach Kriegsbeginn einen solchen Vorschlag macht. Warum fragt sie nicht Putin, weshalb er dieses Angebot nicht akzeptiert hat?  Warum mutmaßt sie zynisch: Weil russische Truppen kurz vor Kiew standen? Und wenn schon? Natürlich weil russische Truppen kurz vor Kiew standen. Und das ist wohl auch der Grund, warum Putin nicht geantwortet hat. Und was tut Putin jetzt, wo ukrainische Truppen kurz vor der Krim stehen?

Und trotzdem versuch GKS Putin zu entlasten, ihn nicht nur sauber, sondern reinzuwaschen, wie schon Gerhard Schröder ihm bescheinigt hat ein „lupenreiner Demokrat“ zu sein. Sie ruft uns zur Erinnerung, dass kurz vor dem Überfall 60 000 bis 80 000 ukrainische Soldaten auf der Krim „standen“. Wo sollten sie sonst stehen? Schließlich gehörte die Krim den Ukrainern. Naiv und fast schon zynisch fragt sie: „Könnte die russische Strategie darauf aus gewesen sein, einen Angriff auf die östlichen Gebiete und die Krim vorzubereiten?“ Heute wissen wir, dass genau das die russische Strategie war.

2014 schrieb sie: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin einen Eroberungsfeldzug durch die Ukraine antritt?“ Und sie antwortet gleich: „Da ist es doch sehr viel billiger eine Brücke zwischen russisches Festland und der Krim zu bauen.“

Die Brücke wurde gebaut und zum Feldzug ist es trotzdem gekommen, durch eine Fehlwahrnehmung von Putin. GKS meint allerdings, dass es eine Fehlwahrnehmung von Putins Absichten durch den Westen war. Wahrscheinlich sogar absichtlich. Aber was spielt das heute noch für eine Rolle. Russland bzw. Putin ist weit davon entfernt seine Ziele zu erreichen und nach den barbarischen Kriegsverbrechen in Butscha und anderswo ist ihm auch der Weg zurück in die europäische Völkergemeinschaft versperrt. So wie man einem Adolf Hitler nie verziehen hätte und man seinen inneren Kreis an Helfer und Mittäter vor Gericht gestellt hat, so muss man auch Putin und seine Helfer und Mittäter vor Gericht stellen. Bei einigen wird es nicht möglich sein, weil Putin für deren Beseitigung schon selbst gesorgt hat.

Und so wie man keine Politik aus Angst vor eine Atombombe machen kann und darf, so braucht man auch keine Angst zu haben, dass man keine Politik machen kann ohne Russland. Man konnte Politik machen auch ohne Deutschland und die Völkergemeinschaft hatte die Geduld zu warten, bis Deutschland sich vom Nazidreck halbwegs befreit hat. So müssen wir auch jetzt Russland bis zur bedingungslosen Kapitulation bekämpfen und dann wie ein Kind an der Hand nehmen und in die Demokratie führen, auch wenn es ein sehr mühsamer und Dornen reicher Weg sein wird.

Abraham Melzer, 06.09.2023

IM NAMEN DER THORA – Die jüdische Opposition gegen den Zionismus

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NAHER OSTEN/NORDAFRIKA

Bis zum Äußersten entschlossen
Israels Regierung treibt ihre umstrittene Justizreform trotz Massenprotesten voran. Das Risiko einer Eskalation steigt mit jedem Tag.
Schon seit Beginn des Jahres demonstrieren Israelis gegen die Neuordnung von Staat und Gesellschaft, die das rechts-religiöse Kabinett Netanjahu vorantreibt. Mit markanten Slogans „Demokratia“ – „Schande“ (für die Regierung) – „Wir werden siegen“ – „Wir sind die Mehrheit“ wenden sie sich insbesondere gegen den Umbau der Justiz. Denn dieser würde die Gewaltenteilung aushöhlen und so den Weg zu
einer illiberalen Demokratie ebnen. Im Juni scheiterten die Bemühungen des israelischen Präsidenten Jitzhak Herzog, einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition zu den Hauptpunkten der Reform zu vermitteln. Seither treibt die Regierung
den Justizumbau nicht mehr durch ein umfassendes Gesetzespaket, sondern durch einzelne Gesetzesvorlagen voran. Um dies zu verhindern, hat die Protestbewegung im Juli ihre Aktivitäten ausgeweitet und verschärft. Zusätzlich zu den wöchentlichen Massendemonstrationen in den größeren Städten Israels hat diese Woche schon zum zweiten Mal ein „Tag des Widerstands“ stattgefunden, an dem Autobahnen und
Bahnhöfe blockiert und landesweit digitale Dienstleistungen gestört wurden. Reservisten aus Eliteeinheiten der Armee – unter anderem Kampfpiloten – kündigten an, nicht länger zu dienen, sollte die Regierung die Gesetzgebung durchpeitschen.
Ihr Störpotenzial – und damit ihr politisches Gewicht – verdankt die Bewegung dem breiten Bündnis, das sie repräsentiert. Denn es vereint Vertreterinnen und Vertreter aus den entscheidenden Bereichen Politik, Wirtschaft, Sicherheit und Zivilgesellschaft Israels. Obwohl von der zionistischen Linken organisiert, findet es breite Unterstützung auch im Zentrum und bei der liberalen Rechten. Die Sprecherinnen und Sprecher
bei den Protestkundgebungen bilden genau diese Breite ab. So traten etwa am letzten Samstag in Tel Aviv der ehemalige Finanzminister im Kabinett von Netanjahu, Dan Meridor, auf, und es sprachen unter anderem Repräsentantinnen und Repräsentanten der Reservisten und der Hightech-Industrie.
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Dem Bündnis geht es darum, Israels politische und gesellschaftliche Ordnung zu bewahren, nicht sie zu verändern. Dem Bündnis geht es darum, Israels politische und gesellschaftliche Ordnung zu bewahren, nicht sie zu verändern. Dazu beruft es sich auf den in der Unabhängigkeitserklärung proklamierten „jüdischen und demokratischen Staat“. Damit einher geht, dass von den Podien die inhärenten Spannungen nicht artikuliert werden: weder das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Säulen „jüdisch“ und „demokratisch“ im Inneren Israels noch die Tatsache, dass rund fünf Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser unter einer auf Dauer angelegten Besatzung kein Mitspracherecht im israelischen Entscheidungsprozess haben. Zwar ist bei den Protesten ein Antibesatzungsblock präsent, dieser wird aber eher toleriert als
willkommen geheißen.
Derzeit geht es der Protestbewegung in erster Linie darum, die von der Regierung beabsichtigte Aufhebung zentraler Rechtsprinzipien und die Veränderung der Verfahren bei der Ernennung der Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts zu stoppen. Denn diese würden die Unabhängigkeit der Justiz unterminieren und ihre Kompetenzen bei der Überprüfung von Regierungshandeln und bei der Ernennung von Personal einschränken. Konkret soll noch vor der Sommerpause der Knesset – also nächste Woche – ein Gesetzentwurf verabschiedet werden, der dafür sorgen soll, dass die Anwendung der sogenannten Angemessenheitsklausel als leitendes Rechtsprinzip deutlich eingeschränkt wird.
Was sich zunächst technisch anhört, wäre ein entscheidender Schritt, um die Rechtsstaatlichkeit zu unterminieren. Denn das Prinzip der Angemessenheit spielt eine wichtige Rolle in Israels Regierungssystem. Es bildet die Leitlinie für das Oberste Gericht bei der Überprüfung von Regierungshandeln, sei es bei der Ernennung von Regierungsmitgliedern, sei es bei der Ernennung von Rechtsberaterinnen und -beratern in den Ministerien (die wiederum eine entscheidende Funktion bei der Wahrung rechtsstaatlichen Handelns haben), sei es bei Politik- oder Personalentscheidungen, die die Regierung trifft. Zu Letzteren könnte zum Beispiel die Entlassung eines unliebsamen Generalstaatsanwalts gehören – also der Person, die derzeit die diversen Anklagen wegen Vorteilsnahme und Korruption gegen Premier Netanjahu vertritt.
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Noch ist unklar, ob es der Protestbewegung gelingen wird, die Gesetzesvorhaben zu
stoppen. Weitere Gesetzentwürfe sollen nach der Sommerpause eingebracht werden. Dazu gehört vor allem einer, der auf die Veränderung in der Zusammensetzung des
Gremiums abzielt, das die Richterinnen und Richter (nicht zuletzt des Obersten Gerichts) ernennt. Dabei soll der Einfluss der Regierungsbank zulasten der Opposition
ausgeweitet und die Beteiligung der Juristen- /Anwaltsverbände und der Richter des
Obersten Gerichts zurückgedrängt werden. Es geht also darum, künftig Besetzungen der Gerichte zu ermöglichen, die in erster Linie politischen Prioritäten entsprechen, statt auf professioneller Qualifikation zu beruhen, und die nicht wie bislang aus einem
Kompromiss zwischen Regierung und Opposition hervorgehen. Ein weiterer
Gesetzentwurf zielt auf die Einschränkung der Kompetenzen bei der Normenkontrolle
durch das Oberste Gericht ab sowie auf die Möglichkeit, diesbezügliche
Gerichtsentscheidungen mit einfacher Mehrheit der Knesset zu überstimmen.
Gelingt es dem Kabinett Netanjahu im Wege der Salamitaktik, die genannten Vorhaben zum Umbau der Justiz umzusetzen, werden die entscheidenden Mechanismen außer Kraft gesetzt, die bis dato zur Verfügung stehen, um im israelischen System rechtsstaatliches Handeln abzusichern. Damit wäre der Weg in eine illiberale Mehrheitsdemokratie ohne effektiven Minderheitenschutz vorgezeichnet. Denn in Israel
existieren keine anderen effektiven Gegengewichte zum Regierungshandeln: weder eine horizontale Gewaltenteilung (wie etwa in den Präsidialdemokratien der USA oder Frankreichs) noch eine vertikale Gewaltenteilung (wie etwa im föderalen System der Bundesrepublik) noch ein verfassungsrechtlich geschützter Menschenrechtskern oder
suprastaatliche Kontrollorgane (wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte).
Noch ist unklar, ob es der Protestbewegung gelingen wird, die Gesetzesvorhaben zu stoppen oder zumindest einmal mehr auf Eis zu legen und damit einen neuen Vermittlungsprozess oder eine Volksbefragung zu erlauben. Aber es hat den Anschein, als ob beide Seiten – Regierung und Protestbewegung – zum Äußersten entschlossen
sind, um in dieser Konfrontation zu obsiegen. Dies birgt auch das Risiko
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von Gewalt. Denn je mehr das Anti-Bibi-Bündnis seine disruptive Macht einsetzt, desto stärker dürfte die Regierung auf die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft setzen, unter anderem unter der teils radikalisierten und bewaffneten Siedlerbevölkerung.
Zudem überdeckt die Mobilisation um den Justizumbau die Beschleunigung der Annexions-, Siedlungs- und Verdrängungspolitik, die parallel dazu von der Regierung Netanjahu vorangetrieben wird. Und diese stellt die Demokratie in Israel mindestens so stark in Frage wie der Umbau der Justiz. Denn es kann, so formuliert es die Minderheit unter den Protestierenden, keine Demokratie mit Besatzung geben

19.07.2023 | Muriel Asseburg

Ibtisam Azem – Das Buch vom Verschwinden, Lenos Verlag

Die Protagonisten dieses klugen, präzisen und stillen Romans, der aber vor Spannung brodelt, sind zwei Israelis, ein jüdischer und ein arabischer. Beide sind miteinander befreundet und gehen respektvoll miteinander um. Und auch wenn Ariel, der Jude, glaubt seinen Freund Alaa zu kennen, zumal sie im selben Haus wohnen, ist er erstaunt und verwirrt, als dieser eines Tages verschwunden ist und mit ihm alle anderen israelischen Palästinenser. Es klingt unglaublich und ist auch ungewöhnlich. Die Frage nach ihrem Verschwinden geht wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Beim Lesen dieses klugen und spannenden Romans musste ich immer wieder daran denken, dass es eigentlich der feuchte Traum vieler national-religiöser jüdischer Israelis war und ist, eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass die Araber bzw. Palästinenser alle verschwunden sind. Und die übrigen jüdischen Israelis, auch wenn sie das nicht träumen, hätten nichts dagegen.  Leider aber wachen die Israelis jeden morgen auf und müssen feststellen, dass die Araber, die man jetzt Palästinenser nennt, immer noch da sind.

Beim Lesen dieses Buches wird mir klar, wie wenig jüdische Israelis von den arabischen Israelis wissen, wie wenig sie sich für sie interessierten und wie wenig sie ihre Nachbarn kennen. Ein israelischer Freund aus der Mittelklasse wollte sich mir und meinen deutschen Freunden gegenüber als Humanist und Araberfreund präsentieren und gab an Araber zu kennen. Es stellte sich heraus, dass der einzige Araber, den er kannte, der Gärtner war, der im städtischen Parkt die Pflanzen pflegte, mit dem er aber keinen gesellschaftlichen Kontakt hatte. Andere Araber kannte er nicht und schon gar nicht aus seinem Bildungsmilieu. Wozu auch?

Dann stieß ich auf Seite 206 auf eine Stelle, die mich an Jakob Wassermanns Gedicht aus seinem Buch „Mein Weg als Deutscher und Jude“ erinnerte, wo er schreibt: „Bei der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit der Bemühung wird die Bitterkeit in der Brust zum tödlichen Krampf“. Diesen Krampf habe ich auch bei Ibtisam Azem gespürt, wenn sie schreibt: „Ab und zu sprechen wir ganz ruhig. Meistens schweigen wir…Wir hassen euch. Wir gehen auf euch zu. Lieben euch sogar als Menschen. Wir imitieren euch. Wir glauben euch. Und wissen doch, dass wir zuallererst uns selbst belügen.“

Und sofort kommt mir in den Sinn Jakob Wassermanns Gedicht in seinem Essay „Mein Weg als Deutscher und Jude“: „Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches. Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen er ist ein Jude.“ Und die nationalen Juden in Israel sagen: „Er ist ein Araber.“ Die anderen schweigen. Und die Minderheit, die darüber spricht, gilt als Landesverräter.

Auf die angebliche Entschuldigung der Juden dafür, dass sie den Palästinensern das Land geraubt haben, weil es nur eine Wüste gewesen ist und sie es fruchtbar gemacht und modernisiert hätten, antwortet die Autorin ruhig und klug: „“Und selbst wenn es nur Wüste gewesen wäre – die Lüge, an die ihr glauben wollt, gibt euch noch lange nicht das Recht uns zu töten und zu vertreiben.“ Und man möchte hinzufügen: Wir haben euch nicht darum gebeten.

Man fragt sich, wer die Vergangenheit wie ein Mühlstein am Hals mit sich trägt – die Juden oder die Palästinenser. Letztere verfolgen ihre Geschichte bis zu Nakba und kommen nicht davon los. Die Juden aber verfolgen ihre Geschichte bis zu den Pogromen in Russland im 19. Jahrhundert und kommen vom Antisemitismus nicht los.

Das Buch handelt davon, dass das Verschwinden der Araber für die Israelis keine Freude und Festtagsstimmung verursacht, sondern wie eine dunkle Wolke über das ganze Land hängt und die Menschen eher verunsichert als erfreut. Man fragt sich, ob das wirklich so sein wird, oder ob es bloß ein Wunschdenken der Autorin ist.

Manche sehnen sich nach ihrer Rückkehr. Die meisten haben aber Angst, dass sie ihnen das antun, was sie den Arabern angetan haben. Besonders grausam wird die Szene einer Vergewaltigung bei der Vertreibung der Palästinenser 1948, die für die Palästinenser die Nakba ist. Ibtisam Azem gelingt es die angeblichen Gewissensbisse der Vergewaltiger als Heuchelei zu demaskieren und bloßzustellen. Man hat die Urbevölkerung vertrieben und jetzt, wo sie nicht mehr da ist, kommen plötzlich Gedanken der Reue und Entschuldigung auf. Es gibt aber niemanden mehr, bei dem man sich entschuldigen könnte.

Eines wird aber sehr bald klar. Ibtisam Azem kennt die Israelis sehr gut und kann sogar ihre geheimsten Gedanken und Wünsche lesen. Sowohl der jüdischen wie auch der arabischen Israelis. Sie weiß, dass die Juden, mit all ihren Atombomben, ihrer grenzenlosen militärischen Überlegenheit, ihrer Arroganz und Selbstgerechtigkeit, eigentlich Angst haben vor den Palästinensern. Sie wünschen sie zum Teufel, aber sie können ohne sie auch nicht leben.

Die Juden sind zwar überrascht, aber nicht traurig oder gar entsetzt über das Verschwinden der Araber. Sie würden zwar gerne wissen, wohin sie gegangen sind, aber sie betonen selbstgerecht und zum Teil heuchlerisch, dass sie niemanden gezwungen haben zu gehen. Ist das nicht auch die Geschichte, die man heute in israelischen Schulen lernt, dass die Palästinenser „von selbst“ geflohen sind?

Sie betonen, dass die Auswertung der Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen keinerlei Auffälligkeiten zutage gefördert haben. Ariel und manche anderen liberalen Israelis verdächtigen die Regierung, aber sie haben keine Beweise. Andere sind froh: „Endlich sind wir diese schwarzen Schlangen los.“ Und manche Selbstgerechte meinen heuchlerisch: „Ich verstehe nicht, weshalb sie uns das antun.“ Da denkt man daran, dass die Deutschen den Juden nie vergeben werden, dass sie sechs Millionen Juden ermorden mussten.

Die Mehrheit aber schweigt und wartet auf Anweisungen der Regierung. Es bleibt schlicht undenkbar, dass man in einem Land mit dermaßen vielen Überwachungskameras nicht weiß, wohin mehr als vier Millionen Palästinenser verschwunden sind. Die Häuser wirken überhaupt nicht so, als hätten ihre Besitzer beabsichtigt, sie zu verlassen.

Das versetzt mich als Leser in das Jahr 1948, als meine Familie, kaum das wir aus einem DP-Lager in Europa angekommen sind, in eine arabische Wohnung im arabischen Teil von Haifa von den Behörden einquartiert wurden, meine Eltern, mein jüngerer Bruder und ich, und ich war damals drei Jahre alt. Die Wohnung wirkte nicht, als hätten ihre Besitzer beabsichtigt, sie zu verlassen. In der Küche war noch das Essen auf dem Tisch und wir fanden alles vor, was wir für die Wohnung benötigten. Eine vollständig eingerichtete Küche, Betten, Sofas, Kleider und sogar Kinderschuhe und vieles mehr. Dabei spielt doch das Buch von Ibtisan Azem im hier und heute, im bereits seit mehr als 70 Jahren existierenden Israel. Damals erlaubte David Ben-Gurion nicht die Rückkehr der Vertriebenen. Man nannte sie Anwesende-Abwesende. Die Angst davor blieb wie ein Albtraum bis heute.

Es geht im Buch immer wieder um die Nakba, denn was wir in der Welt um uns herum sehen, ist unerträglich. Nicht nur die Kriegsverbrechen von 1948, sondern auch die Art und Weise wie die Palästinenser heute behandelt werden und wie unerträglich die israelische Kälte und Selbstgerechtigkeit ist. Galit, eine junge Soldatin, die am Checkpoint Qualandia Dienst tut, beschwert sich: „Wie sollen wir ihnen jemals vertrauen? Wir geben alles, um den Palästinensern an den Checkpoints den Alltag leichter zu machen. Aber was tun sie? Sie widersetzen sich.“ Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man lachen. Aber leider muss man hier doppelt weinen. Über die gequälten Palästinenser und über die heuchlerischen Israelis. Und wenn ein israelischer Soldat einem Palästinenser demütigt, wundert er sich noch darüber, dass man den Palästinensern den Wunsch nach Rache von den Augen ablesen kann. Das ist wohl das, was die Israelis unter „humaner Besatzung“ verstehen.

Und so geht es bis zum Schluss. Manche räsonieren sogar darüber, dass das Verschwinden der Araber die „sauberste“ ethnische Säuberung sei, die die Menschheit je gesehen hat. Man liest und liest und wartet auf eine Lösung und man ist schon auf der vorletzten Seite und hofft, dass auf der letzten Seite die Lösung kommt, dass nämlich alles ein böser Albtraum war. Das der Erzähler aufwacht und alles ist wie gehabt. Aber nein. Den Gefallen tut uns die Autorin nicht. Es bleibt dabei, dass die Palästinenser verschwunden sind. Und da denkt man an die Nakba, die für die Palästinenser ihre nationale Shoa ist und versteht, was uns die Autorin sagen will. Nein, die Shoa ist nicht die Nakba, man kann nicht gleichsetzen. Aber vergleichen kann und darf man doch. So wie die Welt bei der Shoa geschwiegen hat, so schweigt sie auch bei der Vertreibung und Behandlung der Palästinenser im Buch und in der Wirklichkeit.

Ariel der von sich glaubt ein liberaler „guter“ und „anständiger“ Mensch zu sein und sich in der Wohnung seines arabischen Freundes einquartiert, um sie, so glaubt man, zu bewachen und die Rückkehr seines Freundes nicht zu verpassen, übernimmt auf der letzten Seite des Romans die Wohnung und kann nicht schnell genug das „Türschloss wechseln“, noch bevor das neue Gesetzt in Kraft tritt, dass nämlich alles Eigentum der Araber, die bis drei Uhr nicht zurückgekehrt sind, verfällt. Er hat keine Skrupel dabei und keine Gewissenbisse. Warum auch? Es ist alles legal und wenn man kein Gewissen hat, kann man auch keine Skrupel haben.

So haben auch viele Juden 1948 arabische Häuser und Wohnungen, teure Möbel und wertvolle Bibliotheken erbeutet. Alles absolut rechtmäßig mit Erlaubnis der verabschiedeten Gesetze. So wie es auch die Nazis gemacht haben. Nur dass Juden von den Nazis beschlagnahmtes Eigentum zurückerhielten. Araber aber nicht.

Nirgends im Buch klagt die Autorin an. Sie beschreibt nur ungewöhnliche aber offensichtlich vorhandene Verhältnisse ruhig und ohne Verbitterung und Hass. Sie zeigt, dass auch gute Menschen böses und menschenrechtwidriges tun können, ohne es zu merken und ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Menschen haben die Wahl. Wenn sie bloß immer das Richtige wählen würden. In einer frei erfundenen Rede sagt der Ministerpräsident, der im Buch nicht Bibi sondern Titi heißt: „Diese außergewöhnlichen Umstände verlangen außergewöhnliche Schritte und den Zusammenhalt aller Kräfte von links bis rechts. Von heute an gibt es kein Links und Rechts mehr, keine Säkularen und Religiösen.“ Ist das nicht der Traum aller Diktatoren? Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, ist das bekannteste Zitat von Wilhelm II als er sein Volk in den Ersten Weltkrieg schickte.

Ibtisan Azem gelingt ein eindruckvolles, originelles Plädoyer wider das Vergessen und für ein friedliches Zusammenleben. In ihrem Roman trifft die Autorin unseren Nerv mit einer Fiktion, die ebenso fasziniert wie bewegt ist. Man weiß von Anfang an, dass die Geschichte nicht möglich ist und wartet doch neugierig auf eine Lösung, die es aber im wirklichen Leben nicht gibt.

 

 

Über die Nakba sprechen lernen

von Charlotte Wiedemann

Um eine stabile jüdische Mehrheit zu sichern, vertrieb Israel bei seiner Gründung hunderttausende Palästinenser:innen. Das Geschehen von 1948 ist wie ein Brennglas für aktuelle Fragen: nach der Zukunft eines jüdisch definierten Staates und nach der Utopie eines gleichberechtigten Einheimischseins.

Opfer können unter verschiedensten historischen Umständen ein Gefühl der Scham entwickeln. Die erste Generation jener, die ihre Heimat Palästina verloren, empfand die Scham, vertrieben worden zu sein, sich nicht ausreichend gewehrt zu haben. Die Scham erzeugte Schweigen, die Sprachlosigkeit der Eltern gegenüber den Kindern in den Flüchtlingslagern.

Formularende

Nicht sprechen können, nicht sprechen wollen, nicht sprechen dürfen, all dies kreuzt sich im Begriff al-Nakba; die Katastrophe, wie es im Arabischen heißt, hat Tiefendimensionen jenseits dessen, was politisch lapidar aufgezählt werden kann: Flucht und Vertreibung von 750 000 Männern, Frauen und Kindern zwischen Herbst 1947 und Frühling 1949, die folgende Konfiszierung von Eigentum und Land, die Zerstörung von mehr als 400 Dörfern. Und bis heute ein Verbot der Rückkehr.

Zu erkennen, welches Unrecht bei der Gründung eines Staates begangen wurde, dessen jüdische Bürger:innen zu einem Drittel Überlebende des Holocaust waren, fällt besonders Deutschen schwer. Massaker an wehrlosen Zivilist:innen, mit dem Ziel, Fluchtbewegungen auszulösen, fügen sich nicht in das Idealbild eines progressiven, humanistischen jüdischen Heimstaats. Manche meinen, bereits das Aussprechen des Begriffs Nakba sei antisemitisch, ziele er doch auf die Delegitimierung Israels.

Diese beinahe religiöse Scheu ist keineswegs nur ein Echo auf israelische Geschichtsdoktrinen, sondern gleichermaßen ein Resultat genuin deutscher Psychodynamiken. Obwohl eine Anerkennung der Nakba den Jahrhundert-Schrecken der Shoah nicht um ein Jota mindert, herrscht offenkundig die Furcht, der kollektive Opferstatus der jüdischen Staatsgründer könne beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen sie makellos reine Opfer sein, damit ein zentrales Element deutscher Erinnerungskultur funktioniert: Die Identifikation mit dem jüdischen Staat erlöst von eigenen Schuldgefühlen.

„Nicht sprechen können, nicht sprechen wollen, nicht sprechen dürfen, all dies kreuzt sich im Begriff al-Nakba.“

Über die Nakba sprechen zu lernen, bedarf einer Überwindung solcher Dynamiken. Dabei dürfen politische Ambiguitäten im Blick auf die Zeitgeschichte durchaus bleiben: Grausamkeiten gegen Zivilist:innen gab es auf beiden Seiten während der Kämpfe zwischen 1947 und 1949, zunächst einem jüdisch-palästinensischen Bürgerkrieg und – nach der Staatsgründung im Mai 1948 – dem israelisch-arabischen Krieg. Auch tragen die Vereinten Nationen und die arabischen Regime gravierende Mitschuld an der palästinensischen Tragödie.

Nur ist es eben auch eine geschichtliche Tatsache, dass die zionistischen Protagonisten eine demografisch klare jüdische Mehrheit für den neuen Staat wollten. Und eine solche Mehrheit sah der UN-Teilungsplan vom November 1947 nicht vor. Er begünstigte zwar die jüdische Minderheit in Palästina, indem er ihr mehr als die Hälfte des Territoriums zusprach. Doch wären in dem so konzipierten Staat 45 Prozent der Einwohner:innen arabisch gewesen – ohne die Nakba. Am Ende der Kämpfe hatte Israel einen Staat, der flächenmäßig größer war als von der UN vorgesehen, mit nur 20 Prozent arabischen Einwohner:innen.

War die Nakba unvermeidlich?

Die Vorstellung, es habe ein direkter Weg von der frühen jüdischen Besiedlung Palästinas ab 1882 bis zur Nakba geführt, wäre indes unhistorisch. „Dass die Schaffung einer jüdischen Heimat mit der Zerstörung der palästinensischen Heimat einher ging, war keine in die Geschichte eingeschriebene Notwendigkeit“, schreibt der israelische Historiker Alon Confino. Neuere Forschung gelangte zu einem differenzierten Bild, wonach sich die Bereitschaft zur aktiven Vertreibung erst im Jahrzehnt vor 1948 erhärtet hat.

Bis in die Mitte der 1930er Jahre koexistierten in der zionistischen Bewegung noch zwei einander widersprechende Positionen: Die eine erkannte nationale Rechte der Araber:innen in Palästina an, die andere verneinte sie. Den Gedanken an einen sogenannten Transfer von Palästinenser:innen gab es im Zionismus zwar von früh an, doch deren drastische Reduzierung galt erst ab 1936 als unabdingbar für den Erfolg des Staatsprojekts. Weil die Siedlergemeinde durch den Zustrom Geflüchteter aus Europa gewachsen war – und weil der Vormarsch des Ideals ethnischer Homogenität in Europa, obwohl so sehr zu Lasten der Juden, auf den Zionismus abfärbte und auch für Palästina die Idee eines möglichst homogenen ethnonationalen Staats forcierte.

Solange das Ausmaß des NS-Mordprogramms nicht absehbar war, bestand die Vorstellung, die Zahl der Palästinenser:innen müsse verringert werden, um bei Kriegsende Platz für Millionen von Neuankömmlingen zu schaffen. Nachdem die Shoah schreckliche Gewissheit geworden war, schien der künftige Staat andernfalls nicht genug Juden und Jüdinnen für eine Bevölkerungsmehrheit zu haben. Der Holocaust verlieh der Nakba den letztnötigen moralischen Rückhalt und den beteiligten jüdischen Kämpfern die notwendige Unerbittlichkeit. Das schlechte Gewissen der westlichen Welt tat ein Übriges: Der Westen hatte die jüdischen Flüchtlinge 1945 zum zweiten Mal im Stich gelassen und das Problem der Displaced Persons nach Palästina abgeschoben. Nun wurde die Staatsgründung welthistorisch aufgeladen, und die Nakba verschwand für Jahre hinter einem Vorhang – was nur möglich war, weil die Stimmen arabischer Historiker im anglophonen Raum nicht zählten.

Es gibt ein Detail, das aufschlussreich ist für die Atmosphäre von 1948: die spontane Bereitschaft jüdischer Zivilist:innen, sich den Besitz vertriebener und geflohener Nachbarn anzueignen. „Die Plünderung war eine Volksbewegung von unten, an der sich Juden aus allen Gesellschaftsschichten beteiligten“, schreibt Alon Confino. „Sie signalisierte die imaginäre Gewissheit, dass die Palästinenser nicht zurückkehren würden und dass sie im jüdischen Staat keinen Platz hätten.“

Wenn man eine solche imaginäre Gewissheit ebenso bei den jüdischen Milizionären und Soldaten voraussetzt, relativiert sich die früher heiß diskutierte Frage, ob sie aufgrund eines expliziten Vertreibungsbefehls handelten. Wie der Historiker Benny Morris berichtet, entschied die künftige Staatsspitze am 12. Mai 1948, in der zwei Tage später verkündeten Unabhängigkeitserklärung die Grenzen des neuen Staates nicht zu benennen. David Ben-Gurion war zuversichtlich, Israel könne bei Kriegsende mehr Territorium kontrollieren als im UN-Plan vorgesehen, und so kam es: Die Soldaten besetzten etwa das westliche Galiläa, im UN-Plan für einen arabischen Staat vorgesehen. Expansion und „Transfer“ gingen Hand in Hand.

Auf Fotos von 1948 erscheint die Nakba vor allem als ländliches Ereignis: altersgebeugte Flüchtende mit Bündeln, barfüßige Kinder. Doch die Entwurzelung betraf gleichfalls die städtischen Intellektuellen. Aus Villen im westlichen Jerusalem wurden große Buchbestände geplündert; einen Teil verleibte sich die israelische Nationalbibliothek ein, wo bis heute eine Sammlung die Buchstaben AP in der Signatur trägt, für „abandoned property“. Der Bücherraub illustriert die Zerstörung kultureller Identität, die überwucherten Ruinen der Dörfer den ausgelöschten Alltag zwischen Brunnen und Kaktushecke.

Wer die Nakba erwähnt, bekommt wie in einem Abwehrreflex häufig eine andere Vertreibung entgegengehalten: jene der arabischen Juden und Jüdinnen aus mehrheitlich muslimischen LändernEtwa 900 000 verließen in den Jahren nach 1948 ihre Heimat; 600 000 von ihnen zogen nach Israel. Historiker:innen zeichnen von Land zu Land unterschiedliche Panoramen von Push- und Pull-Faktoren: Ein sich radikalisierender arabischer Nationalismus machte die jüdischen Nachbarn zu ungewollten Fremden; zugleich warb die israelische Regierung um dringend benötigte Einwanderer – bis hin zu Bombenanschlägen des Geheimdienstes in Irak und Ägypten, um Unschlüssige in Panik zu versetzen. In Israel empfing die Mizrachim dann oft Rassismus. Opfer der Geschichte waren zweifellos auch sie – und wir können die vertriebenen jüdischen Araber:innen und die vertriebenen muslimischen und christlichen Palästinenser:innen als Leidtragende zweier Nationalismen betrachten, die politisch gegensätzlich, gar verfeindet waren und doch im Kern verwandt.

Die Vertriebenen gegeneinander aufzurechnen, ist indes eine ethisch verfehlte Mathematik. Und der Vergleich unterstreicht, was die Nakba unterscheidet: Sie fand kein Ende, Heimatlosigkeit und Entrechtung setzen sich fort.

Die neue Definition des Begriffs Rückkehr

Kann eine Demokratie verteidigt werden, die im wesentlich nur demokratisch für Juden ist? Diese Frage des Jahres 2023 ist im Geschehen von 1948 bereits angelegt. Israel wollte eine klare jüdische Mehrheit nicht allein aus Gründen der Sicherheit, sondern um den demografischen Spielraum für eine parlamentarische Demokratie zu gewinnen. Um für sich selbst also Demokratie zu sein, vertrieben 650 000 jüdische Siedler eine Zahl von Palästinenser:innen, die mit 750 000 größer war als sie selbst.

Da der UN-Teilungsplan Bürgerrechte für Minderheiten verlangte, gewährte Israel den verbliebenen 130 000 Palästinenser:innen die Staatsangehörigkeit – und konfiszierte den größeren Teil ihres Landeigentums. Nach zionistischer Lesart war das Land historischer Besitz des jüdischen Volkes; folglich bestand auch gegenüber den Geflüchteten in den Lagern jenseits der Grenze keine moralische Verpflichtung, ihnen die Rückkehr zu gestatten.

Der Begriff Rückkehr war fortan für Juden und Jüdinnen aus aller Welt reserviert. Das 1950 verabschiedete Rückkehrgesetz sicherte ihnen auf Wunsch automatisch die Staatsangehörigkeit. Das war weitaus mehr als ein Asylprivileg für den Fall künftiger Verfolgung; hier wurde signalisiert: Dieser Staat ist Juden vorbehalten. Dennoch hat es gegen das Primat des Ethnonationalismus immer wieder zeitweiligen Einspruch gegeben. Selbst der Historiker Shlomo Sand, der mit seinem Buch Die Erfindung des jüdischen Volkes (2008) Israels Selbstdefinition radikaler Kritik unterzog, hält es keineswegs für unausweichlich, dass sich Israel „einer echten Demokratisierung seiner Rechtsgrundsätze dauerhaft verweigerte“.

Wie literarische Zeugnisse beweisen, war manchen jüdischen Beteiligten 1948 durchaus bewusst, wie ethisch prekär die Staatsgründung verlief; es wurden sogar Analogien zum Holocaust gezogen. Und vereinzelt weigerten sich Überlebende, nach ihrer Ankunft aus Europa in Häuser zu ziehen, wo die Teller jener anderen Geflohenen noch auf dem Tisch standen.

Was danach geschah, in weniger als einem Jahrzehnt, gleicht einem doppelten Auslöschen von Erinnerung: an den Akt der Vertreibung und an die vorherige Existenz der Vertriebenen. „Als Kinder spielten wir in der Nähe sogenannter verlassener Dörfer, und wir fragten niemals: Wohin gingen die Araber? Warum sind sie nicht da?“ berichtet der Holocaust-Historiker Omer Bartov, geboren 1954. Es habe damals zwei wirkmächtige Tabus gegeben: Nie über das europäische Gestern sprechen und nie über das Palästina von gestern. „Mit uns begann die Geschichte. Menschen wie ich galten als erste Generation von Einheimischen, während die Araber als die viel länger Einheimischen entnormalisiert wurden.“ Deren Einheimischsein gänzlich zu bestreiten sei dann Staatsraison geworden.

Anders als vor einigen Jahrzehnten wird die Nakba als bloßes Faktum heute von zahlreichen Israelis anerkannt, jedoch ohne Schuldbewusstsein. Ein kaltes Wissen, aus dem nichts folgen darf. Die Nakba in den Mittelpunkt jüdischer Ethik zu stellen, „mit störender Empathie“, wie der Jerusalemer Historiker Amos Goldberg fordert, ist eine radikale Außenseiter-Position.

Der Komplexität der Materie kann niemand entrinnen

Zum Zeitpunkt des UN-Teilungsbeschlusses von 1947 waren in den Vereinten Nationen die kolonisierten Völker noch kaum vertreten. Seitdem das anders ist, etwa seit 1975, wird die Entrechtung der Palästinenser in der Vollversammlung regelmäßig verurteilt. Deutschland und die Schweiz gehören zu jener Minderheit von Ländern, die sogar zum 75. Jahrestag ein Gedenken an die Nakba unterbinden wollten. Obwohl es ohne deren Anerkennung keinen Weg zu einem gerechten Frieden in Israel-Palästina geben kann. Sollten nicht gerade Deutsche diesen Weg unterstützen?

Wenn der Holocaust als überragende Ursache der Gründung Israels betrachtet wird, wie es in Deutschland üblich ist, wäre die Nakba doch Teil einer gemeinsamen Geschichte, der Geschichte des europäischen Antisemitismus. Doch so sehen es nur wenige. Nach der vorherrschenden Erzählweise sollen die 200 000 Palästinenser und Palästinenserinnen in Deutschland ihr Schicksal vom Holocaust ausgehend als unvermeidliche Folge des größeren Leids anderer betrachten. Tun sie das nicht, wird die rote Karte gezeigt: Antisemitismus!

Unter diesem Verdacht steht auch ein Begriff, der mit dem weltweit gestiegenen Interesse an kolonialen und postkolonialen Fragen in der Palästina-Solidarität geradezu in Mode gekommen ist: Siedlerkolonialismus. Eines seiner wichtigsten Kennzeichen im Allgemeinen ist das Prinzip der Segregation: Im Unterschied zum Einwanderer, der sich in die örtliche Bevölkerung integriert, will der koloniale Siedler die Einheimischen, auf die er herabblickt, bestenfalls tolerieren, möglichst aber ersetzen. Die jüdischen Siedler hatten mit Arabern zuweilen gutnachbarliche Beziehungen, doch ihr Projekt zielte in der Tat auf räumliche und soziale Trennung. Und die Araber standen aus jüdischer Sicht auf der Fortschrittskala der Zivilisation beträchtlich weiter unten.

Um zu begreifen, wie es zur Nakba kommen konnte, bietet der siedlerkoloniale Rahmen einen wissenschaftlich legitimen Ansatz, jedoch keine erschöpfende Erklärung. Der palästinensische Philosoph Raef Zreik hat dies in folgende Worte gefasst: „Der Zionismus ist ein siedlungskoloniales Projekt, aber nicht allein das. Er verbindet das Bild des Flüchtlings mit dem Bild des Soldaten, des Ohnmächtigen mit dem Mächtigen, des Opfers mit dem Verfolger (…). Die Europäer sehen den Rücken des jüdischen Flüchtlings, der um sein Leben flieht. Der Palästinenser sieht das Gesicht des Siedlerkolonialisten, der sich sein Land aneignet.“

Die bekanntesten Siedlerkolonialismen der Welt endeten mit der Beinahe-Vernichtung der Einheimischen (Australien, USA) oder mit der antikolonial erkämpften Ausweisung der Siedler (Algerien). Für Israel-Palästina kann es hingegen keine Lösung geben ohne die Anerkennung jüdischer Selbstbestimmung – wegen der Shoah, aber auch weil die jüdischen Israelis, ob man sie nun ethnisch als Volk betrachten will oder nicht, zweifellos eine nationale Identität an Ort und Stelle entwickelt haben, wie die gegenwärtigen Massenproteste illustrieren.

Genaues Sprechen ist also ratsam, als Ausdruck intellektueller Sorgfalt, aber auch als ethische Selbstversicherung in einem oft toxischen Diskurs. Bereits die Forderung nach gleichen Rechten für alle zwischen Jordan und Mittelmeer, also die demokratische Utopie eines gleichberechtigten Einheimischseins, steht bei jenen unter Antisemitismus-Verdacht, die sich jüdische Existenz nur als Suprematie vorstellen können. Und genau dies ist der Scheitelpunkt, wo sich Zeitgeschichte und Tagesaktualität treffen – die Nakba als historisches Geschehen und als fortgesetzte Möglichkeit.

Die Charakterisierung von Raef Zreik, der Zionismus sei „eine andauernde Revolution, die sich weigert, ein Rechtsstaat zu werden, und ein ethnisch exklusives Siedlungsprojekt, das sich weigert, sich niederzulassen“, erweist sich mit Israels ultranationalistischer Regierung als hochpräzise. Die siedlerkoloniale Seite Israels wird auf die Stufe Turbo gestellt, wenn Benjamin Netanjahu die Besetzung der Westbank folgendermaßen wegdefiniert: „Das jüdische Volk hält sein Land nicht besetzt.“

Militante Siedler skandieren dieser Tage vor Fernsehkameras „Wir wollen Nakba!“, während manche Deutsche glauben, sie dürften das Wort nicht einmal für die historischen Geschehnisse verwenden. Und der Evangelische Kirchentag verbietet eine  Ausstellung zum Thema auf seinem Großkonvent – ausgerechnet in Nürnberg, einer Stadt, deren dunkle Geschichte eigentlich zum Einsatz für universelle Menschenrechte verpflichtet.

 

Keiner hat das Recht seinen Nächsten zu töten

Nie haben wir in Europa eine so lange Friedensperiode gehabt wie die letzten 80 Jahre. Die gegenwärtige Krise, der Krieg in der Ukraine, ist eine unberechenbare und gefährliche Situation, die wir so schnell wie möglich beenden müssen, wenn wir überleben wollen. Aber wie? Wir alle können nicht gegen Putin in den Krieg ziehen, aber wir sollten und müssten gegen alldiejenigen kämpfen, die Putins Gift bei uns weiterverbreiten und die „nützlichen Idioten“ spielen, oder gar sind. Es nützt nicht und ist sogar „contra produktiv“ in Zeiten des Krieges und der höchsten Gefahr daran zu erinnern, dass auch in der Vergangenheit andere völkerrechtswidrig und barbarisch gehandelt haben. Aber wie weit sollten wir zurückgehen? Bis zum Zweiten Weltkrieg, bis zum Ersten Weltkrieg, bis zu den Napoleonischen Kriegen oder bis zum Dreißigjährigen Krieg? Oder vielleicht bis zu den Kriegen von Julius Cäsar, Hannibal oder der Griechen gegen Persien?

Wir sollten Geschichte zwar nicht vergessen, aber wir sollten es nicht als Grund benutzen den jetzigen Überfall Russlands in die Ukraine zu relativieren oder sogar zu entschuldigen. Jede solche Erklärung ist sachlich ungenau und moralisch verwerflich.

Kein Mensch hat das Recht andere Menschen zu töten oder andere Länder zu überfallen. Auf diese Erkenntnis beruht unsere Zivilisation, zumindest seit dem biblischen Gebot: „Du sollst nicht töten.“ Wir blicken mit Abscheu und Verachtung auf die Epochen in der Geschichte der Menschheit, als Töten, Erobern und Ausbeuten üblich waren und Feldherren Cäsaren wurden. Wir halten uns heute für zivilisierter als die Menschen im „Wilden Westen“, wo nur der überlebt hat, der besser mit dem Revolver umgehen konnte. Aber selbst im wilden Westen gab es Gerichte und Richter, wie wir aus den „Wildwest Filmen“ wissen, die schuldigen Mörder verurteilt und wilde Lynchjustiz abgelehnt haben.

Keiner hat das Recht seinen Nächsten zu töten, zu demütigen oder seines Eigentums zu berauben. Auf diese Maxime beruht unser gesellschaftliches Zusammenleben von Beginn an. Der erste überlieferte Mord in der Geschichte, die Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain ist für ewig in das Gedächtnis der Menschheit als Mahnmal haften gebelieben und der biblische Spruch (1. Mose, 4-9) „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ begleitet uns seitdem bis in alle Ewigkeit und ermahnt uns die Hüter unserer Brüder zu sein.

Das erstaunlichste und wunderbare in dieser biblischen Erzählung, mit der unsere humane Zivilisation beginnt, ist Kain´s Erkenntnis, dass er Unrecht getan hat, seine Entschuldigung und seine Furcht (1. Mose 4-14): „So wird mir´s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“ Kain ist bekannt und bewusst, dass auf Mord Strafe folgt. Aber Gott schützt ihn und sagt: „Wer Kain totschlägt, das soll siebenfach gerächt werden.“ Rache ist auch Mord und Vergeltung ist moralisch nicht besser als der Anschlag selbst. Und die Bibel erzählt uns, dass Gott an Kain´s Stirn ein Zeichen machte, damit ihn jeder erkennt und keine das Recht in eigene Hände nimmt. Demnach ist es sogar verboten Mörder zu morden. So geht es uns heute mit Putin und seinem Krieg. Jeder weiß, dass Putin ein Mörder ist und dass nur der Internationale Strafgerichtshof ihn bestrafen darf und kann. Deshalb auch der Haftbefehl des Gerichtshofs zu seiner Ergreifung. Keiner soll ihn ermorden, er trägt das Kain-Zeichen tätowiert auf seine Stirn.

Putin kann mit seinen strengen und kalten blauen Augen Russland unterwerfen und die Russen unterdrücken, aber die Welt, Europa oder auch nur die Ukraine unterwerfen, kann er offensichtlich nicht. Viele gehirngewaschene Linke bei uns im Westen wollen Putin schützen, weil sie der Meinung sind, frei nach Franz Werfel, dass nicht Putin und seine Generäle, sondern seine Opfer die Schuldigen sind.   Wir wissen, dass gegen die fürchterliche und grausame Realität, die wir täglich in Bildern sehen, selbst die russische Propaganda machtlos ist. Aber seltsamerweise sind bei uns nicht wenige Brigadegeneräle, Politiker, Philosophen und gewöhnliche Bürger von Putins Propaganda überzeugt und benutzen deshalb nicht ihren gesunden Menschenverstand, falls sie überhaupt einen haben. Sie glauben nicht der Realität, die sie sehen, sondern der Ideologie, die ihnen gebietet zu glauben, was sie nicht sehen. Sie zeigen Verständnis für Putins Krieg und Kriegsverbrechen in Butscha, weil die Amerikaner vor 50 Jahren auch in Vietnam Kriegsverbrechen begangen haben. Sie vergessen aber, dass es vor 50 Jahren eine große Bewegung in Deutschland und im übrigen Europa gab, die Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam organisiert hat. Wo bleiben die Demonstrationen von heute gegen einen ebenfalls Menschen verachtenden brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg? Die Schuld der Amerikaner, gegen die wir auf die Straße gegangen sind, kann kein Grund und keine Entschuldigung für den imperialistischen Krieg Putin´s sein. Seine Begründung, dass er die Ukraine vor Nazis und Faschisten schützen wollte, ist nicht nur absurd, sie ist zynisch und eine grobe Lüge, mit der er sogar mit seiner massiven Propaganda nicht überzeugen kann. Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass in Kiew keine Nazis sitzen, sondern im Gegenteil, Politiker, die zwar mühsam aber voller Idealismus versuchen eine westeuropäische Demokratie aufzubauen. Und das wird nicht von Biden verhindert, sondern von Putin.

Wovor hat Putin Angst? Vor dem demokratischen Virus, dass auch die Russen Demokratie fordern würden. Immer mehr Russen werden allein wegen der defätistischen Aussage, dass die „militärische Operation“ ein echter Krieg sei, verhaftet und drakonisch bestraft. Und tausende Russen verlassen ihr Land, weil dort eine Gewaltherrschaft eines durchgeknallten Autokraten ein freies und friedliches Leben unmöglich macht.

Ähnlich war es in Deutschland während des Krieges, als keiner das Wort „Krieg“ benutzen durfte bis am Ende Hitler die Soldaten „ausgegangen“ sind und er einen „Volkssturm“ aus tausenden von alten Männern und Minderjährigen gegen, die gut ausgebildeten russischen und amerikanischen Soldaten rekrutieren musste. Sie waren sein Kanonenfutter. Auch jetzt rekrutiert Putin Soldaten in Gefängnissen und Straflager und verspricht Straffreiheit. Nur wenige können diese „Straffreiheit“ genießen. Die meisten sind vorher im Krieg getötet worden.

Damit sowas nie wieder passiert und die Charta der UN  den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wahren kann, wurden zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen getroffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.

Die Charta der Vereinten Nationen ist der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen. Ihre universellen Ziele und Grundsätze bilden die Verfassung der Staatengemeinschaft, zu der sich alle inzwischen 193 Mitgliedstaaten bekennen, auch Russland, Weißrussland und China. Sie wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco unterzeichnet und trat am 24. Oktober 1945 in Kraft. Darin heißt es in der Präambel:

Text der UN-Charta zum Download

Präambel

Kapitel I – Ziele und Grundsätze

Kapitel II – Mitgliedschaft

Kapitel III – Organe

Kapitel IV – Die

Kapitel V – Der Sicherheitsrat

Kapitel VI – Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten

Kapitel VII – Maßnahmen bei der Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen

Kapitel VIII – Regionale Abmachungen

Kapitel IX – Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet

Kapitel X – Der Wirtschafts- und Sozialrat

Kapitel XI – Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung

Kapitel

XII – Das internationale Treuhandsystem

Kapitel XIII – Der Treuhandrat

Kapitel XIV – Der Internationale Gerichtshof

Kapitel XV – Das Sekretariat

Kapitel XVII – Übergangsbestimmungen betreffend die Sicherheit

Kapitel XVI – Verschiedenes

Kapitel XIX – Ratifizierung und Unterzeichnung

Wir, die Völker der Vereinten Nationen – sind fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben, unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern.

Russland hat diese Charta unterschrieben. Es ist deshalb ein Skandal, dass Russland immer noch Mitglied im Sicherheitsrat ist und zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages sogar den Vorsitz hat. Und es stimmt, dass auch die USA diesen Vertrag gebrochen und verletzt hat. Und es stimmt, dass die UN sich neu organisieren muss und im Sicherheitsrat das demokratische Prinzip der Mehrheit endlich eigeführt wird und Großmächte nicht durch ihr Veto Beschlüsse der Mehrheit annullieren können. Das alles sollte auf die Tagesordnung kommen, aber zuerst sollte der weltweit gefährlichste Krieg beendet werden, bevor noch unverantwortlichere Herrscher an die Macht kommen.

Man kann zwar Russland nicht aus der UNO entfernen, aber es ist doch eine Farce und lächerlich, wenn ausgerechnet ein Staat, der die Charta so eklatant verletzt hat, immer noch im Sicherheitsrat ist und durch seine Vetos wichtige und notwendige Beschlüsse blockiert.

Abraham Melzer, 2. April 2023