Reuven Rivlin – Israels neue Lichtgestalt?

Der israelische Präsident Reuven Rivlin hatte Glück, dass er Präsident in Israel ist. Wäre er ein amerikanischer Politiker, hätte man ihn schon längst als Antisemiten registriert und er wäre genötigt worden, aus seinem Amt auszuscheiden. Der israelische Präsident hat bei einem öffentlichen Akt in der israelischen Akademie der Wissenschaften zugegeben, dass die Gesellschaft seines Landes „krank ist“ und die Epidemie der Gewalt „in alle Bereiche eingedrungen“ ist.

„Es ist Zeit ehrlich zuzugeben, dass die israelische Gesellschaft krank ist und es unsere Pflicht ist, diese Krankheit zu behandeln“, sagte Rivlin und bezog sich dabei auf den blutigen vergangenen Sommer und die Spannungen zwischen Juden und Arabern, die ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht hätten. „Die Epidemie der Gewalt ist nicht auf die eine oder andere Gruppe beschränkt, sie ist in alle Bereiche eingedrungen“, heißt es im Kommuniqué seines Büros, das betont, dass es „Gewalt gebe in Fußballstadien, akademischen Zirkeln, in Krankenhäusern und Schulen“.  Weiterlesen

Judentum und Islam – die Schönheit des Anderen

Im Dialog: Iskander Ahmad Abdalla und Yuval Ben-Ami

Kritik lässt sich leicht formulieren und es ist kein Problem sich Ängsten hinzugeben. Doch was gibt es zu entdecken, wenn der Blick auf das Andere fällt? Iskandar Ahmad Abdalla aus Ägypten und Yuval Ben-Ami aus Israel haben das Andere kennengelernt. Sie sind eingetaucht in eine andere Welt und berichten von den Erfahrungen, die sie begeistern und ebenso überrascht haben.

Iskandar Ahmad Abdallas Einblicke in die geistige und religiöse Welt des Judentums haben dem jungen ägyptischen Übersetzer und Publizisten in mehrfacher Hinsicht die Augen geöffnet. Zum einen stieß er auf Dinge, mit denen er nicht gerechnet hätte. Zum anderen wurde ihm aber auch seine sprachliche und geistige Nähe zum Hebräischen klar, ebenso wie die Tatsache, dass der Islam, dem er angehört, auf denselben monotheistischen Ursprung zurückgeht wie das Judentum.

„Alle Welt hatte nur eine Sprache und dieselben Laute“ (Genesis 11,2)

So heißt es in der Thora über die Anfänge der Menschheit. Die Kommentatoren schlussfolgern daraus, dass Hebräisch die erste menschliche Sprache gewesen sein soll. Fest steht, dass das Hebräische für die Juden eine heilige Sprache ist, und zwar nicht nur, weil Hebräisch als Sprache der ersten Menschen, sondern hauptsächlich, weil es als Sprache der Schöpfung gilt. Auf Hebräisch hat Gott die Welt geschaffen. Auf Hebräisch sprach er: „Es werde Licht“, und er nannte das Licht Tag, die Finsternis aber Nacht (Genesis 1,5). Und nachdem Gott die Welt geschaffen hatte, sprach er auf Hebräisch zu Adam. Adam gab wiederum allem, was Gott geschaffen hatte, hebräische Namen.

Die unter dem Namen „Kabbala“ bekannte jüdische Mystik geht sogar noch einen Schritt weiter und misst den Buchstaben des hebräischen Alphabets eine verborgene symbolische Bedeutung zu. Die Anhänger gewisser kabbalistischer Strömungen gehen sogar von einer magischen Wirkung der einzelnen Buchstaben aus. Ihnen zufolge kann jemand, der die göttliche Gabe besitzt, die Geheimnisse der Buchstabenmystik zu durchschauen, durch entsprechende Buchstabenkombinationen sich selbst und die Seinen vor bestimmten Übeln bewahren.  Weiterlesen

Israel: eine „kranke Gesellschaft“

von Ludwig Watzal

Wenn das Staatsoberhaupt des Staates Israel, Reuven Rivlin, feststellt, dass die israelische Gesellschaft „krank“ sei, dann muss es wohl stimmen. Spätestens jetzt müssten die Alarmglocken deutscher Antisemiten-Jäger schrillen, nach deren „Maßstäben“ er wohl als „lupenreiner Antisemit“ zu bezeichnen wäre. Darüber hinaus müsste er auf Empfehlung eines obskuren Antisemitismus-Experten aus Berlin auf die berühmt-berüchtigte Liste der Top-Antisemiten des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Los Angeles kommen.

Bei einer Veranstaltung der Israelischen Akademie der Wissenschaften zum Thema „Vom Hass des Fremden, zur Akzeptanz des Anderen“ (From Hatred of the Stranger to Acceptance of the Other) diagnostizierte Reuven Rivlin  für Israel eine Epidemie der Gewalt, die „in alle Bereiche vorgedrungen“ sei. „Es ist Zeit ehrlich zuzugeben, dass die israelische Gesellschaft krank ist und es unsere Pflicht ist, diese Krankheit zu behandeln“, sagt Rivlin in Bezug auf das von der israelischen Armee angerichtet Massaker im Gaza-Streifen. „Die Epidemie der Gewalt ist nicht auf die eine oder andere Gruppe beschränkt, sie ist in alle Bereiche eingedrungen.“ „I’m not asking if they’ve forgotten how to be Jews, but if they’ve forgotten how to be decent human beings. Have they forgotten how to converse?”

Jeder Kenner Israels, der nicht die rosarote Brille der Israelfans und der Philosemiten trägt, bezeichnet diese Gesellschaft und große Teile ihre politische Klasse als „paranoid“. Wie sagte doch der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti: „Es gibt keine Anzeichen von seelischer Gesundheit, sich an eine zutiefst gestörte Gesellschaft anpassen zu können.“ Diese Paranoia habe nicht nur Schrammen am Image Israels hinterlassen, wie Rivlin feststellte, sondern dem Staat das Image eines „Paria-Staates“ innerhalb der Weltgemeinschaft verschafft. Der Rassismus der israelischen politischen und religiösen Klasse ist sprichwörtlich.

Ein Staat, der alle völkerrechtlichen Normen verletzt und die Menschenrechte des palästinensischen Volkes mit Füßen tritt, Massaker an der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens verübt (2008/09=1 400 Tote; 2014 = 2 100 Tote) Zerstörungen größten Ausmaßes anrichtet, hat sich den Ruf eines „Paria-Staates“ selbst erarbeitet. Nicht ohne Grund sind bereits über 30 000 Israelis nach Berlin ausgewandert, und es kommen mehr. Sie wollen nicht länger in einer jüdischen Demokratie leben, die von einer politischen und religiösen Klasse regiert wird, die das Land, nach Meinung zahlreicher israelischer Analysten, in den Abgrund und die totale Isolation führt. Wo aber Gefahr lauert, wächst das Rettende auch: die deutsche Staatsräson.

Mohammed, wo bist du?

von Uri Avnery

Es klingt wie ein Witz. Ist aber keiner. Vor etwa einem Monat, am Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes veröffentlichte das statistische Büro der Regierung eine Reihe interessanter Einzelheiten über die Bevölkerung des Staates. Es war als Geschenk für die Bürger gedacht. Die Bevölkerung wächst, sie wird reicher und ist zufrieden.

Einer der Punkte listet die populärsten Namen auf, die im letzten Jahr neugeborenen Jungen und Mädchen gegeben wurden. Als die Statistiker die Ergebnisse sahen, waren sie entgeistert. Es kam heraus, dass der Name, der oben auf der Liste stand, Mohammed war.  Mohammed -der volkstümlichste Name im jüdischen Staat?

Dafür gibt es eine einfache Erklärung.  Die Araber stellen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung dar. Arabische Eltern lieben es, ihren Söhnen den Namen des Propheten: Gott segne seine Seele zu geben.  Außerdem haben arabische Bürger viel mehr Kinder als jüdische Bürger. Wenn jeder zweite arabische Junge Mohammed genannt wird, kommt man auf 5 Prozent.

Jüdische Bürger haben eine größere Auswahl. Es gibt hunderte Namen für Jungen, und die Liste wächst ständig, weil junge Eltern gerne  neue hebräische Namen erfinden. Selbst wenn ein Zehntel der jüdischen Eltern den Namen Josef bevorzugen, so ist es der populärste hebräische Name nach der Liste und erreicht nur 4 Prozent. Was tun? Sehr einfach: man streicht die arabischen Namen weg. Keinen Mohammed. Als dies bekannt wurde, lachten viele Israelis. Wie albern kann man werden.  Weiterlesen

Gedanken zum jüdischen Neuen Jahr

von Reuven Moskovitz

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich habe sehr mit mir gerungen, ob ich noch einen Brief zum jüdischen Neuen Jahr schreibe. Mehr und mehr bestätigt sich der Spruch des Propheten Amos  5,5.13 „Darum muss der Kluge zu dieser Zeit schweigen; denn es ist eine böse Zeit.“ Oft denke ich daran, was überhaupt noch zu sagen wäre und ob in meinen zahlreichen Briefen an Euch noch etwas fehlt. In diesem Abwägen treibt mich bei aller Empörung über die existierende Realität mein Wunsch, dass es doch noch gelingen könnte, die schreckliche Blindheit vieler Menschen in Deutschland zu heilen – wahrscheinlich eine unbescheidene und unrealisierbare Illusion – noch einmal zu schreiben.

Nach einer erschütternden militärischen Niederlage, die – geblendet durch einen vorübergehenden Erfolg – die schlimmsten Befürchtungen übertraf, setzte sich auch bei Großmächten in der Geschichte oftmals  die Wahrheit und die Vernunft durch. Diese Lektion konnte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lernen. Es schien sogar so, dass Deutschland auch tatsächlich daraus gelernt hat. Nun geschah das unwahrscheinliche Wunder der Wiedervereinigung und der Übergang von der Bonner zur Berliner Republik – und momentan scheint Deutschland wieder viel zu vergessen.  Weiterlesen

Antisemiten sind ihm nicht egal

Antwort auf Maxim Billers Beitrag in der ZEIT

Henryk M. Broder, „nicht mehr ganz junger Edelpolemiker mit klarer politischer Mission“, schreibt über den Beitrag des „brillanten eitlen Juden“ Maxim Biller in der ZEIT, „wer immer es war, der unter dem Namen Maxim Biller geschrieben hat, er hat ein Meisterstück verfasst“ und bedauert sicherlich zutiefst, dass nicht er es war. Oder vielleicht doch? Hat er Maxim Billers Namen nur geliehen? Ein solches Lob aus Broders giftiger Feder ist verdächtigt. Und in der Tat, „in einem Deutsch, das nur ein Prager Jude schreiben kann“, lesen wir ein zionistisches Pamphlet, dass wir sonst nur von einem polnischen Juden kannten. Ein schauerliches Gesellenstück, hasserfüllt, naiv und voller historischer, logischer und gedanklicher Fehler.

„Nichts ist so langweilig wie Antisemitismus, jedenfalls für Juden“. Mit diesem denkwürdigen Satz beginnt Maxim Biller seine Polemik. Aber offensichtlich ist es nicht so, denn sonst würde er sich nicht über Seiten hinweg damit beschäftigen. Er startet gleich mit den absurdesten Vorurteilen gegen Juden, und man hat fast den Eindruck, dass er selber daran glaubt. Nichtjuden glauben, dass die Welt von Juden regiert wird, und das schon seit zweitausend Jahren. Aber schon diese erste Behauptung ist falsch, denn wenn überhaupt, dann seit zweihundert Jahren, denn der Antisemitismus davor war rein religiös, und da hat man den Juden höchstens vorgeworfen, dass sie Jesus gekreuzigt haben, nicht aber, dass sie die Welt regieren. Die Menschen im Altertum wussten sehr genau, wer die Welt beherrscht. Von den „Protokollen der Weisen von Zion“ haben sie nichts gewusst.

Biller meint in seiner Naivität und seinem Nichtwissen, dass Nichtjuden den Juden vorgeworfen hätten, dass ihre Religion nervt, weil die Juden sie mit niemanden teilen wollen. Dabei gibt er später zu, dass die Juden den Nichtjuden das Christentum „geschenkt“ haben und immerhin hat es fast die ganze Welt angenommen. Damit haben doch die Juden ihre Religion mit der ganzen Welt geteilt, denn sowohl Christentum als auch Islam wären doch ohne Judentum nicht denkbar.  Weiterlesen

The Politics of Empire. The US, Israel and the Middle East

by Ludwig Watzal

Petras_EmpireThe Israeli military went again on a rampage against the ghettoized people in the Gaza strip. The last time, they “visited” the walled-in strip at the turn of the year 2008/09, they slaughtered 1 400 Palestinians. In 2014, they killed over 2 100 Palestinians, 80 per cent civilians, injured over 10 000, made over 300 000 homeless and ravaged the infrastructure. Israel’s patron, the US Empire, did not lift a finger in 2008/09; neither did it this time. This one-sided relationship is analyzed by James Petras, an award-winning author and Professor Emeritus, in a global geopolitical perspective.

In 2000, „the imperial military and ideological apparatus for direct intervention was firmly in place.“ 9/11 seemed godsend. The objectives of the planned serial wars „were defined by their principal Zionist and militarists architects“ as the following: First, „destroying regimes and states (that) have opposed Israel’s annexation of Palestine.“ Secondly, „deposing regimes which promoted independent nationalist policies, opposing or threatening the Gulf puppet monarchist regimes and supporting anti-imperialist, secular or nationalist-Islamic movements around the world.“

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Sind Palästinenser keine Menschen?

Antwort auf Elie Wiesel

von Sara Roy

Herr Wiesel,

Ich habe Ihren Artikel über die Palästinenser in der New York Times vom 4. August gelesen und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ihr Angriff gegen die Hamas und Ihre schockierende Anschuldigung, die Hamas würde sogar Kinder opfern, in Wahrheit ein Angriff – sorgfältig verschleiert, aber unverkennbar – gegen alle Palästinenser ist, einschließlich ihrer Kinder.

Selbst ein Kind von Holocaust-Überlebenden – meine beiden Eltern haben Auschwitz überlebt –, bin ich entsetzt über Ihre anti-palästinensische Einstellung, die Sie, wie mir bekannt ist, schon lange hegen. Ich wollte Sie schon immer fragen: warum eigentlich? Welche Verbrechen haben die Palästinenser in Ihren Augen denn begangen? Etwa, dass sie der Welt vor Augen führen, dass Israel eine Besatzungsmacht ist und sie selbst nur Israels fast wehrlose Opfer? Oder dass sie sich der nun schon fast 50jährigen Unterdrückung durch die Juden widersetzen und uns durch diesen Widerstand dazu zwingen, uns als Volk der Tatsache unserer verlorenen Unschuld zu stellen, an der Sie ja so hartnäckig festhalten?  Weiterlesen

Diplomatic terrorism and wings over the Iron Wall

by Adam Keller

Will the Palestinians ever get free of Israeli occupation? Will there ever be peace between the State of Israel and the State of Palestine? If any of these things ever happen, Bahaa Samir Badir will not be there to see it.

On the night, the day before yesterday, Israeli soldiers entered the village of Beit Laqiya near Ramallah, a routine act such as happens every night in various parts of the West Bank. The village youth resisted the entry of the soldiers into their village, using stones and Molotov cocktails – as young Palestinians do in an increasing number of cases in recent months. Bahaa was shot in the chest and his life ended at the age of 13. Thousands joined in his funeral march. One more name was inscribed in the very very long list of victims and of martyrs for the Palestinian national cause.

Ron Prosor, Israel’s Ambassador to the UN, is very angry this week. He is angry at Palestinian diplomatic terrorism. Yes, diplomatic terrorism which Prosor says is as bad as any other kind of terrorism, a diplomatic terrorism whose aim is „creating unilateral facts on the ground“ (A rather odd charge, when Prosor’s own bosses are dedicated to relentless settlements construction…) It was diplomatic terrorism when two years ago the Palestinians asked for the State of Palestine to get the status of an Observer State in the United Nations and 138 countries voted in favor. It is diplomatic terrorism when now they appeal to the Security Council to establish a timetable for ending the Israeli occupation. And Sweden is aiding and abetting diplomatic terrorism with its “irresponsible statement at a very unfortunate timing“ declaring an intention to recognize the State of Palestine. Diplomatic terrorism, in short, is any diplomatic act taken by Palestinians other than sitting at the negotiating table with representatives of the Government of Israel.

Prosor made an impassioned plea to the international community to „prevent the Palestinian cart from rolling off the cliff“. „True peace will not be achieved through unilateral measures, only via direct negotiations, the distance between Ramallah and Jerusalem being much shorter than to New York or Stockholm.“  Weiterlesen