von Ludwig Watzal
In Anspielung auf Theodor W. Adornos Feststellung, dass der Antisemitismus das Gerücht über Juden sei, behauptet Thomas M. Eppinger, Herausgeber von Mena-Watch, einem prozionistischen „Nahost-Thinktank“ in Wien: „Der neue Antisemitismus ist das Gerücht über Israel.“ Dieser mache Israel zum „Juden unter den Staaten“, wie es der französische Historiker Léon Poliakov formuliert habe. Der sogenannte neue Antisemitismus würde Juden in aller Welt in Geiselhaft nehmen und sie zur Zielscheibe machen. Der Israel-bezogene Antisemitismus würde tagtäglich von Medien und Politik genährt. Soweit die schrägen Thesen Eppingers.
Den Vorwurf des „israelbezogenen Antisemitismus“ erhob Uwe Becker, Stadtkämmerer in Frankfurt, gegenüber Demonstranten in Frankfurt. Aus dieser Demonstration heraus soll der Slogan „Palestine will be free – from the River to the Sea“ gerufen worden sein. Dies wird von den Israellobbyisten gemeinhin als antisemitisch interpretiert. Becker, der auch hessischer Beauftragter für Antisemitismus ist, hat Strafanzeige wegen dieser Parole gestellt. Becker scheint ein „israelbezogener Philosemit“ zu sein. Philosemitismus ist eine Variante des Antisemitismus.
Weder gibt es „israelbezogenen“ noch „neuen Antisemitismus“, beide Slogans sind eine Erfindung der Israellobby, noch stellen sie das Gerücht über Israel dar. Die Juden werden nicht wegen des „neuen Antisemitismus“ in Geiselhaft genommen, sondern die diversen israelischen Regierungen nehmen die Juden weltweit in Geiselhaft, da sie beanspruchen, für alle Juden in der Welt zu sprechen und sie zu repräsentieren.
Weiter bestreiten die Israellobbyisten von Mena-Watch, dass Israel ein Apartheid-Staat sei und es kein Freiluftgefängnis im Gaza-Streifen geschaffen habe. Das israelische Apartheid-Regime ist wesentlich anspruchsvoller als das südafrikanische. Es gibt in Israel über 30 Gesetze und Verordnungen, die die jüdisch-israelische Bevölkerung klar gegenüber der israelischen nicht-jüdischen Bevölkerung bevorzugen. So dürfen in den israelischen Kolonien im besetzten Palästina nur jüdische Israelis leben. Es gibt Straßen in den besetzten Gebieten, die nur von Israelis benutzt werden dürfen, d. h. sie sind ethnisch rein! Das Wohnrecht in 70 Prozent der Kommunen wird von Zulassungskomitees kontrolliert, die „Ungeeignete“ herausfiltern. So finden erhebliche Diskriminierungen im Bildungssystem statt, indem Israel das fünffache an Mitteln für seine jüdischen Bürger ausgibt als für seine nicht-jüdischen. Zahlreiche renommierte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Bischof Desmond Tutu aus Südafrika, haben bei ihren Israelbesuchen erklärt, dass das Land Apartheid betreibe.
Das Freiluftgefängnis im Gaza-Streifen gleicht eher einem Ghetto, das Israel völlig abgeriegelt hat und zu dem es allein den Schlüssel besitzt. In regelmäßigen Abständen werden die Bewohner bombardiert oder durch Scharfschützen traktiert, sollten sie es einmal wagen, mit ihren selbstgebastelten Raketen ins israelische Kernland zu schießen. Zurückgeschlagen wird dann mit den besten Waffen der Welt, made in the U. S. and paid for by the U. S. taxpayer.
Die Behauptung, Antizionismus sei „immer antisemitisch“ verdeutlicht abschließend eine weitere Stoßrichtung des Beitrages. Seit der Entstehung des Zionismus, gab es Widerstand von hunderttausenden von Juden, die den Zionismus als rassistische Ideologie ablehnen. Die Ultra-Orthodoxen Juden von Neturei Karta lehnen nicht nur den Staat Israel völlig ab, sondern auch den Zionismus, weil beide einen Frevel gegenüber Gott darstellten.
Antizionismus hat nichts mit Antisemitismus zu tun, weil es sich bei dieser ideengeschichtlichen Richtung um die rationale Kritik am Zionismus handelt. So haben die überwiegende Zahl der deutschen Rabbiner und des deutsche Judentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Zionismus völlig abgelehnt und dafür gesorgt, dass der erste Zionistenkongress nicht in München stattfinden konnte. Die Zionisten mussten in Basel tagen.
Mena-Watch ist ein parteiische Website, auf der sich überwiegend Israelfanatiker tummeln. die ihren Tunnelblick pflegen. Namen wie Thomas Eppinger, Alex Feuerherdt, Stefan Frank oder die Gastautoren Matthias Küntzel, Thomas von der Osten-Sacken, Ulrich Sahm, um nur die fanatischsten zu nennen, überbieten sich in ihrer Lobhudelei von Israels rechtswidriger Politik.
Dass Israel „jüdisch und demokratisch“ sei, ist das eigentliche Gerücht über Israel. Solange man an dieses Oxymoron glaubt, solange bleibt der Kampf gegen den zionistischen Rassismus und Kolonialismus halbherzig.
Wie lange will sich die Öffentlichkeit diesen Unsinn noch gefallen lassen?
Gut dargestellt; nur: welche Zukunft hat Israel ohne Zionismus? Es muß sich neu erfinden.
Otto Weininger (in: Geschlecht und Charakter) definierte „Zionismus“ als Negation des Judentums. Erst Deutschlands Ausrottungspolitik schien den Zionismus zu rechtfertigen. Hierzu fällt einem zur Formel „Negation des Judentums“ ein: Das Havara-Abkommen, das 500.000 Juden für die Zionisten hätte retten können (50.000 wurden gerettet), stand im Widerspruch zum Boykott, zu dem 1933 jüdische Organisationen der weltweiten Diaspora gegen deutsche Waren aufgerufen hatten. Insoweit steht der Zionismus im offenen Widerspruch zum Judentum, sei es als als dessen Negation im Sinne Weiningers, sei es als Sünde in den Augen von Neturei Karta. Folglich kann der zionistische Begriff von „Antisemitismus“ nicht deckungsgleich sein mit dem Begriff des Antisemitismus, den die Diaspora kannte. Durch die Gleichsetzung kommen absurde Fehlschlüsse zustande: Die Nazis förderten die jüdische Emigration nach Palästina; dann wären ausgerechnet die Nazis keine „Antisemiten“ gewesen?