In einem offenen Brief verurteilen mehr als 80 namhafte jüdische Wissenschaftler und Intellektuelle, darunter Noam Chomsky, Eva Illouz, Alfred Grosser, Moshe Zimmermann, Judith Butler und Micha Brumlik, die Anfeindungen gegen unseren Verein und rufen die deutsche Zivilgesellschaft auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden.
In den letzten Jahren haben die israelische Regierung und ihre Unterstützer versucht, die Debatte über die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen der seit 51 Jahren andauernden Besatzung zu unterbinden. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, werden von israelischen Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt immer weniger Raum.
Diese besorgniserregenden Entwicklungen sind auch an Deutschland nicht vorübergegangen. Wir unterstützen voll und ganz die Bemühungen der deutschen Zivilgesellschaft und Politik, alle heutigen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen – ein bitter nötiges Anliegen angesichts des Aufstiegs nationalistischer Parteien und Bewegungen gerade einmal 73 Jahren nach der Überwindung des NS-Staats. Unter dem Vorwand des Schutzes jüdischen Lebens sind jedoch in dem Kontext Angriffe auf Organisationen und Personen, die sich mit den palästinensischen Bestrebungen nach Gleichheit und Befreiung solidarisch zeigen, inzwischen Alltag geworden. Die freie Rede in Bezug auf palästinensische Menschenrechte wird durch Forderungen, Diskussionen im öffentlichen Raum zu verbieten, durch öffentliche Verleumdungskampagnen und entsprechende Beschlüsse eingeschränkt.
Die Anfeindungen gegen die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (Jüdische Stimme) sind bezeichnend für dieses um sich greifende Phänomen und haben uns veranlasst, unsere Sorge gemeinsam zum Ausdruck zu bringen. Die Gruppe, zu deren Mitgliedern auch kürzlich nach Deutschland eingewanderte Israelis gehören, hat immer eindeutig ihre Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina erhoben und konsequent jegliche Form von Rassismus und Antisemitismus verurteilt, einschließlich solcher Fälle, in denen diese sich hinter einer Kritik an Israel verbargen. Dennoch schloss die Bank für Sozialwirtschaft unter dem Einfluss einer Verleumdungskampagne seitens rechter Journalisten und Organisationen 2016 das Konto der Gruppe, eine Entscheidung, die die Bank kurz darauf wieder zurücknahm.
Der Druck auf eine deutsche Bank mit dem Ziel, das Konto einer jüdischen Organisation zu schließen – erstmalig seit die Bundesrepublik an die Stelle des nationalsozialistischen Staates getreten ist – hat jedoch seither keineswegs nachgelassen. Kürzlich entschloss sich die Bank in Abstimmung mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, eine Expertise über die Frage einzuholen, ob die Jüdische Stimme als „antisemitisch einzustufen“ sei. Die deutsche Historikerin Dr. Juliane Wetzel übernahm die Aufgabe jenes Gutachten in Übereinstimmung mit der hochgradig politisierten und fragwürdigen Definition von Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken (IHRA) zu erstellen. Dieses IHRA-Dokument kann gefährlich instrumentalisiert werden, um dem israelischen Staat Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim und nötig erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet.
Dieses Vorgehen ist alarmierend: Repräsentanten des deutschen Staates, Finanzsektors und der Wissenschaft sind zusammengekommen, um gemeinsam ein Urteil darüber zu fällen, ob eine Gruppe von Juden und Israelis, darunter viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, antisemitisch sei. Aus gutem Grund weigern sich Mitglieder der Jüdischen Stimme, bei einem solchen lächerlichen und schamlosen Unterfangen mitzuwirken.
Als jüdische und israelische Akademiker und Intellektuelle, die dem Kampf gegen Antisemitismus und alle Formen von Rassismus verpflichtet sind, verurteilen wir die laufende Kampagne, die darauf abzielt, die Jüdische Stimme und ihre Mitglieder zum Schweigen zu bringen, unabhängig davon, ob wir mit allen ihren Positionen übereinstimmen oder nicht.
Wir rufen die deutsche Zivilgesellschaft dazu auf, Antisemitismus unnachgiebig zu bekämpfen und dabei klar zu unterscheiden zwischen Kritik am Staat Israel, so hart sie auch ausfallen mag, und Antisemitismus. Wir fordern sie weiter dazu auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden und auf der Beendigung dieses Zustands bestehen.
Wir stehen ein für Menschenrechte.
Unsere Solidarität gilt der Jüdischen Stimme.
Prof. Gadi Algazy, Historian, Tel Aviv University
Prof. Gil Anidjar, Department of Religion, Department of Middle Eastern, South Asian, and African Studies, Columbia University, New York
Avigail Arnheim, Director of The Felicia Blumenthal Music Center Association and International Music Festival Tell Aviv
Dr. Yuval Ayalon, Department of History, Philosophy and Judaic Studies, The Open University of Israel
Dr. Tamar Amar-Dahl, Historian, Berlin
Prof. Outi Bat-El, Department of Linguistics, Tel-Aviv University
Dr. Shaul Bar-Haim, Sociology Department, University of Essex
Dr. Moshe Behar, Arabic & Middle Eastern Studies, School of Arts, Languages & Cultures
The University of Manchester
Prof. Zvi Ben-Dor, Department of History, NYU
Smadar Ben-Natan, adv., PhD Candidate Tel-Aviv University, Visiting Scholar, UC Berkeley
Dr. Ayelet Ben-Yishai, Chair, Department of English, University of Haifa
Prof. Dr. Gabriele Bergers, Department of Oncology, University of Leuven
Prof. Jerome Bourdon, Department of Communication, Tel Aviv University
Prof. Daniel Boyarin, Taubman Professor of Talmudic Culture, UC Berkeley
Prof. Judith Butler, Comperative Literature and Program for Clinical theory, UC Berkeley
Assistant Prof. Samuel Hayim Brody, Religious Studies, University of Kansas
Prof. emeritus José Brunner, Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, The Buchmann Faculty of Law, Tel Aviv University
Prof. emeritus Dr. Micha Brumlik, Fritz Bauer Institut, FfM
Prof. Rabbi Aryeh Cohen, American Jewish University
Prof. emeritus Noam Chomsky, MIT, Laureate Professor, University of Arizona
Prof. Yossi Dahan, Law Prof. and head of the human rights program, College of Law & Business, Ramat Gan, Israel
Prof. emerita Sidra DeKoven Ezrahi, Comparative Literature, Hebrew University, Jerusalem
Prof. David Enoch, Department of Philosophy and Law, Hebrew University, Jerusalem
Prof. emeritus Gideon Freudenthal, Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, Tel Aviv University
Prof. Alon Friedman, MD, PhD, Denis Chair in Epilepsy Research, Department of Neuroscience and Paediatrics, Faculty of Medicine, Dalhousie University, Halifax, NS
Prof. Katharina Galor, Jewish Studies, Brown University, USA
Dr. Amira Gelblum, Historian, Open University, Israel
Prof. Rachel Giora, Department of Linguistics, Tel-Aviv University
Prof. Amos Goldberg, Former Chair of the Jewish History and Contemporary Jewry Department, Hebrew University, Jerusalem
Prof. Dr. Alfred Grosser, Germany
Associate Prof. Ran Greenstein, Sociology Department, University of the Witwatersrand, Johannesburg, South Africa
Prof. Heidi Grunebaum, Centre for Humanities Research, University of the Western Cape,
South Africa
Dr. Ilana Hammerman, Writer and Editor, Jerusalem
Prof. Susannah Heschel, Eli Black Professor of Jewish Studies, Dartmouth College Hanover, USA
Prof. Hanan Hever, Department of Comparative Literature and Jewish Studies, Yale University
Prof. Eva Illouz, Department of Sociology and Anthropology, Hebrew University, Jerusalem
Dr. Anne Karpf, Reader at London Metropolitan University
Prof. Hannah Kasher, Department of Jewish Thought, Bar-Ilan University
Prof. emeritus Michael Keren, Department of Economics, Hebrew University, Jerusalem
Prof. Brian Klug, Faculty of Philosophy, University of Oxford
Prof. Francesca Klug, Visiting Professor at LSE Human Rights
Prof. Chana Kronfeld, Hebrew and Comparative Literature, University of California, Berkeley
Nitzan Lebovic, Associate Professor of History, Apter Chair of Holocaust Studies and Ethical Values, Lehigh University, PA, USA
Prof. Gerardo Leibner, Historian, Tel Aviv University
Dr. Gal Levy, Democracy Studies, Open University, Israel
Dr. Andre Levy, Sociology and Anthropology, Ben Gurion University
Ruchama Marton, MD, Founder and Honorary President of Physicians for Human Rights – Israel
Dr. Anat Matar, The Dept. of Philosophy, Tel Aviv University
Rela Mazali, Author, Independent Scholar, Activist.
Dr. Gilad Melzer, Culture Studies, Beit Berl College
Prof. emeritus Everett Mendelsohn, History of Science, Harvard University
Prof. emeritus Paul Mendes-Flohr, Jewish Studies, Hebrew University, Jerusalem
Prof. Isaac (Yanni) Nevo, Department of Philosophy, Ben Gurion University
Dr. Amos Noy, Culture Studies, Jerusalem
Orly Noy, Writer, Journalist and Translator, Jerusalem
Prof. Adi Ophir, Tel Aviv University
Maayan Padan, Gender Program, Ben-Gurion University
Prof. emerita Benita Parry, English and comparative literature University of Warwick, UK
Prof. Steven Robins, Department of Sociology and Social Anthropology, Stellenbosch University, South Africa
Prof. Jacqueline Rose, Humanities and Co-Director, Birkbeck Institute for the Humanities, Birkbeck University of London
Prof. Jonathan Rosenhead, Department of Management, London School of Economics
Prof. Ishay Rosen-Zvi, Department of Jewish Philosophie and Talmud, Tel Aviv University
Prof. Michael Rothberg, English, Comparative Literature, and Holocaust Studies, UCLA
Dr. Sara Roy, Center for Middle Eastern Studies, Harvard University
Prof. emeritus Donald Sassoon, Comparative European History, School of History
Queen Mary, University of London
Dr. Kobi Snitz, Department of Neurobiology, Weizmann Institut, Rehovot
Professor Lynne Segal, Birkbeck College, The University of London
Dr. Itamar Shachar, Marie Curie Post-doctoral Fellow, Department of Anthropology, University of Amsterdam
Professor Avi Shlaim, St. Anthony College, The University of Oxford
Dr. Marcos Silber, Chairman Department of Jewish History, University of Haifa
Prof. Michael Steinberg, Department of History, Brown University
Lior Sternfeld, Assistant Professor of History and Jewish Studies, Penn State University
Prof. Adam Sutcliffe, European History, Department of History, King’s College London
Ilana Sumka, Founder, The Center for Jewish Nonviolence
Associate Professor Moshik Temkin, History and Public Policy, Harvard
Dr. Anya Topolski, Associate Professor Ethics and Political Philosophy, Radboud Universiteit, Nijmegen
Dr. Nadia Valman, English Department, Queen Mary, University of London
Prof. Dr. Dr. Roy Wagner, Department of Humanities, Social and Political Sciences, ETH Zürich
Dr. Elian Weizman, lecturer in Middle East politics, Department of Politics and International Studies, SOAS, University of London
Rebecca Vilkomerson, Jewish Voice for Peace, USA
Dr. Yair Wallach, Israeli Studies, SOAS, University of London
Dr. Noga Wolff, Political Sciences, College for Academic Studies, Or Yehuda, Israel
Prof. Haim Yacobi, Development Planing Unit, University College London
Prof. emeritus Moshe Zimmermann, Koebner Minerva Center for German History, Hebrew University, Jerusalem
Prof. emeritus Moshe Zuckermann, Tel Aviv University
Zuerst hier: https://www.juedische-stimme.de/2019/01/10/offener-brief-der-einsatz-fuer-menschenrechte-ist-nicht-antisemitisch/