Der Nahostkonflikt, die Kirchen und das Alte Testament

von Ludwig Watzal

Der israelisch-palästinensische Konflikt, besser bekannt als Nahostkonflikt, gilt gemeinhin als ein Konflikt um Land, i. e. „Palästina“ oder „Eretz Israel“ (das Land Israel), wie es vom israelischen Politestablishment genannt wird. Dieser Terminus impliziert bereits einen religiösen Besitzanspruch, der subkutan immer mitgedacht werden muss, wenn man sich mit den Nahostkonflikt beschäftigt. Dieser religiöse Aspekt des Konflikts ist zentral in Peter Bingels Untersuchung.

Im Zentrum dieses Buches steht das Alte Testament, das ein Teil der „heiligen Schrift“ für die Kirchen darstellt. Für religiöse und nationalistische Juden ist das Alte Testament, besser bekannt als hebräische Bibel, nichts weniger als  „Volksgründungs- und Volksgeschichtsbuch“: Landverheißungen und  Kolonisationsbefehle werden für bare Münze genommen und in die Gegenwart übertragen. Folglich werden alle Gewaltexzesse gegen Palästinenser in den besetzten Gebieten oder gegenüber israelischen Palästinensern im Kernland Israel legitimiert, insbesondere von nationalistisch-religiösen Kreisen. 

„Die Kirchen haben nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaustgeschehen eine Nach-Auschwitz-Theologie entwickelt, die alles Jüdische kritiklos verherrlicht und damit jede realitätsgerechte Wahrnehmung des Nahostgeschehens und jede ethisch verantwortliche Kritik blockiert“, schreibt der Autor. Folglich ist  zwischen den unheilstiftenden und den für den christlichen Glauben elementar wichtigen Texten des Alten Testaments zu unterscheiden. Wie die Kirchen an dieser Aufgabe scheitern, wird auf jeder Seite dieses Buches deutlich.

Die Unzulänglichkeiten des Jüdisch-Christlichen Dialog werden oft thematisiert, den die evangelische Kirche seit 1960 und die katholische nach dem Papst-Besuch in Israel seit 1964 führt. Obgleich es ein Dialog auf Augenhöhe und ohne Scheuklappen sein soll, zeigt sich jedoch, dass sich die beiden Großkirchen in ihrer Einäugigkeit überbieten. Anstatt über den Rassismus und den kriegerischen Expansionismus im Alten Testament auch in Bezug auf Israel zu diskutieren, befassen sich die Teilnehmer mit einem „theoretischen, historischen, theologischen und unpolitischen Judentum“, das es in Israel nie gegeben habe. Aus historischen Gründen dominiert eine Mea-Culpa-Haltung auf christlicher Seite.

Von Aufarbeitung der unheilvollen Geschichte kann keine Rede sein. Kritische Anmerkungen gegen allem Jüdischen, seien sie politische oder religiös-ethischer Natur, „gelten bereits als verbrecherisch und lassen in der Vorstellung den Mord an sechs Millionen Juden auftauchen, auf den in Kirche und Gesellschaft ständig hingewiesen wird“, so Bingel. Eine solche Haltung führe zu einer tiefen „Schädigung christlich-kirchlichen Glaubens und Lebens, spürbar vor allem im protestantischen Bereich“. Von diesem Denken seien besonders die drei Studien der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKG) geprägt.

Die fünf Kapitel des Buches haben es in sich. Dementsprechend spricht das Resümee für sich. So wirken die verschiedenen religiösen Kräfte in eine „unheilvolle Richtung“: „Die israelisch-religiöse Religion mit ihrer vehement politischen Lesart der hebräischen Bibel, die evangelische Welt mit ihrem fundamentalistischen Gebrauch des Alten Testaments und ihrem besonders starken politischen Einfluss in den Vereinigten Staaten und die großen Kirchen in Deutschland mit ihrem verfehlten Begriff von ‚Israel‘, die alles jüdische verklären und dem politischen Israel der Gegenwart die biblisch-geistlichen Qualitäten der   Erwähnung des Jahwebundes zuordnen.“

Anlässlich der unzähligen Menschrechtsverletzungen und eines menschenverachtenden Nationalismus ist eine  Matanoia, sprich eine geistige Umkehr, innerhalb der christlichen Kirchen mehr als geboten. Nicht Blauäugigkeit  sondern Realismus ist in punkto Israel angesagt. Wie eine geistiger Gesinnungswandel aussehen könnte, dafür gibt das Buch ein Fülle von intellektuellen Anregungen.

Ein Gedanke zu „Der Nahostkonflikt, die Kirchen und das Alte Testament

  1. Also: Sigmund Freud meinte, das Christentum widerspreche allen Instinkten der germanischen und slawischen Völker, so daß die aussichtslose Ablehnung dieser Religion angesichts ihrer Macht als Haß auf die Juden sublimiert wurde. Das hat sich insoweit erledigt, als heute niemand mehr christlich glauben muß und folglich seine instinktive Ablehnung dieses Glaubens nicht mehr auf Juden sublimiert.

    Nun hat aber ein gewisser Adolf in Mein Kampf geschrieben, daß alle großen Volksführer es verstanden hätten, die Feinde eines Volkes als einzigen Feind darzustellen, was dann praktisch „die Juden“ waren. Die Juden wurden zu Opfern des Holocaust.

    Ohne daß es „den Juden“ bewußt wird, ersetzen sie in der säkularen Gesellschaft das Opferlamm, das in der Religion Jesus Christus zur Erlösung der Welt darstellte; die Leute, die früher zur Kommunion gingen und mit Jesus eins werden wollten, identifizieren sich spirituell mit den Holocaustopfern, was Bruno Bettelheim den „Anne-Frank-Komplex“ nennt. Freud würde nun sagen, ein Teil der germanischen und slawischen Völker widersetzt sich dieser Identifizierung und beginnt seinen Haß gegen die aufgenötigte Identifizierung „mit den Guten“ wieder auf die Juden zu sublimieren. Das Problem wird völlig verkannt. Der Vorwurf „Antisemit“ entspricht dem früheren Vorwurf „heidnisch“, „irrgläubig“, Häretiker usf., der von amtlichen Institutionen inquisitorisch verhängt wird.
    Die Antisemitismuskeule ist dieselbe Waffe wie es früher der Hexenhammer war. Sie werden sich noch alle wundern.

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