von Gerald Tauber
Ich habe mir heute den offenen Brief des Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland Dr. Schuster an den Göttinger Oberbürgermeister Köhler anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2019 an die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden e.V.durchgelesen. Die Preisverleihung scheint mir ein größeres Politikum zu sein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung forderte von dem Förderverein der den Preis verleiht zum Verzicht der Ehrung des Vereins auf. Ob der OB nun kalte Füße bekommen hat, wie die Pressemeldung in der Roten Fahne nahelegt, kann ich nicht wirklich beurteilen, das war lediglich eine Einzelne dazu.
Was mir jedoch auffällt alle diese Stimmen reden von Antisemitismus und das bei einer jüdischen Organisation? Da sollte man hellhörig werden, und ich bezweifle, dass diese beiden Stimmen überhaupt wissen, was sie den Mitgliedern des jüdischen Vereins eigentlich unterstellen, oder wissen sie es doch? Aber zuvor gehen wir mal in die Tiefe, der Verein unterstützt die palästinensische BDS-Bewegung, und dieser Umstand scheint mir persönlich wohl der Stein des Anstoßes zu sein. Ich hatte mich bereits mit dem Thema im Artikel „Täglich grüßt der Antisemitismus“ bereits befasst und die Argumente, in der der palästinensischen BDS-Bewegung eine antisemitische Grundhaltung unterstellt werden, als haltlos verworfen. Der Grund dafür ist eigentlich vollkommen simpel und so banal, alle diese Argumente, die der BDS-Bewegung eine antisemitische Grundhaltung unterstellen, beruhen auf Stereotypen. Was aber besonders erschreckend ist, sie blenden die Besatzungspolitik des Staates Israel vollkommen aus, als wenn es diese gar nicht geben würde. Damit versuchen der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung und der Zentralratsvorsitzende die palästinensische Forderung nach der Beendigung der Besatzung durch den Staat Israel zu delegitimieren. Ebenso stößt dabei auf, dass mit dem Versuch der Delegitimierung der Versuch einhergeht, die Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch den Staat Israel als eine Art Normalzustand zu klassifizieren, was er nun mal nicht seien kann.
Die Gesellschaft und der Staat Israel befinden sich seit dem Sechs Tage Krieg 1967 in einem permanenten Kriegszustand, was dazu führ, dass man den Gegner propagandistisch zu dehumanisieren versucht. Die Nichterwähnung, dass es sich bei der BDS-Bewegung um eine palästinensische parteiübergreifende Bewegung handelt, entspricht dabei genau dieser Sichtweise. Beide versuchen auch mit dieser Nichterwähnung, ein moralisches Urteil zu fällen, und zwar in dem sie einen Rekurs zur deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 machen:
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, der Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ ist ein aktiver Unterstützer von Veranstaltungen der gegen Israel gerichteten Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions;zu Deutsch: „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“). Ich muss sicherlich nicht erläutern, welche historischen Vorläufer Boykotte gegen jüdische Einrichtungen oder Juden in Deutschland haben und welche Assoziationen mit derartigen Aktionen erzeugt werden.“
Ein etwas zu simpler Ansatz, die Assoziationen die er hier erwähnt sind dabei bewusst unscharf formuliert und damit rein fiktiver Natur, denn Dr. Schuster weiß eigentlich sehr genau, dass er hierbei auf den Judenboykott vom 1. April 1933 im nationalsozialistischen Deutschland anspielt. Der Kontext ist wie jeder sehen kann ein vollkommen anderer, damals wurden die Juden mit staatlicher Hilfe als gesellschaftliche Gruppe in Deutschland marginalisiert, in Israel unserer Tage stellen sie jedoch die Bevölkerungsmehrheit und sind keines Weges eine geächtete Minderheit. Auch wird in dem Brief ein ziemliches Kauderwelsch an Argumenten verwendet, einerseits redet er von Israel andererseits von Juden und jüdischen Einrichtungen, ohne das ersichtlich wird, wie diese in einem Zusammenhang gebracht werden können.
Sicher ist eines: Israel könnte als eine jüdische Einrichtung deklariert werden, wenn man den Staat denn so bezeichnen möchte, so ne Art Krämerladen oder vielleicht Kulturzentrum? Eine recht zivile Umschreibung für das wohl militaristischste Staats- und
Gesellschaftsgebilde auf dem blauen Planeten. Andererseits redet er von einer BDS-Bewegung, die sich gegen Israel richtet, nur der Grund dafür, warum sie sich gegen Israel richtet, unterschlägt er geflissentlich, und das auch aus einem guten Grunde.
Aber man kann das ganze auch auf einer anderen Ebene her betrachten, Israel wird bekanntlich als einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten bezeichnet, was eigentlich so nicht ganz stimmt. Ja es herrscht Demokratie in Israel, aber seien wir mal ehrlich, das Apartheidsregime in Südafrika war bis 1990 ebenfalls eine Demokratie. In den Volksdemokratien des ehemaligen Ostblocks wurden ebenfalls Wahlen abgehalten und die hatten auch Parteien und Parlamente. Ebenso wie in den Südstaaten der USA bis 1865 demokratische Verfahren die Sklaverei und die Jim Crow Laws bis in die 1970er Jahre die sogenannte Segregation den farbigen Bevölkerung legitimierten.
Es kommt eben nur darauf an, wie man den Begriff Demokratie definiert, ausgestaltet und welche Ideologien ihr zu Grunde gelegt werden und der Begriff Demokratie ist kein
Garant das die allgemein anerkannten Menschenrechte oder Freiheitsrechte gewährt werden. Dieser Umstand, dass Israel eben über ein demokratisches politisches System verfügt, kann auch nicht über das Okkupationsregime hinwegtäuschen, das der Staat Israel im Westjordanland und den Gazastreifen betreibt.
Nimmt man die alle vierzehn Tage erscheinenden Berichte der OCHAOPT, die aus der Sicht von Dr. Schuster wohl als antisemitische Organisation geächtet werden sollte, starben bislang im Jahre 2019 wohl 10 Personen im Gazastreifen und 7 Personen im Westjordanland an Schussverletzungen, die irgendwie aus israelischen Gewehrläufen stammen. Im gesamten letzten Jahr waren es 295 getötete und 32.866 verletzte Palästinenser, wobei die israelische Millitärverwaltung wohl der Meinung ist, dass es sich ausschließlich um Terroristen der Hamas handeln würde. Wow, ich muss schon sagen, die HAMAS hat schon eine abgedrehte Anhängerschaft, werfen sich einfach in die Flugbahn der israelischen Geschosse, die eigentlich vollkommen friedlich durch die Atmosphäre pflügen.
Das eben die Sicherheitsorgane so unfähig sind, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, fühlen sich auch Israels Regierungen ja so oft von der UNO unfair behandelt, ehrlich was hat die Regierung mit den Sicherheitsorganen zu schaffen? Es herrscht im Staate Israel immerhin das Prinzip der Gewaltenteilung. Vor allem dieser Menschenrechtsrat der UN veröffentlicht doch einen Bericht, in dem der israelischen Armee schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechtes bei deren Operationen im Kontext des „Great March of Return“ an der Grenze des Gazastreifens zu Israel im ahre 2018 vorgeworfen wird, wie kann das sein, das Israel so unfair behandelt wird?
Schließlich sollte man in Erinnerung rufen, dass die von der UN so genannten Gebiete der Westbank und des Golan 1967 von der Tzahal befreit wurden, so zu sagen, das Mutterland kehrte heim in den Schoß der Familie. Und seien wir mal ehrlich siedeln darf man ja wohl überall in dem historischen Lande Kanaan, das dem Volke Israel von dem Gott, dessen Namen man nicht aussprechen darf, versprochen worden war, und überhaupt gibt es in den Mitgliedsstaaten der EU oder den USA ja auch die freie Wohnortwahl.
Nach diesem kleinen sarkastischen Ausritt zurück zu Dr. Schuster und seinem offenen Brief, mit seiner Aussage, dass die „Jüdische Stimme“ mit ihrer Unterstützung der palästinensischen BDS-Bewegung mit dem Geiste des Antisemitismus beseelt ist, macht er wiederum einen kleinen Ausritt in die deutsche Geschichte von 1933 bis 1945.
Geht man davon aus, dass die „Jüdische Stimme“ ein Verein ist, dessen Mitglieder Juden sind und der Begriff Antisemitismus wohl den Hass auf Juden impliziert, unterstellt er den Mitgliedern, dass sie an einer geistigen Erkrankung leiden, nämlich die des Selbsthasses bzw. der Selbstverachtung.
Das Thema Judenhass und Selbsthass hatte in der Zeit des Nationalsozialismus in
Deutschland einen recht speziellen eigenen Raum im gesellschaftlichen Leben eingenommen, und der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland nimmt in seinen Brief wohl eine gewisse Anleihe bei den damals verwendeten singulären Argumenten. Man könnte es auch so ausdrücken, Dr. Schuster und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung begreifen die sogenannte „jüdische Nation“ und auch die Religion der Juden als eine politisch und geistig monolithische Einheit zur Legitimierung des Zionismus, abweichende Meinungen müssen in dieser Logik nun mal dem entsprechend bekämpft werden. Aber das dies auch ein Ausdruck eines extremen Nationalismus ist, der in diesem Falle wohl auch die Rechtfertigungsbasis für die Besatzungs- und Siedlungspolitik des Staates Israel im Westjordanland bietet, nehmen beide wohl billigend in Kauf.
Damit unterstützen sie auch Bewegungen wie Gush Emunim im Westjordanland, die einstmals loszogen mit den Slogan: “The Land of Israel, for the People of Israel, according to the Torah of Israel“, was ungefähr dem entspricht was man im deutschen die Blut und Boden Dichtomanie nennt und in der heutigen staatlich gelenkten israelischen Siedlungsbewegung die heilige Dreifaltigkeit von Am Yisrael, Torat Yisrael, Erez Yisrael symbolisiert, was soviel bedeutet wie die untrennbare Einheit von Volk, religiöser Lehre und dem Land/Boden.
Was immer man davon halten mag, Dr. Schuster, sein Zentralrat und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein werden wohl auf die Frage, wen sie denn da unterstützen, zur Antwort geben: Israel. Nur was für ein Israel sie meinen, verschweigen sie dann doch lieber oder man bekommt ein etwas aufgehübschtes Bild von Israel vorgesetzt, wie bei der naseweisen Anetta Kahane und deren Antonio Amadeo Stiftung.
Man kann so viel vernünftige Gedanken darstellen und Kommentare schreiben wie man will, es sind Dialogversuche unter Tauben. Die Unterstützung Israels ist amtlich erklärtermaßen deutsche Staatsraison, gegen die weder 1914, noch 1919, noch 1939 und auch nicht 2019 anzukommen ist. Die Israelis haben auch das Recht, sich ins Verderben zu manövrieren, und der Zuschauer muss so tolerant sein, solches geschehen zu lassen. Ein Antisemit kann sich nur freuen, wenn das so weitergeht . Wie sagte schon Kaiser Julian (360)? Der Gott der Juden muss ein böser Kobold sein, der sie von einer in die andere Katastrophe führt. So ist es und so bleibt es und so wird es immer sein.
Wenn denn der Zentralratsvorsitzende Josef Schuster beschlossen hat, die „BDS“ sei „antisemitisch“, dann ist das so. „Praeses locuta causa finita“. Da gibt es kein „Aber“ mehr für Oberbürgermeister, Rektoren oder Sparkassendirektoren.
Zum gestrigen BDS-Beschluß des Bundestages hier mein Kommentar:
1936: „Wer Jude ist, bestimme ich!“ (Hermann Göring)
2019: „Wer Antisemit ist, bestimme ich!“ (Netanyahu)
DANKE, lieber Bundestag, für diese Klarstellung!