„Die verfolgte Religion – Antisemitismus in Europa“

von Marlene Stripecke

Meine bisherige Meinung, dass Phoenix qualitätvolle, gut überlegte und mutige Sendungen biete, muss ich revidieren.

Bereits der Titel „die verfolgte Religion – Antisemitismus in Europa“ ist suggestiv.  A priori  schließt er jeglichen Gedanken aus, der die Besatzungspolitik der israelischen Regierung als Ursache für einen wachsenden Unmut, ja Hass im arabischen-muslimischen Bevölkerungsanteil in den europäischen Ländern betrachtet. Ist Ihnen nicht klar, dass diese israelische Politik für Angehörige der muslimischen Gesellschaft in Europa eine Provokation ist? Äußerst bedenklich ist ferner, dass jüdische Gemeinden z.B. in Deutschland  völlig kritiklos diese israelische Besatzungspolitik unterstützen, jede Kritik daran als „Antisemitismus“ bezeichnen und nach Kräften versuchen, öffentliche Einrichtungen zu zwingen, „Palästina-freundlichen“ Veranstaltungen keine Räume zur Verfügung zu stellen.

Bereits der Titel tut so, als hätte die allgemeine Öffentlichkeit irgendeine Ahnung über Inhalte der jüdischen Religion, könnte entsprechend  daran also auch etwas ablehnen. D.h. es werden aus der Vergangenheit religiöse und wirtschaftliche Ressentiments gegen Juden, die weithin vergessen worden sind,  in unsere Gegenwart  gezogen, die eigentlich heutzutage niemand mehr kennt, weil sie glücklicherweise tabuisiert und in der Öffentlichkeit nicht mehr erwähnt worden sind. Soviel zum Titel. 

Was die Zusammensetzung des Podiums betrifft, so war überdeutlich und journalistisch völlig inakzeptabel, dass bis auf den schweigenden österreichischen Journalisten alle anderen TeilnehmerInnen wohl einen familiär jüdischen  Hintergrund haben und daher Interessen- und Familientrauma- geleitet argumentierten. Unisono. Das Thema hätte einen erfahrenen und im Thema versierten Moderator verdient, keinen erschreckten willfährigen Zuhörer der Mehrheitsmeinung am Tisch, der immer wieder die stimmenstarke Frau Schapira zu Wort kommen ließ. Als Zuhörer spürte man förmlich die Angst des Moderators, durch eine kritische Mini-Frage ins Visier der Antisemitismusjäger zu geraten.  

Ohne Schwierigkeiten hätten die verantwortlichen Redakteure jüdische Bürger wie Judith Bernstein, Rolf Verleger, Abi Melzer  oder andere (im Internet zu finden) dazu laden können, die durchaus nicht eine antisemitische Apokalypse erkennen können, aber sehr wohl unterscheiden zwischen berechtigter Israelkritik und Antisemitismus. Als Zuschauerin muss ich mich fragen, wer die Redaktion gezwungen haben mag, eine derartig einseitige Besetzung der Diskussionsrunde vorzunehmen. Für  politisch interessierte und engagierte Bürger war diese Runde einfach unerträglich,sie grenzte an Zensur.

Hier nur einige, wenige Beispiele, die für mich als Zuhörerin schier unerträglich waren:

– Das Wort „Israelische Besatzungspolitik “ tauchte nicht als Wort, in keiner Frage und in keinem Gedanken auf.  In der Frage etwa, ob vielleicht diese israelische Politik und das gleichzeitige Schweigen der deutschen Regierung bei gleichzeitiger nachhaltiger finanzieller Unterstützung ( U-boote) immer mehr Unmut in der Bevölkerung bewirken ?!

 – „Antisemitismus im Gewand von Israelkritik“. Diese Formulierung ist eine von Medien gemachte. Sie unterstellt, dass eine gründliche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik antisemitisch sei. Demnach sind  UNO, IKRK und EU  mit ihrer Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und der Unterstützung der Siedlungen  antisemitisch,  – – welch ein Hohn!

– Warum kam kein Widerspruch , als Frau Schapira den arabischen Staaten vorwarf, sich nicht um die Palästinenser zu kümmern – – statt als Moderator  zu erwähnen, dass ja primär Israel für das heutige palästinensische Drama verantwortlich ist?

– Frau Schapira sagt, dass auf regionalen Landkarten zu Nahost, die linke deutsche Gruppierungen verfertigen, kein Staat  Israel erscheine. Ich kenne keine einzige!  Es ist vielmehr umgekehrt! Frau Schapira möge sich israelische Landkarten ansehen: dort taucht die Westbank nicht mehr auf, es ist Judäa und Samaria geworden als integraler Bestandteil des Staates Israel, die Grenze von 1967 ist verschwunden, alles ist Israel geworden.  Von keiner Seite am Tisch kam ein Widerspruch zu ihrer 
Aussage!!!

– Es wurden drei sehr hässliche individuelle  Fälle jüdischer Personen erwähnt, die umgebracht wurden. Diese Fälle wurden als Beispiel für Antisemitismus  in den Medien in Frankreich und Deutschland enorm gründlich behandelt. Nun – in den besetzten Gebieten werden PalästinenserInnen schwer verletzt oder umgebracht, jede Woche, mal drei, mal zwölf – wie’s den Besatzungssoldaten so kommt. Wer spricht von diesen Opfern ? Wer macht einen Skandal daraus? Welche Mainstream-Medien  erwähnen in dem Kontext, dass Deutschland diesen „demokratischen“ Besatzer-Staat mit Abermillionen unterstützt – dass er unsere „Staatsraison“ ist?

 – wie merkwürdig, die Angst der deutschen Bevölkerung vor Globalisierung als Ursache für „wachsenden Antisemitismus“  zu sehen.

Vieles an dieser Sendung war merkwürdig – und gab der politischen Verdrossenheit weitere Nahrung!

Leserbrief an die Phoenix-Redaktion. Veröffentlicht mit Genehmigung der Autorin.

5 Gedanken zu „„Die verfolgte Religion – Antisemitismus in Europa“

  1. Diese Sendung war weit unterhalb des Niveaus, welches ich vom ARD-„Presseclub“ kenne. Vielleicht sollte dort bald eine Runde zum Thema „Antisemitismusvorwurf“ veranstaltet werden. Zum Ausgleich.

  2. Guten Tag.
    Danke für diese begründete differenzierte Kritik.
    Meine Frau und ich sehen diese Gesprächsrunden bei Phoenix gern und sprechen anschließend häufig über die unterschiedlichen Meinungen und interessante Informationen.
    Dieses Mal waren wir nicht nur enttäuscht, sondern empört.
    Ich schließe mich der Kritik von Frau Marlene Stripecke an. Herzlichen Dank!

  3. Diese Kritik am Frühschoppen und seiner Besetzung halte ich für total am Thema vorbei, wenn denn ernsthaft zum Thema ANTISEMITISMUS diskutiert worden wäre.

    Es ging aber nur gegen Juden und gegen Israel. Die zahlenmäßig weit häufigeren anderen Semiten in MiddleEast blieben nahezu unerwähnt. Auch, dass sie die mehrfachen Kriege gegen ISRAEL zwar angefangen, aber verloren hatten, würde total unter den Teppich gekehrt.

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