Es sollte ein Info-Abend über „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus“ werden, und es wurde ein Abend über jüdische Ängste und die üblichen zionistischen Verschwörungstheorien, dass BDS antisemitisch sei und die Kritik an Israel grundsätzlich antizionistisch sei und infolgedessen ebenfalls antisemitisch. Als der deutsch-jüdische Publizist Abraham Melzer darauf hinwies, dass „Kritik an Israel“ in der Regel nicht pauschal gegen Israel gerichtet ist, sondern natürlich die israelische Regierungspolitik meint, wurde er von den braven Gutmenschen, die sich bestätigen wollten, dass sie keine Antisemiten sind, fast aus dem Raum befördert und die Referentin sonnte sich in der Zustimmung des unwissenden Publikums.
Dabei begann der Abend sehr angenehm, als die Referentin, Prof. Dr. Julia Bernstein, ein Zitat von Bertha Pappenheim vorlas, dass sie sozusagen als Motto ihrer Vorlesung verstanden wissen wollte. „Niemand darf ruhig bleiben, wenn irgendwo Unrecht geschieht.“ Leider aber bezog sie das Wort „irgendwo“ allein auf Unrecht an deutschen Schulen und durch angebliche deutsche Antisemiten. Unrecht in Israel und erst recht in Palästina war nicht Gegenstand ihres Vortrags und deshalb schwieg sie auch darüber, dass just zwei Tage vor diesem erbärmlichen Abend, ein Armeerabbiner in einer Militärakademie die Soldaten belehrt hat, dass „die Araber unsere Sklaven sind.“ Mit „unsere“ meinte er die jüdischen Israelis. Natürlich ist nicht das der Skandal. Der Skandal ist, dass keiner in Israel aufgestanden ist und gefordert hat diesen Rabbiner sofort zu entlassen, aus der Armee zu entfernen und ihm die Lizenz zu entziehen Rabbiner zu sein. Aber nein, in Israel regt sowas niemanden mehr auf. Keiner hat sich auch aufgeregt, als vor einigen Jahren ein Richter behauptet hat, dass jüdisches Blut wertvoller sei als arabisches. Der Richter ist immer noch Richter und die Israelis sind immer noch dieselben Israelis: Rassistisch und nationalistisch.
Nicht alle Israelis sind Juden und nicht alle Juden sind Israelis und wenn man über Antisemitismus diskutiert und erst recht, wenn man Vorträge hält, sollte man da sorgfältig unterscheiden. Leider hat aber die Referentin immer wieder Israelis und Juden gleichgesetzt und damit für Verwirrung gesorgt. Als aber der jüdische Publizist darauf aufmerksam machen wollte, wurde er von den anwesenden „Gutmenschen“ und von der Leitung des Bertha-Pappenheim-Haus daran gehindert mit dem Hinweis, er soll doch die Referentin zu Ende reden lassen, auch wenn sie Unsinn redet.
Als Melzer die vorgelegten statistischen Zahlen kritisieren oder zumindest in Frage stellen wollte, wurde er wieder daran gehindert. Jeder sollte seiner eigenen Statistik vertrauen, aber er sollte sie nicht zur allein seligmachen Wahrheit erklären. Wenn die Referentin behauptet, dass 85% der antisemitischen Vorfälle sich auf Israel beziehen, dann liegt doch der Gedanke nahe, dass es sich nicht um Antisemitismus handelt, sondern um Kritik an der Politik des Staates Israel. Davon wollte sie aber nichts wissen und behauptete es handele sich um Kritik an Israel, was natürlich unsinnig wäre, denn man kann Staaten nicht kritisieren, sondern nur Menschen und politische Entscheidungen, die wiederum nicht Staaten, sondern Menschen tätigen.
Die russischstämmige Referentin blieb aber bei ihrer Doktrin und zweifelte am Ende an der jüdischen Identität des jüdischen Publizisten, treu nach der Devise, wer nicht für uns ist, ist gegen uns und gehört nicht zu uns und ist kein richtiger Jude. Es spielte auch keine Rolle, dass Herr Melzer drei Bücher zum Thema veröffentlicht hat und sich so lange mit dem Thema beschäftigt, wie die Referentin nicht mal alt ist. Aber das alles spielte für sie keine Rolle. Wer Israels Politik kritisiert hat keine Rechte und sollte lieber ruhig sein und das war auch die Meinung der wenigen Anwesenden.
Frau Bernstein sprach von „Juden in Deutschland“ und vergaß wohl, oder war es vielleicht doch kein Versehen, zu erwähnen, dass sie nur von den Juden spricht, die in Gemeinden gemeldet sind. Von den anderen Juden, die in gar keine jüdische Gemeinde gemeldet sind und für die der Zentralrat nicht sprechen kann, war keine Rede. Dass die in den Jüdischen Gemeinden gemeldeten Juden zu mehr als 90% aus Russland stammen, war eine überraschen Zahl, denn das bedeutet, dass das deutsche Judentum kaum noch existiert und wir es mit Juden aus Russland zu tun haben, die kaum deutsch sprechen und nichts über ihr Judentum wissen. Als der Verfasser dieser Zeilen unlängst die jüdische Gemeinde in Erfurt besuchte, musste er feststellen, dass alle Hinweisschilder im Gemeindehaus auf Russisch waren. Wo ist denn das deutsche Judentum geblieben? Wenn nicht in Auschwitz, dann wohl in Israel oder USA. Aber die Enkel dieser deutschen Juden kehren wieder nach Deutschland zurück und Tausende von ihnen leben heute als „Israelis in Berlin“. Sie sind natürlich nicht Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Sie pfeifen darauf was der Zentralrat tut oder nicht tut und viele von ihnen haben Israel verlassen, weil sie dort nicht leben können und wollen. In dem Bericht von Frau Bernstein kommen sie natürlich nicht vor, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Frau Bernstein behauptet, dass 70 bis 80 Prozent der Juden sich bedroht fühlen. Vergessen zu erwähnen hat sie, dass es nur die Gemeindejuden sind, wenn überhaupt. Dass Juden in Deutschland auf gepackte Koffer sitzen, war lange Zeit eine vermeintliche Tatsache, die sich am Ende als falsch erwiesen hat. Und auch wenn heute 20 oder gar 30 Juden jährlich Deutschland verlassen und nach Israel gehen, dann nicht, weil sie sich bedroht fühlen, sondern weil sie zurück zu ihren Familien wollen. Und wenn sich einige tatsächlich bedroht fühlen, dann ist es halt so. Auch Juden sind nicht vor Paranoia geschützt, zumal diese Paranoia Resultat der Hysterie ist, die das Thema Antisemitismus zur Zeit in Deutschland verursacht und die kommt nicht zuletzt von jüdischen Verbänden und vom Staat Israel, der an dieser Paranoia interessiert ist, da sie ihm Juden ins Land „spült“, wie schon vor vielen Jahren David Ben-Gurion behauptet hat.
Frau Bernstein, die mit sehr vielen Gemeindejuden gesprochen und regelrecht Interview gemacht hat, behauptet, dass „alle Juden“ sich die Frage stellen: „Was willst du hier?“ Auch hier behaupte ich, unabhängig davon, dass sie nur die Hälfte der in Deutschland lebenden Juden im Auge hatte, dass es nicht „alle“ sind und sein können. Ich kenne allein schon mehrere Dutzend Juden, die sich diese Frage nicht stellen. Ich selbst stelle mir diese Frage nicht. Ich lebe in Deutschland und betrachte mich als einen deutschen Juden oder einen jüdischen Deutschen, trotz meiner israelischen Vergangenheit, die ich längst abgelegt habe. Ich kann und will mich nicht mit einem Staat identifizieren, dessen Justizministerin behauptet, dass Faschismus für sie wie Demokratie riecht. Für mich ergibt die Umkehr einen Sinn: Demokratie in Israel riecht nach Faschismus. Und darauf kann ich gut verzichten. Auch jüdischer Faschismus riecht übel, nein, er stinkt.
Schließlich breitete uns Frau Bernstein ihre Zeitgeist-Theorie und meinte, dass im Zeitalter der Herrschaft der Religion, der Antisemitismus religiös gefärbt war. Dann kam der biologisch-rassistische Antisemitismus und heute sehen wir den Israel bezogenen Antisemitismus als den Zeitgeist. Als der Publizist Abraham Melzer darauf hinwies, dass der religiöse und biologische Antisemitismus ausschließlich auf Vorurteile basierte und der Israel bezogene Antisemitismus gar kein Antisemitismus sei, sondern Kritik an der Art und Weise, wie Israel die Palästinenser behandelt und dass der Widerstand der Palästinenser einschließlich BDS ja nicht grundlos vom Himmel gefallen ist sondern konkrete und reale Ursachen hat, wollte das Publikum ihn beinahe lynchen und die Referentin wollte oder konnte darauf nicht antworten. Als schließlich Herr Melzer einsah, dass die Gemüter vor Zorn und Wut darüber, dass er die heilige Kuh Israel so sehr in Frage gestellt hat, den Raum verließ, bevor er dazu aufgefordert würde, verließ mit ihm eine ältere aber mutige Bürgerin Neu-Isenburg den Raum und beim Abschied sagte sie: „Ich gehe aus Protest und werde nie wieder hierher zurückkommen. Und mein Protest gilt ihnen allen dafür, wie sie sich gegenüber jemanden verhalten haben, der eine andere Meinung hat, als die offensichtlich für die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung geforderte oder erwartete.
Ein echtes Trauerspiel, dieser ‚Info-Abend‘.
„…dass just zwei Tage vor diesem erbärmlichen Abend, ein Armeerabbiner in einer Militärakademie die Soldaten belehrt hat, dass „die Araber unsere Sklaven sind.“ Mit „unsere“ meinte er die jüdischen Israelis.“
Bitte genaue Quellenangabe dazu, damit solche Ungeheuerlichkeiten weiter öffentlich gemacht werden können.
‘Come be my slave’ — Israeli rabbi at military academy says Palestinians should be enslaved for their own good
https://mondoweiss.net/2019/08/military-palestinians-enslaved/
Danke 🙂
Ich warte bloss darauf, wann sich der penetrante Philosemitismus wieder in Antisemitismus verwandelt. Diese vehemente Unterstützung sollte sehr, sehr nachdenklich machen. Denn „Philo“ und „Anti“ sind letzendlich Brüder im Geiste.
Es war doch bestimmt ein so schönes „wir Gefühl“ im Raum gewesen, behütet von so vielen Eichelhähern, die ihren Warnruf ertönen lassen, den tiefgründig Verängstigten (vergl. Uri Avnery „Gieße aus deinen Zorn“) zu zeigen, wie noch immer so Böse die Welt, und das besonders gegenüber Juden. Jude zu sein, muss auch kein reines Vergnügen mehr sein, vor allem wenn man denn einen kritischen Verstand zugeeignet bekommen hat – und diesen auch noch wie Abi Melzer gebraucht, wissend, sich mit seinen kritischen Einwänden, orientiert am „kategorischen Imperativ“, den Hass der Community und deren zweifelhafter Sympathisanten zuziehend.
Ich hoffe, dass sich die Rechten hierzulande nicht allzu sehr ein Beispiel am Judentum und vor allem dem Zionismus nehmen. Denn was dem einen Recht, sozialmoralisch beschützt durch Zionisten und dem Schweigen nichtjüdische Philosemiten, sollte doch dem anderen nicht verwehrt werden können, will man auf Doppelmoral und Doppelstandards verzichten – oder?
Der (unbekannte) Armeerabbiner meint es möglicherweise mehr biblisch, daß früher die Juden in Ägypten Sklaven waren und nun – oh Wunder – der HErr es den Seinen gibt, die Araber zu beherrschen mit der Folge, für die Frommen nach dem Talmud für die Sklaven zu sorgen und sie nach 7 Jahren freizulassen haben. Gucken wir mal, wie es 2026 sein wird. Man darf das alles nicht so ernst nehmen, was die Armen im Geiste verkünden und besser nicht auf eine Goldwaage legen.
Ich empfehle gerne den Vergleich: nach Sigmend Freud ist der klassiche Antisemitismus ein sublimierter Haß auf die Juden gewesen, der substantiell dem Christianismus golten hätte. Der Christianismus ist verschwunden und damit auch der klassische Antisemitismus.
Der Haß der Juden auf die Araber könnte ähnlich ein sublimierter Haß im Freud´schen Sinne sein, der eigentlich den Deutschen gelten würde, den die Israelis aber angesichts deutscher Zahlungen unterdrücken und auf die Araber sublimieren.
Ich war an dem Abend anwesend und war eigentlich vorbereitet, dass hier die Gutmenschen fröhlich sich selbst beweihräuchern würden, aber nicht darauf, dass sie jemanden, der sich mit der ersten Sachfrage als kritischer Dissident zu erkennen gab, wie einen Schulbuben harsch reglementieren würden, indem man ihm Frageverbot erteilte, angeblich um die Vortragende erstmal ausreden zu lassen , während gleichzeitig umstandslos andere Wortmeldungen zugelassen wurden. Zweimal wurden Herrn Melzers Fragen regelrecht „abgewürgt“ unter Hinweis auf eine ad hoc erfundene Diskussionsstruktur, die von niemandem sonst beachtet wurde. Dabei wurde auch streng nach seinem Namen gefragt und die Sprechweise der Veranstalter verhüllte kaum die innere Aversion gegenüber diesem Oppositionsvertreterer . So konnte es kommen, dass sich, nach dem dritten Versuch Melzers, ansatzweise eine Frage auszuführen, nach und nach sich eine Handvoll „couragierter“ Mitbürger aus der Deckung wagten und mit teils empörter, teils hasserfüllt laufrufender Stimme ihn zum Schweigen und dann auch zum Verlassen des Raumes aufforderten. Worauf die Veranstalterin- man war unter sich, sie hielt es nicht für nötig, sich namentlich vorzustellen als Repräsentantin des Hauses- nachlegte anstatt zu vermitteln und androhte, dass sie, falls Herr Melzer nicht schweigen würde, von ihrem Hausrecht Gebrauch machen könnte.
1. Dieses Androhung im Rahmen einer von der Öffentlichkeit getragenen Veranstaltung trotz Fehlens jedes justiziablen Grundes sollte ein Nachspiel haben.
2. Die Entwicklung des Anti-Antisemitisten-Abends bishin zu einer regelrechten Progromstimmung, aus dem Stehgreif heraus, aufgrund eines nichtigen Anlasses, nämlich dem, einfach die körperliche Präsenz eines reflektierten Menschens ertragen zu müssen, der wagt, anders zu denken und den Mut hat, seine Meinung zu verteidigen, zumal er durch sein Leben als Intellektueller und Betroffener eigentlich einen Vorsprung an Ehrerbietung hätte erwarten dürfen- dieser Abend war für mich ein Lehrstück dafür, wie sehr derzeit unter der philosemitischen Flagge auf deutscher Seite der altbekannte Hass, das Denunziantentum, der Untertanengeist sich austoben können. Die Vortragende war in dieser Runde noch die Respektabelste, weil sie trotz ihr selektiven Voreinstellung jedenfalls an die Verpflichtung glaubte, mit wissenschaftlichen Argumenten zur allgemeinen Aufklärung beizutragen.