Ethnische Säuberungen in Jerusalem

Die Presse vermittelt und Bilder und die Agenturen dichten Texte über das, was in und wegen Sheikh Jarrah passiert. Die Hintergründe und Grundlagen dieses Gewaltausbruchs kommen langsamer ans Tageslicht; ein Urteil des Israelischen Obersten Gerichts erlaubt, einige Häuser palästinensischer Familien räumen zu lassen. Das Urteil fügt sich in die Praxis laufender „ethnischer Säuberung“ ein und bringt das Fass des Ertragens israelischer Besatzungsgewalt zum Überlaufen.

Warum betreibt der israelische Staat eine Politik des Überlaufens? Muss er nicht genug besetztes Land friedlich halten? Sind es die Häuser, deren Zahl sich an einer Hand abzählen lassen, überhaupt wert, das Leben israelischer Soldaten zu riskieren und Bomben zu werfen, deren Herstellung teurer war als die Häuser Wert haben? und um unbeteiligte palästinensische Zivilisten umzubringen?

Sheikh Jarrah ist auch in den 60 Jahren israelischer Besatzung ein palästinensisches Viertel in Ost-Jerusalem geblieben. 1956 hatten sich weitere 28 palästinensische Familien dort etabliert, die schon vor 1948 dort gelebt hatten, Dass sie auch einmal von zionistischen Freischärlern mit Waffengewalt vertrieben worden waren, ist eine Episode geblieben.

Die israelische Propaganda präsentiert daher eine Legende: „die Häuser hatten einst Juden gehört“. Nur wann „einst“? Die „WELT“ sekundiert mit der Behauptung, Juden aus dem Jemen hätten sie zur osmanischen Zeit besessen und erst die Briten, seit 1919 Herren im Lande, hätten das Viertel ganz den Arabern gelassen. Selbst wenn dies keine dreiste Lüge wäre, wären inzwischen diese Ansprüche längst verjährt. Oder ist seit Bar Kochba nichts verjährt?

Überlegen wir anders:

Ich bin selbst Großvater. Der Vater meiner Großmutter besaß ein Haus in Galizien. Meine Großmutter konnte es nicht behalten, weil sich dort Nazis und Kommunisten die Klinke in die Hand gaben. Jetzt komme ich und will es von den ukrainischen Bewohnern haben. Bin ich der einzige Berechtigte? Nein, meine Großmutter hatte mehrere Kinder, ich habe eine Handvoll Vettern und Cousinen, alle sind gleich erbberechtigt. Ich brauche kein Haus mehr in Galizien, aber vielleicht braucht von meinen Enkelkindern einmal eines ein Haus dort? An welchem Bruchteil an dem Haus meines Urgroßvaters hätte ein Ur-Ur-Ur-Enkel von mir ein Recht, das dem Gesamtbesitz der aktuellen Bewohner vorgeht? Wie ist es mit den Urururenkeln der legendären jemenitischen Alteigentümern?  Wenn es in jeder Generation nur 3 Kinder gegeben hätte je Kind: Ein einzelner von diesen Berechtigen käme auf ein persönliches Recht aus drei hoch sechs, also auf einem 1/200 Anteil. Wie soll also nach 5-fachen Erbgang ein israelischer Kläger das Recht haben, eine komplette Familie von heute aus dem Gesamtbesitz räumen zu lassen? Auch unter rein zivilrechtlichen Rechtssätzen wäre das ein Anachronismus.

Das Recht basiert auf einem reinen ethnischen Verständnis. Reines ethnisches Verständnis führt zu ethnischer Sauberkeit. Mit solch ethnischem Verständnis wurden bisher schon tausende von Palästinensern ihres Besitzes beraubt.  Die Israelis, raffgierig und korrupt wie sie sind, wenn es um ethnischen Besitzideale geht, blenden die Logik der Gesetze aus. Und apropos KORRUPT.

Ein Irrtum zu glauben, dass es hier nur sachlich um Wohnungen für ethnische Siedler ginge. Es kommt noch Benjamin Netanjahus spezielles Ideal von persönlicher Freiheit hinzu: Benjamin Netanjahu riskiert für sein individuelles Ideal der Freiheit einen neuen Gaza-Krieg, weil er nur so seinen Kopf länger aus der Schlinge herauszuhalten und als Not- Ministerpräsident seine Rechtsprivilegien zu wahren vermag. Nicht nur das menschliche Schicksal der palästinensischen Hausbesitzer geht ihm am Arsch seiner eigenen Ideale vorbei, auch die jüdischen Soldaten, die ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren sollen, irritieren seine Egomanie nicht. Solange Notstand und Chaos herrschen, ist Netanjahus Kopf vor dem Gefängnis sicher.

Die amerikanische Regierung hat gegen das willkürliche Vorgehen der Israelis protestiert. Sogar die vorsichtigen Europäer haben einen scharfen Brief an Netanjahu verfasst, den sogar die deutsche Regierung mitunterzeichnen musste. Netanjahu hat mit dem Brief das gemacht, was er mit allen anderen Protestbriefen gemacht hat: „Ablage P“ ohne Folge.

Die internationale, außereuropäische Gemeinschaft erkennt Israels ethnischen Anspruch auf Ostjerusalem sowieso nicht an. Das betrübt aber in Israel wenige. Der politische Aktivismus, so rechtswidrig er sei, schützt die Israelis, sich zweier Traumata bewusst zu werden: einmal das Trauma der Judenvernichtung durch die Deutschen und zum anderen die Schuld, die der Staat durch sein brutales Vorgehen gegen die Palästinenser auf sich geladen hat. Durch falsche Therapie, Nazi-Terror durch Eigenterror zu kompensieren, sind die Israelis selbst Unterdrücker und Täter geworden.

Uns in Europa bleibt deshalb nicht viel anderes übrig, als das Spektakel zu beobachten, wie sich die Israelis delegitimieren. BDS kann geduldig abwarten. Irgendwann haben die Israelis entweder ihre Selbstzerstörung vollendet oder die Welt wird der brutalen Politik Israels überdrüssig. Wir sollten uns deswegen auf unsere dumme Presse konzentrieren, die nicht müde wird, von „terroristischen Palästinensern“ zu predigen, und die moslemischen Palästinenser „Islamisten“ nennt und nicht auslässt, Israel aufzuhetzen, dass es sich lediglich gegen Terror verteidige.

Die deutsche Presse zersetzt das Rechtsempfinden hierzulande. Für uns ist das nicht nur ein Kollateralschaden. Es ist ein Volltreffer, den unsere Demokratie erleidet. Und wenn Palästinenser gegen solches Unrecht vor Synagogen demonstrieren und protestieren und Israels Fahne verbrennen, dann schreit unser Antisemitismusbeauftragter Felix Klein: Haltet die Antisemiten.

Es wird heute schon viel von „Lügenpresse“ geschrieben. Irgendwann merkt auch der Leser von BILD, dass die Bilder nicht zusammenpassen und der Leser von „WELT“ merkt, dass in der Welt die Selbstverteidigung der Palästinenser immer schon als gerechte Sache verstanden wird.

Ein Gedanke zu „Ethnische Säuberungen in Jerusalem

  1. Ich darf an die Berichterstattung der BILD Zeitung hinweisen. Dort finden keine Palästinenser statt außer als Islamisten und/oder Terroristen.Es werden auch keine Palästinenser interviewt, deren Sicht gezeigt. Palästinensische Opfer werden nicht genannt. Dazu interviewen sie den Propagandisten Arye Shalicar, bezeichnent, dass sie ihn auch noch duzen.Dann fasselt ein Wohlfsohn was von der Konflikt sei 200 Jahre alt.

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