Merkel wegen Israelpolitik nicht wählbar – Offener Brief

von Torsten Kemme

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, natürlich verstehe ich jeden gut, der Sie als Bundeskanzlerin behalten will: Sie sind erfahren, weil Sie seit Jahren diesen Job machen; Sie zeigen sich (zumindest äußerlich) auch in kritischen Situationen gelassen und ziemlich belastbar; und Sie haben, wenn Sie es denn wollen, eine begegnungsoffene Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen kann. Ihr jungmädchenhaftes Lächeln und Ihre liebenswürdige Freundlichkeit beeindrucken und überzeugen jeden, weil er sich einfach von Ihnen sehr geschätzt fühlt. Ich gehe noch einen Schritt weiter: In den großen Krisen der Vergangenheit sind Ihnen zwar immer wieder mal Fehler unterlaufen; und oftmals ist es zu Versäumnissen gekommen, an denen Sie auch beteiligt waren. Aber Politik ist komplex, und Politiker sind keine Säkularmenschen, die immer richtig liegen und alles richtig machen. Übertriebene Erwartungen an unsere Politiker sind deshalb fehl am Platz. Im Gegenteil, wir Bürger sollten nachsichtig sein und die Fehler unserer Politiker tolerieren und abhaken. Besonders dann, wenn man spürt: Dahinter steckt die richtige Einstellung, und im Grunde war es gut gemeint. Insofern kann ich mit Ihrem Politik-Stil und Ihren politischen Erfolgen oder Misserfolgen gut zurechtkommen. Und so gesehen, gibt es für mich auch keinen Grund, Ihnen eine weitere Amtsperiode vorzuenthalten.

Dass ich Sie dieses Mal trotz diesen Überlegungen nicht wähle, lässt sich auf zwei Punkte zurückführen, die für mich ausschlaggebend sind und die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. 

Zum einen ist es die Tatsache, dass Sie im Falle Ihrer Wiederwahl das Land 16 Jahre lang regiert haben werden. Das widerspricht meinem demokratischen Grundverständnis, das ich bei Ihnen leider vermisse. Demokratie lebt vom lebendigen Wechsel. In den USA kann der Präsident maximal 10 Jahre lang regieren, dann wird die Bevölkerung dazu angehalten, eine neue Person in das Präsidentenamt zu wählen. Ihre Kandidatur haben Sie im Herbst letzten Jahres damit begründet, Sie seien noch neugierig und voller Tatendrang. Eine wenig substanzielle Aussage, die nicht ausreicht, Sie für weitere 4 Kanzler-Jahre zu legitimieren. Heute sagen Ihre Gegner, Sie würden die Demokratie beschädigen. Soweit würde ich nicht gehen; aber dass Sie immer wieder mal bereit sind, die Institutionen und Gepflogenheiten der Demokratie schnell zu ignorieren, das zeigt sich auch an Ihrem Politik-Stil der letzten Jahre.

Zum zweiten störe ich mich an Ihrer Israel-Politik. 50 Jahre Besetzung Palästinas durch die israelische Regierung, verbunden mit tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen und gravierenden Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, haben Sie bisher nicht dazu bewegen können, Ihre Stimme gegen dieses schreiende Unrecht an einer ganzen Bevölkerung, den Palästinensern und den israelischen Arabern zu erheben. Obwohl Sie 2008 vor der Knesset, dem israelischen Parlament, sagten: “Diese historische Verantwortung (für Israel, der Verf.) ist Teil der Staatsräson meines Landes.“ Und damit die Pflichten einer Obhutsmacht für Israel betonten und anmahnten. Spätestens jetzt hätten Sie die unheilvolle Entwicklung in Israel öffentlich kritisieren und das Land aufrufen müssen, wieder auf den „Pfad der Tugend“ zurückzukehren. Aber Sie haben es nicht getan. Stattdessen betonen Sie bis heute in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder, dass wir, die BR Deutschland und Israel, die gleichen Werte teilen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Freiheit und Menschenrechte. Eine ungeheure Behauptung, weil sie der Realität total widerspricht. Wider besseres Wissen versuchen Sie uns Bürgern mit diesem Spruch weiszumachen, dass mit Israel alles in Ordnung ist, und uns daran zu hindern, zu erkennen, wie schlimm es in Wirklichkeit um Israel steht Aber jeder Einzelne von uns hat heutzutage genügend Informationsquellen, und deshalb wird es Ihnen nicht gelingen, uns auf Dauer zu manipulieren.

Israel befindet sich auf dem unsäglichen Weg zu einem Unrechtsstaat. Damit Sie verstehen, was ich meine, dazu nur einige Beispiele.

Demokratie und Menschenrechte? 1.) Israel bezeichnet sich als „jüdischen Staat“. Alle ‚demokratischen‘ Bürgerrechte Israels beziehen sich innerhalb Israels deshalb nur auf die jüdischen Bürger. Israel ist keine Demokratie nach westlichem Standard, weil alle in Israel lebenden Nicht-Juden zwar auch die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, aber Staatsbürger zweiter Klasse sind ohne Anspruch auf die jüdischen Bürgerrechte. Für Nicht-Juden gilt ein eingeschränktes Wohnrecht, sie erhalten nur in Ausnahmefällen eine Baugenehmigung, sie werden von der Polizei, den Soldaten und vor Gericht strenger behandelt, die 2 meisten Bildungswege sind ihnen nicht zugänglich, und auf die gleiche medizinische Versorgung haben sie keinen Anspruch.

2.) Ebenfalls gegen die Existenz einer Demokratie spricht die nicht immer eingehaltene bzw. respektierte Drei-Gewalten-Teilung. Die israelische Regierung hat sich (als Exekutive) bis heute etliche Male über das Urteil des Obersten Gerichtshofes (als Judikative) hinweg gesetzt. Da Israel keine Verfassung hat, kommt dem Obersten Gerichtshof eine besondere Bedeutung für einen letzten Rest an demokratischer Legitimation zu. Von der Justizministerin Shaked ist bekannt, dass sie ständig erfolgreich versucht, die Reputation und Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs einzuschränken und mit diesem Verhalten die letzten Reste einer Drei-Gewalten-Teilung zu beseitigen. Dazu folgende Vorgänge (von denen es Hunderte gibt):

Beispiel 1: Ein eklatanter Fall war das 1953 per Obersten Urteil zugesicherte Recht der Einwohner von Bar’am, in ihr Dorf zurückkehren zu können. Die Antwort der Regierung war kurz und bündig: Sie hat das Dorf vollständig zerstört und damit eine Rückkehr verunmöglicht.

Beispiel 2: Als Bestrafung des Attentats in Tel Aviv, wo 4 unschuldige Menschen umgebracht wurden, wird das Haus der Eltern der palästinensischen ‚Terroristen‘ zerstört. Die Entscheidung dazu hat Verteidigungsminister Liebermann außerhalb jeder Gerichtsbarkeit ohne Urteil oder Genehmigung einer Gerichtsbehörde selbst und blitzartig getroffen. Die Armee oder der Verteidigungsminister bzw. andere Minister treten immer wieder zugleich als Ankläger auf, als Verurteiler und als Vollstrecker, ohne sich der Gewaltenteilung zu bedienen.

Beispiel 3: In einer 2013 bei ARTE ausgestrahlten Reportage äußerten sich die interviewten Staatsanwälte und Richter freimütig dahingehend, dass sie eng mit der Regierung zusammen arbeiten und die Urteile dementsprechend ausfallen würden. In dem Zusammenhang sagte einer im Interview: „Jeder vor Gericht stehende Palästinenser ist unser Feind.“

3.) Arabischen und jüdisch-arabischen Parteien droht vor jeder Wahl der Ausschluss durch das WahlKomitee; bisher hat der oberste Gerichtshof das verhindern können. Selbst dann bleiben sie aus jeder Regierungskoalition ausgeschlossen. Dabei muss man wissen, dass die nichtjüdischen Staatsbürger heute rd. 25% der Gesamtbevölkerung ausmachen.

4.) Palästinensische Politiker werden regelmäßig verhaftet, verprügelt, unter Hausarrest gestellt, mit Reiseverboten belegt, in ihrem Abgeordneten-Status eingeschränkt, mit dem Tode bedroht, wegen Hochverrats angeklagt oder ins Exil getrieben. Der jüngste Fall dieser Art betraf die KnessetAbgeordnete Hanin Zoabi, die wegen ihrer Teilnahme an der Marmara – Aktion und ihrer Kritik an der israelischen Regierungspolitik ihre Immunität verlieren und strafrechtlich verfolgt werden sollte.

Die Diskriminierung und Ausgrenzung arabischer Staatsbürger in Israel zieht sich durch alle Bereiche des täglichen Lebens und ist seit Jahrzehnten grausamer Alltag. Die von den Israelis konsequent betriebene Praxis, die in Israel lebenden arabischen Staatsbürger zu entrechten, macht vor nichts Halt und hört nie auf.

Rechtsstaat und Menschenrechte? In einem Rechtsstaat sind alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich. Nach unserem Grundgesetz besitzt jeder Bürger die gleichen unveräußerlichen Werte. Und nach Art. 1 GG ist die Würde des Einzelnen unantastbar. Ein solches Grundgesetz hat Israel nicht.

1.) Im Negev zerstören von der israelischen Regierung eingesetzte Räumkommandos mit Bulldozern immer wieder Ansiedlungen der Beduinen (israelische Staatsbürger); israelische Soldaten überwachen solche Aktionen. Die Ansiedlung Arakip ist so in den letzten Jahren mehr als 50 Mal dem Erdboden gleich gemacht worden, sobald die Bewohner ihre Behausungen, Ställe, Unterstände und Zelte wieder aufgebaut hatten. Zusätzlich erfolgt auch immer der Einsatz von Sprühflugzeugen, um mit starken Agrargiften die von den Beduinen auf den angelegten Feldern erwarteten Ernten und die von ihnen gehaltenen Nutztiere zu vernichten.

2.) Auf der Suche nach ‚Terroristen‘ sprengt die israelische Armee immer wieder Häuser in die Luft, in denen sie ‚Terroristen‘ vermutet, egal, ob sich zu der Zeit weitere Personen (Alte, Mütter, Kinder) in dem Haus befinden. Das Liquidieren von missliebigen Einzelpersonen per Drohne oder mit anderen Mitteln außerhalb jeder Gerichtsbarkeit ist ein seit vielen Jahren praktiziertes Vorgehen, nicht nur in der Westbank, sondern auch in Israel. Das Entscheidende ist dabei sicher nicht, wo so etwas passiert; sondern dass diese Art von außergerichtlicher Justiz ins Rechtssystem Israels integriert ist.

3.) Die fehlende Rechtsstaatlichkeit macht vor niemandem Halt. Die gesetzlich seit Jahrzehnten in Israel praktizierte Administrativhaft erlaubt den Sicherheitsorganen, jeden Bürger für 6 Monate zu inhaftieren, 3 ohne Angabe von Gründen, ohne Anklage und ohne die Vorlage von Beweismitteln. Weder der Inhaftierte noch seine Anwälte erhalten eine Information. Nach 6 Monaten erfolgt eine richterliche Begutachtung, meist mit dem Ergebnis der Haftverlängerung um weitere 6 Monate usw. Auf diese Art sitzen viele nahezu ausschließlich arabische Israelis jahrelang im Gefängnis und wissen nicht warum.

4.) Das Inhaftieren von Minderjährigen ist nach deutschem Verständnis mit rechtsstaatlicher Praxis unvereinbar. Lt. Unicef haben die israelischen Streitkräfte in den letzten 10 Jahren etwa 7.000 Kinder, meist Jungen, festgenommen, verhört und vor Gericht gestellt, was einem Durchschnitt von zwei Kindern pro Tag entspricht. Im Februar 2016 waren mehrere Hundert Minderjährige und Jugendliche in israelischen Gefängnissen inhaftiert. Besonders die Zahl der unter 16-Jährigen hat sich dramatisch erhöht.

5.) Inwieweit darf eine Besatzungsmacht im besetzten Gebiet in einem rechtlosen Raum agieren und die Bevölkerung des besetzten Gebiets nach Belieben rechtlich bzw. rechtlos behandeln? Internationale Abkommen (z.B. Genfer Konvention etc.), denen auch Israel beigetreten ist, regeln den Schutz der Bürger im besetzten Gebiet, soweit sie nicht (mehr) in irgendwelche Kriegshandlugen verwickelt sind. Das Verhalten Israels als Besatzungsmacht gegenüber den palästinensischen Einwohnern zeigt, dass Israel die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts nicht ernst nimmt; es zeigt damit zugleich, dass es nicht bereit ist, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu beachten, wenn es sich um Palästinenser handelt. In den besetzten Gebieten ist die kollektive Bestrafung gang und gäbe, ein eklatanter Verstoß und eine Ungeheuerlichkeit für jeden Rechtsstaat.

Das ‚kleine‘ Beispiel ist die bereits erwähnte Blitz-Entscheidung von Verteidigungsminister Liebermann. Das ‚große‘ Beispiel ist die letzte israelische Gaza-Offensive im August 2014: Auslöser soll hier die Ermordung von jugendlichen Israelis gewesen sein. Das hätte normalerweise zu einer größeren PolizeiAktion führen müssen. Stattdessen wurde der Gaza-Streifen intensiv bombardiert und beschossen. Die Folgen in Gaza waren verheerend. Ganze Stadtviertel waren nur noch ein Trümmerhaufen, 18.000 Gebäude wurden zerstört oder stark beschädigt, auch Krankenhäuser und Schulen, tausende Familien hatten alles verloren und waren obdachlos. Kein Strom, kein Trinkwasser, kaum eine medizinische Versorgung. Das Bombardement und der Beschuss durch die Israelis machte vor nichts Halt. Und dann die vielen Toten, 2.200 auf der palästinensischen Seite, davon überwiegend Zivilisten und mehr als 500 Kinder, etwa 70 auf der israelischen Seite, davon 3 Zivilisten. Es war ein richtiges Massaker, das die Israelis im Bewusstsein ihrer grenzenlosen militärischen Überlegenheit und in voller Absicht veranstalteten. Von unserer Kanzlerin kam keine Reaktion. Stattdessen hat sie deutsche Proteste gegen diese mörderische Politik pauschal als „antisemitisch“ verurteilt.

6.) Für Palästinenser braucht man keine Verurteilung – jeder Palästinenser kann getötet werden, ohne verurteilt zu werden. Vor kurzem wurde ein noch am Leben gewesener Palästinenser, der mit einem Messer einen Israeli verletzt hatte und jetzt wehrlos und verletzt am Boden lag, von dem israelischen Sanitätssoldaten Elor Azaria kaltblütig und vorsätzlich per Kopfschuss liquidiert. Diese Tat wurde von Liebermann und Netanjahu offiziell gerechtfertigt. Der Soldat wurde jetzt vor Gericht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt– eine Verharmlosung der Tatsache und ein Akt der Rechtlosigkeit.

In den nun seit 50 Jahren besetzten Gebieten hat es unendlich viele Verstöße gegen Internationales Recht gegeben: angefangen von der Vernichtung landwirtschaftlicher Kulturen (z.B. Ölbäume), Hauszerstörungen, Entzug elementarer Lebensbedingungen, Landraub, dem unberechtigten RessourcenAbbau bis hin zur ständigen Bedrohung von Leib und Leben. Ein solcher Umgang mit dem Recht gegenüber der palästinensischen Bevölkerung – vor allem gegenüber den Kindern, Müttern und alten Männern und Frauen – ist mit einem Rechtsstaat unvereinbar.

Über die legitime Dauer einer Besatzung scheint es keine internationalen Festlegungen zu geben. Die Art und Weise aber, wie eine Besatzungsmacht ausgeübt wird, ist sehr wohl ein deutliches Zeichen dafür, wie das Besatzungsregime es mit der Rechtsstaatlichkeit hält; dies umso mehr, je länger die Besatzung aufrechterhalten wird. Wer sich 50 Jahre lang systematisch bemüht, nach eigenem Gutdünken einer Bevölkerung das Leben so schwer und gefährlich wie möglich zu machen, dem geht jede Rechtsstaatlichkeit ab.

Sehr geehrte Frau Merkel, das ist die Realität, von der Sie behaupten, Israel und Deutschland verbindet die gleichen Werte! Wie können Sie nur so etwas sagen? Ich bin total erschüttert und weiß nicht mehr, was ich von Ihnen halten soll.

Ergänzen möchte ich noch, dass von den Freunden der israelischen Regierungspolitik immer der Raketen-Beschuss aus dem Gaza-Streifen oder die Attentate in den israelischen Städten als Auslöser ins Feld geführt werden. „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen.“, heißt es dann immer. Letzteres natürlich. Aber hier wird aus dem Täter Israel das Opfer gemacht, schließlich praktiziert Israel seit 50 Jahren ein 4 brutales Besatzungsregime. Nicht die Palästinenser sind ‚Terroristen‘, sondern die israelischen Regierungen sind in den vergangenen Jahrzehnten das jeweilige Terror-Regime; die Palästinenser dagegen sind, wenn überhaupt, Widerstandskämpfer. Und dieser Widerstand ist ein im Völkerrecht verankertes Recht. Ich denke dann auch an 1953 und den Aufstand der deutschen Bevölkerung in der DDR gegen das russische Besatzungsregime: Es hagelte Steine gegen russische Panzer, und das nach „nur“ 8 Jahren. In Deutschland würde sich nach 50 Jahren ein ganz anderer Widerstand organisiert haben, Killerkommandos wären vielleicht noch seine geringste Ausprägung. Es ist deshalb fast schon bewundernswert, wie „brav“ sich die Palästinenser in dieser ganzen Zeit verhalten haben.

Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich Sie nicht wählen kann: Mit Israel gibt es keine gemeinsamen Werte, Israel hat sich schon längst aus der westlichen Wertegemeinschaft verabschiedet und verkommt immer eindeutiger zu einem Unrechtsstaat, einer rassistischen Apartheid-Diktatur, dank dem Einfluss der Siedler und der anderen rechtsradikalen Gruppierungen, die ein Groß-Israel anstreben und dafür die Vertreibung der Palästinenser in Kauf nehmen. Ich kann nicht glauben, dass Sie das nicht wissen.

Sie regen sich über das Verhalten des russischen Präsidenten Putin (Besetzung der Krim, Unterstützung der Separatistenbewegung in der Ost-Ukraine) auf und sind bereit, diesen politischen Affront stärker zu sanktionieren. Sie regen sich über die Politik des Präsidenten Erdogan auf und entscheiden sich immer mehr für einen Konfrontationskurs gegen diese Politik. Beides sicher mit Recht. Aber dem Regierungschef Netanjahu fühlen Sie sich freundschaftlich verbunden, obwohl er in seiner Amtszeit mehr Verbrechen gegen die Menschlichkeit initiiert und zugelassen hat als Putin und Erdogan zusammen. Ihre zweideutige Moral kann ich nicht nachvollziehen, aber sie führt dazu, dass man Ihnen als Bundeskanzlerin nicht mehr vertrauen kann, weil Ihre Amtsführung von einer tiefen Unehrlichkeit durchdrungen ist. Schweigen ist Zustimmung. Mit Ihrem Schweigen haben Sie sich und letztlich auch uns Bürger bereits mitschuldig gemacht an all den Verbrechen, die in den vergangenen Jahren an der palästinensischen Bevölkerung verübt wurden.

Wenn Deutschland mit Ihnen an der Spitze wirklich ein Freund Israel sein möchte, dann müsste es alles tun, damit dieses schöne Land wieder als anerkanntes Mitglied der westlichen Allianz in unsere Wertegemeinschaft zurückkehrt. Wie das gehen soll, haben Sie selbst gesagt: Am Tag der Konrad-Adenauer-Stiftung im Herbst 2008 sagten Sie: „Interessengeleitete Außenpolitik muss auch wertegeleitete Außenpolitik sein.“ Und Sie betonten, dass diese Werte universell seien und von allen Staaten respektiert werden müssten: „Wir können bestimmte Lebensumstände nicht als Entschuldigung dafür akzeptieren, dass Menschenrechte nicht berücksichtigt werden.“ Als wichtigstes Instrument zur Verbreitung der Menschenrechte nannten Sie dann den Dialog, er müsse mit fester Wertebasis und Konfliktfähigkeit geführt werden. Ein gutes staatsmännisches Bekenntnis, wohl wahr, ein Handeln mit dieser Einstellung, das wäre ein Zeichen echter Verbundenheit und Freundschaft mit dem Staat Israel. Wann haben Sie das jemals gemacht? Stattdessen erhielt Israel Jahr für Jahr generöse Geldgeschenke und U-Boote und konnte, wohl gedacht als Zeichen innerer Verbundenheit, sich an gemeinsamen Sitzungen von Knesset und Bundestag erfreuen.

Ohne Zweifel: Ihre Art von Israelpolitik hilft den Israelis in ihrer jetzigen fatalen Situation nicht, im Gegenteil, sie trägt dazu bei, dass sich Israel immer mehr isoliert. Das ist keine Freundschaft. Sie ist auch keine Hilfe, um den Nahost-Konflikt zu überwinden, sie verschärft ihn sogar noch. Denn Ihre sog. Freundschaft bestärkt Israel immer wieder darin, sich über jede UNO-Resolution hinwegzusetzen und alle westlichen Werte zu ignorieren. Und schließlich setzen Sie mit dieser Israel-Politik Ihre Glaubwürdigkeit als unsere Bundeskanzlerin aufs Spiel.

Deshalb: Revidieren Sie Ihre heuchlerische Israel-Politik, bevor es zu spät ist; und realisieren Sie, dass die Nazi-Verbrechen von uns Deutschen an den jüdischen Menschen durch Geschenke niemals je wieder gut gemacht werden können, niemals! Denn das würde einer Bagatellisierung dieser grausamen Geschehnisse gleichkommen. Fühlen Sie sich als Folge unserer furchtbaren Historie verpflichtet, getreu Ihren eigenen Worten gegen jede Art von Verstößen gegen die Würde des einzelnen Menschen entschieden aufzutreten. Gehen Sie ehrlich und vertrauenswürdig mit uns Bürgern um und nehmen Sie sich dabei zu Herzen, was Heinz Galinski, der ehemalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gesagt hat: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht wieder zu schweigen.“

Dann wären Sie für mich, und sicher auch für viele andere Bürger, eine wundervolle Bundeskanzlerin, die ich trotz allem jederzeit bereit wäre, in ihrem Amt zu bestätigen.

2 Gedanken zu „Merkel wegen Israelpolitik nicht wählbar – Offener Brief

  1. Seit Jahren empfinde ich die Situation zwischen Israel und der palestinensischen Bevölkerung als „das Krebsgeschwür der Welt“., letztendlich Keimzelle für die Entstehung vieler terroristischer Organisationen, mit denen wir alle es jetzt zu tun haben. Da, wo offensichtlich schreiendes Unrecht aus welchen politischen Gründen auch immer einfach hingenommen und sogar ignoriert wird, verkommen die dort betont hervorgehobenen ethischen Werte für ein friedliches Zusammenleben der Völker zu einer Farce.und können nicht mehr ernst genommen werden.

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