Zivilcourage kostet Mut

Anfang Februar 2022 hat die Menschenrechtorganisation Amnesty International einen Bericht veröffentlicht wonach Israel ein Apartheid-Staat sei. Der Bericht, für den vier Jahre recherchiert wurde, ist 280 Seiten lang und beschreibt detailliert die Art und Weise, wie die israelischen Behörden Apartheid ausüben. Sofort gab es von allen Seiten Kritik, besonders von denjenigen, die keine Ahnung hatten aber eine feste Meinung, dass das nicht stimmt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dabei war der Vorwurf keine Überraschung. Schon die israelischen Organisationen Be´Zelem und Human Rights Watsch haben unlängst dasselbe behauptet, was aber keinen solchen Protest hervorgebracht hat. Die UNO-Resolution 3379 vom 10. November 1975 bezeichnete den Zionismus als eine Form des Rassismus. Die Resolution wurde mit 72 zu 35 Stimmen bei 32 Enthaltungen angenommen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks wurde die umstrittene Resolution am 16. Dezember 1991 von der UN-Generalversammlung zurückgenommen (Resolution 46/86). Nach Verlautbarung des israelischen Außenministeriums habe Israel seine Teilnahme an der Madrider Friedenskonferenz 1991 von der Rücknahme der Resolution abhängig gemacht. Und so wie damals Druck auf die UNO ausgeübt wurde, wird auch heute versucht den Bericht von Amnesty International zu diskreditieren bis er (hoffentlich nicht) zurückgenommen wird.

Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anna Frank, spielt in der „Zeit“ von heute den Dr. Jeckyl und gleichzeitig Mr. Hyde. Er kritisiert Israels Rassismus und ignoriert Israels Apartheid. Ein Staat ist aber dann ein Apartheidstaat, wenn Ungerechtigkeiten Teil einer vorsätzlichen Strategie sind, die auf die rassistische Vorherrschaft einer Gruppe über eine andere abzieht. Er sieht sie nicht, weil er sie nicht sehen will oder kann, weil sein innerer Zionismus doch fester und stärker ausgeprägt ist als sein gespielter Liberalismus. Hunderte und tausende von Israelis, darunter angesehene Journalisten, Professoren, Künstler und gewöhnliche Leute wissen, dass in Israel Apartheid herrscht, weil sie diese tagtäglich erleben. Einige schämen sich, wie Barnboim, andere sind wütend wie Moshe Zuckermann und einige protestieren schweigend, aber wer Unrecht schweigend duldet, hat es mitverschuldet. 

Nur sehr wenige Deutsche, ich schätze kaum ein Prozent der Bevölkerung, interessiert sich für das, was in Israel und den besetzten Gebieten geschieht. Bei den Lesern der „Zeit“ dürfte das Verhältnis anders sein. Ich schätze, dass ein Drittel der Leserschaft sich für das, was im Nahen-Osten geschieht, aufgeschlossen ist. Deshalb fühle ich mich verpflichtet Meron Mendels Propagandatext für Israel zu widersprechen und diejenigen aufzuklären, die aufgeklärt werden wollen. Bei den anderen, die es nicht wissen wollen oder glauben es besser zu wissen, weil sie pro Israel sind, nützt es sowieso nicht. Dabei bin ich auch pro Israel, aber pro ein ehrliches, liberaleres und friedliches Israel, dass Menschenrechte achtet und Völkerrecht respektiert.

Ich bin weniger von Meron Mendel enttäuscht, den ich schon lange genug kenne, um zu wissen, wie ich ihn einzuschätzen habe. Er ist ein typischer Opportunist, der nicht seine Karriere gefährden will. Er argumentiert deshalb wie die israelische Hasbara, sagt aber auch das Gegenteil, um den Eindruck eines kritischen Geistes zu erwecken, um in Kreisen mitreden zu können, die ihn eigentlich ablehnen müssten. Ich bin aber sehr von der „Zeit“ enttäuscht. Lesen denn die Redakteure die Artikel, die man ihnen zuschickt? Eigentlich hätte ein solches Pamphlet nie gedruckt werden dürfen. Es ist eine Beleidigung der Leser, die der Redaktion vertrauen. Aber, wie heißt es so schön: Papier ist geduldig und verträgt jeden Unsinn.

Mendel behauptet, dass es bei dem Amnesty-Bericht im eigentlichen Sinne gar nicht um ein politisches Dokument handelt. Das ist schon sehr merkwürdig und absurd, denn wenn der Bericht nicht politisch relevant war, muss man sich fragen, warum die ganze Aufregung, von Politikern in Israel bis in die USA hinein, warum sich die deutsche Bundesregierung genötigt sah dazu Stellung zu nehmen und warum nimmt überhaupt Meron Mendel Stellung? Es ist selbst für einen Blinden klar, dass es sich um einen sehr brisanten, politischen Bericht handelt, der Israel Apartheid vorwirft und Apartheid ist Politik in Reinkultur. Und wenn Mendel dem Bericht von „Amnesty“ Nähezur BDS-Bewegung vorwirft, dann unterstreicht er noch wie politisch das Dokument ist.

Mendel wirft Amnesty vor, es würde den Unterschied zwischen dem international anerkannten Kernland Israel und den besetzten Gebieten verwischen. Dabei hat Amnesty nur klipp und klar mit unzähligen Fakten erklärt, dass es diesen Unterschied bei der Apartheid Bewertung nicht gibt. Israel behandelt Palästinenser im Kernland wie in den besetzten Gebieten gleich, auch wenn sie im Kernland durch Gesetze geschützt sind bzw. sein sollten. Und wenn Amnesty, was die Behandlung der Palästinenser betrifft, keinen Unterschied macht zwischen dem israelischen Kernland und den besetzten Gebieten, dann liegt es vielleicht auch daran, dass es keinen Unterschied gibt. Hier wie dort werden sie als Menschen zweiter Klasse behandelt und hier wie dort haben sie keine Rechte.

Auf die Frage, ob ein jüdischer Nationalstaat in Nahost moralisch zu rechtfertigen ist, antwortet Amnesty eindeutig mit Nein. Die Reaktion der israelischen Regierung wurde von vielen als „hysterisch“ bezeichnet und sie beschuldigte Amnesty International natürlich des Antisemitismus. Wenn man aber alles als Antisemitismus versteht, was diese Herrschaften unter den Begriff subsumieren, wird Antisemitismus zu etwas Gutem, wenn nicht sogar zur Bürgerpflicht: Eintreten für Menschenrechte, freie Meinung und Frieden. Aber der Staat Israel, so muss man die israelische Regierung verstehen, könne die Apartheid nicht beenden, ohne seine eigene Existenz auszulöschen.

Mendel beschwert sich, dass damit seine Großeltern, die mit viel Glück den Gaskammern entkommen sind und an Israels Gründung mitgewirkt haben, posthum Täter sind. Ja, Amnesty hat recht und Mendels Großeltern waren Täter. Der schreckliche Zionist Henryk M. Broder hat in der Jüdischen Zeitung geschrieben: „Die Israelis sind Täter“, und keiner hat protestiert, auch nicht Meron Mendel. Und mein Vater, der bestimmt nicht jünger als Merons Großvater war, und schon 1933 vor den Nazis nach Palästina geflohen ist, hat in seinen unlängst erschienen Memoiren davon berichtet wie man die Palästinenser belogen und betrogen hat.

Ja, das zionistische Projekt ist, wie Mendel schreibt, „die Ursünde schlechthin“. Es hätte vielleicht was Gutes daraus werden können, wenn es sich nicht den religiösen und fanatischen Kräften im Judentum widerstandslos ergeben hätte. Mendel bemängelt, dass Amnesty im Bericht nicht erwähnt hat „wie es zur Staatsgründung kam, was ihr vorausging, was sie notwendig gemacht hat.“ Wir wissen aber alle, dass der Staatsgründung der Holocaust vorausging, ohne dem Holocaust wäre es möglicherweise gar nicht zur Gründung gekommen. Aber will Mendel das den Palästinensern etwa in die Schuhe schieben? Was können sie für das, was vorausging? Ihre alte Welt ist unwiederbringlich verloren. Palästina war ihr Land und ihre Heimat und Juden haben sie aus ihrer Heimat vertrieben, weil Deutschland die Ursünde begangen hat. Warum mussten die Palästinenser mit ihrem Land dafür bezahlen? Weil es in der Bibel so steht? Die Bibel ist doch kein Grundbuch.

Mendel meint ironisch, dass Amnesty International „den großen Wurf“ wagt, und wirft Amnesty vor, dass die Erwähnung des Holocaust „nicht mal einen Nebensatz“ wert war. Und das ist auch gut so. Was hat der Holocaust zu suchen in einem Bericht über Apartheid in Israel und den von ihm heute noch besetzten Gebieten? Wird denn ein Richter die Strafe eines nachgewiesenen Mörders aussetzen, weil dieser in seiner Jugend geschlagen und missbraucht wurde? Natürlich war der Holocaust ein Verbrechen sui generis. Aber was haben die Palästinenser damit zu tun? Und gibt dieses Verbrechen den Juden das Recht selbst Verbrechen an den Palästinensern zu verüben? Die Palästinenser sind heute die Juden der Juden, wie der Titel des Buches eines Palästinensers heißt, dass ich vor mehr als zwanzig Jahren verlegt habe.

Mendel kritisiert, dass im Bericht nur „von jüdischen Emigranten vor allem aus Europa, die Rede ist, die 1948 das Land der Palästinenser in Besitz genommen haben“. Und er fügt ironisch, was aber zynisch klingt, „Warum und wieso? Weil der Sommer in Jaffa so sonnig ist?“ Nein, Herr Mendel, alle wussten, dass es sich bis in die vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts um Flüchtlinge handelt (sie schreiben „Emigrantinnen und Emigranten“), und nach dem Krieg um Holocaust-Überlebende. Mein Vater ist 1933 nicht nach Palästina emigriert, er hatte nicht im Traum daran gedacht. Er ist von den Nazis vertrieben und nach Palästina geflohen, weil er nur dort, mit der Genehmigung der Briten, einreisen konnte. Die Palästinenser haben protestiert, aber die Briten haben sich darüber hinweggesetzt. Sie betrachteten das Land als ihr Besitz. Es siegte Macht vor Recht.

Aber was hat das im Apartheid-Bericht zu suchen, wo es um hier und heute geht? Und war es nicht freundlich, human und anständig, dass die Palästinenser diese Flüchtlinge aufgenommen haben? Isaac Deutscher hat es wie folgt beschrieben: Das Haus der Juden brannte und der arabische Nachbar hat sie in seinem Haus aufgenommen. Als Dank haben sie ihn später aus seinem Haus vertrieben und ein Gesetz erlassen, dass Haus und Grundstück jetzt ihnen allein gehört. Mit Gesetzen kann man Geschichte vielleicht vertuschen und verfälschen, aber nicht real ändern und dem Vergessen verordnen.

Aber auch darüber beschwert sich dieser selbstgerechte und arrogante Mendel, dass es einem schlecht werden kann und man an Max Liebermanns Bonmots denken muss: „Ich kann nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte“. Nach Mendel kam es zum Krieg, „der von der palästinensischen Führung initiiert wurde, nachdem die arabische Seite den Teilungsplan der UNO abgelehnt hatte.“ Also, nicht der Mörder, der Ermordete ist schuld. Die Palästinenser hätten zustimmen sollen, vielleicht sogar den Zionisten den Strick reichen sollen, an dem man sie aufhängen wollte. Als ob Ben-Gurion und Chajim Weizmann nicht wussten, dass es zum Krieg kommt. Sie haben ihn doch selbst gewollt und provoziert, denn mit der Teilung durch die UNO waren sie nicht zufrieden. Wer sich darüber informieren will, wie man 1948 die Palästinenser über den Tisch gezogen hat, der sollte Alan Harts Trilogie lesen über die Entstehung des Staates Israel (erschienen im Zambon Verlag). Und wer dann behauptet, dass Alan Hart, ein Antisemit sei, weil er kein Jude war, der kann den Juden Simcha Flappan lesen, dessen Buch DIE GEBURT ISRAELS – Mythos und Wirklichkeit über die Entstehung Israels im Melzer Verlag erschien. Es ist eine realistische, nüchterne Darstellung über die Gründung Israels.

Mendel erinnert daran, dass „ein Prozent der damals 600 000 Juden ihr Leben und zehn Prozent ihre Häuser verloren.“ Sind etwa die Palästinenser daran schuld? Er erwähnt auch nicht, dass zehn Prozent der damals fast eine Million Palästinenser ihr Leben und fast 100 Prozent ihr Land und ihre Häuser und alle ihre Heimat verloren. Und Mendel fährt mit seiner Unverschämtheit und Einseitigkeit fort, wenn er sich darüber beschwert, dass „die Sicherheitsbedarfe der israelischen Zivilbevölkerung finden keine Erwähnung und werden damit als nicht legitim bewertet.“ In Wirklichkeit ist es in der Realität aber genau umgekehrt. Die Sicherheitsbelange der Palästinenser werden in Israel nirgends und niemals erwähnt und werden offiziell als nicht legitim und gar nicht vorhanden betrachtet.

Mendel meint, dass es noch genug progressive Kräfte in Israel gibt. Mag sein, aber viel zu wenig. Er bringt ein Beispiel aus dem Jahr 2000 und müsste eigentlich wissen, dass es eine Lüge ist, zumal das neue Nationalstaatgesetz von 2018 sowieso alle Voraussetzungen wesentlich verändert und aus Israel ein Staat nur für Juden gemacht hat. Er erinnert an einen Fall, als das Oberste Gericht entschieden hat, dass die palästinensischen Kläger als israelische Staatsbürger das Recht haben, ein Grundstück innerhalb einer ausschließlich jüdischen Ortschaft zu erwerben. Er wirft Amnesty vor wegen dieses Urteils keine positive Bewertung Israels vorzunehmen. Verlogener geht es wahrlich nicht. Das Urteil hat es in der Tat gegeben. Aber den Klägern hat das Urteil überhaupt nicht genützt. Sie konnten das Grundstück trotzdem nicht erwerben, und heute, nach dem Nationalstaatgesetz von 2018, erst recht nicht. Er erwähnt auch nicht ein anderes Urteil eines Richters aus Beer Sheva, der behauptet hatte, dass jüdisches Blut wertvoller sei als arabisches Blut.

Mendel polemisiert hart und unnachgiebig gegen den Gedanken der Rückkehr der vertriebenen Palästinenser in ihre alte Heimat. Er erinnert an den Zerfall Jugoslawiens und behauptet, dass darin ein „mörderisches Potential“ läge. Er schreibt aber, dass „nicht nur realpolitisch, sondern auch moralisch spricht einiges gegen diese Gedankenspiele. Das Rückkehrrecht der Palästinenser, die in vierter und fünfter Generation außerhalb Israels leben, wird als gegeben vorausgesetzt.“ Er behauptet, dass es das „für keine Gruppe sonst gibt“.  Er vergisst aber zu erwähnen, dass es für die Juden offensichtlich ein Rückkehrrecht auch nach zweitausend Jahren gibt bzw. ein Einwanderung- und Einbürgerungsrecht für Menschen, deren Urvorfahren niemals in Palästina gelebt haben. Israel betrachtet alle Juden auf der ganzen Welt als potenzielle israelische Bürger. Er ist auch nicht mehr dazu gekommen zu schreiben, was moralisch gegen die Rückkehr der Ureinwohner spricht.

Mendel spielt den Ahnungslosen und glaubt, dass er nach einer solchen Definition Anspruch hätte auf Häuser in der Slowakei und Rumänien, weil seine Großeltern von dort vertrieben wurden. Dabei muss er doch wissen, dass Juden, zumindest im Westen, durchaus Anspruch erheben auf Grundstücke, Häuser und Eigentum, dass ihnen von den Nazis geraubt wurde. Und in vielen Fällen bekommen sie auch ihr Eigentum zurück. Ich möchte nur an den berühmten Fall „Adele“ erinnern, als die jüdische Erbin des Familienbesitzes das berühmte Bild von Gustav Klimt 2006 von der österreichischen Regierung zurückerhalten hat. Mendel will aber das Vermögen der vertriebenen arabischen Juden verrechnen mit dem Vermögen der Palästinenser. Allein das ist schon eine bodenlose Unverschämtheit und Perfide. Die Juden mögen Vermögen verloren haben, die Palästinenser aber ihre Heimat. Eine Heimat ist mit Geld nicht zu ersetzen. Oder weiß es Meron Mendel nicht?

Mendel vergisst nicht auf die BDS-Bewegung hinzuweisen, die 2020 vom Deutschen Bundestag „mit gutem Recht“ als antisemitisch eingestuft wurde. Er meint, dass es mit gutem Recht geschah. Hunderte von israelischen und jüdischen Akademikern, Künstler und Politologen haben genau das Gegenteil vom „guten Recht“ gesehen, und haben ihre Ansicht auch der deutschen Regierung unterbreitet. Meint etwa Dr. Meron Mendel, dass seine Meinung mehr gilt, dass er es besser weiß. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat diesen Beschluss als falsch eingestuft. Für Amnesty aber, so schreibt Mendel, gibt es inhaltlich keinen Unterschied mehr zu BDS, oder zumindest kann er es nicht mehr erkennen. Dabei sehen auch weniger gebildete Personen, dass die weltumfassende Amnesty International Organisation ganz andere Aufgaben hat als BDS, auch wenn letztere Bewegung inzwischen auch weltumfassend ist. BDS kümmert sich einzig und allein um die Rechte der Palästinenser. Amnesty um die Rechte aller Entrechteten auf der ganzen Welt. jetzt habe ich aus dem Internet den A I Jahresbericht 2020/21 über Iran heruntergeladen, damit Mendel und unsere Antisemitenjäger endlich auch merken, dass A I unparteiisch und ohne Ansehen der Person arbeitet.

Die Menschenrecht-Organisation B´Tselem hat vergangenes Jahr selbst Israel Apartheid vorgeworfen. Dennoch hat der gegenwärtige Vorstandsmitglied Mordechai Kremnitzer den Bericht kritisiert, insbesondere deshalb, weil es keinen Unterschied zwischen dem Kernland Israels und den besetzten Gebieten gemacht hat. Deshalb bezeichnete er den Bericht „feindselig und einseitig“ und bescheinigte ihm „tiefgehenden Hass gegen den israelischen Staat und gegen seine internationale Anerkennung als der Staat des jüdischen Volkes“. Was gilt schon die internationale Anerkennung, wenn Israel selbst UN-Resolutionen und internationale Kritik ignoriert und immer wieder pauschal als Antisemitismus abwehrt. Und wenn Israel nur der Staat des jüdischen Volkes ist, dann ist es doch ein Apartheid-Staat, so wie Süd-Afrika so lange ein Apartheid-Staat war, wie es sich als Staat der weißen Rasse definierte.

Bemerkenswert ist der Gastbeitrag des ehemaligen israelische Generalstaatsanwalt Michael Ben Yair in der Frankfurter Rundschau, der praktisch alle Vorwürfe des Amnesty-Berichts bestätigt: „Wir entschieden uns enthusiastisch dafür, eine kolonialistische Gesellschaft zu werden, die internationale Verträge ignoriert, Land enteignet und israelische Kolonisten in die besetzten Gebiete schickt. Wir engagieren uns bei Raubzügen und fühlen uns noch zu diesen Handlungen berechtigt. Leidenschaftlich wünschen wir, diese besetzten Gebiete zu behalten. Zu diesem Zweck haben wir zwei Rechtssysteme entwickelt: eines – progressiv und liberal – in Israel, und das andere grausam und ungerecht – in den besetzten Gebieten. Tatsächlich errichten wir in ihnen, sobald wir sie eingenommen haben, ein Apartheid-Regime.“ Dem braucht man nichts hinzuzufügen.

Ich könnte jetzt hier Schluss machen, denn es gibt kaum noch etwas zu sagen, wenn nicht Mendel unerwartet die Richtung seiner Polemik selbst geändert hätte. Unvermittelt räumt er , dass für ihn Rassismus gegen Palästinenser im Kernland Israel „eine traurige Realität“. Und ist Rassismus nicht allein schon Apartheid? Meron Mendel bedauert es, dass er plötzlich dem Bericht von Amnesty selbst „an vielen Stellen“ zustimmen muss. Ja, die Siedlungspolitik ist verheerend – weil Apartheid. In den besetzten Gebieten werden Menschenrechte täglich verletzt – immerhin. Die Lebenssituation der Menschen in Gaza ist unerträglich – endlich sieht er es auch. Das 2018 verabschiedete Nationalstaatgesetz, das den jüdischen Charakter des Staates festschreibt, war ein Schlag ins Gesicht – wie wahr.

Mendel wirft Amnesty vor, dass im Bericht jegliche Vorstellung davon fehlt, wie Frieden überhaupt zustande kommen kann. Im Bericht fehlt diese Vorstellung, weil sie nicht hineingehört. Der Bericht ist nur eine Sammlung von Fakten. Die Vorstellung wie ein Frieden aussehen soll ist aber sowohl bei Israelis wie auch bei Palästinensern durchaus vorhanden. Den Palästinensern muss ihr Land „besenfrei“ zurückgegeben werden. Die Siedlungen müssen aufgelöst und die Bewohner ins Kernland zurückkehren. Das kann man machen. Man muss es aber auch wirklich wollen. Mendel vermisst die zu kurz gekommene Debatte. Dabei wird doch darüber schon seit fünfzig Jahren debattiert ohne dass man einen Schritt vorwärtskommt, aber sogleich zwei zurückgeht. Über die Beendigung der Besatzung muss man nicht mehr debattieren. Man muss handeln. Es fehlt aber der politische Wille, wie es Mendel selbst zugibt, und es fehlt die Unterstützung der Bevölkerung, die schlicht und einfach Angst hat, weil man ihr diese Angst seit Jahrzehnten eintrichtert, bis heute. Alle Israelis leben aber in einer Illusion, dass ein Rückzug und die Entstehung eines freien palästinensischen Staates bis in die Ewigkeit verschoben werden kann. Netanjahu hat die Israelis davon überzeugt, dass die Regierung den Konflikt „managen“ kann, und alle glauben es.

Mendel weiß das alles, aber er möchte nicht die Rolle des Nestbeschmutzers im Ausland übernehmen. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland machen es ihm leicht. Sie diskreditieren und diffamieren Juden wie mich, die den Israelis die Wahrheit ins Gesicht sagen, als „berüchtigte Antisemiten“.

Meine Freunde und ich, wollen nicht das Rad der Geschichte zurückdrehen. Wir wollen nur Recht und Gerechtigkeit für Palästinenser und Juden im Nahen Osten. Gerechtigkeit ist aber immer eine Ansichtssache. Was für Israelis gerecht sein kann, könnte für Palästinenser ungerecht sein. Deshalb bleibt nur noch das Recht. Es würde reichen, wenn wir gleiches Recht für alle hätten, für Palästinenser und Juden. Eine Föderation, die wie im vereinten Europa, in allen Teilen für alle Menschen gleiches Recht hat. Gerechtigkeit für alle gibt es nicht. So kann jeder, Recht und Sicherheit genießen und von Gerechtigkeit träumen. Und da denke ich an die berühmten Worte von Theodor Herzl, dem Gründer des Zionismus und damit auch des Staates Israel: Wenn ihr wollt, bleibt es kein Traum.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert