Broder – der ewige Anti-Antisemit?

von Holdger Platta 

Die richtigen Lehren aus den Gewalttaten der Nazis gegen die Juden zu ziehen — bedeutet das erstens, sich schützend vor die Opfer von Gewalt zu stellen, überall auf der Welt, oder zweitens, sich schützend vor die Gewalttäter zu stellen, sofern diese Juden sind? Es scheint logisch und menschlich, hier die erste Alternative zu wählen. Trotzdem kochen bestimmte Personen noch immer ihr Süppchen mit unpassenden Antisemitismus-Vorwürfen. Wachsamkeit ist vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit notwendig — aber keine Generalamnestie für eine gewalttägige und diskriminierende Politik der israelischen Rechten.

Wie so oft, trat der bundesdeutsche Publizist Henryk M. Broder auch an diesem Tag mit Knalleffekten auf. Ich spreche vom Montag, den 16. Juni 2008. Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages hatte zahlreiche ReferentInnen zu einer Anhörung zum Thema „Antisemitismus“ eingeladen, und auch der heutige WELT-Journalist Broder war mit von der Partie.

Alle Versuche, „den Antisemitismus zu definieren, zu erklären und zu neutralisieren“, seien „gescheitert“, erklärte Broder gleich zu Beginn und setzte fort: Zuallererst sei zur Verhinderung einer „virtuellen“ Debatte — was immer das sei — festzustellen:

Zuerst hier.

3 Gedanken zu „Broder – der ewige Anti-Antisemit?

  1. 1.
    Antisemitismus wurzelt in der „Hep-Hep-Bewegung“ (um 1820) und in den Vorstellungen von Wilhelm Marr; er richtet sich prinzipiell gegen den jüdischen Mitbürger. Heinrich v. Treischtkes Antisemitismus richtete sich speziell gegen Juden, die Mitbürger werden wollten („Hosen verkaufende Jünglinge“). Dem deutschen Antisemiten wäre es dagegen völlig egal, wenn sich „die Weisen von Zion“ gegen die Araber oder sonst wen verschwören würden. Selbst Adolf Eichmann besorgte Pässe und Züge für eine jüdische Auswanderung nach Palästina. Eine „Internationale des Antisemitismus“ wäre theoretisch denkbar, aber unlogisch. Antisemitismus setzt nationales Rassenbewußtsein voraus, eine Internationale der Rassisten wäre ein Widerspruch in sich selbst.
    Also ist Antisemitismus prinzipiell eine binnenstaatliche Angelegenheit.
    2.
    Das Judentum von 2018 ist ein anderes als das von 1879; der Antisemitismus ist aber in der alten Beschränkung geblieben. Deswegen halte ich es für falsch, von „neuen“ oder speziellen Antisemitismen zu sprechen, wenn es sich um Attacken von Palästinensern – selbst in Deutschland – auf Juden oder um die Unterstützung von Palästinsern durch „deutsche Linke“ handelt. Alles, was mit der Auseinandersetzung um die Grenzen oder die Existenz Israels zu tun hat, ist letztlich Ausdruck eines nicht zu beendenden Krieges, solange die Araber die Palästinenser nicht in ihre bestehenden Staatsverbände aufnehmen und auf territoriale Ansprüche gegen Jerusalem verzichten. Ultra-Orthodoxe Juden lehnen den Staat Israel ab, bedeutende Personen jüdischer Abstammung sind Atheisten und andere Kritiker der jüdischen Religion (Sigmund Freund: „kollektive Neurose“; Baruch Spinoza: „Aberglaube“), ohne daß man diese als „Antisemiten“ abtun kann. Religiöse Juden sehen im Atheismus oder in einem den jüdischen Glauben einschließenden Anti-Klerikalismus sogar einen „gefährlichen Antisemitismus, der die Axt an die Wurzel des Judentums anlege“. Aber auch offen erklärte Irreligiosität kann trotzdem kein Antisemitismus sein, sonst müßte man Mosche Dayan, Edmund Husserl, Wilhelm Reich, Felix Hausdorff und endlos viele andere, auf die die ganze Welt einschließlich der Israelis stolz ist, zu Antisemiten erklären.

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  3. Definition vs. Realität. Antisemitismus kann natürlich so breit wie möglich definiert werden, meinetwegen noch breiter als der Betonkopf Broder. Was ist die Folge? Die Fakten israelischer Politik bleiben, ethnische Säuberungen bis in die heutige Zeit, also Landraub sowie Raub von fester und beweglicher Habe zugunsten einer sich völkisch-religiös definierenden Ethnie, Massenmord und, konsequent, Apartheid im Innern. Diese Fakten sind in zahllosen UNSCRs und GARs erfaßt und verurteilt worden. Israel wurde hinreichend oft auf der Basis der Fakten zur Änderung seines Verhaltens aufgefordert. Der Internationale Gerichtshof fällte zur Einschätzung der völkerrechtlichen Lage 2004 ein eindeutiges Urteil. Wenn die Fakten sind, wie sie sind, ist entweder das Völkerrecht, also auch die Verträge und Konventionen (etwa die 4. Genfer Konvention oder die UN-Mitgliedschaft), deren Teilnehmerstaat Israel ist, antisemitisch — oder aber es ist völkerrechtliche Pflicht, antisemitisch zu sein.

    Die zweite Folge dieser abstrusen Ausdehnung einer Antisemitismusdefinition zugunsten der Kritiklosigkeit gegenüber israelischen Verbrechen ist, daß die Politik Israels zum Wesen des Judentums erklärt wird. Und das ist antisemitisches Denken, weil es über einen Kamm schert, alle gleichmacht und eine Kollektivunschuld verkündet.

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