Deutschlands Kampf gegen Antisemitismus ist realitätsfremd

von Arn Strohmeyer

Der Kampf der deutschen Politik gegen den Antisemitismus nimmt immer hysterischere bzw. absurdere Formen an. Man kann ihn nur mit Don Quichottes bewaffneten Ritt gegen die Windmühlenflügel vergleichen. Und wie der tapfere Ritter in Miguel de Cervantes‘ Roman werden die deutschen Antisemitismus-Wächter diesen Kampf nicht gewinnen. Und dafür gibt es gute Gründe. Vor allem den: die völlige Verleugnung der politischen Realität.

Natürlich gibt es einen harten antisemitischen Kern, der sich im rechten und Neonazi-Lager tummelt, über die sozialen Medien seine Hassparolen verbreitet und auch gewaltbereit ist. Aber die deutsche Politik hat den antisemitischen Gegner inzwischen vor allem in der muslimischen und in der Sympathisantenszene für die Sache der Palästinenser ausgemacht. Dazu aber nur eine Zahl: Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) waren in Berlin 2020 von über 1000 registrierten Vorfällen nur 22 „islamisch/islamistisch“ motiviert. Die Schlussfolgerung aus dieser Zahlenangabe kann nur lauten: Antisemitismus ist ganz offensichtlich kein „importiertes“ Problem von Muslimen.

Das Problem für die Antisemitismuswächter ist also vor allem „israel-feindliche Positionen“. Und die blinde Solidarität zum siedlerkolonialistisch-zionistischen Besatzungsregime ist in Deutschland längst so etwas wie eine staatstragende philosemitische Pflichtideologie geworden, an der Kritik nicht geduldet wird. Ihre Infragestellung zieht unmittelbar die Höchststrafe nach sich: den Antisemitismus-Vorwurf, der existenzbedrohend sein kann. Man kann hier als Beleg für den staatlicherseits verordneten Philosemitismus das Verhältnis zu diesem Staat von Anfang an anführen, dass immer von der deutschen Schuld und der Hoffnung auf Sühne bestimmt war und nie von dem realistischen Blick auf diesen Staat, der auf der Vertreibung und Unterdrückung eines anderen Volkes und auf weiterer gewaltsamer Expansion seines Territoriums aufgebaut ist.  Weiterlesen

Die Windmühle des Antisemitismus

von Eurich Lobenstein

Antisemitismus ist ein unausrottbares Thema. Er soll sogar nach Sander L. Gilman (in: Jüdischer Selbsthass S.51) ein zentraler Bestandteil der westlichen Kultur sein. Trotzdem wollen alle Gesetzgeber der europäischen Staaten diesen Bestandteil  – vielleicht in westlichem Selbsthass – ächten und übernahmen die Definition einer internationalen Initiative, obwohl deren Schlüssel zur Identifizierung von Antisemitismus lang und unhandlich ist. Inzwischen gibt es Alternativvorschläge, die jedoch chancenlos verbleiben, weil der Begriff „Antisemitismus“ diffus bleibt und, weil sich die Leute vorsichtigerweise an amtliche Vorgaben halten. Das Thema ist hochpolitisch. Versuchen wir trotzdem in catimini, uns den Antisemitismus wie eine Windmühle vorzustellen. Die Allegorie erlaubt die Vorstellung, daß deren Segel je nach Windstärke mal schneller, mal behäbiger ihre Thesen drehen. Viele Juden blicken auch bei Windstille traurig auf deren Flügel. Aber wenn sie sich zügig drehen, ist es sinnlos, wenn der eine oder andere Antisemitismusritter gegen die Windmühle losgaloppiert.

Einen dieser Flügel sollte man „primitiven Antisemitismus “ nennen; die internationale Definition korrespondiert mit dieser Benennung insoweit, als sie Antisemitismus mit „Hass“ verbindet. Hass ist zumindest ein primitives Gefühl. So kann man vom Gegenteil her folgern, dass gebildetere Kreise keinen analogen Hass auf gebildete Juden hegen. Welcher kultivierte Mensch würde einen Edmund Husserl, einen Felix Hausdorff, einen Ernst Kantorowicz oder Albert Einstein hassen wollen wegen einer jüdischen Abstammung, die wiederum nur Theorie ist? Als Beweis für die Freiheit von Hass gebildeterer Kreise möge das von vielen Juden verteufelte Werk von Andreas Eisenmenger dienen: Es war 1696 verboten worden, weil die Behörden ähnliche Unruhen wie den Aufstand des Frankfurter Pöbels unter Vinzenz Fettmilch (1614) befürchteten. Als es dann 1711 in Königsberg doch erschien, folgten keine solchen Unruhen. Das Werk ist viel zu intellektuell, um von einer niederen Masse verstanden werden zu können oder um primitive Massen zu motivieren. Und gebildete Menschen mögen den einfachen Juden in seinem kabbalistischen Aberglauben belächeln, wissen aber, daß der aufgeklärte Jude kein Kabbalist ist. Barbara Stadler (in: Pappenheim und die Zeit des 30-jährigen Krieges, S 363) erklärt, wohl ohne dabei explizit an Antisemitismus gedacht zu haben, das ungute Verhältnis städtischer Bürger zu einquartierten Soldaten: 

„Provokationen, Prügel und Schikanen gingen in der Regel von den Bürgern aus. Das war 1623 in Rothenburg ob der Tauber, später in Schwäbisch Hall, in Braunschweig und erst recht in Magdeburg so gewesen …. Die Magistratspersonen, die ständig fürchten mussten, gestürzt zu werden oder ihre Häuser gestürmt zu sehen, waren mit einem Phänomen konfrontiert, das mit der Elendsexistenz der städtischen Massen zusammenhing. Wenn dieser Mob nicht über Fremde oder „Reiche“ herfallen konnte, hielt er sich an Randgruppen: Juden wurden verfolgt, Hexen denunziert oder Bönhasen (unzünftige Handwerker) misshandelt.“  Weiterlesen

Nicht in meinem Namen! Gedanken zur andauernden Naqba

von Nirit Sommerfeld

Liebe Wuppertalerinnen und Wuppertaler!

Mein Name ist Nirit Sommerfeld, ich bin deutsch-israelische Jüdin, bin

Sängerin und Schauspielerin von Beruf und lebe in Deutschland. Ich stehe hier als Mitglied des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, und als jüdische Stimme sage ich Euch: Israel handelt nicht in meinem Namen, nicht in unserem Namen, nicht im Namen des Judentums, und nicht im Einklang mit jüdischen Werten!

Genau heute vor 54 Jahren war der sogenannte Sechs-Tage-Krieg zu Ende, und mit diesem Kriegsende begann etwas, das noch schlimmer ist als sechs Tage Krieg. Was kann schlimmer sein als Krieg, fragt Ihr Euch?!

Dauerhafter Krieg ist schlimmer! Die Militärbesatzung der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank, in Ost-Jerusalem, den syrischen Golanhöhen und in Gaza ist dauerhafter Krieg, der tagtäglich, seit 19.723 Tagen durch Einschränkung, Unterdrückung, Unfreiheit, Bespitzelung durch Geheimdienst, Folter, Verhaftungen ohne Anklage, Hauszerstörungen, Schikanen, Vertrauensverlust, rohe Gewalt und all ihre Folgen Millionen von Palästinenser*innen quält.

Neueste historische Erkenntnisse, die erst letzte Woche in der israelischen Tageszeitung Haaretz veröffentlich wurden, zeigen ganz klar, dass die Besatzung durch Israels Militär von langer Hand geplant war. Die Dokumente zeigen, dass bereits sechs Jahre vor dem sogenannten Sechs-Tage-Krieg detaillierte Pläne erstellt wurden, die für die Militär-Herrschaft in den später Besetzten Gebieten benötigt werden würden. Der Staat Israel bemüht sich, diese und andere geheime Akten weiterhin unter Verschluss zu behalten. Aber Wahrheit ist wie Löwenzahn: Man kann sie beschneiden und versuchen, sie auszurupfen und zu unterdrücken – sie wird ihren Weg an die Oberfläche finden, so wie der Löwenzahn Asphalt durchbricht.  Weiterlesen

„Von den Deutschen lernen“ – Ignoranz aus Scham

Zwischen vorbildlicher Vergangenheitsaufarbeitung und neuem Antisemitismus: Was ich von den Deutschen lernte, nachdem ich „Von den Deutschen lernen“ geschrieben hatte.

von Susan Neiman

Bücher über Antisemitismus kommen hierzulande gut an. Wollte ich zu dem Genre beitragen, hätte ich genügend Material aus eigener Erfahrung. Allein in diesem Jahrhundert, wohlgemerkt. Ich müsste gar nicht erst aufzählen, was ich zwischen 1982 und 1988 in West-Berlin erlebte und was mich dazu brachte, Deutschland zu verlassen. Zwölf Jahre später überzeugten mich die Veränderungen, die unter der rot-grünen Regierung spürbar wurden, dass Juden hier vielleicht doch ein normales Leben führen könnten, und ich kehrte zurück. Dennoch könnte ich viel vom Antisemitismus erzählen. Das meiste war von sanfter Art. Es begann mit einer Bemerkung kurz vor dem Unterschreiben meines Arbeitsvertrags. Als neuer Direktorin des Einstein Forums in Potsdam wurde mir Einsicht in den Haushalt des Instituts gewährt. Er war noch kleiner als befürchtet, es gab nicht einmal ein bescheidenes Spesenkonto, um potenzielle Spender zum Mittagessen einzuladen. „Wie soll ich denn Fundraising betreiben?“, fragte ich bestürzt. „Sie sind doch Jüdin“, gab die westdeutsche Beamtin zurück, „Sie werden das schon schaffen.“ >>>

War die israelische Plünderung ’48 Teil einer breiteren Politik zur Vertreibung der Araber?

Die dunklen Seiten des Unabhängigkeitskrieges werden in einem Buch über die massive jüdische Plünderung von arabischem Eigentum beleuchtet, das die Verbindung zwischen der Plünderung und Ben-Gurions Politik, das Land von seinen arabischen Bewohnern zu befreien, zeigt.

von Benny Morris

In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Historiker Adam Raz mit den jüdischen
Plünderungen von 1948 – nicht aber mit der kollektiven Plünderung von Immobilien, Häusern und Ländereien von Arabern, die von der israelischen Regierung während des
Unabhängigkeitskrieges und danach (auch lange danach, muss man sagen) konfisziert
wurden. Raz konzentriert sich auf die Plünderung des arabischen beweglichen Vermögens durch Zivilisten, einzelne Soldaten, Armeeeinheiten und Institutionen des entstehenden Staates und des Staates selbst. Verschiedene Historiker haben diesen Aspekt des Krieges schon früher angesprochen, aber nicht mit diesem Fokus oder Detailgrad.

.Während des Krieges sagte David Ben-Gurion, der provisorische Premierminister, er sei von zwei Phänomenen überrascht gewesen: der Flucht der Araber und den Plünderungen der Juden. Zu letzterem erklärte er auf einer Sitzung des Zentralkomitees von Mapai, der Regierungspartei und Vorläuferin der Arbeitspartei, am 24. Juli 1948: „Es stellt sich heraus,  dass die meisten Juden Diebe sind …. Leute aus dem Jesreel-Tal haben gestohlen! Die Pioniere der Pioniere, die Eltern der Palmach [vorstaatliche Kommandotruppe] Kinder! Und alle haben sich daran beteiligt.“ Er hätte hinzufügen können, dass die Palmach-Angehörigen selbst nicht widerstehen konnten, hier und da zu plündern. Am 14. Juli versammelte Shmuel „Mula“ Cohen, der Kommandeur der Yiftah-Brigade des Palmach, seine Bataillone im Ben-Shemen-Wald, tadelte sie für die Plünderungen in der eroberten Stadt Lod ein oder zwei Tage zuvor („Leute aus unseren Einheiten begannen auch zu plündern und das verlassene Eigentum an sich zu
reißen“, schrieb er Jahre später) und zwang sie, das gestohlene Eigentum dem Hauptquartier der Brigade zu übergeben oder es zu zerstören.  Weiterlesen

Hört auf, Russland und Belarus durch eine rosarote Brille zu betrachten!

Es gibt tatsächlich noch Menschen, die davon ausgehen, dass Weißrussland „das letzte kommunistische Land Europas“ sei, weil es in seiner Verfassung so steht. Es war möglicherweise das letzte kommunistische Land in Europa und ist jetzt eine Diktatur. Es gab auch Menschen, die geglaubt haben, dass die DDR tatsächlich eine „Demokratie“ war, weil der Staat „Deutsche demokratische Republik“ hieß. Es gibt auch noch vereinzelt Menschen, die glauben, dass Stalin kein Diktator war und Hitler ein „gutmensch“ gewesen ist, der Autobahnen gebaut hat und andere glauben, dass Putin ein „lupenreiner Demokrat“ ist. Ich verstehe, warum Gerhard Schröder das sagt. Immerhin wird er dafür fürstlich entlohnt. Ich verstehe aber nicht warum das Menschen sagen, die nichts davon haben, außer Spaß an einer dümmlichen Meinung.

Einer meiner Freunde meint: „Der Westen muss Weißrussland um Verzeihung bitten!“ Warum eigentlich? Weil der Machthaber Alexander Lukaschenko die Opposition im Land unterdrückt und im Ausland verfolgt? Erst vor wenigen Tagen hat der Diktator zwei junge Leute nach einer erzwungenen Umleitung von Ryanair Flug 4978 von Athen nach Vilnius und Landung in Minsk, verhaften lassen. Der griechische Außenminister nannte den Vorfall das, was es auch war, „Luftpiraterie“. Polens Premier sprach von „Staatsterrorismus“.

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Hamas und die leeren Schlagworte

von Heiko Flottau

„Radikalislamische Hamas“? Die Gründer der Widerstandsgruppe hatten einen Geburtshelfer – Israel.

Sprache kann Tatbestände verhüllen – dann, wenn Schlagworte ohne Erklärung bleiben. Sie kann auch etwas über die Urheber aussagen – etwa über Reporter und politische Analysten – dann nämlich, wenn diese gedankenlos immer wieder dieselben Floskeln benutzen.

Auch Besatzung ist Gewalt

„Radikalislamische Hamas“ – „Militante Palästinenser“ – diese Worthülsen sind uns im letzten Krieg zwischen Israel und der Hamas nur so um die Ohren geflogen. Sie suggerieren, dass nur von einer Seite Gewalt ausgeübt wurde – nämlich von irgendwie stets „militanten“ Palästinensern. Weitgehend unerwähnt blieb eine andere Gewalt – nämlich die seit 1967 andauernde israelische Herrschaft über die Palästinenser im Westjordanland, in Gaza und in Ost-Jerusalem.

Denn Besatzung ist Gewalt – Gewalt über Menschen, über ihr tägliches Leben, über die Zukunft der jungen Generation. Wer etwa im Westjordanland lebt, kann nie sicher sein, wann und wo er an einem der zahlreichen israelischen Kontrollposten aufgehalten und kontrolliert wird.   Dass solche Gewalt Gegengewalt erzeugt, sollte eigentlich niemanden mehr wundern. >>>

Annalena Baerbock, Israel und die Palästinenser

von Arn Strohmeyer

Man erinnert sich noch gut an den Besuch des grünen Parteivorsitzenden Robert Habeck in Israel und Palästina. Der Politiker hatte dort hoch gestellte Gesprächspartner und hat sicher auch einiges von der realen Situation im „Heiligen Land“ gesehen. Weder an Ort und Stelle noch wieder zu Hause äußerte der Grüne, der ja auch so etwas wie ein Vordenker seiner Partei ist, ein einziges Wort der Kritik über die schlimme Situation dort. Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, war ganz offensichtlich seine Devise.

Zwei Äußerungen machte er dann dennoch: Über seinen Besuch in Hebron sagte Habeck, es sei für ihn neu gewesen, „wie schnieke die Siedlungen, die ich gesehen habe, sind, wie professionell sie geplant und gebaut sind und wie das die strategische Ausrichtung des Siedlungsbaus manifestiert, im wahrsten Sinne des Wortes.“ Auch machte es ihm großen Eindruck, wie die Menschen im israelischen Dorf Sderot an der Grenze zum Gazastreifen mit ihren Traumata umgehen, die – so sagt er – von den Raketenbeschuss von der „anderen Seite“ herrühren. Ganz rührend: Er durfte in Sderot einen fingergroßen sibirischen Hamster in die Hand nehmen. Mit Streicheln dieser possierlichen Tierchen bekämpfen die Kinder und Erwachsenen ihre Angst vor den Raketen der „anderen Seite“. Einfach rührend! Da fragt man sich, womit die palästinensischen Bewohner im Gazastreifen ihre Angst vor den fast immer wiederkehrenden israelischen Bombenangriffen bekämpfen, die jedes Mal ganze Häuser oder Stadtviertel dem Erdboden gleichmachen und auf die Zivilbevölkerung keine Rücksicht nehmen. Sein Urteil über die Reise fasste Habeck dann so zusammen: „Für mich war’s ein einziger Ansporn. “ Wozu ließ er allerdings offen.  Weiterlesen

Einblicke in die Hölle von Gaza

von Kristin Leiste

In Gaza leben ca. 2 Millionen Menschen auf engstem Gebiet, gezeichnet von Armut und den Zerstörungen der letzten Kriege, auf einer Fläche, die weniger als die Hälfte von Hamburg beträgt. Etwa 1,5 Millionen Menschen sind unter 16 Jahre alt. 1,2 Millionen leben in Flüchtlingslagern von Gaza. Eine von ihnen ist Hazems Schwester, ihr Name ist Leena: Dies ist die Geschichte meiner Freundin

Leena Hasan,

26 Jahre jung, am 11. Juli 1994 in Gaza geboren. Leena lebt mit Ihren Eltern im Süden des Gazastreifens, in der Stadt Rafah.

Im Oktober 2019 lernten wir uns durch ihren Bruder Hazem kennen. Er lebt seit mehr als 3 Jahren in Bochum, leistet viel Aufklärungsarbeit von hier aus, über das Unrecht in Palästina. Er lebt hier zwar in Freiheit, leidet dennoch jeden Tag mit seinem unterdrückten Volk. Hazem wäre gern geblieben, wenn es dort Sicherheit, Schutz, ein Recht auf freies Leben und Perspektiven für die Zukunft gegeben hätte. Die Sehnsucht nach seiner geliebten Heimat Palästina wird niemals vergehen.

Leena ist eine bildschöne junge Frau, lebensfroh, selbstbewusst, intelligent, mit so viel Humor, einem unbändigen Drang nach Wissen und der ungestillten Neugier die Welt zu entdecken, die ihr bisher versperrt blieb.

Alles was Leena kennt, ist das Leben in Gaza, mit Mangel an Grundversorgung von Nahrungsmitteln, -sauberem Trinkwasser, Mangel an Strom und ärztlicher Versorgung. Ein Leben unter der Armutsgrenze. In einem seit Jahren besetzten, kontrollierten Gebiet, in dem für Unbeschwertheit kaum Platz bleibt. Ein ewiger Kampf ums Überleben, der die Psyche der Menschen krank macht.

„Ich bin verrückt geworden“ meinte Leena mal zu mir. Was sie mir zu beschreiben versuchte, dass sie traumatisiert ist, wie so viele Kinder, Frauen und Männer in Gaza, die seit vielen Jahre schutzlos der Willkür ihrer Besatzer und Unterdrücker ausgeliefert sind. Die Kriege, die tiefe Wunden und Spuren hinterlassen haben. Ein Land, ein Volk, das ihrem Schicksal, über das sie selbst nie entscheiden durften, überlassen wird.  Wenn sie leidet, dann meist im Stillen für sich, ihr Glaube hilft ihr, die Hoffnung niemals aufzugeben.

Ich nenne sie meine Löwin, ihre Stärke hat mich von Anbeginn beeindruckt. Die wenigen Stunden Internet täglich, wenn der Strom mal für 3-4 Stunden nicht abgestellt wird,  bleiben ihr Schlüssel zur virtuellen Freiheit. Unser gemeinsames Medium, worüber wir uns austauschen, voneinander lernen, so viele Gemeinsamkeiten entdeckten. Sie mag auch schnelle, coole Autos, genau wie ich. Die Liebe zur Musik, die uns verbindet. Wir beide tanzen gern und taten es oft zusammen, wenn auch tausende Kilometer voneinander entfernt. Momente, in denen wir alle Grenzen, Mauern, Zäune und Checkpoints überwinden, Leena all die Trostlosigkeit und Ängste ihres Alltags loslassen und vergessen kann.

Ihr Lachen ist wahnsinnig ansteckend. So sind wir aus scheinbar völlig fremden Welten und doch in vielem so verdammt ähnlich. Leena schlich sich ganz selbstverständlich in mein Herz. Ich nahm sie mit in meine Welt, die ihr Hoffnung auf ein besseres Leben gibt, ihre unbedarfte Neugier darauf aufblühen lässt.

Ihr Wunsch ist es nach Deutschland kommen zu können, um hier ihr Master-Studium zu beginnen. Dafür lernte sie in den letzten Monaten fleißig Deutsch, berappelte sich nach Rückschlägen, das Ziel der Freiheit als größte Motivation, worin ich sie unterstütze, bestärke und verdammt stolz auf sie bin!

Vor wenigen Wochen bestand Leena ihren A2 Deutschkurs, nun hatten wir alle Unterlagen zusammen, die sie für das Visum nach Deutschland braucht, endlich!

Nach Ramadan wollte Leena zur Botschaft, alles regeln, für die große Reise nach Deutschland.

Dann kam der Krieg!

Tage voller Angst, die Nächte sind am schlimmsten, so schrieb sie mir. Schickte Sprachnachrichten mit Geräuschen von dröhnenden Militärflugzeugen über dem Haus, Einschläge von Raketen, Schreie.. Kriegsschiffe, Marineboote, beängstigender Lärm vermischt sich mit der lähmenden Angst vollkommen schutzlos ausgeliefert zu sein. Nicht zu wissen, ob ihre Gebete erhört, ihre Familie und Freunde unverletzt und am Leben bleiben. Oder ob sie fliehen müssen, wie Tausende andere in diesem Krieg.. und wenn doch, wohin? Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza.

Ich bleibe nachts oft bei ihr in diesen Tagen, so lange die Verbindung hält. Ich kann sie nicht wirklich beschützen und doch versuche ich es.

Lina schrieb mir dieser Tage, in denen sie sich mit ihren Eltern im Haus verschanzte, voller Ungewissheit, wann dieser Horror diesmal enden würde:

„Wir haben doch nichts getan, warum tut man uns das an? Das ist unmenschlich. Wir sind unschuldige Menschen, die endlich in Frieden leben wollen!“ „Ich möchte mein Leben leben, bevor ich sterbe!“ „Hab dich lieb, vergiss mich nicht, ja?! Also wenn es geschieht.. -Nie!“

Es bricht mir das Herz, diese Ohnmacht, aus der Ferne nicht mehr als Trost  spenden zu können, bei all den schrecklichen Bildern der letzten Tage, all dem Leid einer Bevölkerung, das nicht endet, weil die Welt dazu schweigt!

Das unermessliche Leid der Palästinenser hat für mich durch Leena ein Gesicht bekommen, einen Namen, stellvertretend für alle Menschen Palästinas, die sich nach Frieden und einem Leben in Freiheit sehnen. Ihre Träume leben wollen, so wie meine Leena, die sich nichts sehnlicher wünscht.

  1. Mai -WAFFENRUHE-

Endlich aufatmen, nach Tagen und Nächten voller Todesangst, kaum Schlaf, Erleichterung, den Tod nicht mehr so erschreckend nah spüren zu müssen. Es macht das Überleben längst nicht frei von Gefahr und Angst, die Menschen bleiben von einem selbstbestimmten Leben in Freiheit weit entfernt. Die Blockade muss beendet werden, vorher dürfen wir nicht verstummen!

Am 10.12.1948 beschlossen die Vereinten Nationen die Erklärung der Menschenrechte.

Artikel 1

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

Artikel 3

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Menschenrechte gelten auch für Palästinenser!

Wir dürfen nicht zulassen, dass Solidarität mit Palästinensern kriminalisiert wird. Das Völkerrecht ist auf Ihrer Seite, wir dürfen sie nicht vergessen, sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.

Deswegen sind wir heute hier, um gemeinsam ein Zeichen setzen!

FREIHEIT FÜR PALÄSTINA!

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Mein Name ist Lina
ich grüße euch aus Gaza.
wir haben schlimme Tage hinter uns , wir haben und seit vielen Jahren Kriegen, Blockade, keine Moglichkeiten keine Sicherheit noch Schutz gelebt. das Leben hier ist kein Leben/ ist nicht einfach

Ich bin 26 Jahre alt, niemand wünscht so einem Alter überhaupt Ängste zu haben da sollte man an anderen Sachen erfreuen und nicht solches Leid erfahren. müssen deswegen gücklich sein aber wir könnten oft leider nicht.

Natürlich möchte ich mich persönlich nach diesem Schmerz von Jemandem unterstützen.
Das wisst ja ihr bei jeder mensch muss ein normales leben in freiheit und frieden verdienen.
Es gibt viele Menchen so weit weg, die für uns einstehen die an uns
glauben an uns denken, sich für uns einsetzen. uns hören, die auf unser leid aufmerksam machen.
Dafür möchte ich euch danken in Frankfurt,
und in Deutschland Allgemein, Ich möchte mich ganz besonders bei Kristina bedanken, die die ganzen Kriegstage bei mir war.
Danke dass ihr bei uns da bleibt, damit uns hoffnung gebt also uns eine Stimme gibt, bestimmt sind wir keine Nummern,
Danke dass ihr mit uns Solidarität zeigt und uns nicht vergessen, ich hoffe sehr dass Alles in gaza gut wird..
Wir alle müssen weiter kämpfen..und niemal aufgeben! Grüße nach Frankfurt,
Eure Lina
Freiheit für Palästina!