Muss es im Cicero sein? Ein nützlicher Idiot der Zionisten

Am 25. März 2021 wurde die von 200 jüdischen Intellektuellen, Akademikern, Künstlern und Schriftstellern unterzeichnete „Jerusalemer Erklärung“ veröffentlicht. Es handelt sich um eine Alternative zur Definition des Antisemitismus durch die „International Holocaust Remembrance Alliance “ (IHRA die seit Jahren eine offene Diskussion über Israel, Palästina und den Antisemitismus verhindert.

Letzteren wird man allerdings auch mit der Jerusalemer Erklärung nicht abschaffen denn – so Albert Einstein – das Universum und die menschliche Dummheit sind grenzenlos. Ironisch fügte Einstein hinzu, dass er sich bezüglich der Grenzenlosigkeit des Universums aber nicht sicher sei.

Versteht man Antisemitismus als Rassismus und diesen als Ausdruck eben solch grenzenloser Dummheit, dann ist er wohl nicht auszurotten. Es schützt uns auch kein Antisemitismusbeauftragter und kein Zentralrat davor. Helfen kann da allenfalls eine starke, gut funktionierende Demokratie. Autokratisch-nationalistische Regime wie in Russland, Ungarn oder Polen brüten geradezu zwanghaft Rassismus aus, egal ob gegen Juden, Zigeuner bzw. Sinti und Roma oder gegen Schwule und Lesben, und insbesondere natürlich gegen Schwarze. 

Unter diversen Kritiken der Jerusalemer Erklärung fiel mir ein Beitrag von Rafael Seligmann (in: Cicero Online vom 29.3.21) besonders unangenehm auf. Witzigerweise schreibt Seligmann, dass „auch Juden das Recht auf Dummheit“ haben. Er hält die israelischen und jüdischen Unterzeichner der Jerusalemer Erklärung, Professoren, Autoren, Schauspieler, Manager und Wissenschaftler für „Luftmenschen“. Dieser Begriff war in der jiddischen Literatur Osteuropas sehr verbreitet und bezeichnete Menschen, die nichts besaßen, keine Arbeit hatten. In den Erinnerungen meines Vaters (in: Ich habe neun Leben gelebt) findet sich der Satz: „…Schnorrer sowie Taugenichtse – ´Luftmenschen` oder ´Luftexistenzen`, wie sie sich selbst ironisch nannten – gab es zahlreich (in Galizien und sonst wo in Osteuropa).“

Luftmenschen sind jedenfalls das Gegenteil von Akademikern oder Gelehrten.

Warum greift Seligmann bei seinem Versuch, die IHRA-Definition zu retten, auf diesen antiquierten Begriff zurück? Wieso nennt er die Verfasser der „Jerusalemer Deklaration“ „Luftmenschen“? Weil sie in ihrer Anti-Antisemitismus-Definition unter anderem ausführen, Judenhass sei eine Variante des Rassismus? Weil die Zunahme der Vorurteile gegenüber Juden den „Hebräern“ u. a. ein diskretes Wesen und geheime Macht über die globalen Ereignisse zuschreibe? Es scheint seine Lieblingsmarotte geworden zu sein, „Hebräer“, statt Juden zu sagen. Und er spricht auch meistens von Zion statt von Israel? Er argumentiert haarscharf neben der Sache, vielleicht damit nicht auffällt, dass er falsch liegt? Den Jerusalemern geht es mitnichten um eine „Anti-Antisemitismus“-Definition, sondern um eine präzisere Begriffsklärung. Und genau diese Präzision passt nicht zum politischen Eifer Rafael Seligmanns.

Seine Argumentation führt daher in die Irre; auch sein defizitäres Geschichtswissen verwischt die Konturen der modernen Geschichte. Die Ablehnung des Zionismus bezeichnet er pauschal als ´antisemitisch`. Er scheint nicht zu wissen, dass beispielsweise Isaac Deutscher (in: Der nicht-jüdische Jude) darauf hinweist, dass etwa die Mehrheit der „Ostjuden“ den Zionismus ursprünglich abgelehnt hatte. Der Kurzschluss „Antizionismus ist gleich Antisemitismus“ wäre schon von daher absurd. Kritik an Israels Politik, wäre dann gleichfalls „seligmannscher Antisemitismus“. Und den Verweis auf Fakten delegitimiert er mit der Bemerkung, dass „Tatsachen alles und nichts bedeuten können“. Das Erinnern an historische Tatsachen – etwa die der Nakba –ist natürlich ebenfalls – antisemitisch. Je treffender und berechtigter die Kritik etwa an Israels völkerrechtswidriger Politik, desto antisemitischer sei sie dann. Davor will Seligmann Israel schützen.

Zu dumm aber auch, dass nach internationalem Recht, sogar nach „unserem“ Grundgesetz Kritik, selbst wenn sie übertrieben ist oder falsch liegt, erlaubt ist. Selbstverständlich versteht Seligmann einen Boykott Israels als antisemitisch, weil er „das Ende des jüdischen Staates und damit das von Millionen Juden bedeuten würde.“

Ist das nur schlichter Unsinn oder bereits Paranoia? Hat der Boykott Süd-Afrikas etwa das Ende von Millionen weißer Menschen zur Folge gehabt? Er führte nicht einmal zum Ende des süd-afrikanischen Staates, sondern allein zum Ende der Apartheid. Die BDS-Bewegung strebt das Ende des zionistischen Regimes an, mitnichten das Ende des Staates Israel. In der Tat das Ende des Staates allein für Juden – so etwa definiert es das Nationalstaatsgesetz von 2018 – , damit es ein Staat aller seine Bürger  wird.

Seligmann, der Zionist, zieht Berlin „Zion“ vor. Dafür schickt er andere Juden nach Israel. Dort sollen sie die Palästinenser vertreiben. Seligmann weiß es natürlich besser als viele andere Juden, die sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzen. Keinesfalls will ich „Rafael“ Unrecht tun. Er setzt sich gezielt für Recht und Gerechtigkeit ein, allerdings nur für Juden, denn „alle“ Menschen interessieren ihn nicht. Er nennt sich selbst einen „Hebräer“, und er ist sogar stolz darauf. Er kämpft für das Recht der Hebräer in Zion zu leben und für ihr Recht, Nicht-Hebräer zu vertreiben oder sie wenigsten zu Bürgern zweiter oder dritter Klasse zu degradieren. Diese Moral korrespondiert mit der der früheren israelischen Justizministerin Ayelet Shaked. Sie formulierte ihr Rechtsverständnis einmal so: „Den Zionismus interessiert das internationale Recht nicht, er hat sein eigenes Rechts- und Moralsystem.“

Und so kämpft Seligmann für die hochproblematische IHRA-Definition von Antisemitismus. „Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen.“

Wie bitte? Das muss man zweimal lesen. Wieso kann sich Antisemitismus gegen „nichtjüdische“ Personen richten? Ist es etwa Antisemitismus, wenn Schwarze in den USA oder Türken in Deutschland diskriminiert und ermordet werden? Das könnte schon sein, wenn man Antisemitismus als Rassismus begreift. Aber wird das auch in der Öffentlichkeit so verstanden? Hat im Zusammenhang der Morde in den USA und in Deutschland auch nur eine einzige Zeitung den Begriff Antisemitismus benutzt? Es wäre durchaus zu begrüßen und für die Bekämpfung des Antisemitismus vorteilhaft, wenn man Rassismus und Antisemitismus auf eine Stufe stellen würde. Aber alle jüdischen Institutionen und die Verfasser derartiger die Juden als Opfer privilegierender Definitionen lehnen das ab. Das erfährt man insbesondere durch die Offenbarungen des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein.

Die IHRA-Definition, die Seligmann in seiner Gefolgschaft der israelischen Hasbara (Propaganda) so sehr lobt, verurteilt „die Anwendung von doppelten Standards“. Man fordere von Israel ein Verhalten ein, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet wird, heißt es. Ach ja? Ich kämpfe seit fast einem halben Jahrhundert gegen das Unrecht in Israel und in Palästina, habe aber niemals hören müssen, dass jemand von Israel mehr verlangt als von jedem anderen demokratischen Staat. Niemand verlangt, dass Israel in Punkto Demokratie und Rechtsstaat päpstlicher sein soll als der Papst. Es geht um den Respekt für das Völkerrecht. Um nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das Geschwätz von den „3-D“ des ehemaligen israelischen Ministers Natan Sharansky sollte endlich als populistischer Müll entsorgt werden. Der „3-D-Test für Antisemitismus“ ist eine Methode, um legitime Kritik an der Politik Israels zu delegitimieren. Dazu stellt der Test drei Kriterien bereit: „Wenn Aussagen Israel

dämonisieren,

delegitimieren, oder

doppelte Standards anlegen,

dann seien diese antisemitisch.“

In Wirklichkeit dämonisiert und delegitimiert die israelische Hasbara seit Jahrzehnten täglich die Palästinenser und beurteilt deren Verhalten und Politik mit doppelten Standards. Wenn ein Israeli einen Palästinenser tötet, dann ist er zumeist das Opfer, das sich nur verteidigt. Umgekehrt, wenn Palästinenser einen Israeli töten, dann sind sie immer Terroristen und das Opfer in der Regel unschuldig.

Der israelische Holocaustforscher Daniel Blatman nannte die IHRA eine „überflüssige und zerstörerische Organisation“. Der 1956 von der „Allianz“ in Bukarest beschlossene Text war ursprünglich tatsächlich für die Bekämpfung des Antisemitismus gedacht. In den letzten Jahren ist es aber vom Berliner IHRA-Büro noch um den „israelbezogenen Antisemitismus“ erweitert worden, was nichts anderes war als der Versuch, jegliche Kritik an der Politik Israels zu unterbinden, sei sie noch so harmlos. Daher muss die Idee, dem Antisemitismus mit Hilfe von „Arbeitsdefinitionen“ beizukommen, als insgesamt gescheitert angesehen werden, vor allem, weil diese wegen ihrer politischen Instrumentalisierung mit der Meinungsfreiheit kollidieren.

Nicht nur Sharanskys 3-D Definition, sondern auch die IHRA Definition gehören auf den Misthaufen der Geschichte, auf dem Rafael Seligmanns Ausführungen am besten gleich mit entsorgt werden sollten. Er polemisiert gegen die von ihm Hebräer genannten Juden, die für ihn sofort zu „nützlichen Idioten“ werden, wenn sie sich auch für die Rechte der Palästinenser einsetzen. Er sollte das Grundgesetz des Landes respektieren, in dem er lebt. Natürlich hat auch er das Recht auf Dummheit und sich zu blamieren, aber muss es denn im „Cicero“ sein. Er sollte seine Gedanken besser in der Jerusalem Post veröffentlichen, in deren Kontext sie passen würden.

„Israels Besatzungspolitik zu kritisieren, ist legitim“, schreibt der Hebräer, der nicht in Zion leben will. Wer es aber wagt, Israels Besatzungspolitik tatsächlich zu kritisieren, ist – ein Antisemit. Sollte er zufällig Jude sein, dann ist er – als „sich selbst hassender Jude“ – ein „nützlicher Idiot“ der „Israelhasser“. Der vielen Professoren- und Doktor-Titel der Unterzeichner der Jerusalemer Erklärung schützen diese nicht vor dem Zorn eines törichten „Hebräers“, der, wie es bei den zionistischen Sayanim (Agenten) üblich ist, davon überzeugt ist, dass nur er im Besitz der Wahrheit ist und diejenigen, die seine Ansicht nicht teilen,   nun ja, „nützliche Idioten“ sind.

So kämpft man verbissen mit Hilfe der IHRA-Erklärung gegen die BDS-Bewegung, die im Wesentlichen nichts anderes verlangt als die Durchsetzung der Menschenrechte auch für die Palästinenser. Schon diese Forderung ist für Seligmann und für seine Freunde ein Beweis für Antisemitismus. Diese paranoide Reaktion ist aber eher der Beweis für das schlechte Gewissen der Zionisten, soweit sie überhaupt noch über ein solches verfügen. Viele von ihnen werden wissen, was sie angerichtet haben und was sie den Palästinensern immer noch antun. Verhalten sie sich nicht ähnlich wie Österreicher und Deutsche, die nicht bereit sind, die durch die Nazis geraubten Kunstwerke zurückzugeben mit der lächerlichen Behauptung, sie gehörten schließlich ihnen? Gustav Klimts Gemälde „Adele – die Frau in Gold“, so die Behauptung, sei österreichisches Kulturgut. Es gehörte aber einer jüdischen Familie. So weigern sich auch die Zionisten, die Rechte der Palästinenser anzuerkennen. Sie behaupten, das Land sei ihr Besitz. Aber es war seit vielen, vielen Generationen schon Eigentum der Palästinenser.

Antisemitismus ist Judenhass und bedeutet Juden zu hassen, nur weil sie Juden sind. Mehr braucht es nicht. Alle über diese schlichte Erkenntnis hinausgehenden Definitionen und Erklärungen sind im Grunde überflüssig.

Ein Gedanke zu „Muss es im Cicero sein? Ein nützlicher Idiot der Zionisten

  1. Ich lese
    „Versteht man Antisemitismus als Rassismus und diesen als Ausdruck eben solch grenzenloser Dummheit, dann ist er wohl nicht auszurotten. Es schützt uns auch kein Antisemitismusbeauftragter und …“
    Was bei mir zu der Frae führt:
    Was bitte ist Semitismus, und was ist ein „SEMIT“ (Titel hier), habe nirgendwo auch nur annähernd eine Erklärung gefunden.
    Wer über Antisemitismus redet, dem sollte Semitismus und Semit im Begriff und Umfang klar sein, sonst erscheint da was unglaubwürdig, vor allem, womit sich ein Antisemitismusbeauftragter zu beschäftigen hat.
    Soll also Antisemitismus (und damit „Dummheit“) ausgerottet werden und „geht das nicht“, wie Sie schreiben, dann steht die Frage, ob das an den fehlenden Voraussetzungen liegen könnte:
    Was ist ein SEMIT, was ist Semitismus?
    Erst wenn ich das weiss und klar benenne, wird Antisemitismus deutlich beschreib- und bekämpfbar, ansonsten ist ein Antisemitismusbeauftragter nur Symbolerie.
    Können Sie helfen?

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