Wider die verzerrende Berichterstattung zum Al-Quds-Marsch 2019

Offener Brief an den Herrn Innensenator von Berlin Andreas Geisel.

von Heinz-Peter Seidel

Sehr geehrter Herr Innensenator Geisel,

eigentlich war in den allwissenden Medien tagelang schon im Vorfeld der Boden gründlich bereitet, war vorweg gewusst, behauptet, unterstellt, was der Al-Quds-Marsch am 1. Juni in Berlin alles unbezweifelbar sei und wieder sein würde. Bevor überhaupt ein Demonstrant sich auf den Weg zum Adenauer-Platz gemacht hatte, hatten wir daher längst genau Bescheid, was für eine »widerliche Veranstaltung« – wie die Medien Sie regional wie überregional genüsslich zitierten – das nur sein konnte.

Und dass es beim diesjährigen Marsch um den hassenswerten Iran und die hassenswerte Hizbollah, ein bisschen natürlich auch um die hassenwerte Hamas gehen würde. Für solche Zuschreibungen sind weitere, womöglich gar seriöse Kenntnisse nicht nötig. Solche sind auch nicht gewünscht – es könnte sonst der weitgehend zum billigen Stereotyp verkommene Antisemitismusvorwurf vielleicht sich selbst entlarven.

Ein Herr Schulze vom rbb hatte morgens um acht schon vorweggenommen: »Heute wird wieder gehetzt, was das Zeug hält.« 

Und »Der Initiativkreis« (13 Vereine) „gegen den Quds-Marsch“ – mit ein paar hundert Teilnehmern an der Gegendemonstration beteiligt – war sich in seinem Demo-Handzettel, gedruckt längst vor Beginn des Al-Quds-Marsches, absolut sicher: »Wir halten es für unerträglich, dass es möglich ist, mitten in Berlin zur Zerstörung der größten jüdischen Gemeinschaft dieser Welt aufzurufen: Israel.«

Nun hat aber niemand dazu aufgerufen, was jedoch keine Rolle spielen darf, denn wir wissen ja um die Wirkung, dass eine Lüge, und sei sie noch so primitiv, bei ausreichend häufiger Wiederholung allmählich zur Wahrheit wird.

Dass es den »Kritikern« des Al-Quds-Marsches ausschließlich um ein in jeder Hinsicht unbeflecktes Israel geht – buchstäblich um jeden Preis –, ist nichts weniger als klar geworden. Wer da selbstständig und anderes zu denken wagt, ist Antisemit.

Die »Rechte von Palästinenser/innen zu vertreten«, das weiß der »Initiativkreis« natürlich, ist für die Veranstalter nichts anderes als ein »Vorwand«.

Folgerichtig , dass rechtzeitig im Vorfeld der Demonstration eine tolle mediale Propagandamaschinerie in Gang gesetzt worden war, um die Bevölkerung auf die wohl unmittelbar drohende Vernichtung Israels und ähnlichen Unfug durch die Demonstration einzuschwingen.

In Wirklichkeit aber hatten die Veranstalter ihren Marsch unter das Thema »Für einen gerechten Frieden in Palästina in Palästina und der Welt. Gemeinsam gegen Zionismus und Antisemitismus» gestellt, und sie haben das auf der Demonstration auch deutlich gemacht.

Dazu, zur Lage der Palästinenser, über die Verbrechen und Verheerungen der israelischen Besatzung und über die Unterschiede zwischen Judentum und Zionismus fiel bei den Demonstrationsgegnern freilich kein einziges Wort.

(Ich zweifle im übrigen entschieden daran, dass die in Berlin lebenden Menschen jüdischer Herkunft und die jüdischen Glaubens und die hier lebenden Israelis allesamt unterschreiben würden, was die Funktionäre der Organisationen des »Initiativkreises« gegen den Quds-Marsch auf dem genannten Demo-Begleitzettel niedergelegt haben.)

Selbstverständlich lässt sich zum Al-Quds-Marsch wie zu den Gegendemonstrationen eine Menge sagen, aber gewiss nicht in dieser billigen und verleumderischen Weise, für die ich nur wenige Stichpunkte genannt habe.

Warum man, Klartext geredet, den Palästinensern nicht gleichsam das Maul endlich stopfen kann, indem der Innensenator den Al-Quds-Marsch verbietet – auf diese Frage des Interviewers haben Sie, Herr Innensenator, zunächst etwas sehr Schönes geantwortet:

»Weil der Artikel 5 und der Artikel 8, also Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut sind.«

Ich kann Ihnen das aber nicht als Ihre wahre Überzeugung abnehmen, denn Sie fügen an: :

» Und natürlich haben wir keinen Zweifel daran, dass die Menschen, die sich am Al-Quds-Marsch beteiligen, genau das denken, was wir ihnen unterstellen, das sie denken – also zutiefst antisemitisch zu sein und das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.

Nur sie sagen es seit Jahren eben nicht, und (hm)deswegen sind die Voraussetzungen, ein Verbot durchzusetzen, juristisch nicht gegeben.«

Für Sie auch also gibt es keinen Zweifel, dass andere genau das denken, was sie denken sollen, weil Sie es ihnen unterstellen.  Und Sie bedauern – an anderer Stelle im Interview ein weiteres Mal – dass sozusagen diese offenbar durchtriebenen palästinensischen Teufel das partout nicht sagen und damit deutsche Richter glatt handlungsunfähig machen können . . . !?

Offen gestanden habe ich große Mühe zu begreifen, Herr Innensenator, auf welch erschütternde Weise Israel- und Antisemitismus-Verblendung Sie daran hindern zu bemerken, wie sehr Sie sich hier dekuvrieren.

Sie fordern »uns alle« am Ende des Interviews auf, »uns zu unserem demokratischen Rechtstaat zu bekennen«. Sie haben aber offenkundig auch nicht bemerkt bzw. wollen es womöglich nicht wahrhaben, dass bei uns dieser Rechtsstaat noch (!) – eben nach Recht und Gesetz – funktioniert, wenn er den Verbotsantrag begründet nicht zulässt, während Sie und leider so viele unbesonnene andere gebetsmühlenartig bloß »Verbot!«, »Verbot!« schreien, statt sich einer demokratischen Auseinandersetzung, die den Namen verdiente, in ihrem ganzem Umfang – Israel und Palästina – zu stellen.

Ihr Rezept ist Verbot – das ja z.B. auch Frau Lala Süsskind fordert und sich dabei mit der Antisemitismusbeauftragten der AFD, Frau von Storch, einig ist –, ferner Kippa tragen, Antisemitismusbeauftragte ernennen und – bloß nicht zu vergessen – Schulprogramme gegen Antisemitismus aufzulegen.

Fassungslos gemacht haben Sie mich gegen Ende des Interviews schließlich mit Ihren Ausführungen in offenkundig völliger Ahnungslosigkeit zu den immerhin jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit Antisemitismus in unserem Gemeinwesen. Da gibt es, mit Verlaub, doch nicht erst jetzt etwas zu bestaunen, seit »Rechtspopulisten« etwa im Gewand der AFD auf der Bühne mitspielen:

»Wir dachten ja, der Antisemitismus sei in unserm demokratischen Staat nahezu verschwunden und reduziert [, dass?] vielleicht einzelne Neonazis bei der NPD …[Teil des Satzes unverständlich]. Aber wir müssen feststellen, dass seitdem die demokratische Diskussion, der Diskurs, nach rechts gerückt wird, Rechtspopulisten auch die politische Agenda bestimmen, Antisemitismus ganz offen wieder auftaucht, dass er also nicht wirklich verschwunden war, sondern dass man ihn halt im Verborgenen gelebt hat. Und jetzt tritt er wieder offen zutage, was uns wieder sagt, dass wir das fundamental angehen müssen.«

Ich weiß nicht, wen alles Sie hier, wie an früherer Stelle, in das »wir« einbeziehen. Es sind tatsächlich aber viel zu viele geworden, die hemmungslos und lautstark und bar jeder elementaren zeitgeschichtlichen Aufmerksamkeit, bar jeder Sachkenntnis und Kompetenz hervortreten, viel eher doch mit ängstlicher Feigheit, wenn es um Antisemitismus und entsprechende Zusammenhänge geht. Es sind die, die mühelos und flott zuschreiben, wer Antisemit ist, wobei das inzwischen sämtlich diejenigen trifft – unterschiedslos übrigens, ob Jude oder Nichtjude! –, die gegen israelische Politik und Besatzung Einwände erheben oder die man einfach verdächtigt und verfolgt, weil sie die Absichten eines Mainstreams stören.

Wir haben dafür soeben mit dem unsäglichen Bundestagsbeschluss gegen die israelkritische BDS-Bewegung (ein weiterer Tummelplatz für Antisemitismus-Jäger) oder mit den kaum fassbaren Vorgängen um die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zwei aktuelle Beispiele gesehen.

Es ist einiges faul im Staate Deutschland.

Eine letzte knappe Bemerkung mag auf naheliegende Zusammenhänge und Dimensionen zeigen, wenn fast ausnahmslos in den Medien in Berlin und bundesweit das erklärte Anliegen des Al-Quds-Marsches einfach weggefegt und umgebogen und stattdessen eine ‚eigentlich dahinter stehende‘ Absicht mit Iran, Hizbollah, Hamas etc. unterstellt wird.

Die Bereitschaft zu Krieg gegen Iran, Syrien, Libanon ist militärisch längst bestens vorbereitet, wozu aber auch die möglichst widerstandslos zustimmende Bereitschaft einer kritiklosen Bevölkerung am besten durch das Einpflanzen von ausreichend Hass erzeugt wird. Es braucht auf ganzer Breite die Multiplikatoren, die willfährig diesen Job mitmachen. Daran, sehe ich, wird kräftig gearbeitet.

Ich habe Sie, Herr Innensenator, mehrfach zitiert. Ich schicke Ihnen im Anhang das Transkript des ganzen Interviews; im Rundfunk findet es sich hier, der Handzettel des »Initiativkreises hier.

2 Gedanken zu „Wider die verzerrende Berichterstattung zum Al-Quds-Marsch 2019

  1. Natürlich wird am Al Quds-Tag „gehetzt, was das Zeug hält“: die ganze deutsche Politprominenz kann sich einmal im Jahr richtig auf der richtigen Sdite richtig unqualifiziert aushetzen. Deutschland hat anno 1952 durch das Luxemburger Abkommen dem Staate Israel für die Eingliederung der europäischen Juden, die durch die deutsche Besatzungspolitik ihre Heimat verloren hatten, ein Zehntel des damaligen Bundeshaushalts zur Verfügung gestellt. Der Bundestag erhielt in einer Anfrage die Antwort, Deutschland habe inzwischen 180 Milliarden für diesen Zweck aufgewendet.. Also ist die Kritik an Israel, das nach wie vor jüdische Interessenten aufnehmen muß, eigentlich eine Kritik an Deutschlands einseitiger Wiedergutmachungspolitk. Man vergaß in der alternativlosen Einseitigkeit, ähnliche Gelder für die Wertschöpfung palästinensischer Ländereien zwecks Entschädigung kollateral beschädigter Dritter zu zahlen. Deutschland sollte den Ausbau Gazas zu einem neuen Beiruth zur Vefügung stellen, dann würden sich

    einmal die Palästinenser etwas als entschädigt verstehen, und dann
    sich zweimal überlegen, sich durch Raketenabschüsse auf Tel Aviv die Luftwaffe über ihre Stadt zu Angriffen herbeizuprovozieren.

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