von Arn Strohmeyer
Die Weigerung, das Unrecht an den Palästinensern aufzuarbeiten, führt zur totalen politischen Stagnation/Parallelen zur politischen Situation der Bundesrepublik in den 1950er- und 1960er-Jahren.
Israel ist krank, das hat kürzlich sogar der Präsident dieses Staates, Reuven Riflin, im Zusammenhang mit der Gewalt konstatiert, die in der israelischen Gesellschaft immer mehr um sich greift. Er meine damit aber nicht nur die Gewalt gegen die Palästinenser, die halten er und die meisten Israelis wohl für „normal“, wenn man sie denn überhaupt wahrnimmt. Nein, er meint die zunehmende Gewalt unter jüdischen Israelis, also Gewalt unter Juden, was eigentlich gar nicht sein darf. Sie sei inzwischen in alle Bereiche der israelischen Gesellschaft eingedrungen, sagt Rivlin. Kenner der israelischen Verhältnisse hatten das schon lange vorhergesagt. Denn die tägliche Gewalt der Israelis in den besetzten Gebieten gegen die Palästinenser musste auch in der eigenen Gesellschaft ihre Folgen zeitigen: Wer in „Feindesland“ sich ständig rücksichtslos und brutal aufführt, wird diese Verhaltensweisen auch zu Hause nicht ablegen können und sich dort wie ein braves Lamm benehmen. Und die Siedler haben ohnehin Narrenfreiheit, „sie dürfen alles“ – die Sicherheitskräfte schauen ihrem Treiben tatenlos zu, wenn sie ihre Gewaltorgien gegen die Palästinenser feiern. Präsident Rivlin hat also Recht – die Zustände in Israel sind äußerst besorgniserregend.
Der Staat, der vorgibt, das Erbe der Holocaust-Opfer zu vertreten, muss sich heute selbst den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen. Der israelische Historiker Shlomo Sand schreibt: „Mir ist bewusst, dass ich in einer der rassistischsten Gesellschaften der westlichen Welt lebe. Rassismus ist bis zu einem gewissen Grad überall vorhanden, aber in Israel existiert er bis tief in die Gesetze hinein. Er wird in den Schulen und Hochschulen gelehrt, in den Medien verbreitet und über allem und am schrecklichsten: In Israel wissen die Rassisten nicht, was sie tun und deshalb fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, sich zu entschuldigen. Diese Abwesenheit eines Bedürfnisses für Selbstgerechtigkeit hat Israel zu einem besonders wertvollen Bezugspunkt für viele Bewegungen der politischen Rechten in der Welt gemacht, deren vergangene Geschichte und Nähe zum Antisemitismus nur zu gut bekannt sind. (…) Das Wichtigste, falls man es momentan vergessen hat: Bevor wir Ideen vorbringen, die Israels Identitätspolitik ändern, müssen wir zuerst uns selbst von der verhassten und endlosen Besatzung frei machen, die uns auf den Weg zur Hölle führt.“ Die Einsicht, dass der gegenwärtige Zustand, in dem Israel die Palästinenser auf engstem Raum hinter Mauern einfach wegsperrt, unhaltbar ist, beginnt sich auch in den Staaten des Westens langsam durchzusetzen. Weiterlesen →