Politiker verletzen demokratische Grundsätze, sie kümmern sich nicht mehr um das Grundgesetz, in dem explizit die Meinungsfreiheit geschützt und garantiert wird. Es wird von „antisemitischer Israelkritik“ gesprochen, dabei ist mir Kritik an der völkerrechtswidrigen Politik des Staates Israel zwar bekannt, nicht aber eine antisemitische Kritik. Man ist leider auch und besonders in der Politik sehr schnell und leichtfertig mit einer solchen Diffamierung bei der Hand und sorgt damit für eine inflationäre Abnutzung des Begriffs, so dass kaum jemand ihn noch ernst nimmt. Um nicht missverstanden zu werden, und um Vorwürfen, ich würde den Antisemitismus bagatellisieren, gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich betonen, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass es noch Reste von echtem Antisemitismus in Deutschland gibt, nämlich da, wo es um Judenhass geht, um Hass gegen Juden, nur weil sie Juden sind. Solcher Hass ist mir bei der Kritik an Israels Politik noch nie begegnet, und wenn es ihn geben sollte, dann ist er so marginal, dass man ihn zwar beachten sollte, ihn aber nicht fürchten muss.
In Amtsstuben der Republik, in Landes- und Stadtparlamenten und den verschiedensten Presseorganen, von der taz bis zur WELT, wird die Evangelische Akademie von Philosemiten und Freunden Israels als antisemitisch verleumdet und eine kritische Tagung, bei der es um Dialog und Verständnis ging, als ein „Happening der Israelkritiker“ diffamiert.
Symptomatisch für die Lage und das Missverständnis (vielleicht ist es gar keines) war die Einleitung von Dr. Michael Blume bei seinem Vortrag in Bad Boll, als er sich energisch gegen die Bezeichnung „Antisemitismusbeauftragter“ wehrte und darauf bestand als „Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus“ bezeichnet zu werden. Dennoch benutzt die gesamte Presse immer wieder den Titel Antisemitismusbeauftragter. Als solcher wären er und Felix Klein sowie die anderen Beauftragten wohl für den Antisemitismus zuständig, für die Erzeugung und Förderung des Antisemitismus, und das wäre nicht einmal falsch. Denn ein Antisemitismusbeauftragter, auch wenn er sich gegen diese Titulierung wehrt, ist für mich durchaus vergleichbar mit dem Judenreferenten der Nazis, der wie ein Blockwart für alle Angelegenheiten der Juden zuständig war.
Wir Juden lehnen selbstverständlich Antisemitismus und Judenverfolgungen ab. Wie kann da die Präsidentin einer jüdischen Gemeinde, Charlotte Knobloch, behaupten, ich sei ein „berüchtigter Antisemit“, wo sie doch weiß oder wissen müsste, dass meine halbe Familie väterlicherseits und fast die ganze Familie mütterlicherseits von den Nazis umgebracht wurden? Wir lehnen den Antisemitismus genau wie den Philosemitismus ab, welch letzterer den Juden eine Sonderstellung bzw. -behandlung einräumt. Es hätte gereicht, einen Beauftragten gegen Rassismus und Diskriminierung zu benennen. Das hätte auch uns Juden miteingeschlossen. Aber stattdessen hat man es vorgezogen, die Juden wieder „auszusondern“ und so möglicherweise Ressentiments und Ablehnung in der Gesellschaft zu erzeugen mit der Folge der Verstärkung des vorhandenen Antisemitismus.
Ich wundere mich immer wieder über solch absurde und naive Beschlüsse von Landtagen und Stadtparlamenten, wie gerade in NRW, die BDS obsessiv als eine angeblich antisemitische Bewegung ablehnen und jeden Dialog verweigern. Ich wundere mich über Medien, die die oben erwähnten Beschlüsse, dass „die BDS-Bewegung in ihren Methoden und Zielen klar antisemitisch“ sei, kommentar– und kritiklos übernehmen. Diese ahnungslosen Journalisten und Politiker sollten sich mal ernsthaft mit BDS auseinandersetzen und zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, was die seriöse, israelische Tageszeitung Ha‘aretz dazu schreibt und damit die Meinung von hunderttausenden Israelis und Juden widergibt.
In der Ausgabe vom 19.9.2018 schreibt Juli Novak: „Das Ungeheuer BDS ist eines der großartigsten Geschöpfe der israelischen Regierung. Mit Hilfe eines Propaganda-Apparates, mit unendlichen finanziellen Mitteln und Furcht einflößenden Parolen wurde aus einer legitimen, gewaltlosen palästinensischen Protestbewegung ein antisemitisches Projekt. Wie konnte es geschehen, dass wir diesen Köder geschluckt haben, der dazu dient, die Besatzung und das Apartheid-Regime aufrechtzuerhalten?“
Und wie konnte es geschehen, dass hierzulande Politiker bis hin zur Bundesregierung und Beauftragten gegen den Antisemitismus, Journalisten und Bürgermeistern diesen Köder geschluckt haben? Der Druck aus Israel seitens des israelischen Propaganda-Ministeriums (Ministry of Strategic Affairs) ist offensichtlich so effektiv, dass sie alle eingeknickt sind. Und wieso weist niemand darauf hin, dass nachdem die Nazis ein Propaganda-Ministerium eingerichtet hatten, die Israelis das offensichtlich nachmachen und dieses Ministerium mit schier unbegrenzten Finanzmitteln ausstatten?
Das Vorbild der BDS-Bewegung ist die Boykottbewegung, die gegen das Apartheid-Regime in Südafrika aktiv war. So wie heute in Israel glaubte eine Mehrheit der weißen südafrikanischen Bürger den Lügen ihrer Regierung und sah in den Boykottaktionen und in den Gruppen, die sie praktizierten, eine existenzielle Bedrohung ihres Landes. Aber schließlich erwies es sich, dass der Boykott sich eben nicht gegen Südafrika richtete, sondern gegen die rassistische Politik seiner Regierung, die am Ende zurücktreten musste. Nicht mehr, aber auch nicht weniger will die BDS-Bewegung, zu der zahlreiche Juden gehören.
Der Weg, sich dieser Gehirnwäsche zu widersetzen, beginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Und auf der Webseite der BDS-Bewegung findet sich Folgendes: Es handelt sich um eine Protestbewegung, die 2005 von palästinensischen Organisationen gegründet wurde mit dem Ziel, einen ausdrücklich gewaltlosen Kampf für Gleichheit und Freiheit für das palästinensische Volk zu führen. Und deshalb müssen wir hier in Deutschland und Europa die Angst überwinden, BDS zu unterstützen, sondern anerkennen, dass dies die legitimen Forderungen eines Volkes sind, das seit Jahrzehnten unter einer brutalen militärischen Unterdrückung leidet.
Wie kommt ein offensichtlich uninformierter Felix Klein, der seit kurzem als Antisemitismusbeauftragter leider eine einflussreiche Position bekleidet, dazu, die Evangelische Akademie aufzufordern, die Tagung zu „verlegen“, was nichts anderes als „absagen“ bedeutet, und zu behaupten, dass bei der Tagung „antisemitische Narrative verwendet“ würden? Und wenn er dieser Meinung ist, dann sollte er doch Ross und Reiter nennen und die Leser der Zeitung, der er ein solch beschämendes Interview gab, darüber aufklären, was an der Tagung „antisemitisch“ gewesen sei, wobei er diese Aussage interessanterweise schon vor der Tagung gemacht hatte.
Dabei war das Thema der Tagung in Bad Boll „Shrinking spaces im Israel-Palästina Konflikt – ein Aufbruch zu einem konstruktiven Miteinander“. Im Mittelpunkt stand also der Diskurs um den Nahost-Konflikt, und man warf der Evangelischen Akademie vor, die Veranstaltung sei zu einseitig. Bezeichnend aber ist, dass dieser Vorwurf ausgerechnet von denjenigen kommt, die sich beharrlich einem Dialog verweigerten. Auch das ist aber typisch für die aufgeheizte Stimmung, in der Zionisten und Befürworter der israelischen Politik seit Jahren einen Dialog mit Kritikern dieser Politik, selbst wenn sie Juden oder gar Israelis sind, ablehnen.
Als mich vor einigen Jahren die Volkshochschule in Saarbrücken zu einem Dialog über den Nahost-Konflikt einlud und mich darauf hinwies, dass man auch meinen Gegner Henryk M. Broder dazu gebeten habe, bejahte ich die Frage, ob ich dennoch kommen wolle. Zu dem Dialog bzw. Disput ist es dann aber doch nicht gekommen, weil Broder – wer hätte das gedacht! – ein Auftreten mit mir ablehnte. Also wurde die Einladung aus Saarbrücken storniert.
Das Thema der Tagung in Bad Boll war alles andere als BDS, aber in den Medien und dem Shitstorm, der losbrach, war BDS das zentrale Thema. Dennoch ist es der Akademie gelungen, und das muss man den Verantwortlichen hoch anrechnen, die Tagung durchzuführen, auch wenn es sich nicht vermeiden ließ, auch BDS zu thematisieren. Da BDS nach meiner Wahrnehmung immer mehr die Stellung des Antisemitismus einnimmt, wird es wohl notwendig sein, nächstes Jahr eine Tagung zu diesem wichtigen Thema zu veranstalten und um einem Shirstorm aus dem Wege zu gehen, Befürworter und Gegner der BDS-Bewegung einzuladen (natürlich in der Erwartung, dass letztere überhaupt kommen). Es müssen Persönlichkeiten sein, die die Presse nicht ignorieren kann.
Die zionistischen Schreihälse haben behauptet, dass die Liste der Referenten in Bad Boll sich wie ein „Who is Who“ der notorischen deutschen „Israelkritiker“ und Unterstützer der „antisemitischen BDS-Bewegung“ lese. Den Ausdruck „Israelkritiker“ haut man uns um die Ohren, weil man es grundsätzlich für antisemitisch hält, Israel zu kritisieren. Diese Israelfans und Beschützer der israelischen Politik haben die Absage der Tagung gefordert, und es ist der evangelischen Kirche und der Leitung der Akademie hoch anzurechnen, dass sie diesem Druck standgehalten und nicht nachgegeben haben, wie letztes Jahr bei einem viel geringeren Druck die Evangelische Akademie in Tutzing.
In der WELT wurde auch kritisiert, dass im Rahmen der Tagung die Nakba-Ausstellung gezeigt wurde. Ingrid Rumpf, die diese Ausstellung vor zehn Jahren kreiert hat, schrieb dazu an den verantwortlichen Redakteur: „Es erstaunt mich sehr, in welcher Weise hier abwertend über die Wanderausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ geschrieben wird, ohne sich die Mühe zu machen, die Verantwortlichen im Vorfeld zu befragen. Sie beziehen sich auf „Kritiker“ der Ausstellung, ohne sie zu benennen, welche den Begriff „Nakba“ als „einen Kampfbegriff sehen, der Israel dämonisiere und die historische Wirklichkeit der Ereignisse verzerre“. Als Kronzeuge zitieren Sie Volker Beck, von dem ich nicht weiß, was ihn dazu qualifiziert, der sich ebenfalls schwammig auf „Fachleute“ bezieht, welche der Ansicht seien, „die Ausstellung verbreite antijüdische Vorurteile.“ Warum nennen Sie nicht die namhaften Unterstützer der Ausstellung, vor allem aber warum fragen Sie nicht diejenigen, die Ihnen aus erster Hand Auskunft erteilen können? Zu einer objektiven Berichterstattung gehört doch wohl immer noch, beide Seiten zu hören, zumal wenn man ein derart negatives Urteil fällt.“
Ergänzend dazu habe ich an die WELT geschrieben: „Wenn Sie kritiklos schreiben, dass Kritiker im Begriff Nakba einen „Kampfbegriff“ sehen, der Israel dämonisiere und die historische Wirklichkeit verzerre, was nicht stimmt, dann könnte man mit gleichem Recht auch sagen, dass der Begriff Shoah ein Kampfbegriff sei, der die Deutschen dämonisiere. Nakba bedeutet die „Katastrophe“ des palästinensischen Volkes, und genau so wird der Begriff Nakba in der ganzen Welt verstanden.
Man wirft der Nakba-Ausstellung immer wieder vor, sie sei „einseitig“. Das ist aber ein unzulässiger Vorwurf, denn es ist das Recht einer Ausstellung, einseitig zu sein, zumal wenn die Einseitigkeit darin besteht, dass man sich an die historische Wahrheit hält. Niemand würde einer Ausstellung über den Holocaust vorwerfen, sie sei „einseitig“ und fordern, man möge auch die Sicht der anderen, der Nazis berücksichtigen. Auf Druck der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf ist einst die Ausstellung nach erfolgreicher Eröffnung wieder abgebaut worden, weil die jüdische Gemeinde darauf bestanden hat, auch die zionistische Sicht zu zeigen. Die Veranstalterin ging gerichtlich dagegen vor und gewann.
Inzwischen, nachdem man seit einigen Jahren den Begriff „Antisemit“ als inflationäre Beleidigung und Verunglimpfung kennenlernen durfte, ist jeder, der es wagt, entschiedene Kritik an Israels Politik zu äußern, ein „notorischer“ oder „berüchtigter Antisemit“.
Wir sollten uns aber nicht abschrecken lassen und es mit Robert Weltsch halten, der, nachdem die Nazis den Juden verordnet hatten, den „Gelben Stern“ zu tragen, in seiner „Jüdischen Rundschau“ in großen Buchstaben auf der ersten Seite geschrieben hat: „Tragt ihn mit Stolz den Gelben Stern!“ Und wenn diverse Stadt- und Landesparlamente beschlossen – weitere werden wohl noch folgen – , dass BDS antisemitisch und Kritik an Israel ohnehin antisemitisch sei, dann darf ich daran erinnern, dass in Deutschland vor achtzig Jahren ein gewisser Adolf Hitler und seine Regierung verfügten, dass die Juden gefährlicher als Ratten seien und sämtliche Organisationen, Kirchen und Städte dies kritiklos übernahmen, und dass wir heute wissen, dass es verbrecherisch war. Dummheit und Bosheit sterben leider nie aus, und auch Vertreter von Landesparlamenten, Statdtmagistraten, Kirchen, Medien und anderen Organisationen haben selbstverständlich das Recht auf Dummheit.
Offener Brief
An die Fraktionen der CDU, SPD, FDP und der Grünen im Landtag von NRW
Werte Damen und Herren Parlamentarier.
Nach Ihrem Beschluss vom 20.Sept.2018 zu BDS glaubte ich, in Orwells Wahrheitsministerium angekommen zu sein.
Soviel dumpfe Ignoranz, soviel Verdrängung der Realität, soviel Lügen und Heuchelei, soviel Gewissenlosigkeit und Mangel an Moral, soviel willfähriger Opportunismus gegen über dem faschistoiden Apartheidstaat Israel.
Die deutschen Eliten scheinen wieder dort angekommen zu sein, wo sie schon einmal 1933 standen. Und sie werden zum Machterhalt die ohnehin marode Fassadendemokratie mit gründlichem Eifer in eine Sicherheitsdiktatur verwandeln, mit israelischer Technologie, bestens erprobt an den Palästinensern.
Mit Verachtung
23.Sept.2018 W.Behr