Kann man Antisemitismus bekämpfen?

Das Problem des Nahost-Konflikts und des Antisemitismus interessiert eigentlich sehr wenige Menschen in unserem Land, und sogar Juden interessieren sich kaum dafür. Sie leben in ihren Ghettos in einer sie schützenden Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit, glauben der israelischen Propaganda und den zynischen Worten ihrer Vorsteher und Präsidenten, dass alle Welt gegen sie sei, dass alle ohnehin Antisemiten seien. Man sollte ihnen diese Paranoia nicht nehmen.

Für die meisten Nichtjuden ist es kein Thema. Und wo stellt man das fest, wenn nicht auf einer Publikums-Buchmesse wie in Leipzig, wo mehr als 270 000 Besucher auf die Messe kamen und einen Stand mit Büchern zu diesem Thema links liegen ließen. Am Ende blieben in den vier Tagen vielleicht 150 Besucher stehen, diskutierten, debattierten und stellten Fragen. Das waren dann etwa 1,0 Promille der Messebesucher.

Das steht aber in einem krassen Widerspruch zu der Intensität, mit der diesbezügliche Fragen in den Medien, abgehandelt werden. Da könnte man glatt auf die Idee kommen, dass Antisemitismus das erste und größte Problem der Bevölkerung sei und im Mittelpunkt des nationalen Interesses stehe. 

So hat zum Beispiel die Frankfurter Rundschau am 12. Januar 2018 die ersten drei Seiten einem Interview mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, gewidmet. Auch die ZEIT hat das Problem Antisemitismus auf drei vollen Seiten erörtert. Es vergeht fast keine Woche in diesem Land, in der nicht ein Zeitungsartikel, ein Rundfunkfeature oder eine Fernsehreportage zum Thema gebracht werden. Heute, am 29. März 2018, wieder 5 Seiten in der FAZ-Beilage Quarterly. Und es sind immer wieder dieselben aufgewärmten Geschichten.

Die meisten Journalisten schreiben am eigentlichen Problem vorbei und sorgen somit letztendlich für eine Antisemitismus-Hysterie. Man beschwört Vorurteile und spricht von einem sekundären und primären, von einem alten und einem neuen, von einem israelbezogenen und –  neuerdings – von einem importierten muslimischen Antisemitismus. Von Vorurteilen ohne Weiteres auf Antisemitismus zu schließen, ist verantwortungsloser Unfug. Beim Vermessen von auf  Israel bezogenem Antisemitismus bei Umfragen wäre wegen des Nahost-Konflikts eine höhere Sensibilität zu wünschen. Der israelische Schriftsteller David Ranan schreibt in seinem kürzlich erschienen Buch „Muslimischer Antisemitismus“ (welches ich nur empfehlen kann!): „Hin und wieder begegnen uns Zweifel daran, ob das, was wir in unserer Umfrage erfassen, denn überhaupt Antisemitismus ist.“

Sina Arnold, eine „Expertin“ der besonderen Art, aber für die FAZ scheinbar gerade gut genug, glaubt fest daran und schreibt hemmungslos dummdreiste Artikel über ein Thema, von dem sie offensichtlich wenig Ahnung hat. Sie behauptet, dass etwa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung klassische antisemitische Einstellungen haben. Was ist eine klassische antisemitische Einstellung? Darauf gibt sie keine Antwort. Sie behauptet, dass ein Drittel der Bevölkerung sekundär antisemitische Aussagen bejaht wie zum Beispiel „Die Juden nutzen die Erinnerung an den Holocaust heute für ihren eigenen Vorteil aus“. Für mich als Juden ist das noch kein Antisemitismus. Das ist ein Vorurteil, ein Irrglaube, an den manche Menschen glauben. Uns Juden schadet es nicht, zumal es Juden gab und immer noch gibt, die dies tatsächlich tun, und das gilt ganz besonders für den Staat Israel.

Für mich als Juden ist Antisemitismus Hass auf Juden, weil sie Juden sind. Nicht mehr und nicht weniger. Was manche Stammtischgäste über Juden denken, ist mir vollkommen gleichgültig, solange sie sich im Rahmen der in diesem Land herrschenden Gesetze bewegen. Die Gedanken sind frei, und jeder kann denken und glauben, was er will.

Ferner behauptet Frau Arnold, dass sich bei einem Fünftel der Bevölkerung ein israelbezogener Antisemitismus findet. Was ist denn ein israelbezogener Antisemitismus überhaupt? Gilt er etwa für die widerlichen Slogans, die auf diversen Demonstrationen skandiert wurden? David Ranan gibt in seinem Buch darauf folgende Antwort: „Nein. Oder nicht unbedingt. Jemand mag einen guten Grund haben, Kindermörder Israel zu rufen, nachdem er einen Bericht über Gaza gesehen hat. Dass Juden dadurch gekränkt und verängstigt sind und dass einige Nichtjuden sich in ihrem Antisemitismus bestätigt fühlen, wird den Gestalter des Schildes nicht stören.“

Sina Arnold beklagt, dass bei einer Umfrage unter fünfhundert Jüdinnen und Juden 78 Prozent der Meinung waren, dass der Antisemitismus zunimmt und 83 Prozent fürchteten, dass es einen weiteren Anstieg in den nächsten Jahren geben wird. Sie fordert, diese Ängste ernst zu nehmen. Wie kann man aber solche manipulierten Zahlen ernst nehmen? Wenn tatsächlich 83 Prozent der Juden eine solche Furcht haben, dann frage ich mich, warum sie nicht auswandern, meinetwegen nach Israel. Das ist doch heute sehr leicht und wird von Israel sogar finanziert bis hin zur Bereitstellung einer Wohnung oder eines Hauses in den besetzten palästinensischen Gebieten. Ich jedenfalls merke nichts von einer solchen künstlich erzeugten und am Leben erhaltenen Befürchtung. Es gibt keine Massenauswanderung deutscher Juden. Den Juden in Deutschland geht es gut, und der Antisemitismus findet hauptsächlich in der Presse statt. Ich will damit nicht behaupten, dass es keine Antisemiten mehr in Deutschland oder in Frankreich gibt, aber sie stellen keine Gefahr für jüdisches Leben dar. Und wenn, wie diese Tage in Frankreich, eine fünfundachtzig jährige Jüdin, dazu noch Holocaustüberlebende, ermordet wurde, dann sollte man nicht sofort mit einer Massendemonstration reagieren, sondern erst auf die Ergebnisse der polizeilichen Untersuchung warten. Vielleicht war es gar kein Antisemitismus sondern Antizionismus oder nur ein gewöhnlicher Raubmord, der in Frankreich und Deutschland fast täglich passiert.

Und wenn andere Kritiker des israelischen Besatzungsregimes das Verbrennen einer israelischen Flagge zurecht als den politisch legitimen Protest einer vom Rassismus betroffenen Bevölkerungsgruppe bezeichnen, so verharmlosen sie den Antisemitismus keineswegs, sondern kritisieren diese peinliche Hysterie um den Antisemitismus. Wer wie Sina Arnold von „codierten Ausdrucksformen des Antisemitismus“ schreibt, der sollte diese Codes offenlegen und keine Verschwörungstheorien in die Welt setzen. Aber sie hat nicht mehr anzubieten als die lächerliche Behauptung, dass sich solche Ausdrucksformen bei den aus „Syrien, dem Irak und Afghanistan“ Geflüchteten zeigen, weil diese glauben, dass Juden reich und machtvoll“ seien und weil ihnen „das Ausmaß des Holocaust nicht bekannt war“. Wie vielen Deutschen ist das Ausmaß der Verheerungen in Syrien, Irak und Afghanistan bekannt?

Sina Arnold hat aber ihre Schulaufgaben nicht gemacht und versäumt es, die von ihr zitierten antisemitischen Straftaten aus dem Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus richtig und vollständig zu zitieren bzw. überhaupt zu erwähnen. Sie schreibt: „Über ein Fünftel der hier Lebenden hat einen Migrationshintergrund…und mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat eine Person mit Migrationshintergrund im erweiterten Familienkreis. Das war vor zwanzig Jahren noch anders.“ Soll das etwa heißen, dass es vor zwanzig Jahren weniger antisemitische Straftaten gab und die Migranten die Zahl in die Höhe trieben. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt, wie uns die o.a. Studie belehrt. 2001 gab es in Deutschland insgesamt (von rechts, links, Ausländer und sonstige) 1691 Straftaten, wobei ich gar nicht bewerten will, was für Straftaten das waren. 2010 waren es aber nur noch 1268. Ein Rückgang um ca. 25 Prozent. Es stimmt also, vor zwanzig Jahren war es anders, aber nicht besser.

Frau Arnold betont die deutsche Verantwortung gegenüber Israel. Ach so? Deutschland hat eine Verantwortung für die Shoah gegenüber dem jüdischen Volk, und Israel ist gewiss nicht mit dem jüdischen Volk gleichzusetzen. Israel ist ein Staat wie jeder andere, und zu seiner Geburt wünschten sich die zionistischen Gründer nichts sehnlicher, als dass der Staat so beurteilt wird wie jeder andere Staat auch. Und im Übrigen leben in Israel annähernd 25 Prozent Nichtjuden, und diese fühlen sich wie die Juden der Juden, und ihnen gegenüber hat Deutschland auch eine Verantwortung, wenn auch aus einem ganz anderen Grund.

Und wie will Frau Arnold nun den Antisemitismus bekämpfen? Indem sie Migranten zwingt, Israel zu akzeptieren, zu achten, Migranten, die zum Teil auch wegen der völkerrechtswidrigen Politik Israels fliehen mussten. Sie beklagt, dass in Syrien in der Schule kaum über den Holocaust gesprochen wird. Was haben die Syrer mit dem Holocaust zu tun? Wird denn in deutschen Schulen die Ausbeutung des Nahen Ostens durch europäische Mächte gelehrt ? Wird in deutschen Schulen von den Gräueln der Kreuzzüge berichtet, die im Nahen Osten ein nachhaltiges Trauma hinterließen.

Peinlich wird Frau Arnold, wenn sie die Sprache der Nazis benutzt und vom „Erzfeind“ schreibt und diesen mit dem arabischen Nationalismus identifiziert.  Juden und Araber sind keine Erzfeinde und waren es nie. Araber und Türken haben Juden aufgenommen, als sie aus Spanien vertrieben wurden und auch als sie vor den Nazis geflohen sind. Allein in Palästina mehrere zehntausende. Die Juden sind in der arabischen Welt zwar nicht gleichberechtigt gewesen, aber sie sind niemals verfolgt und ermordet worden wie im christlichen Europa.

Ärgerlich ist es, wenn Arnold Unterschiede macht zwischen Antisemitismus und Rassismus, denn genau hier liegt der Hund begraben.

Antisemitismus ist Rassismus, und Rassismus lässt sich zwar nicht abschieben, aber auch nicht so bekämpfen, wie es zur Zeit in Deutschland gemacht wird, indem man Kritiker der israelischen Politik als Antisemiten diskreditiert und damit noch mehr Öl ins Feuer des Antisemitismus gießt. Mit solchen Beiträgen schafft Frau Arnold Antisemitismus und die FAZ-Beilage Quarterly  bietet ihr dafür eine Plattform.

3 Gedanken zu „Kann man Antisemitismus bekämpfen?

  1. Die Israelisierung Deutschlands (siehe auch Christophe Ayad in Le Monde) scheint nahezu abgeschlossen. Heute in allen Nachrichten darf auch Ex-Finanzminister Schäuble sich beklagen, dass der Antisemitismus in Deutschland rasant zunehme und seine Ursprünge auch in der muslimischen Bevölkerung Deutschlands habe. Und für Andreas May von DF versteckt sich Antisemitismus oft hinter Israelkritik und er werde durch Links wie Rechts getragen. Dank Aussenminister Maas werde endlich die unverbrüchliche Freundschaft zu Israel wieder hergestellt, die sein Vorgänger leider beschädigt habe. In der SZ gleich zwei Artikel dazu von Susanne Klein und Matthias Drobinski mit der Behauptung, dass der Antisemitismus in den muslimischen Ländern Staatsraison sei. Und es folgt immer wieder die Aufzählung längst bekannter Fälle von Übergriffen gegen jüdische Schulkinder und Restaurantbesitzer.

  2. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass die Verwendung des Begriffs „Antisemitismus“ durch die Regierung in Berlin und die dazugehörige Presse benutzt wird um in Deutschland ein anti-islamisches Klima zu erzeugen.
    Seit 2015 hat Frau Merkel durch ihre Politik der grenzkontroll-freien Einwanderung einen Riss in Deutschland produziert, den sie mit Worten oder Taten nicht mehr zukleistern kann. Da kommt der sog. Antisemitismus gerade recht. Mit dieser Wortkeule kann man die Frustration in Deutschland wegen einer verfehlten Politik schön im Zaum halten und gleichzeitig kann man mit diesem Begriff ein bisschen Frust ablassen: Ha, die Muslime bringen Antisemitismus nach Deutschland! Da wissen wir Christen doch, wo der Feind steht: Beim Islam!
    Wenn die gemainstreamten deutschen Zeitungsleser bei diesem Gedankengebäude angekommen sind, hat die politische Propaganda erreicht, was sie wollte: Spaltung, Angst das Falsche zu sagen usw..
    Wenn in der veröffentlichten politischen Diskussion irgendeine Religion zum Thema wird, ist Vorsicht geboten, denn hier soll von handfesten politschen, wirtschaftlichen Machtkonflikten abgelenkt werden.
    Und dieser Ablenkung bedient sich die Regierung in Berlin genauso wie die in Tel Aviv und anderswo!

  3. Die m. E. zurecht historisch begründete Staatsräson bezüglich Israels Sicherheit, die aber kein Blankoscheck sein darf, wird seit längerer Zeit in der deutschen Öffentlichkeit eher zur Desinformation missbraucht. In den meinungsbildenden Medien wird über das tägliche Geschehen, den Terror der israelischen Besatzungsmacht und der israelischen Regierung im palästinensischen Westjordanland, völlig unzureichend und einseitig berichtet. Offensichtlich wirkt die ständig postulierte Gleichsetzung von Israelkritik und Antisemitismus zunehmend bei den Medien und soll bei der Masse wirken, denn jeder Israelkritiker wird sofort zum Antisemiten erklärt. Diese vom Zentralrat der Juden offensichtlich verlangte Wertung muss strikt zurückgewiesen werden, sie ist einfach nicht zutreffend. Was hört man dazu eigentlich von unseren gewählten Volksvertretern ? Nichts. Was tut Deutschland zur Beseitigung des israelischen Besatzungsregimes ? Nichts. Das ist aber das Kernproblem.

Schreibe einen Kommentar zu Wolfgang Behr Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert