Kotau der Fraktion „Die Linke“ vor „deutscher Staatsräson“

von LAG Gerechter Frieden in Nahost

Genossinnen und Genossen,

wie andere Mitglieder unserer Partei, müssen auch wir unser großes Entsetzen darüber zum Ausdruck bringen, in welchem Ausmaß die Fraktion der Linkspartei mit ihrem am 17.05.2019 in den Bundestag eingebrachten Antrag

„BDS-Bewegung ablehnen – Friedliche Lösung im Nahen Osten befördern“

inzwischen bereit ist, auch noch die letzten Reste antiimperialistischer Positionen über Bord zu werfen und mit diesem Antrag nur noch graduell, aber keinesfalls mehr essentiell von den neoliberalen Parteien und Positionen im Nahost-Konflikt unterscheidbar ist. Mangelndes Wissen in der Fraktion kann es nicht gewesen sein, denn genügend unserer Abgeordneten waren über die Jahre vor Ort in den militärisch besetzten Gebieten der West Bank gewesen, auch in der Vorhölle Hebrons (zuletzt im November 2018). Statt dessen suchen unsere Fraktionen in Berlin und in Brüssel offensichtlich den Konsens mit der riesengroßen Koalition von CDU/CSU, SPD, FDP bis Grünen (und in diesem Falle sogar inhaltlich mit der AfD!). Berichtigt uns, wenn wir falsch liegen. Fest steht jedenfalls: Sie unterwerfen sich so der brutalen 52-jährigen Besatzungspolitik Israels und der nun einsetzenden Annexionspolitik Netanjahus und Trumps und opfern die legitimen und elementarsten Lebensinteressen der PalästinenserInnen. 

Bereits mit dem Fraktionsantrag zu „70 Jahre Israel“ vom 25.04.2018 hattet Ihr vergleichbare Positionen eingenommen und einer Kriminalisierung der BDS-Kampagne das Wort geredet. Wegen der Bedeutung des damaligen Antrages verweisen wir auf die dem folgenden Link zu entnehmende Erklärung der AKL vom 13.05.2018, sie wurde euch allen zugeleitet.

Auf den Bundes- und Landesparteitagen wurden entsprechende Debatten regelmäßig unterdrückt, stets mit bürokratischen Vorwänden, nie mit inhaltlichen Argumenten. Auf dem Hannoveraner BPT 2017 hatten wir genau das gefordert: Sanktionen gegen Israel – Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel. Der Bundesvorstand schrieb damals erst einen Ersetzungsantrag und verhinderte dann auf dem BPT die Behandlung unseres Antrags – exakt am 11. Juni 2017, am 50. Jahrestag der Besatzung. Auch hatten wir euch bereits damals darauf hingewiesen, dass die Partei mit solch einem Verhalten eigene Beschlusslagen der European LEFT vom Berliner Kongress 2016 und auch EU-Recht verletzt.

Wir müssen die traurige Bilanz ziehen:  Wir haben es ganz offensichtlich nicht vermocht, euch von diesem erneuten Kotau vor der deutschen Staatsraison abzuhalten! Von nicht wenigen Menschen haben wir gehört, dass für sie nach diesem Antrag unsere Partei endgültig unwählbar geworden ist. Vielleicht ist das auch ein Grund mehr für das schlechte Abschneiden der LINKEN bei der Europawahl.

Und am 17.5. diskreditiert nun die deutsche LINKE. die derzeit einzige nennenswerte palästinen-sische zivilgesellschaftliche und international bekannte und unterstütze Kampagne, die gewaltfrei das eine simple Ziel verfolgt, Druck auf Israel auszuüben. Ein Ziel, das moralische und völker-rechtlich verbindliche PFLICHT eines jeden politischen Akteurs ist: Druck auf Israel auszuüben endlich das Völkerrecht zu befolgen und es so zu veranlassen, dem palästinensischen Volk sein legitimes Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen – Besatzung und Blockade sofort und vollständig zu beenden, den Vertriebenen und Geflüchteten das Recht auf Rückkehr zuzugestehen und in Israel die systematische Diskriminierung für 20 Prozent seiner Staatsbürger zu beenden.

BDS kann politisch, taktisch, strategisch durchaus unterschiedlich bewertet und sollte dahingehend auch weiterhin ständig kritisch, aber solidarisch überprüft werden. Diese zivilgesellschaftliche Kampagne jedoch in irgendeiner Form als illegitim, unrechtmäßig oder gar antisemitisch zu verleumden, ist vollständig absurd und entbehrt jeglicher Grundlage.

Jüdische (sowohl deutsche als auch israelische) BesatzungsgegnerInnen fragen uns derzeit völlig konsterniert: Welches Mittel des Widerstandes gegen die Besatzung sollen die PalästinenserInnen denn eurer Meinung nach wählen, wenn ihr ihnen die völkerrechtlich einzigen friedlichen Mittel (Sanktionen) absprecht und mit diesem Antrag (zusammen mit AfD, Grünen, FDP, SPD und CSU und CDU) aus der Hand schlagt. Welches Mittel schlagt ihr denn vor, um die israelische Militärdiktatur über die besetzten Gebiete zu beenden?

Eine solidarische, internationalistische Kraft – egal wann in der Geschichte, egal wo auf der Welt – agiert so nicht; eine solidarische LINKE hat immer und überall nur einen Platz, und zwar an der Seite der Opfer, der Geschundenen, der Elenden, der Besetzten, der Entrechteten. Dass die militärisch unterdrückte palästinensische Zivilbevölkerung (und über 635 ihrer Basisorganisationen!) mit ihrer gewaltfreien BDS-Kampagne ausschließlich die Beendigung der Besatzung, die Herstellung gleicher Rechte und mit nicht EINER Silbe die angebliche „Zerstörung des Staates Israel“ anstrebt, wird von euch nicht nur mit keinem Wort erwähnt, sondern sogar implizit geleugnet! Ausgeblendet blieb vor allem die menschenverachtende Politik der israelischen Regierung und ihrer Militärverwaltung: die Besatzung mit ihren völkerrechtswidrigen, aber systematischen Praktiken, die Annektierung, die Beschlagnahme von Grund und Boden, der Bau von völkerrechtswidrigen Siedlungen, die Zerstörung von über 60,000 Häusern, die systematische Vertreibung von Einwohnern, die allnächtlichen Razzien, die Massenverhaftungen, die Folter und die Inhaftierung von Kindern, etc.

Die LINKE. hat sich mit diesem Antrag erneut dazu hergegeben, die Begründer und tausende internationale ehrliche, demokratische und v.a. antirassistische UnterstützerInnen der BDS-Kampagne zu diffamieren. Ihr habt euch unter beschämender Verdrehung der Tatsachen von ihnen öffentlich distanziert.

Moshe Zuckermann bringt es auf den Punkt: „So sieht es aus, wenn die Realität feige kaschiert wird und Feigheit zur Ideologie gerinnt… Das gesamte deutsche Parlament, von der liberal »differenzierten« Linkspartei bis zur resoluten AfD, hat der »antisemitischen« BDS-Bewegung die notwendige deutschbefindliche Lektion erteilt. Eine weitere Sternstunde deutscher Vergangenheitsbewältigung„.

Kerstin Cademartori, DIE LINKE., Hannover

Rezzak Yayar, DIE LINKE., Hannover

Anette Mücke, DIE LINKE., Hildesheim

(LSPR der LAG Gerechter Frieden in Nahost, DIE LINKE. Niedersachsen).

PS:  Stellungnahme der palästinensischen Zivilgesellschaft zum inter-fraktionellen Bundestagsbeschluss: Palestinian Civil Society Statement in Response to the German Bundestag: Anti-BDS Resolution Violates Principles of International Law, Stands against Palestinian Civil Society and Aspirations for Freedom, Justice, and Dignity    (LINK)

4 Gedanken zu „Kotau der Fraktion „Die Linke“ vor „deutscher Staatsräson“

  1. Die Linke sollte sich in Grund und Boden schämen so wie der ganze Bundestag..
    Menschenrechte gelten für alle Menschen. Auch für Palästina.

  2. Man sollte das alles mit schwarzen oder trockenem Humor nehmen; den kann man von Deutschen nicht erwarten, die kennen mehr dreckige Witze. Es sind mechanisch denkende und fühlende Menschen., die nur auf Kanälen schippern. Deutsche Nebenflüsse sind für deutsche Vehikel nicht schiffbar. Sie sind so was wie politische Steueroasen, wo sich Verweigerer aller Art tummeln. Zum Boykottaufruf ist der deutsche Boden nicht vorbereitet, es ist als närrisch, aus unvorbereitetem Feld zu sähen.

  3. Die „Linkspartei“ möchte mit aller Kraft den Anschluß an die bundesdeutschen Konsensparteien erreichen, dabei ist sie bereit nach und nach alle Positionen zu opfern, für die sie für manchen noch wählbar war. Dies beginnt beim Pazifismus, den Gregor Gysi schon vor Jahren verbannen wollte, der uneindeutigen Haltung zur EU -wunderschön auch zwischen den Zeilen im Euopawahlprogramm zu lesen, oder auch der Haltung zur BDS-Kampagne. Wenn statt der Linken ein Herr Habeck den Enteignungsparagraphen des GG ins Gespräch bringt, um die Mietenpreisexplosion zu stoppen, dann ist dies gleichzeitig die Bankrotterklärung der Linken. Und wie die Linke den totaloppositionellen „Rechtspopulisten“ die vor allem ostdeutschen Wähler/innen abspenstig machen möchte, wenn sie zum Futtertrog der „Mitte“ strebt, bleibt ihr Geheimnis. Für jeden ersichtlich wurde das endgültige Kippen der Partei, als Frau Wagenknecht ihren Posten aufgab – sie weiß warum!

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