Nahöstliches Zerrbild der EKD

von Sabine Matthes

Sehr geehrter Herr Dr. Martin Hauger, sehr geehrte evangelische Kirche in Deutschland

als Referent für Glaube und Dialog sprechen Sie (im Namen der EKD?) in Ihrem Interview „Einseitige Schuldzuweisungen verweigern“, in Junge.Kirche 1/19, über „Antisemitismus in der politischen Diskussion über den Israel-Palästina-Konflikt in Deutschland“.

Da ich als Fotografin und Journalistin Israel/Palästina und die palästinensischen Flüchtlingslager in Libanon, Syrien, Jordanien mehrfach bereist habe, bin ich geschockt über Ihre Ansichten. Wenn das die Sichtweise der EKD ist, ist das nicht mehr meine Kirche! Die Deutschen haben den Holocaust begangen, nicht die Palästinenser – vertrieben, enteignet, entrechtet und ausgebürgert wurden aber die Palästinenser. Von „unserem“ Martin Luther gibt es übelste antisemitische Ausfälle, die Nazis beriefen sich ua auch darauf. Sie und die EKD scheinen sich von dieser Schuld und Verantwortung, die wir als Deutsche und Martin-Luther-Nachfolger haben, auf den Schultern der Palästinenser „entschulden“ zu wollen, wenn Sie Israel nicht klar verurteilen, und damit neue Schuld aufladen!??

Natürlich muss ein Unrecht, die israelische Apartheid, klar benannt werden, um zu gerechten Lösungen zu kommen! Wenn ein Arzt keine Diagnose stellt, kann es keine Heilung geben! 

Im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 wurden 750.000 Palästinenser vertrieben, enteignet und ausgebürgert, nur 150.000 blieben. Der politische Zionismus, von Ben Gurion bis Netanjahu, will ein mehrheitlich arabisches Land in einen mehrheitlich jüdischen Staat verwandeln. Martin Buber, ein Vertreter des humanistischen Kulturzionismus, trat damals, vergeblich, gegenüber Ben Gurion für eine Rückkehr der Flüchtlinge ein. Vertreter eines Kulturzionismus, wie Buber und Hannah Arendt, waren auch für einen gemeinsamen jüd.pal. Staat, aus Angst vor einem jüd. Sparta, welches die Werte des Judentums verraten würde.

Wie im ehemaligen Apartheid Südafrika, wo ein mehrheitlich afrikanisches Land in einen Staat der Weissen verwandelt wurde, wurde in Israel mittels ethnischer Säuberung (1947-49) und Apartheid-ähnlichen Gesetzen – zB Absentee Property Law 1951, womit all die pal. Flüchtlinge enteignet wurden, um ihr Land den einwandernden Juden zur Verfügung zu stellen – sicher gestellt, dass es eine jüdische Mehrheit gibt, wo vorher eine arabische Mehrheit lebte.

Sehen Sie sich die Landkarten von Israel/Palästina zwischen Mittelmeer und Jordan an, von 1947 bis heute, und Sie sehen, wie der Landbesitz von den arabischen Einheimischen zu den jüdischen Einwanderern wechselte.

Wieso zitieren Sie nicht Völkerrecht, Menschenrecht und UNO Resolutionen anstatt den idiotischen „3-D-Test“??? Meinen Sie etwa dass die Rückkehr der pal. Flüchtlinge, UNO-Res. 194, das Existenzrecht Israels „delegitimieren“ würde? Die Rückkehr der Rohinjas nach Myanmar ist auch keine „Delegitimierung“ Myanmars. In Südafrika und USA bedeutete eine rechtliche Gleichstellung von Schwarzen und Weißen keineswegs eine  „Delegitimierung“ des Landes! Im Gegenteil, echte Demokratie ist gar nicht möglich, wenn die Hälfte der israelischen Bevölkerung, dh die pal. Flüchtlinge, entrechtet und ausgebürgert ist!

Haben Sie zB die Flüchtlingslager der CHRISTLICHEN Palästinenser im Libanon besucht? Denken Sie ernsthaft, wenn diese Christen an ihre angestammte Heimat nach Galiläa, Haifa, usw zurück gingen, würde dadurch „Israel delegitimiert“?? Wieso sollten ausgerechnet Sie – beladen mit der historischen Schuld deutscher Nazi-Verbrechen und des Antisemitismus eines Martin Luther! – Jerusalem besuchen dürfen, während den daran komplett unschuldigen palästinensischen Christen dies von Israel seit 70 Jahren verweigert wird!!??

Nein, sehr geehrter Herr Dr. Hauger, wenn Sie dieses schreiende Unrecht nicht beim Namen nennen, spricht aus Ihren Worten eine menschenverachtende Feigheit, die Palästinensern weniger Rechte zugesteht, als Ihnen selbst! Einer solch überheblichen, anmassenden Kirche möchte ich keine Kirchensteuer mehr zahlen!

https://bdsmovement.net/what-is-bds  Wollen Sie ernsthaft Desmond Tutu „Antisemitismus“ vorwerfen, weil er die Apartheid Südafrikas mit Israel vergleicht? Wollen Sie Angela Davis „Antisemitismus“ vorwerfen, weil Sie die Entrechtung der Schwarzen in der früheren USA mit der Entrechtung der Palästinenser vergleicht? Immerhin benennt die BDS Bewegung Ursachen UND LÖSUNGEN des Konflikts, nämlich gleiche Rechte!! Wer hinter einer demokratischen Forderung nach gleichen Rechten „Antisemitismus“ wittert, der muss zumindest mit einer besseren Lösung aufwarten.

Wenn Sie die Homeland-Politik des ehemaligen Apartheid Südafrika als „Vorbild“ sehen, nun ja, wir alle wissen ja, dass es zu einer echten 2-Staaten-Lösung nie kommen wird. Den Palästinensern bleiben 10% ihres ursprünglichen Landes in zerstückelten Homelands. Ihrer Ansicht nach nehmen Sie all das in Kauf, um den Fetisch „Existenzrecht Israel“ weiter hoch zu halten??

Welches Israel meinen Sie denn, ein demokratisches inklusive seiner Flüchtlinge? In welchen Grenzen: 1947, 1949, 1967, 2019? Bitte geben Sie, wie Desmond Tutu, klare statements, benennen Sie Ursachen und Lösungen!!!

Wo würde Jesus heute stehen: an der Seite des israelischen Soldaten der auf pal. Flüchtlinge im Gaza-open-air-prison schießt, aus dem einzigen Grund, weil er sie von der Rückkehr in ihre Heimat abhalten soll, – oder an der Seite der palästinensischen Flüchtlingsfamilie im Libanon?

Würde er nicht diese Familie an der Hand nehmen und Sie nach Galiläa zurückgeleiten? Menschlich, christlich – ohne dabei an den „3-D-Test“ zu denken!!!

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Matthes

3 Gedanken zu „Nahöstliches Zerrbild der EKD

  1. Es ist doch ein fairer Deal: die EKD schließt sich der Auffassung führender Zionisten an und diese lassen die Erinnerung an die Hasstiraden ihres Religionsstifters Luther ruhen.

  2. Ich denke, man vermengt hier zwei Problemkreise; das Leid der Palestinenser ist eines. Es ist ein Folgeschaden der deutschen Besatzungspolitik in Polen und anderen Ländern. Diese fielen unter kommunistische Herrschaft; die Juden wandten sich dem Zionismus verstärkt zu mit allen Folgen. Das geschah in einer Zeit, als Frankreich seine Indochina – und Algerienkriege noch vor sich hatte. „Die Juden“ kamen mit ihrem Kolonialismus verdammt spät. Aber Revisionist zu sein bringt auch nichts. Man müßte nach einer pan-semitischen Lösung suchen.
    Der zweite Punkt ist die Tatsache, daß, so ungerecht die Lage der Pälestinenser auch ist, genauso unerträglich ist das heuchlerische Geschnatter von Deutschen gegen Israel. Einmal hätten die Deutschen die Mittel, den Palestinensern alternatives Land zu beschaffen und zu finanzieren,solches zu kultivieren; machen sie nicht. Dann könnten Sie gegenüber palestinensischen Flüchtlingen großzügig sein: für jeden ermordeten Juden wird ein Palestinenser eingebürgert. Machen sie auch nicht. Im Grunde setzen sie ihre frühere Rassepolitik gegenüber den Palestinsern fort. Dabei verstecken sie sich hinter der israelischen Kolonialpolitik und glauben, mit ihren philo-jüdischen Phrasen ihre erbarmungslose Haltung gegenüber den Palestinensern verschleiern zu können. Die deutsche Lügenpresse macht dies mit. Alle Deutschen lügen, das kann man schon bei Gustave Le Bon nachlesen, bei Churchill und sonst wo. Die deutschen Journalisten sind auch noch zu dumm,das zu durchschauen, weil ihr Blick auf Palestina fixiert ist statt auf die deutsche Politik, die sie nicht zu kritisieren wagen. Und die protestantischen Kirchen predigen ohnehin traditionell so, wie der deutsche Spießbürger es hören will. Er zahlt dafür schließlich seine Kirchensteuer.

  3. @ E. Lobenstein
    Sie schrieben: “ Einmal hätten die Deutschen die Mittel, den Palestinensern alternatives Land zu beschaffen und zu finanzieren,solches zu kultivieren; machen sie nicht. Dann könnten Sie gegenüber palestinensischen Flüchtlingen großzügig sein: für jeden ermordeten Juden wird ein Palestinenser eingebürgert. Machen sie auch nicht.“
    Mich interessiert, verehrter Herr Lobenstein, wo Deutsche dieses Land für Palestinänser „beschaffen und finanzieren“ sollen?! Was ist Ihre konkrete Vorstellung? Lybien übernehmen? Irak besetzen? Zypern mit Beton vergrößern?? Um dann dort Palestinenser anzusiedeln?
    Also, das würde mich schon als Deutsche sehr interessieren, wo wir denn für die Palestinänser noch LAND BESCHAFFEN SOLLEN, damit die Zionisten ein „rassereines“ Israel leben können.
    Für jeden ermordeten Juden einen Palestinänser in Deutschland einbürgern?
    Haben da nicht Ihre deutschen Mit-Juden ein bisschen Angst, wenn sie in die Freitagsmesse gehen… (Christchurch)???
    Sie geben Vieles zu bedenken, allerdings sollte ein Jeder das durchdenken!
    Mit freundlichen Grüßen und in Erwartung Ihrer Antwort.
    C.O.

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