Nicht in unserem Namen! Laudatio anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2019

von Nirit Sommerfeld

Wie sind „die Juden“? Vor allem sehr verschieden, meint Nirit Sommerfeld. Weder herabwürdigende noch auch gut gemeinte Verallgemeinerungen sind angebracht. Niemand hat das Recht, zu bestimmen, wer ein „guter Jude“ ist und „dazugehört“. Leider maßen sich Israels Regierung und der ihr treue Zentralrat der Juden in Deutschland gerade dies oft an. Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ wurde wegen ihres Einsatzes für eine Aussöhnung mit den Palästinensern als „Nestbeschmutzerin“ abgekanzelt. Man versuchte, die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Organisation mit allen Mitteln zu verhindern, und Göttingens Honoratioren kuschten reihenweise. Dabei berufen sich gerade die aufrechten Preisträger auf ein reiches humanes Erbe des Judentums. Laudatio von Nirit Sommerfeld anlässlich der Preisverleihung, die am heutigen Samstag dennoch stattfinden konnte.
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Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Dr. Roland Röhl Stiftung! Herr Röhl, Herr Prof. Neuneck, Frau Stockmann, Frau Barann, Herr Repp!

Hochverehrte Jury! Lieber Andreas Zumach, liebe Frau Merkel und Frau Dr. Mehl!
Liebe Gastgeberin hier in der die Galerie Alte Feuerwache, Gisela Hyllus und lieber Jörg Dreykluft, denen ich ganz herzlich danke für die Überlassung ihrer schönen Räumlichkeiten in diesen schwierigen Zeiten!

Oberbürgermeister, Universitäts-Präsidentin, Sparkassenvertreter kann ich ja heute weglassen aus bekannten Gründen…

Liebes, verehrtes Publikum, das sich hier in Göttingen von nah und fern eingefunden hat,

liebe Gäste an den Übertragungsbildschirmen – und liebe, hoch verehrte Preisträgerin! Herzlich willkommen!

Ich habe die Ehre, die Laudatio auf die diesjährige Preisträgerin des Göttinger Friedenspreises zu halten, die ‚Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost’ (JS).

Ich möchte Ihnen etwas erzählen über deren Ursprünge, Geschichte, Ziele und Visionen, über die Menschen, die hinter dieser Stimme stecken, und vor allem sollen Sie etwas über die Arbeit erfahren, die die JS in den vergangenen 16 Jahren ihres Bestehens geleistet hat und für die sie hier – zu Recht – gewürdigt wird.

Menschen erkennt man an ihren Taten, ihren Handlungen, hat Hannah Arendt gesagt. Handeln und sprechen – Tätigkeiten, die im öffentlichen Raum stattfinden – gehören laut Hannah Arendt zusammen, und wenn Menschen sich sprechend und handelnd in die Welt einschalten, sagt sie, dann offenbaren sie, wer sie sind. Lassen Sie uns also gemeinsam sehen und vor allem hören, was die ‚Jüdische Stimme’ öffentlich und in der Welt zu sagen hat.

Im Jahre 2003 wählte eine Gruppe von in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden den schicksalhaften 9. November zum Gründungstag einer neuen Organisation. Unter dem Namen ‚Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost’ riefen sie die deutsche Sektion einer Vereinigung jüdischer Organisationen ins Leben, die sich ein Jahr zuvor in Amsterdam formiert hatte und die sich ‚European Jews for a Just Peace’, kurz EJJP’ nannte: Europäische Juden für einen gerechten Frieden. Aus Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Italien, Österreich und der Schweiz waren Jüdinnen und Juden zusammen gekommen, die bei aller Unterschiedlichkeit eines einte: die Überzeugung, dass die gewaltvolle
Besatzungspolitik Israels zum Wohl des palästinensischen Volkes beendet werden müsse – und dass dies auch dem Wohle Israels dienen würde.

Unter der Überschrift „Don’t say you didn’t know“ – „sage nicht, Du habest nichts gewusst“ – forderten sie die Beendigung der israelischen Besatzung der Westbank, Gazas und Ostjerusalems, die Anerkennung der Grenzen von 1967, die Räumung der illegalen Siedlungen, Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt für Israelis und Palästinenser sowie eine faire und gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage, zu der Israel beitragen sollte.

Der 9. November war für die Gründung der deutschen Sektion der EJJP nicht zufällig gewählt. Der 9. November 1938, die Reichspogromnacht, ist für immer in unser Gedächtnis eingebrannt und mahnt uns, die Zeichen von Ausgrenzung, Erniedrigung und Entrechtung von jüdischen Menschen in Deutschland niemals zu vergessen. Am 9. November 1938 wurde aller Welt, zumindest in Deutschland klar, dass der systematischen und massenhaften Vernichtung von Jüdinnen und Juden Tür und Tor geöffnet wurde, indem sie endgültig ihrer Selbstbestimmung beraubt wurden. >>>

Rede anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an „Jüdische Stimme“

von Iris Hefets

Die Vorgeschichte dieser Veranstaltung zeigt auch, dass, wenn von israelischer Politik gesprochen wird, dann wird vor allem in Deutschland oft nicht über Politik gesprochen, sondern vielmehr über Identität. Nicht wenige jüdische und nichtjüdische Deutsche versuchen, ihre Schwierigkeiten mit ihrer Identität durch eine kritiklose Identifizierung mit dem Staat Israel zu lösen. Egal welche Politik die israelische Regierung betreibt, sie sind dabei. 


Sehr geehrte Frau Barann, sehr geehrter Herr Röhl, verehrte Vertreter von Stiftung und Jury, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitstreiter und natürlich liebe Mitglieder der Jüdischen Stimme!

Es ist eine große Ehre, einen Friedenspreis zu erhalten, und eine noch größere, in die ehrwürdige Liste der Träger des Göttinger Friedenspreises aufgenommen zu werden.

Nach diesen turbulenten Tagen sage ich dazu auch: es ist eine große Errungenschaft. Wir sind wahrscheinlich der einzige Preisträger, der sich bei der Benachrichtigung über die Preisverleihung sehr freute, gleichzeitig aber schon wusste, dass er sich warm anziehen muss. Mit den Angriffen und Verleumdungen war zu rechnen.

Wir bedanken uns von ganzem Herzen bei den Mitgliedern der Jury und der Stiftung Dr. Roland Röhl, die durch sein Testament ins Leben gerufen wurde. Es bedeutet neben der Ehre auch eine große Verantwortung, dem Namen und Engagement von Roland Röhl gerecht zu werden. Roland Röhl war längere Zeit krank und gründete diese hoffnungsvolle Stiftung in seinen letzten Tagen. Während er den Kräfteverfall seines Körpers erlebte, hinterließ er ein Lebenszeichen. Wir hoffen, seinem Vorbild, auch in schwierigen Zeiten bei sich zu bleiben und um zukünftiges Leben und den Frieden zu kämpfen, folgen zu können. Und ich kann nur hoffen, dass er, wenn er wüsste, wie lebendig und emanzipatorisch der Prozess bis zur dieser Preisverleihung verlief, es so für gut befunden hätte.

Ich kann nicht verschweigen, dass das Erlebnis, als Juden und Jüdinnen unerwünscht zu sein, sehr unangenehm ist. Während die Stiftung nach einer Herberge suchte, wurden wir aber gleichzeitig mit so viel Unterstützung, Anerkennung und Dank bedacht, dass wir sehr berührt sind und uns gut aufgehoben fühlen. Wir wurden nicht allein gelassen und wissen das sehr zu schätzen. Unser großer Dank geht daher nicht nur an die Stiftung und die Jury, sondern an all die Menschen, die sich nicht scheuen, sich politisch zu engagieren, dem sozialen Druck der Konformität nicht nachgeben und nicht die Angst herrschen lassen. Ihre und Eure Solidarität ist Sauerstoff für uns kleine Fische im trüben Verleumdungsteich. Wir sind von diesem Einsatz für demokratische Werte besonders abhängig.  Weiterlesen

IHRA „Arbeitsdefinition Antisemitismus“

 „Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Auf diese verkürzte, absurde und falsche Arbeitsdefinition des Antisemitismus stützt Felix Klein, der sogenannte Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, seine Arbeit und sein Wissen um den Antisemitismus. Mit Hilfe dieser Definition will er, nach eigenen Angaben, die verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus frühzeitig erkennen und bekämpfen. Allerdings sieht er leider den Antisemitismus dort, wo er am allerwenigsten existiert, nämlich im Islam und „insbesondere bei Flüchtlingen“, denen er „die Prävention von Antisemitismus“ zumuten möchte.

Die Bundesregierung beschloss am 20. September 2017 diese Arbeitsdefinition zu übernehmen, was von fortschrittlichen jüdischen Gruppen abgelehnt wurde.

Als Jude, der sich schon Jahrzehnten mit diesem Phänomen beschäftigt, kann ich nur staunen. Ich frage mich wieso der Antisemitismus, ich meine den echten Antisemitismus, nur eine Wahrnehmung von Juden sein soll. Nehmen denn Nichtjuden wie Felix Klein den Antisemitismus nicht wahr und sind deshalb auf solche primitive Arbeitsdefinitionen angewiesen? Kann man überhaupt Antisemitismus in eine Arbeitsdefinition ausdrücken, als wäre es eine mathematische Gleichung? Und wieso richtet sich Antisemitismus auch gegen „nicht-jüdische Einzelpersonen“ und deren Eigentum?  Weiterlesen

Otzma Yehudit – Jüdische Macht: Wie lange will der Zentralrat der Juden noch schweigen?

Antisemitismus ist heute ein echtes Problem und zugleich ein Schreckgespenst. Es stimmt, was Hajo Meyer gesagt hat, dass früher derjenige als Antisemit galt, der Juden hasste, und heute derjenige Antisemit genannt wird, den die Juden hassen. Der bekannte jüdische Satiriker Roda Roda wird gern von Zionisten wie Broder mit der Bemerkung zitiert: „Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden“.

Nun haben sich jüdische Funktionäre und Politiker seiner tatsächlich angenommen und denunzieren jüdische Friedensaktivisten und Gelehrte als Antisemiten, und deutsche Akademiker, Unidirektoren, Oberbürgermeister und Sparkassendirektoren verweigern Juden – von einem jüdischen Funktionär dirigiert –, die Meinungsfreiheit und verwehren ihnen Räume, wie einst die SA. Da wird ihnen gern „jüdischer Selbsthass“ unterstellt. Was mag dieses „rätselhafte Phänomen“, wohl sein? Was ist es, das jüdische Funktionäre wie Schuster und Knobloch, oder jüdische Intellektuelle wie Broder und Wolffsohn dazu verleitet, sich derartig verächtlich gegenüber anderen Juden zu äußern? Menschen, die behaupten, in Israel passiere – abgesehen vom Holocaust –Vergleichbares wie im Dritten Reich sind nach Broders Überzeugung Antisemiten. Dabei schrieb er selbst in der Jüdischen Allgemeinen, dass Israelis – und er meinte Juden – Täter sind. Ja, was gilt denn nun?

Die überwiegende Mehrheit der Deutschen verabscheut die jüngsten Angriffe auf Juden und jüdische Institutionen, und nimmt sie sehr ernst. Manche jüdische Funktionäre allerdings bauschen sie derart auf, als sei das Dritte Reich kurz vor der Wiederauferstehung und die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ der erste Vorbote der antisemitischen Pogrome. Schuster, Broder und Knobloch, um nur wenige zu nennen, tun so, als ob der Antisemitismus die finale Phase der Endlösung der Judenfrage eingeläutet habe, dass ein zweites Auschwitz vor der Tür stehe. Sie unterstützen damit die amerikanische Anti-Defamation League (ADL), die sich mehr als alle anderen darum bemüht, das Bild eines grassierenden europäischen Antisemitismus zu verbreiten. Wie kommen sie dazu?  Weiterlesen

Universität Göttingen unterwirft sich dem Zentralrat der Juden

Cui bono – Wem nützt es?
Offener Brief von Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin an die
Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen
Frau Prof. Dr. Ulrike Beisiegel

Sehr geehrte Präsidentin,
liebe Ulrike,

mein Name ist Fanny-Michaela Reisin, Sie und ich wirkten während der 80er und 90er Jahre gemeinsam – vielleicht erinnern Sie es noch – in derwissenschaftlichen Friedensbewegung. Sie als Biochemikerin, ich als Informatikerin. Anfang der 90er
konzipierten wir den internationalen Friedens- und Kulturkongress „CHALLENGES – Science and Peace in a Rapidly Changing Environment“ und brachten mit internationalen Teilnehmenden die Vereinigung INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility) auf den Weg. Ich kehrte danach ins FIFF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V.)
zurück, Sie wahrscheinlich zu NatWiss (NaturwissenschaftlerInnen – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e. V.). Ich erinnere zwar noch ein Gespräch mit Ihnen über Israel, bin aber sicher, dass meine Herkunft zwischen uns nie zur Sprache kam. Ich wurde in Jerusalem geboren. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium nahm ich mein Studium an der Hebräischen Universität Jerusalem auf und erlebte im zweiten Studienjahr 1967 den sog. Junikrieg als Teil der Zivilverteidigung im Bunker der großen
Zentralbibliothek. Nach Bombardements auf zivile Stätten zogen wir aus, um die Menschen zu versorgen.

Der aktuelle Anlass für den vorliegenden Brief ist – Sie ahnen es sicher – die Auszeichnung der von mir im Jahre 2003 mit ins Leben gerufenen „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ (JS) mit dem diesjährigen Göttinger Friedenspreis. Der Grund ist die im Namen des Präsidiums der Georg-AugustUniversität publizierte Presserklärung in diesem Zusammenhang. Hier heißt es u. a.:“In der aktuellen Situation hat die Entscheidung zu einer Kontroverse geführt, bei der sich die Universität
keiner der kontrovers geäußerten Meinungen anschließen kann. Daher wird die Universität in diesem Jahr die Preisverleihung nicht unterstützen und die Verleihungsfeier kann nicht in Räumen der Universität stattfinden. /…/“

Ich bevorzuge die Anrede in der dritten Person, da ich Sie in erster Linie als Universitätspräsidentin anrufe. Überdies sehe ich uns in Kenntnis der Entscheidung Ihres Hauses auf verschiedenen Seiten. Gleichwohl habe ich, da die online einsehbaren Angaben zu Ihrer Vita besagen, dass Sie sich der wissenschaftlichen
Friedensbewegung weiterhin verbunden fühlen, Grund zur Hoffnung, dass Sie meine Äußerungen, wenn schon nicht teilen, so doch zumindest verstehen werden.  Weiterlesen