Heimatrecht als Menschenrecht?

von Ludwig Watzal

Vor kurzem nahm ich als Teilnehmer einer Reisegruppe an einer Fahrt nach Südmähren teil, das ein Teil des Sudetenlandes bildete und direkt an Niederösterreich grenzt. Die Mehrzahl der Teilnehmer/innen wurden als Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewaltsam aus ihrer Heimat, dem Dorf Tasswitz (Tasovice), vertrieben. So auch meine Mutter samt meinen vier Geschwistern.

Keiner der Teilnehmer/innen äußerte auch nur ein Wort der „Rache“, „Vergeltung“ oder gar „Rückkehrwünsche“ weder innerhalb der Gruppe, geschweige denn gegenüber den tschechischen Bewohnern. Die Sudetendeutschen haben bereits in ihrer „Charta“ vom 5. August 1950 allen revanchistischen Forderungen abgeschworen. Was sie jedoch fordern, ist die Anerkennung eines „Rechtes auf Heimat“, das sie als ein von „Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit“ begreifen. Dass ein solches „Heimatrecht“ jemals völkerrechtlich kodifiziert werden könnte, erscheint mehr als fraglich.

Die Reisegruppe wurde auch vom Bürgermeister des Dorfes Tasovice empfangen und zu einem kleinen Imbiss in ein gerade neueröffnetes Restaurant eingeladen. Der deutsche Reiseleiter überreicht Gastgeschenke an den Bürgermeister und wies auch auf die Vertreibung der deutschen Bewohner aus Tasswitz hin. Besonders beeindruckend waren die beiden Eucharistiefeiern in der Clemens-Maria-Hofbauer-Wallfahrtskirche sowie in der Pfarrkirche des Ortes. Beide Messen wurden sowohl in deutscher als auch tschechischer Sprache abgehalten. Der heilige Clemens-Maria Hofbauer stammt aus Tasswitz und genießt nicht nur unter ehemaligen Südmährern hohe Verehrung.

Während dieser Reise spukte mir immer wieder das Schicksal der vertriebenen Palästinenser durch den Kopf. Sie verlangen ein Recht auf Rückkehr in ihre Heimat, das von den Vereinten Nationen in der Resolution 194 der UN-Generalversammlung anerkannt worden ist, wohingegen ein „Heimatrecht“, das heißt, ein Recht in seiner Heimat zu leben, im Völkerrecht noch keine Berücksichtigung gefunden hat. Da das Völkerrecht volatil ist, hängt es stark von den internationalen Machtverhältnissen und dem Konsens der UN-Mitgliedstaaten ab, was als verbindliche Norm im Völkerrecht anerkannt wird.  Weiterlesen

Wie können wir die Auswanderer zurückholen – und wie können wir sie überzeugen zu bleiben?

von Gai Rolnik

Es ist unmöglich, eine ausgewogene, ernste, professionelle und pragmatische Debatte über diese Frage zu führen. Sehr schnell wird der Redner oder Schreiber feststellen, dass Ärger und Frust die Feder führen: Wer braucht sie hier? Sie sollen gehen, oder die Drohung: Sie werden auf allen Vieren zurückkommen, oder die Feststellung: Wer überhaupt Israel verlassen möchte, ist es nicht wert, dass man um ihn kämpft.

Es reicht. Israel ist fast schon ein normaler Staat in jeder wirtschaftlichen Hinsicht. Das Bruttosozialprodukt per Einwohner gleicht in seiner Höhe dem der entwickelten Länder. Wir haben große Reserven an Devisen, natürliche Gasvorkommen, einen Überschuss an Vermögen in Devisen, eine gute Handelsbilanz und keine Inflation, wie im Westen üblich. Wir sind ein ziemlich durchschnittlicher Staat. Deshalb ist es auch höchste Zeit, dass wir unseren Diskurs über Auswanderung normalisieren. Nicht mehr „Abstieg aus dem Land“, nicht mehr „Zurückgebliebene Schwächlinge“. Auswanderung soll als eine legitime Diskussion kultiviert werden, wie sie in jedem anderen Staat geführt wird.

Vor einem Monat traf ich bei einem Kongress an der Westküste einen bekannten Professor, der Israel vor 30 Jahren verlassen hat. Er hatte Erfolg an der Stanford Universität, gründete eine High-Tech-Firma, verkaufte sie für einige hundert Millionen Dollar und kehrte zuletzt nach Israel zurück. „Israel“, sagte er zu mir, „ist ein Paradies. Meine Kinder genießen es jeden Augenblick. Es gibt wirklich keinen besseren Ort als Israel.“

Ein Start-Up-Typ, der Israel vor sieben Jahren verlassen hat, hörte unser Gespräch, mischte sich ein und sagte zynisch: „Natürlich, es ist klar, dass Israel ein Paradies ist. In dem Ghetto, das du dir in zehn Straßen in Tel Aviv gebaut hast, und in der ausgezeichneten Schule, eine der wenigen im Land, in die du deine Kinder schickst – sieht alles wunderbar aus.“ Der Professor lächelte verständnisvoll.  Weiterlesen

Aus Liebe zu Palästina oder Hass gegen Israel?

Zur Debatte, die zur Zeit im Verteiler von „Deutscher Koordinierungskreis Palästina Israel“ (KoPI) geführt wird, erlaube ich mir, einige Gedanken und Fakten hinzuzufügen, und fordere gleich am Anfang alle diejenigen auf, die sich an dieser Debatte nicht beteiligen wollen oder denen die Debatte peinlich und ärgerlich ist, die Löschtaste zu betätigen. Keiner soll gezwungen werden, Texte zu lesen, die er oder sie nicht lesen will, weil sie vielleicht sein Weltbild, seine Moral oder sein Rechtsempfinden in Frage stellen könnten.

Grundsätzlich glaube ich, dass man eine solche Plattform, wie sie KoPI uns bietet, gerade für Debatten nutzen sollte, auch wenn diese sich zuweilen gegen Personen und deren Verhalten richten muss. Jeder kann seine Meinung äußern, sich verteidigen oder seine Argumente kämpferisch vorbringen. Ich sehe darin eine lebendige Streitkultur. Es ist ein offener, doch geschützter Raum in denen man Probleme aufdecken und lösen kann.  Natürlich sollte man nicht persönliche Beleidigungen nur um der Beleidigungen willen vorbringen. KoPI ist sicherlich auch kein Platz, um persönliche Unstimmigkeiten zu verbreiten. Es lässt sich jedoch nicht immer vermeiden, dass man den einen oder anderen persönlich wegen seines Verhaltens, seiner Ideologie oder seiner Aussagen kritisiert. Im Interesse unserer gemeinsamen Ziele sollte es aber eine Selbstverständlichkeit sein, auf eindeutiges Fehlverhalten hinzuweisen.

Es geht um Meinungen, aber leider nicht nur um Meinungen, sondern auch um den Versuch mancher unter uns, ihre Meinung nicht nur als das allein Seligmachende zu verbreiten, sondern andere Meinungen und Personen mit teilweise sehr persönlichen Angriffen und Verleumdungen zu delegitimieren.

Wenn man sich dagegen wehrt und eine andere Meinung vertritt, wird man an die „Palästinasolidarität“ erinnert, die für mich ein Phantom ist.

„Die große Mehrzahl stellte fest, dass das dogmatische Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung, die tatsächliche Realität ignoriert“. Das konnte man lesen in der Schlusserklärung der Palästina Konferenz, die vom 26. – 28. September 2011 in Stuttgart stattgefunden hat. Und Evelyn Hecht-Galinski ergänzte mit folgender Aussage: „So geht es gar nicht mehr um die Frage Zwei Staaten oder ein Staat, sondern einzig und allein um die Frage, wie man den Palästinensern zu Gerechtigkeit verhelfen kann, dass sie frei und demokratisch leben können, wie es jedem jüdischen Israeli zugestanden wird. Und das ist nach realistischer Sicht der Dinge nur noch in einem Staat Palästina/Israel möglich“.  Weiterlesen

Zionismus und Rassismus

Vorabdruck. Geschichtliche Verfolgungsneurose, Expansionspolitik, religiöser Wahn und der Nahostkonflikt haben die ursprüngliche Idee einer jüdischen nationalen Souveränität in eine regressiv-repressive »Rückbesinnung auf sich selbst« verwandelt

von Moshe Zuckermann


Seine politischen Führer und Ideologen haben den Staat Israel vor eine Wahl gestellt, die nur zwei Möglichkeiten offen hält: Das Land kann sich zur Lösung des Konflikts mit den Palästinensern für die Zwei-Staaten-Variante entscheiden, d.h. eine Friedenslösung zwischen zwei souveränen Staaten Israel und Palästina akzeptieren. Es kann aber auch eine territoriale Teilung zwischen Israel und Palästina torpedieren. In diesem Fall entsteht innerstaatlich eine Struktur, die tendenziell zu jenem demographischen Zustand führt, bei dem die Juden zur Minderheit im eigenen Land werden.

Beide Möglichkeiten werden von vielen Israelis als unannehmbar betrachtet. Unser Autor leuchtet sie aus. Ein Aspekt bei diesem Vorhaben ist das Verhältnis von »Zionismus und Rassismus«. jW veröffentlicht das gleichnamige Kapitel aus Zuckermanns bald erscheinendem Buch »Israels Schicksal« ungekürzt und um Zwischenüberschriften ergänzt. (jW)

Am 10. November 1975 geschah etwas, das man für entweder gravierend oder – gemessen daran, dass dies Gravierende späterhin annulliert wurde – für nichtig erachten kann. Die UN-Vollversammlung entschied: »[…] der Zionismus ist eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung«. Die Stimmverteilung für und wider das Verdikt darf sowohl beim Beschluss als auch bei dessen nachmaliger Annullierung außer Acht gelassen werden; sie verdankte sich der jeweiligen, deutlich zeitgeistgeschwängerten politischen Konstellation der UN-Vollversammlung. Da aber der an den Zionismus ergehende Vorwurf des Rassismus durch die Aufhebung der institutionellen Entscheidung mitnichten aus der Welt geräumt ist, lohnt es sich, das Problem besagter Zuschreibung grundsätzlich zu reflektieren.

Man kann es sich dabei leichtmachen, indem man den Begriff des Rassismus auf seine ursprüngliche, namentlich biologistische Grundbedeutung zurückführt und nachweist, dass sich der historische Zionismus nicht durch ein ideologisches Postulat der Rassenreinheit auszeichnete. Zwar weist die jüdische Halacha1 in ihrer Definition des Juden eine biologische Komponente auf – Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde –, aber zum einen gründet diese Doktrin nicht im Zionismus, sondern im religiösen Judentum; zum anderen ist selbst sie prinzipiell »überwindbar«: Denn Jude ist auch der, der eine orthodox anerkannte Konversion zum Judentum begangen hat.

Es stimmt zwar, dass das religiöse Judentum (in striktem Gegensatz zum Christentum und zum Islam) nicht missionarisch ausgerichtet ist, traditionell mithin einer Abgrenzung gegenüber Nichtjuden das Wort redet, aber dies hat nichts mit der Ideologie einer modernen Rassenbiologie zu tun, sondern, wenn überhaupt, mit dem religiös-archaischen Gedanken, auserwählt zu sein, sowie mit der historisch begründeten Ambition, als Religionsgemeinschaft im Diasporischen und im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte zu überdauern. Ein Blick auf Israels Straßen genügt zudem, um sich davon zu überzeugen, wie »rassisch« und ethnisch durchmischt das aus aller Herren Länder im Einwanderungsland Israel zusammengekommene jüdische Kollektiv selbst ist. Selbst wenn man in Anschlag bringt, dass ein Theodor Herzl2 seinerzeit sich nur schwerlich hätte vorstellen können, der von ihm antizipierte Judenstaat würde dereinst auch dunkelhäutige äthiopische und »nichtweiße« orientalische Juden zu seinen Bürgern zählen – und in der Tat verstand sich das zionistische Projekt ursprünglich primär als ein europäisches, mithin aschkenasisches Unterfangen –, so kann ihm nicht im Nachhinein unterstellt werden, rassistischem Gedankengut aufgesessen zu sein.  Weiterlesen

Benefizveranstaltung in Wuppertal – Offener Brief

von Erhard Arendt

Lieber Palästinensische Gemeinde zu Dortmund,

vielen Dank für die Einladung zur  Benefizveranstaltung in Wuppertal am 27. September 2014.

Leider kann ich aus zwei Gründen nicht teilnehmen: Mein Gesundheitszustand ist zur Zeit nicht so stabil, und Reisen ist für mich eine Qual. Ich wünsche der Veranstaltung viel Erfolg.

Folgende Tatsache hält mich aber auch von einer Teilnahme ab: Ich lese im Flyer, dass Frau Evelyn Hecht-Galinski, als  Ehrengast eingeladen wurde. Um eine offene Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es deswegen für alle Beteiligten besser, wenn ich nicht an der Veranstaltung teilnehme.

Ich bin mit meinem Palästina-Portal offen für die unterschiedlichsten Stimmen, Positionen, Parteien und Gruppierungen, für alle, die sich ehrlich zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk bekennen und dafür eintreten. Eine meiner Aufgaben sehe ich im Zusammenführen unterschiedlichster Standpunkte.

Frau Hecht-Galinski hat sich in den letzten Jahren mehr als einmal unsolidarisch, verleumderisch und schädlich anderen Aktivisten gegenüber verhalten. Dazu gehören verdiente Persönlichkeiten wie Felicia Langer und Abraham Melzer, generell alle Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung. Nachdem ich  diese Persönlichkeiten verteidigt und deutlich gemacht habe, dass ich nicht für eine „Sekte“, die ausschließlich die Ein-Staaten-Lösung vertritt und andere diffamiert, Werbung betreiben wollte, bin ich auch von ihrem Bannstrahl getroffen worden, und sie fing an, auch mich zu diffamieren.

Ich bin offen für alle Lösungen, Maße mir aber nicht an, den Palästinensern eine Lösung des Konfliktes „vorzuschreiben“.  Ich erwarte auch ein solidarisches Miteinander, Nebeneinander derer, die sich für einen gerechten Frieden in Palästina engagieren. Hier war die Grenze unserer vorherigen Zusammenarbeit erreicht.

Erst kürzlich versuchte sie, Abraham Melzer zu blamieren. Er hat die Zeitschrift: „Der Semit“ Online wieder ins Leben gerufen und kündigte das in einem kleinen Email-Verteiler an. Eben an diesen Verteiler (unter anderem Journalisten, Medien, Persönlichkeiten), der damit gar nichts zu tun hatte, schickte Hecht-Galinski eine persönliche Abraham Melzer diffamierende Mail.

Wer so unsolidarisch wie sie mit seinen „Mitstreitern“ umgeht, kann für mich kein Partner sein.

Ebenso unsolidarisch geht sie mit der palästinensischen Regierung, der Fatah und besonders mit dem früheren Generaldelegierten Palästinas, Herrn Abdallah Frangi, um.

Man kann jeden kritisieren. Eine palästinensische Regierung in dieser verallgemeinernden Form zu diffamieren und sie dadurch zu delegitimieren, ist für mich völlig inakzeptabel, weil damit die eh nicht leichte Position Palästinas weiter geschwächt wird. So handelt kein Freund Palästinas.

Ich habe ihre Aussagen nicht umfassend gesammelt. Als exemplarische Beispiele für ihr öffentliches Auftreten füge ich nachfolgend einige Zitate aus ihren Artikeln an.  Weiterlesen

Ein Pitbull als Wachhund

Wenn Henryk M. Broder sich bei einem Gegner verbeißt, dann verhält er sich wie ein Pitbull – er lässt nicht mehr los. So hat er sich neulich in Thorsten Schmitz von der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) verbissen und wir können lesen, wie andere Wachhunde sich dazugesellt haben, Hunde, mit denen Broder schon immer zusammen gebellt und gebissen hat. So hat die Jerusalem Post seinen hämischen und schlecht recherchierten Beitrag aus der Achse des Guten vom 15. September 2014, in dem er glaubt Thorsten Schmitz den finalen Biss verpasst zu haben, zum Anlass genommen und hat daraus eine Story über vermeintliche israelische Flüchtlinge gemacht, die nach „Nazi-Deutschland“ fliehen. Die Jerusalem Post verlässt sich da auf Henryk M. Broder, den, nach Angaben des Korrespondenten Benjamin Weinthal, führenden Experten für zeitgenössischen Antisemitismus in  Deutschland, der sich seinerseits auf die Zahlen des Bundesamtes für Migration verlässt.

Ich weiß nicht, warum diese Frage ausgerechnet dieser Tage eine solche Brisanz und Explosionsgefahr enthält. Jahrelang haben wir doch von den Massen von Israelis gelesen, gehört und im Fernsehen  gesehen, die vor europäischen Botschaften standen und sich europäische Pässe ausstellen ließen. Es waren nicht nur europäische Einwanderer aus Mitteleuropa, Osteuropa, sofern es schon Mitgliedsländer der EU waren, oder aus Frankreich, Holland und England, es waren auch ihre Kinder und Kindeskinder, die plötzlich europäische Papiere beantragt haben. Das haben sie nicht aus Jux und Tollerei gemacht und auch nicht, um die Pässe in den Schubladen zu verstecken, sondern um sie tatsächlich zu benutzen. Viele dieser zehntausenden von Israelis sind in Deutschland, vor allem aber in Berlin, gelandet. Diese Israelis, oder Menschen, tauchen in keiner Statistik auf und erst Recht nicht in einer Statistik des Bundesamtes für Migration. Sie fühlen sich weder als Flüchtlinge noch als Emigranten. Die meisten von ihnen befinden sich, nach eigenem Verständnis, nur temporär in Deutschland und haben die feste Absicht, eines Tages, wenn sich die politische Lage in Israel beruhigt bzw. verbessert hat, zurückzukehren. Meistens belügen sie sich selbst und verdrängen die Tatsache, dass sie in  Israel nicht mehr leben können und nicht mehr leben wollen. Der Grund dafür heißt heute Netanjahu, gestern hieß der Grund noch Barak und vorgestern Rabin. Die Namen ändern sich, der Grund aber bleibt derselbe. Man hat die Nase voll von der israelischen Verweigerungspolitik. Man will für seine Kindern eine bessere Zukunft, und man glaubt den Politikern nichts mehr.  Weiterlesen

Ab wann ist Kritik an Israels Politik antisemitisch?

Eigentlich ist es eine heuchlerische, wenn nicht sogar perverse Frage. Kritik an Israel ist entweder antisemitisch oder nicht. Ein wenig antisemitisch kann es nicht geben, dies ist genauso absurd, wie nur ein wenig schwanger zu sein. Aber in Deutschland kann man eine solche Frage stellen, ohne aufzufallen, weil Kritik von Freunden zuweilen als antisemitisch gilt und Lob von Antisemiten oft begrüßt wird, als ob sie die größten und treuesten Freunde Israels seien. Früher war ein Antisemit derjenige, der Juden hasste. Heute ist ein Antisemit derjenige, den die Juden nicht mögen. Wann also Kritik an Israel antisemitisch ist oder nicht, liegt demnach nicht in der Hand des Kritikers, sondern des Kritisierten. Es kommt aber darauf an, wie viel Kritik er vertragen kann, und es kommt ebenso darauf an, wie gut oder wie schlecht er gerade gelaunt ist. Antisemitismus hat heutzutage nicht mehr viel zu tun mit dem wirklichen Antisemitismus. Man muss kein Antisemit sein, um als solcher von Berufszionisten und Berufsjuden in die Pfanne gehauen zu werden.

Um die Frage dennoch beantworten zu können, müssen wir zuerst definieren, was Antisemitismus ist. Darüber sind zwar unzählige Bücher und eine Flut von Aufsätzen geschrieben worden, aber im Grunde ist die Beantwortung sehr einfach und leicht. Antisemitismus ist Rassismus, er bedeutet: Angriffe auf Synagogen und Schulen, Gewalt gegen Geschäfte, die Juden gehören, die Diskriminierung jüdischer Menschen und der Versuch, Juden überall, wo sie leben, anzugreifen bis zur völligen Vernichtung. Antisemitismus bedeutet Juden zu hassen und töten zu wollen, nur weil sie Juden sind.

Demzufolge kann Kritik an der Politik des Staates, an seinen ungerechten und brutalen Kriegen und an seiner völkerrechtswidrigen Behandlung der Palästinenser kein Antisemitismus sein. Der Kampf für Gerechtigkeit und die Kritik von Ungerechtigkeit kann nicht antisemitisch sein. Dennoch wird Kritik an der Politik des Staates Israel oft von Zionisten und vermeintlichen Freunde Israels sowie den unzähligen Philosemiten als „Antisemitismus“ empfunden und angeprangert. Besonders aber werden die Kritiker bloßgestellt, als Gegner Israels, als Feinde des jüdischen Volkes, als Schufte und als „nützliche Idioten“ verleumdet.  Weiterlesen

Jeder kann Antisemit sein

Ein Beitrag des israelischen Botschafters in der Zeitschrift „The European“ hat mich erschreckt und amüsiert zugleich. Ich hätte niemals gedacht, dass die israelische Botschaft solch einen banalen und absurden Texte freigeben würde. Gibt es denn niemanden dort, der darauf achtet, dass der Botschafter seine Würde behält und nicht Unsinn schreibt auf einem Niveau, das, wenn ich Volksschullehrer wäre und mir einer meiner Schüler einen solchen Aufsatz vorlegte, er von mir ohne zu zweifeln, eine tiefrote Sechs bekommen würde. Aber ein israelischer Botschafter darf sich in diesem Land einiges erlauben, was kein anderer Botschafter tun würde: Er mischt sich in innere Angelegenheiten Deutschlands ein und findet es sogar gut so. Das tut Yakov Hadas-Handelsmann und das taten auch seine Vorgänger immer wieder.

Die Frage von „The European“ war sehr einfach und klar: Ab wann ist Kritik an Israels Politik antisemitisch? Dabei hätte der Botschafter z. B. schreiben können: Die rote Linie wenn berechtigte Kritik Antisemitismus wird, ist dann überschritten, wenn man hetzt, rassistisch argumentiert und Gewalt verherrlicht. Sie wird aber nicht überschritten, wenn man eindringlich und kompromisslos Kritik übt. Kritik muss man immer und jederzeit zulassen, egal ob berechtigt oder nicht, egal ob sie gerecht ist oder ungerecht. Das ist die Basis einer Demokratie. Wem Kritik nicht passt aus Angst, dass die Schande bekannt werden könnte, sollte seine Reaktion und Position überprüfen..Ab wann ist Kritik an Israels Politik antisemitisch?

Auch der Botschafter reiht sich in die Gruppe derer ein, die überall in Deutschland Antisemitismus wittern und inzwischen dafür eine hypersensible Nase entwickelt haben.  Weil ein paar durchgeknallte und traumatisierte Schreihälse in der Tat judenfeindliche Parolen gebrüllt hatten, spricht er und andere von einer „Welle des Antisemitismus“ in diesem Land, von „Judenhass“, von „verbrannten Synagogen“ und davon, dass „Juden ´vergast`, ´verbrannt` und ´geschlachtet` werden sollen. Wer behauptet, dass Paranoia keine Grenzen kennt, hat Recht.  Weiterlesen

Der 4D-Effekt

Deligitimiert, dämonisiert, doppelter Standard: Was anderen als Antisemitsmus vorgeworfen wird, macht Israel mit den Palästinensern schon lange. Noch schlimmer wird das Ganze, wenn noch ein viertes „d“ hinzu kommt: Deutschland.

von Rolf Verleger

Ist Kritik an Israels Politik antisemitisch? Die Frage ist seltsam. Ab wann ist kritisches Denken antisemitisch, mithin nicht mehr statthaft? Kritisches Denken ist immer statthaft!

Israel ist eine ethnisch abgestufte Demokratie. Die meisten Rechte haben jüdische Bürger, dann kommen nichtjüdische Bürger und dann nichtjüdische Jerusalemer. Danach kommen die Rechtlosen: Über die vielen nichtjüdischen Bewohner des besetzten Westjordanlands herrscht Israels Militärdiktatur. Die Bewohner Gasas hat Israel seit 2006 eingekerkert und bringt sie alle paar Jahre wieder zu Hunderten um.

Die wesentliche Frage ist allein, ob diese Beschreibung den Tatsachen entspricht. Was zählt, sind Fakten. Die Person, die diese Fakten nennt, einen „Antisemiten“ zu nennen, wäre ein reines „ad hominem“-Argument, also Herabsetzen der Person, um nicht sachlich argumentieren zu müssen.

Die „drei Ds“

Es wird manchmal behauptet, man könne antisemitische Kritik daran erkennen, dass Israel „d“eligitimiert und „d“ämonisiert und mit „d“oppeltem Standard (= zweierlei Maß) gemessen werde. Fällt denjenigen, die das behaupten, nicht auf, dass Israels Politik seit eh und je diese „drei Ds“ auf die Palästinenser anwendet?

  1. Delegitimierung: „Es gibt kein palästinensisches Volk“; „*Wir* brachten die Wüste zum Blühen“; „sie wurden nicht vertrieben; ihre Muftis haben ihnen befohlen zu gehen.“ „Gott hat uns dieses Land gegeben.“
  2. Dämonisierung: Die gewählte Hamas-Regierung (wie früher die PLO) wird grundsätzlich mit herabsetzenden Beinamen versehen wie „radikalislamistisch“, „terroristisch“, „fundamentalistisch“. „Sie heiligen den Tod, wir heiligen das Leben“ (Netanjahu). „Die Araber zwingen uns, ihre Kinder zu töten“ (Golda Meir). Nicht wenige nationalreligiöse Juden sehen in den Arabern „Amalek“ (das mythische Bibelvolk, das Israel vernichten wollte).
  3. Doppelter Standard: Wie oben im ersten Absatz eingeführt, misst Israel seine jüdischen und nichtjüdischen Bewohner mit zweierlei Maß in ihren materiellen Rechten (Aufenthaltsrechte, Immobilienbesitz, staatlich Zuschüsse u.a.).

Fazit: Wenn die „3Ds“ ein Merkmal von Antisemiten sind, dann ist Israels Politik schon lange antisemitisch – aber nicht gegen Juden, sondern gegen Palästinenser.  Weiterlesen