Die „neun Leben“ des jüdischen Verlegers Joseph Melzer

von Ludwig Watzal

Erinnerungskultur genießt einen hohen Stellwert in Deutschland. Jetzt liegen die Lebenserinnerungen des jüdischen Verlegers Joseph Melzers vor. In ihnen wird ein jüdisches Leben  im 20 Jahrhundert entfaltet, das in jeder Beziehung als außergewöhnlich bezeichnet werden kann. Der Autor  habe „neun Leben  gelebt“. Diese Behauptung macht neugierig.

Joseph Melzer wurde 1907 in Kuty, einem Städtchen in Galizien, in die K. u. K.-Monarchie (Donaumonarchie) geboren. Am Ende des Ersten Weltkrieges fiel ein Teil Galiziens an Polen und Melzer war fortan Pole. Kaiser Franz Joseph wurde als Vaterfigur verehrt. „Der Kaiser schützte seine Juden, und die Juden liebten ihren Kaiser.“ In dieser „kleinen Welt“ gab es keinen Antisemitismus. Judenhass wurde so wahrgenommen „wie Sommer und Winter“. „Judenhass habe ich erst viel später im Deutschland der zwanziger und frühen dreißiger Jahre kennengelernt.“  Weiterlesen

Zur Rolle Israels im Nahen Osten

von Fritz Edlinger

In meinem jüngsten YouTube-Gespräch habe ich mit Karin Leukefeld ausführlich über die Rolle Israels im Nahen Osten gesprochen. Im Gegensatz zu dem von Israel und seinen Lobbyisten gerne verbreiteten Narrativ, wonach sich der jüdische Staat seit seiner Gründung im Jahr 1948 einer existenziellen Bedrohung durch feindliche – zumeist islamische – Nachbarstaaten ausgesetzt sieht, kommen wir zum Ergebnis, dass Israel seinerseits von Anbeginn an seinen Nachbarn feindlich gegenübergestanden ist. Anhand einiger Beispiele wie der bereits in den 60er Jahren begonnenen und bis heute nicht eingestandenen atomaren Aufrüstung, der Affäre um die SS Liberty im Sechstagekrieg, der Zerstörung des irakischen Reaktors Osirak, den wiederholten Feldzügen gegen den Libanon, der zwanzigjährigen Besatzung von Teilen des Landes und dem Massaker von Sabra und Shatila 1982 sowie der Okkupation des syrischen Golan und den seit Jahren anhaltenden ständigen Angriffen auf Ziele in Syrien wird die aggressive Haltung Israels erläutert.

Um den in solchen Zusammenhängen üblichen Vorwürfen des Antisemitismus zu entgegnen, habe ich am Ende des Gespräches auch unmissverständlich klargestellt, dass wir uns klar von jeglicher antijüdischen und antisemitischen Kritik distanzieren. Wir stimmen mit unserer Kritik auch mit jenen israelischen und jüdischen Organisationen und Persönlichkeiten überein, die ihrerseits vehemente Kritik an der aggressiven und destabilisierenden Politik des zionistischen Israel üben.

Wir sprechen in diesem Gespräch bewusst Themen an, welche äußerst kontroversiell diskutiert werden. Angesichts der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten erscheint es uns aber unabdingbar, Ereignisse und historische Tatsachen der vergangenen 70 Jahre und darüber hinaus wahrheitsgetreu in Erinnerung zu rufen, um auf diese Weise der Verbreitung und Verfestigung falscher Feindbilder entgegenzuwirken.

Sind die Palästinenser „vogelfrei“, Herr Maas?

Sehr geehrter Herr Maas,

ich hätte nicht gedacht, dass ein deutscher Außenminister es schaffen könnte, dass ich mich wegen Deutschland schäme. Ihre heuchlerische, zynische und beschämende Forderung, dass der Internationale Gerichtshof sich nicht um die menschenrechtsverletzenden Eingriffe der Israelis in der Westbank, Gaza und den Golanhöhen kümmern soll, hat es freilich geschafft mich maßlos zu empören und mich ihretwegen zu schämen. Dies geht so weit, dass ich Probleme damit hatte, „sehr geehrter Herr Maas“ zu schreiben, denn es fällt mir schwer Sie noch zu ehren.

Sie machen aus den Palästinensern ein „vogelfreies“ Volk, dass den israelischen Demütigungen, Verfolgungen und der permanenten Unterdrückung auf ewig schutzlos bleiben soll, weil es angeblich als souveränem Staate nicht von Ihnen und der deutschen Regierung anerkannt wird. Heute erkennen aber 138 Staaten den Staat Palästina an. Das ist die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der UNO. Die Bundesrepublik Deutschland erkennt Palästina allerdings nicht als Staat an. Warum? Weil die Palästinenser keine Juden sind? Deshalb meinen Sie, dass „unsere legale Ansicht bezüglich der Jurisdiktion des ICC wegen angeblicher Verbrechen in den palästinensischen Gebieten bleibt unverändert.“  Weiterlesen

Das Schicksal eines deutschen Juden im 20. Jahrhundert. Lebenserinnerungen des Verlegers Joseph Melzer

von Arn Strohmeyer

So manchem Zeitgenossen, der seit über 70 Jahren in Mitteleuropa unbehelligt im Frieden lebt, fehlt inzwischen schlicht das Vorstellungsvermögen, was Menschen – insbesondere Juden – im 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und dem Holocaust erlebt und durchlitten haben. Um sich das immer wieder bewusst zu machen, hat die Erinnerung eine so wichtige Funktion, damit so etwas wie Auschwitz (als Synonym für Barbarei schlechthin) sich nicht wiederhole, wie Theodor W. Adorno es formuliert hat. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Erinnerungsliteratur hat jetzt der Westend-Verlag mit der Herausgabe der Lebenserinnerungen des deutsch-jüdischen Verlegers Joseph Melzer (1907 – 1984) erbracht.

Wenn der Autor schreibt, er habe neun Leben gelebt (das ist auch der Titel des Buches, mit dem Untertitel Ein jüdisches Leben im 20. Jahrhundert), dann glaubt man ihm das aufs Wort. Im ost-galizischen Schtetl Kuty in eine liberal-jüdische Familie hineingeboren, erlebt er hier noch trotz aller Entbehrungen und Armut eine fast „heile“ jüdische Welt, in der es auch kaum Feindschaft gegen Juden gab. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen zwingen die Familie zum Umzug nach Berlin. Dort erlebt er als junger Mann die „goldenen zwanziger Jahre“, knüpft Kontakte zu jüdischen Intellektuellen und gibt die Zeitschrift Die freie jüdische Monatsschau heraus, die aber nach einem Jahr ihr Erscheinen einstellen musste. Melzer wird Zeuge des Aufstiegs der Nazis in Berlin.  Weiterlesen

Meinungsäußerungsfreiheit oder Persönlichkeitsschutz

In der Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz qualifiziert das OLG-Nürnberg die Bezeichnung als „Antisemit“ als rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers im Gegensatz zum Landgericht Frankfurt, wo ein Richter zum Ergebnis kam, dass “nicht er, der Kläger, als Antisemit bezeichnet wird, sondern seine Kommentare als antisemitisch“. Dabei war das Gericht nicht in der Lage diese Kommentare vorzulegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte in einem ähnlichen Fall, dass die mögliche Wirkung der Verunglimpfung als Antisemit ziemlich bedeutend war und „der gute Ruf und die Rechte des Klägers durch diese Veröffentlichung weithin beeinflusst wurden.“ Der Verein wurde verpflichtet den strittigen Artikel von seiner Internetseite herunterzuladen und die Kosten und Auslagen des Verfahrens zu bezahlen. Der GH meinte, dass der Kläger den Angriff auf seine Persönlichkeit nicht tolerieren musste. Darum geht es auch im folgenden Text und im Verfahren Melzer contra Droemer Verlag, vor dem Landgericht Frankfurt, in dem ein einfältiger, vielleicht auch antisemitischer Richter die Meinungsfreiheit höher schätzte als den Schutz der Menschenwürde und deshalb urteilte: „Aus rechtlichen Gründen muss er dies jedoch im Interesse der Meinungsfreiheit hinnehmen.“ Ich kann es mir aber nicht vorstellen, dass das im Sinne der Verfasser des Grundgesetzes ist.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist für mich die schönste und wichtigste Aussage, die sich im Grundgesetz finden lässt und allein schon deswegen bin ich stolz Deutscher zu sein und fühle mich wohl in diesem Land, obwohl dieses Land meine Familie verfolgt und zum Teil ermordet hat. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts erklärten grundsätzlich zur Menschenwürde:  Weiterlesen

Palästina in israelischen Schulbüchern

von Willy Parlmeyer

Miko Peled und Nurit Peled-Elhanan sind Sohn und Tochter von Mattityahu Peled, einem hochdekorierten General in Israels frühen Kriegen. In seinem Buch Der Sohn des Generals beschreibt Miko Peled, wie sein Vater mit anderen Generälen 1967 die Regierung zum Angriff auf Ägypten drängt und die militärische Laufbahn aufgibt, als er realisiert, dass der Sieg nicht zum Friedensschluss genutzt wird. Nurit Peled-Elhanan (* 1949) hat 2012 das Buch Palestine in Israeli School Books – Ideology and Propaganda in Education veröffentlicht. Es liegt nun auf deutsch vor unter dem Titel Palästina in israelischen Schulbüchern.

Die Autorin ist Professorin für Literaturwissenschaft und Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie sagt über ihre Studie, diese sei „nicht von einer Historikerin, sondern von einer Diskursanalytikerin verfasst.“ Sie untersuche nicht die Richtigkeit der in den Schulbüchern berichteten Fakten, sondern ihren Diskurs, „besonders ihre Rhetorik und die semiotischen Instrumente, mit denen sie ihre Aus­sagen übermitteln.“

Es handelt sich um Schulbuchforschung, und diese weiß, dass Schulbücher wirksame Instru­mente sind, die dem Staat dazu dienen, nationale und persönliche Identitäten zu formen. Am Schluss des Buches macht die Autorin dies drastisch klar, indem sie Max Weber paraphrasiert, an der Basis des modernen Staates befinde sich nicht der Scharfrichter, sondern der Lehrer, denn das Monopol über die rechtmäßige Bildung sei wichtiger als das Monopol über die rechtmäßige Gewalt.  Weiterlesen

Gedanken zum Holocaust-Gedenktag

Israel hat die Erinnerung zu einer ethnisch-nationalistischen Ideologie gemacht. Die Palästinenser als sekundäre Opfer des Holocaust werden vollständig ausgespart

von Arn Strohmeyer

Vor genau einem Jahr hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem eine Rede gehalten. Zu der Veranstaltung waren Regierungschefs aus der ganzen Welt gekommen. Steinmeier sagte das Übliche, das deutsche Politiker bei solchen Gelegenheiten in Israel zu sagen pflegen.

Er führte aus, dass es Deutsche waren, die den Holocaust – das „größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ – begangen hätten, bei dem sechs Millionen Juden und Jüdinnen dem „industriellen Massenmord“ zum Opfer gefallen seien. Er sprach dann von der „deutschen Schuld“, und wie dankbar er für die ausgestreckte Hand Israels zur Versöhnung mit Deutschland sei. Der Geist der Versöhnung habe Deutschland und Israel, aber auch Deutschland, Europa und den Staaten der Welt einen neuen friedlichen Weg gewiesen.

Steinmeier sagte dann wörtlich: „Weil ich dankbar bin für das Wunder der Versöhnung, stehe ich vor Ihnen und wünschte sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht. Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart. Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.“ Als Beispiel für Nicht-Lernen aus der Geschichte bezeichnete er dann auch Kritik an Israel, „wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an der israelischen Politik kruder Antisemitismus hervorbricht.“  Weiterlesen

„Juden lebten in ostjüdischen Städtels freier und sicherer als im Westen Europas“

Zu beziehen hier.„Ich habe die Nazis erlebt, die Kommu­nisten überlebt, die Zionisten erduldet und den Sozialisten geholfen.“ So beschreibt der Verleger Joseph Melzer sein beweg­tes Leben. Aber erst fast vierzig Jahre nach seinem Tod erscheint sein Bericht „Ich habe Neun Leben gelebt“ über ein „Jüdisches Leben im 20. Jahrhundert“. Das war Anlass für unser heutiges Autorengespräch mit seinem Sohn Abraham Melzer:

Abraham, was hat Dich bewogen, gerade jetzt den Lebensbericht Deines Vaters herauszubringen?

Abraham Melzer: Da mein Vater schon vor fast 40 Jahren gestorben ist, mag es so wirken, als hätte ich erst jetzt das Anlegen, von seinem starken Überlebenswillen und von der grenzenlosen Liebe zum Buch und zum Buchhandel zu erzählen. Aber ich muss voller Scham gestehen, dass ich Ich habe Neun Leben gelebt erst jetzt gelesen habe.
Ist das nicht normal? Als wir uns damals als Lehrlinge im Werner Verlag kennen gelernt haben, hat uns da interessiert, was unsere Väter gemacht oder erlebt haben? Heute bin ich manchmal traurig, dass ich zu wenig gefragt habe.
Als mein Vater starb das ja schon lange nach unserer Lehrzeit. Ich war aber voll im Stress, hatte als kleiner engagierter Verleger jede Menge Sorgen und ständig Angst um die Existenz und habe das Manuskript, das mein Vater mir übergeben hat, in die Schublade gesteckt und mir vorgenommen, irgendwann, wenn ich Zeit haben werde, vielleicht im Urlaub, es zu lesen. Meine einzige Ausrede wäre, dass ich es wegen der Korrekturen und Streichungen, Ergänzungen und Schwärzungen nicht einfach mit querlesen veröffentlichen könnte. Erst jetzt, nachdem ich meinen eigenen Verlag endgültig eingestellt habe und mich dem Übersetzen von Büchern widme, habe ich es gelesen und war überwältigt. >>> 

„Plünderungen vor Israels Staatsgründung. Der große Beutezug“

Jüdische Zivilisten und Milizionäre raubten 1948 den Besitz vertriebener Palästinenser. Nun schildert ein israelischer Historiker die lange verdrängten Verbrechen – und greift Staatsgründer Ben-Gurion scharf an.

von Joseph Croitoru