von Manfred Jeub
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich halte Ihre neue Broschüre „Lagebild Antisemitismus 16/17“ in Händen und möchte Ihnen gern ein Feedback geben.
Zuvor ein kurzes Wort zu meinem persönlichen Hintergrund. Nach 40 Berufsjahren als evangelischer Religionspädagoge, in den letzten 15 in leitender Funktion, bin ich seit einem Jahr im Ruhestand. Die Thematik Erziehung gegen Antisemitismus und Rassismus zieht sich als roter Faden durch meine Vita als Pädagoge, Lehrerausbilder und Schulbuchautor. Auch im Ruhestand werde ich noch als Gutachter für die Zulassung von Lernmitteln an den Gymnasien Baden-Württembergs zugezogen. Aus dieser Perspektive erfolgt mein Blick auf Ihre kleine Schrift, die ja auch für den Bildungssektor gedacht ist.
Wer Ressentiments entgegentreten will, das gilt allgemein, ganz besonders aber beim schlimmsten von ihnen, dem Antisemitismus, muss das mit dem ganzen Gegenteil, mit strenger Sachlichkeit, mit stringenter Argumentation und sauber belegten Fakten tun. Leider mangelt es ihrer Publikation genau daran. „Die Diffamierung Israels stinkt zum Himmel. In gefühlt 98% aller Meinungsäußerungen in Deutschland zum »Nahostkonflikt « schwingen auf der Metaebene Dutzende antisemitische Ressentiments mit. Schwierig nachzuweisen, aber dadurch nicht weniger existent.“(S. 17) – diese Sichtweise, die Ihre Projektkoordinatorin im Schlusskommentar äußert, einem Rundumschlag gegen Medien und UN, der m. E. besser unterblieben wäre, durchzieht als eine Hermeneutik des Verdachts leider auch die anderen Abschnitte. Das hat erstens damit zu tun, dass es an einer klar explizierten, konsistenten Definition dessen fehlt, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Der Abschnitt, der auf S. 2 mit dem Satz beginnt „Im vorliegenden Lagebild wird keine ganz starre Antisemitismus-Definition verwendet…“, genügt diesem Grunderfordernis in keiner Weise. Was ist ein starre Antisemitismus-Definition? Eine Definition ist eine Definition und bei schwerwiegenden Vorwürfen unabdingbar. Eine zweite Problematik, die dem Anspruch im Wege steht, eine objektive Zustandsbeschreibung zu geben, ist das in Ihrer Publikation unübersehbare politische Interesse, den Staat Israel unangreifbar zu machen. Wer laufend den Terminus „israelbezogener Antisemitismus“ verwendet, muss ihn eindeutig klären und Abgrenzungskriterien zu einer nicht-antisemitischen Kritik an Israel benennen. Auch dies wird nicht geleistet, so dass der willkürlichen Unterstellung Tür und Tor geöffnet ist.