„Unsere einzige Rache ist, Frieden zu schließen“

von Arn Strohmeyer

Um das Fazit gleich vorwegzunehmen: Wer immer noch glaubt und davon überzeugt ist, dass der Zionismus irgendetwas mit Frieden zu tun hat und Israel ein von Moral geprägter Staat ist, der lese dieses Buch Apeirogon von Colum McCann. Dieser irische Autor hat den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in einem grandios geschriebenen Roman zusammengefasst. Mit unbestechlichem Blick auf das grausam-barbarische Vorgehen der Zionisten gegen ein ganzes Volk, das sich verzweifelt gegen die Unterdrückung und die endgültige Vertreibung aus seinem Land wehrt, analysiert der Autor das Geschehen in Israel-Palästina. Dabei spart er nicht mit historischen und wissenschaftlichen Einschüben, ja bisweilen benutzt er sogar poetische Assoziationen, um klarzumachen, wie schön dieses Land sein könnte, wenn der Wille zum Frieden vorherrschend wäre. Mit der Anwendung der Collage-Technik wechselt ständig die Szene und die Ebene des Erzählens und schafft so eine ganz eigene Atmosphäre der beschriebenen Ereignisse und des Verstehens beim Leser.

Apeirogon ist ein Begriff aus der Geometrie und bezeichnet eine Figur, deren Seiten sowohl zählbar als auch gegen unendlich gehen. Der Autor spielt hier wohl auf die Unendlichkeit des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern an. Oder anders gesagt: Man muss sehr viel Zeit und Geduld aufbringen, wenn man auf ein Ende dieses Konflikts hofft – genauso viel, wie wenn man die Seiten eines Apeirogons zählen will.  Weiterlesen

Von Palästinensern wird Selbstverleugnung verlangt

Leserbrief zu: Salomonische Entscheidung? Ein Kommentar von Michael Hanfeld.

von Helmut Suttor

Der WDR erklärt die Aufkündigung des Moderatoren-Vertrags mit drei Likes von Nemi Al-Hassan auf verschiedene Tweets, die in der BILD-Zeitung nachzulesen sind:

Die Übersetzung der ersten inkriminierten Aussage lautet: „Unser Ruf gilt der Freiheit vom Fluss zum Meer“ (Our call is for freedom from the river to the see).  Herr Hanfeld übernimmt die falsche Übersetzung der BILD-Zeitung samt der darauf gestützten politischen Interpretation.  Das zu übersetzen mit: Palästina müsse „vom Fluss bis zum Meer“ befreit werden ist eine Fälschung, es umstandslos als Aufruf zur Auslöschung Israels zu interpretieren abwegig.

Unterstützung von Boykott-Desinvestment-Sanctions (BDS): Weder BDS als Organisation, noch weniger eine Unterstützung derselben, in welcher Form auch immer, ist antisemitisch. Das ist die Rechtslage, festgestellt in diversen Urteilen in Deutschland. Dem entspricht auch die Position der EU: Sie lehnt BDS-Aktionen politisch ab, zeigt sich aber „fest entschlossen“ diese als Ausdruck der „Grundrechte der Europäischen Union zu schützen, die im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten“ gelten. Auch wenn das zur FAZ-Redaktion noch nicht durchgedrungen sein sollte: Der Frankfurter BDS-Beschluss vom September 2017 wurde von der neuen Römer-Koalition klamm heimlich außer Vollzug gesetzt, nachdem der Magistrat dessen Rechtmäßigkeit über vier Jahre nicht begründen konnte.  Weiterlesen

„Ich möchte zurücktreten und aufhören, mich als Jude zu betrachten“

Seine Vergangenheit war jüdisch, aber heute sieht er Israel als eine der rassistischsten Gesellschaften in der westlichen Welt. Der Historiker Shlomo Sand erklärt, warum er nicht mehr Jude sein will.

von Shlomo Sand

„Wenn ich weit weg von Israel bin, sehe ich meine Straßenecke in Tel Aviv und freue mich auf den Moment, in dem ich zu ihr zurückkehren kann“ … Shlomo Sand.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verließ mein Vater die talmudische Schule, hörte dauerhaft auf, in die Synagoge zu gehen, und drückte regelmäßig seine Abneigung gegen Rabbiner aus. An diesem Punkt in meinem eigenen Leben, im frühen 21. Jahrhundert, fühle ich mich wiederum moralisch verpflichtet, endgültig mit dem Stammesjudäozentrismus zu brechen. Ich bin mir heute völlig bewusst, nie ein wirklich säkularer Jude gewesen zu sein, und verstehe, dass ein solches imaginäres Merkmal keine spezifische Grundlage oder kulturelle Perspektive hat und dass seine Existenz auf einer hohlen und ethnozentrischen Sicht der Welt basiert. Früher glaubte ich fälschlicherweise, dass die jiddische Kultur der Familie, in der ich aufgewachsen bin, die Verkörperung der jüdischen Kultur sei. Wenig später, inspiriert von Bernard Lazare, Mordechai Anielewicz, Marcel Rayman und Marek Edelman – die alle Antisemitismus, Nazismus und Stalinismus bekämpften, ohne eine ethnozentrische Sichtweise einzunehmen – identifizierte ich mich als Teil einer unterdrückten und abgelehnten Minderheit. In der Gesellschaft sozusagen des sozialistischen Führers Léon Blum, des Dichters Julian Tuwim und vieler anderer blieb ich hartnäckig ein Jude, der diese Identität aufgrund von Verfolgungen und Mördern, Verbrechen und deren Opfern akzeptiert hatte.

Jetzt, da ich mir schmerzlich bewusst geworden bin, dass ich mich israelisch anhafte, per Gesetz in eine fiktive Ethnos von Verfolgern und ihren Unterstützern assimiliert wurde und in der Welt als einer der exklusiven Clubs der Auserwählten und ihrer Geiger erschienen bin, möchte ich zurücktreten und aufhören, mich als Jude zu betrachten.  Weiterlesen

Judenstämmlinge?

von René Lobenstein

Aktuell wird von Juden und auch von Krethi und Plethi das historische Thema der Zugehörigkeit zum heutigen Judentum zusammengekocht. Neuer Wein in alte Schläuche, wie Jesus sagte? Darauf kommt es nicht an. Dr. Joseph Schuster, Präsident des Zentralrats in Deutschland stellt sich auf einen wahrhaft halachischen Standpunkt. Danach ist Max Czollek (zum Beispiel) kein Jude. Was ist er? Arier? Bastard, Mamser, Un-Jude oder Vaterjude, um einen subtileren Begriff zu verwenden?

Beim christlichen Hochadel kannte man das Problem ähnlich: Die englische Hocharistokratie blutete im 100-jährigen Krieg (bis 1460) aus, so dass man danach von einer Bastard-Aristokratie sprach. In Deutschland hatten Monarchen Kinder mit einfachen Frauen: Aber sie galten wenigstens als niedere Adlige. Bei den niederen Adligen schaut man weniger genau hin. Bei den Juden aber doch:  Ist Frau Charlotte Knobloch Jüdin? Ihr Vater war Jude und ihre Mutter war wohl zum Judentum übergetreten, hat sich davon aber wieder distanziert und sich scheiden lassen. Ihre Kindheit verbrachte Charlotte Knobloch bei Verwandten einer christlichen Dienstmagd, was den Schluss erlaubt, dass sie auch keine jüdische Erziehung genossen haben kann. Sie wäre so etwas wie Papier-Jüdin, wie ein noch 1918 geadelter Recke noch zum „Briefadel“ gehört, aber nicht wirklich jemand vom alten Stamm ist.  Weiterlesen

Zivilcourage in den Medien – Fehlanzeige

Schon wieder ein Antisemitismus-Skandal in Deutschland. Schon wieder sorgt die Israel-Lobby für die Vernichtung einer beruflichen Existenz. Schon wieder wird eine Teilnehmerin an einer vor sieben Jahren zugelassenen Demonstration bestraft, nur weil sie teilgenommen hat. Mehr kann man ihr nicht nachweisen. Schon wieder hat eine öffentliche Institution, der WDR, vor einer privaten Institution, der BILD, kapituliert und unser Grundgesetz verraten und mit Füssen zertreten. Schon wieder blüht die Antisemitismus-Hysterie.

Die 28jährige Nemi El-Hassan, die ab November im Westdeutschen Rundfunk die Wissenschaftssendung „Quarks“ moderieren sollte, wurde suspendiert, weil sie vor Jahren an einer „umstrittenen Demonstration“ teilgenommen hatte, die in der zionistischen Presse als „antisemitische Demonstration“ disqualifiziert wurde, weil es um Kritik an Israels Politik und im speziellen Fall um Kritik an Israels Strafaktion gegen Gaza ging.

Vom WDR hieß es: „Die Vorwürfe gegen sie wiegen schwer“. Schwerer wiegt aber, dass man einer jungen Journalistin die berufliche Zukunft zerstört, ohne verständlichen oder gar akzeptablen Grund. Die Teilnahme an einer genehmigten Demo kann es doch nicht sein. Da denkt man an den damals linken und antiautoritären Jugendlichen Joschka Fischer, der auf einer nicht genehmigten Demonstration Polizisten verprügelt hat. Artikel 8 unseres Grundgesetzes sagt: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“  Weiterlesen

Wer ist Jude?

von Moshe Zuckermann

Es ist Nichtjuden schwer zu vermitteln, wie sehr sich Juden untereinander uneinig darüber sind, was für jüdisch zu erachten sei. Es will zuweilen scheinen, als wüßten sich Juden disbezüglich nur in einem einig: in der Abgrenzung von den Nichtjuden, womit sie mutatis mutandis den Nichtjuden die gemeinhin von Klischees nur so strotzende Deutungshoheit überlassen. Wenn der Nichtjude zum Kriterium der eigenen Selbstsetzung wird, „der Andere“ also, von dem man sich abzusetzen trachtet, die Definition des Judeseins, ohne sich dessen bewußt zu sein, mitbestimmt, dann ist diese Definition ihrem Wesen nach ex negativo generiert. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, daß gerade in der Moderne sich das Judesein im Kontext der nichtjüdischen (Um)Welt herausbildete, mithin nicht mehr ausschließlich durch eine positive Bestimmung des Jüdischen gefaßt werden konnte.

Das irritierte den nichtjüdischen Diskurs über die Juden im 19. Jahrhundert zutiefst. Denn was war das Judentum? Eine Religion? Ein Volk? Eine Nation? Daß die drei Kategorien im archaisch-traditionellen Judentum nicht voneinander zu trennen sind, konnte der moderne Westen nicht recht annehmen. Denn wenn die Juden das von Gott auserwählte Volk sind, welches sich in einem von Gott verheißenen Land als Nation konstituiert und in einer Gebotseinhaltungsreligion sein Bündnis mit Gott immer wieder erneuert, um sich darin der Auserwähltheit zu vergewissern, dann steht dieses (theologische) Paradigma der westlichen Aufklärung und dem sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Europa herausbildenden modernen Nationalstaat diametral entgegen. Der moderne europäische Nationalstaat strebt die Trennung von Staat und Kirche an, er möchte seine Raison d‘être nicht mehr einem „Gottesgnadentum“ verdanken. Vor allem aber ist sein Volksbegriff (insofern der Staat von einem Volk bevölkert wird) prinzipiell exklusiv: Ein Franzose kann auch in Deutschland leben, aber es ist nicht sein Land. Wie steht es da mit dem Juden, der im Selbstverständnis dem jüdischen Volk angehört, aber auch als Deutscher in der deutschen Gesellschaft leben möchte? Kann er Teil der deutschen Nation werden?  Weiterlesen

Wenn es nicht so traurig wäre. Eine bizarre innerjüdische Debatte

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich den Begriff „Vaterjude“, bei der Beschäftigung mit folgendem Thema zum ersten Mal gehört habe. Und nun kommt, oh Gott, Michael Wolffsohn in der Neuen Zürcher Zeitung, weil schon alles hierzu gesagt worden ist, nur nicht von jedem, mit dem „Großvaterjuden“.  Die Welt steht Kopf. In den USA würde man sagen: Upside down.

In Deutschland wogt aktuell in den Medien eine Debatte darüber, wer Jude ist. Juden beschuldigen Juden, dass sie keine echten Juden seien, und Nichtjuden schauen zu und staunen. Gelegentlich geben sie irrelevante Kommentare und offenbaren ihr Unwissen. In Israel sind diese Behauptungen politische Waffe. In der Sowjetunion erbte man die Nationalität vom Vater, auch die jüdische. Das soll nun in Israel nicht mehr anerkannt werden, obwohl auch in Israel Judentum als Nationalität verstanden wird und im Personalausweis „Jude“ steht, statt „Israeli“. Wenn aber die Mutter keine Jüdin ist, dann ist man kein Jude und genießt nicht die vollen Rechte, die jeder Bürger in Israel laut Verfassung hat. Auch für Menschen in Deutschland, die Juden sein wollen, ist das wichtig. Für alle anderen, die darauf keinen Wert legen, ist es irrelevant. Sie mögen einen jüdischen Vater und eine nichtjüdische Mutter haben, sind aber deutsche Staatsbürger und leben ihr Leben nach eigener Façon.

Wenn diese Skurrilität nicht ernste Folgen hätte, könnte man darüber staunen und lächeln. So aber muss das Lächeln erstarren, wenn wir feststellen, dass es sich um historische Argumente und Vorstellungen handelt, die aus der Mottenkiste der Geschichte stammen. Manche werden an rassistische Ideen der Nationalsozialisten erinnert, wenn nicht sogar direkt an Hitlers oder Görings Schriften.  Weiterlesen

Juden zweiter Klasse

In Deutschland wogt aktuell unter Juden eine Debatte darüber, wer Jude ist. Juden beschuldigen Juden, dass sie keine echten Juden seien. Auch in Israel sind diese Behauptungen politische Waffe: In der Sowjetunion erbte man die Nationalität vom Vater, auch die jüdische. Das soll nun in Israel plötzlich nicht mehr anerkannt werden? Wenn diese Skurrilität nicht ernste Folgen hätte, könnte man darüber staunen und lächeln. So aber muss das Lächeln erstarren, wenn wir feststellen, dass es sich um historische Argumente und Vorstellungen handelt, die aus der Mottenkiste der Geschichte stammen sollten. Manche werden an rassistische Ideen der Nationalsozialisten erinnert. Der Bibelleser schlägt Esra 9,11 auf, wo es heißt: „scheidet euch von den fremden Frauen“ Und zum Schluss des Textes heißt es, nachdem die Namen der Betroffenen aufgeführt sind: „sie entließen Frauen und Kinder“

Das war 500 vor unserer Zeitrechnung; warum soll es heute anders sein? 500 nach unserer Zeitrechnung wurde der Talmud fertig gestellt, der in seiner Halacha die Frau zur „apostolischen“ Weitergabe des Judentums verklärte. Der Sinn dieser Regel wird auch erläutert: Den Talmud kann jeder studieren, aber einen jüdischen Haushalt kann nur die Frau führen. In dieser Logik müssten Frauen nie zum Judentum übertreten können. Können aber: die Mutter von Charlotte Knobloch, langjährige Vorsitzende des Zentralrats war übergetreten.  Weiterlesen

Der neue Antisemitismus der Hintertür

von Eurich Lobenstein

Gerhard Kittel, gehörte mit Karl AdamKarl Georg KuhnHans Fleischhacker und dem Leiter des Dozentenbundes, Robert Wetzel zu den Repräsentanten des „wissenschaftlichen Antisemitismus“. Allen war gemeinsam der evangelische Glaube und die Zugehörigkeit zur Tübinger Universität. Kittel vertrat die prinzipielle Ansicht, man müsse „die Juden“ zwingen, ihre Religionsgesetze strikt zu beachten; befolgten sie diese nicht mehr, so wirke sich ihre Laizität und ihr Unglaube auch ungünstig auf die Einstellung der Christen aus. Ignoriert man das kollaterale Geschehen dieser Zeit in Deutschland, das auch die „gesetzestreuen Juden“ (vgl. Willy Kohn in: Kein Recht, nirgends ….) in die Verfolgung einbezog, stand der Tübinger Antisemitismus auf soliden Regeln im Verhältnis zu den Juden.

Das erscheint heute in fataler Weise nicht prinzipiell anders. Nur nennt sich diese Haltung „Judenfreundlichkeit“. So genannte „Antisemitismusbeauftragte“ treiben eine politische Kosmetik, indem sie z. B. den Beck-Verlag nötigen, den Beck schen Kurzkommentar „Palandt“ umzubenennen.  Aber an den staatstragenden Straßen in Berlin, die nach Wilhelm Wundt, Paul von Hindenburg oder Otto v. Bismarck benannt sind, stört sich nicht einmal Felix Klein(hirn). Wundt schrieb im völkischen Sinne zur Völkerpsychologie, Paul von Hindenburg ernannten Adolf Hitler zum Reichskanzler und beglückwünschte diesen zu den Morden vom 30.6.1934 und Otto v. Bismarck war für seine Gehässigkeiten gegen Juden bekannt (vgl. Ernest Hamburger in: Juden im öffentlichen Leben Deutschlands: Regierungsmitglieder, Beamte und Parlamentarier in der monarchische. Zeit. 1848–1918). Das ändert nichts an der Benennung der großen Straßen.  Weiterlesen